28. Kapitel

SAGGOVALS GEBRAUCHTVEHIKELMARKT, KURATOOINE

Turmans Maske eines attraktiven Ehemanns zeigte den Ausdruck gelinder Neugierde. »Was denkt ihr? Stehlen oder kaufen?«

Er, Voort, Myri, Trey und Thaymes standen auf einem der Landefelder des ausgedehnten, größtenteils im Freien befindlichen Gebrauchtvehikelmarkts, nicht weit von ihrer Beute entfernt. Auf diesem speziellen Parkfeld drängten sich ausrangierte Militärfahrzeuge. Bei einigen handelte es sich um Prototypen und Vorproduktionsmodelle, die bei den Soldaten, die sie einst auf ihre Einsatztauglichkeit testen sollten, keinen sonderlichen Eindruck hinterlassen hatten – als Machbarkeitsstudie gebaute Repulsorpanzer, gepanzerte Truppentransporter mit seitlichen Panzerplatten, die jetzt aussahen, als seien sie von Insekten durchlöchert worden, Luftgleiter mit Schnittstellen für Modularsysteme auf der Ladefläche, die den an sie gestellten Anforderungen nicht gerecht geworden waren. Und da waren Sternenjäger von der Orbitalbasis. Einige waren alt und so verschlissen, dass ihre Auftriebsflügel schlaff herabhingen. Andere jedoch gehörten zu Baureihen, die im Laufe der Zeit einfach ausgelaufen waren, so wie die vier klassischen T-65-X-Flügler von Incom, neben denen die Gespenster standen.

Voort sah Trey an, der den Kopf in eine geöffnete Klappe an der Seite des Rumpfs gesteckt hatte. »Muskelboy, bist du dir sicher, was diese beiden betrifft?«

»Hm?« Trey zog den Kopf heraus, um Voort anzuschauen. »Oh … Ja.« Er schloss die Klappe wieder. »An denen muss zwar einiges gemacht werden, aber insgesamt sind sie in guter Verfassung. Die Laser und die Deflektorschilde funktionieren. Natürlich wurden die Protonentorpedorohre abmontiert, da Zivilisten bekanntlich keine Protonentorpedos besitzen dürfen. Ja, ich kann diese Babys kurzfristig kampfbereit machen. Die anderen zwar ebenfalls … aber dafür würde ich sechs Monate und eine hübsche Twi’lek-Assistentin brauchen.«

Voort dachte nach. »Eigentlich würde ich sie ja gern stehlen …«

Myri strahlte.

»Aber das wäre vermutlich eine Eskapade zu viel, denke ich. So, wie die Dinge liegen, sind unsere Ressourcen ohnehin schon knapp bemessen. Damit würden wir nur die örtlichen Behörden auf den Plan rufen. Wir können es uns nicht leisten, zu viel Aufmerksamkeit zu erregen.« Voort legte besonderen Nachdruck in diese Worte. Die anderen nickten.

Einige Meter entfernt ließ die plötzlich positive Körpersprache der Gespenster den Verkäufer, der sie hierhergeführt hatte, strahlen. Der Mann war ein rundlicher Besalisk in einem teuren Anzug und mit einem gerüschten Brustlatz aus Seide. Sein oberer linker und sein unterer rechter Arm waren altmodische mechanische Prothesen. Jetzt schenkte er den Gespenstern ein Lächeln, das gleichermaßen freundlich wie übertrieben zuversichtlich wirkte.

Voort schlug Turman auf die Schulter. »Geh und schnapp ihn dir.«

»Und womit soll ich handeln, wenn nicht mit Credits?«

»Mit dem Shuttle der Erschütterer

Myri zog eine offenkundig gekünstelte Schnute. »Oooch … Mit meinem Flitterwochen-Shuttle?«

Voort zuckte die Achseln. »Im Tausch gegen zwei X-Flügler.«

Myri klopfte ihrem falschen Ehemann auf den Rücken. »Geh und schnapp ihn dir.«

Turman marschierte davon, um sich in die Schlacht mit seinem neuen Gegner zu stürzen.

Voort wandte sich derweil an Thaymes. »In Ordnung, und nun zu dir. Seit wir das Einsatzzentrum verlassen haben, grinst du wie eine von Laborboys Masken. Was ist los? Raus damit!«

Thaymes warf den anderen einen verschwörerischen Blick zu. »Bewundert mich, lobet mich! Ich habe soeben den Beweis dafür gefunden, dass Thaal vorhat, auf Kuratooine Zuflucht zu suchen – und ich kenne seine neue Identität: Thadley Biolan.«

Voort blickte nachdenklich – nicht dass irgendjemand außer Myri den Ausdruck wirklich hätte deuten können. »Habe ich diesen Namen nicht schon mal gehört, seit wir hier sind?«

Thaymes nickte. »Das ist einer von gut tausend Unternehmern, die in Geschäftsberichten und Investorenverzeichnissen auftauchen. Er hat Andockplätze für Frachtschiffe auf dem Rubin-Habitat oben im Orbit angemietet. Wie viele reiche Leute, die nicht wollen, dass ihre Kinder gekidnappt werden, meidet er die Presse, und es gibt nicht viele Fotos oder Aufnahmen von ihm – aber ich habe ein paar gefunden.« Er klappte sein Datapad auf, dessen Bildschirm bereits ein Bild zeigte.

Es war das Foto eines Mannes von ausgesprochen kräftiger Statur, jedoch mit einer Figur, die vermuten ließ, dass er rasch Fett ansetzen würde, wenn er sich dem Müßiggang hingab. Seine Haut war gelb, die Augen schwarz, seine Stirn glatt. Dichtes Haar und ein schwarzer Vollbart machten es schwierig zu mutmaßen, wie wohl seine glatt rasierten Züge aussehen mochten, doch Voort konnte sich unter dem ganzen Haar mühelos Thaals Gesicht vorstellen.

Voort rieb sich das Kinn. »Dann beinhaltet sein verändertes Genprofil also auch Gene für gelbe Haut – was wesentlich schmerzloser sein dürfte, als sich am ganzen Körper tätowieren zu lassen.«

Myri erschauderte. Zweifellos malte sie sich die Schmerzen aus, die eine solche Tätowierprozedur mit sich brächte. »Wurde diese Aufnahme auf Kuratooine gemacht?«

»Nein.« Thaymes klang selbstsicher. »Ich glaube nicht, dass er je wieder hier war, seit sie vor drei Jahren den Grundstein für die neue Basis gelegt haben.«

Sie sah ihn an. »Warum glaubst du dann, dass dies sein Ziel ist? Ich wette, er hat überall in der Galaxis Immobilien angemietet oder gekauft.«

»Face’ Bericht über Thaals Geliebte hat mich darauf gebracht. Ich habe die Daten über sie und seine Frau Zehrinne durch einige leistungsstarke Vergleichsprogramme laufen lassen und kam so dahinter, was sie gemeinsam hatten.« Thaymes schwang einen Finger über den Bildschirm, und das Bild wechselte zu dem eines Frauengesichts.

Der Art und Weise nach zu urteilen, wie Trey den Atem einsog, nahm Voort an, dass sie ein echter Hingucker war. Die rothäutige Twi’lek, die den Kopf ein wenig nach unten gesenkt hielt, während sie in die Holokamera sah, schien Voort geradewegs anzublicken. Ihre Lippen umspielte der fast unmerkliche Anflug eines Lächelns, und ihre Augen versprachen Leidenschaft und vielleicht auch Gefahr. Am unteren Rand des Bildes konnte man eine tief ausgeschnittene weiße Tunika erkennen.

Trey schüttelte den Kopf. »Selbst ihre Ohrläppchen sind wunderschön. Wer ist sie?«

»Koy’tiffin. Eine Twi’lek-Schauspielerin, die vor etwa sechzig Jahren geboren wurde. Schon früh in ihrer Laufbahn spielte sie die übliche Palette von Holodramarollen der schönen Twi’lek – Sklaventänzerinnen, hoffnungsvolle junge Entertainerinnen, Femme fatales. Später konzentrierte sie sich dann mehr auf ihre Bühnenarbeit. Sie schauspielert noch immer. Jetzt schaut her. Das ist Zehrinne Thaal im Alter von zwanzig.« Er wechselte zu einem anderen Standbild.

Das Bild zeigte das einstige Model als sehr junge Frau. Ihr Haar war lang und unfrisiert, die Augen arglos. Ihre Ähnlichkeit mit Koy’tiffin war verblüffend. »Und hier noch mal Cadrin Awel und Keura Fallatte.« Er wechselte zu zwei weiteren Aufnahmen, eine von einer blonden Menschenfrau, die wirkte, als würde sie sich häufig im Freien aufhalten, und die andere von einem dunkelhäutigen Menschenmädchen mit einem verschmitzten Lächeln. Die Wangenknochen, die Lippen, die Augenform und die Physiognomie insgesamt ähnelten der des Twi’lek-Stars. »Thaal ist einer dieser Männer, der sich in ein Bild verliebt und sich nur mit Frauen einlässt, die diesem Bild entsprechen … und das auch nur so lange, wie sie das tatsächlich tun.«

Myri schniefte. »Und wenn die Ähnlichkeit nicht mehr so frappierend ist, wirft er sie einfach weg.«

»Genau. Also habe ich eine Bildsuche nach Frauen im augenscheinlichen Alter von achtzehn bis fünfundzwanzig durchgeführt, deren Gesichtsstruktur der von Koy’tiffin ähnelt. Dabei konzentrierte ich mich vor allem auf Orte, die Thaal in den letzten Jahren persönlich besucht hat, sowie auf Planeten, von denen wir vermuteten, dass sie sein Ziel sein könnten. Und hier haben wir meine Nummer eins.« Er wechselte von Keura Fallatte zu einem anderen Bild.

Die neue Aufnahme war ein Video, kein Standbild, und zeigte eine hübsche, langhaarige Brünette, menschlich und scheinbar um die zwanzig, die ein glitzerndes, ärmelloses Partykleid trug, unpassenderweise ein akustisches Saiteninstrument in Händen hielt und sich konzentrierte, während sie etwas spielte, bei dem es sich um ein schwieriges Instrumentalstück zu handeln schien. Ihre Umgebung deutete darauf hin, dass sie sich auf einer Bühne befand, unter dem freien Nachthimmel. Kein Laut drang aus dem Datapad, der Voort verraten hätte, was für ein Stück es war.

»Ihr Name ist Ledina Chott. Sie stammt hier von Kuratooine, eine hiesige Berühmtheit. Achtzehn Jahre alt. Sie ist Sängerin – Unterhaltungsmusik. Die Klatschreporter von Kuratooines Nachrichtensendern behaupten, dass sie in den letzten paar Monaten jede Menge Geschenke und Nachrichten von einem wohlhabenden Transportmagnaten erhalten hat, einem geheimnisvollen Mann, dem sie noch nie persönlich begegnet ist. Von da an begann ich, mich auf Transportmagnaten mit lokalen Interessen zu konzentrieren, und der Gesichtsabgleich ergab gewisse Übereinstimmungen zwischen Thaal und Thadley Biolan.«

»Gute Arbeit.« Voort musterte das Bild von Ledina Chott. Die Aufnahme fing noch mal von vorn an. »Aber wir müssen uns diesbezüglich sicher sein. Muskelboy, du und Rangergirl, ihr müsst in ihre Unterkunft einbrechen, um sämtliche Nachrichten zu suchen und zu kopieren, die ›Thadley‹ ihr geschickt hat, damit wir sie studieren können, um seine neue Identität ein bisschen besser kennenzulernen.«

Trey grinste breit.

»Allerdings dürft ihr keine Holokameras zurücklassen, um sie auszuspionieren.«

»Ach menno!« Dann wurde Trey wieder ernst.

Turman gesellte sich wieder zu ihnen. »Er will sich das Shuttle ansehen.«

Später an diesem Abend, nachdem die Sonne untergangen war und die Monde aufstiegen, um auf Kuratooine herniederzuscheinen, nachdem sich die meisten der Gespenster für die Nacht zurückgezogen hatten, um sich ihren jeweiligen Aktivitäten zu widmen, klopfte Voort an die Tür von Scuts Labor.

»Herein.« Scuts Stimme war so neutral wie immer.

Voort trat ein. Die oberste Stufe der kurzen, aus Duraplast und Holz bestehenden Treppe knirschte unter seinen Füßen. Jenseits der Schwelle befand sich ein kleiner, täuschend unschuldig wirkender Gemeinschaftsraum, und die Tür an der Rückwand führte ins Labor. Voort ging hinein.

Das Labor nahm den Großteil des Gebäudes ein. Auf Wandregalen standen große und kleine Transparistahlbehälter mit Gewebeproben, und auf zwei oder drei großen Tischen blubberten und zischelten Behälter, in denen Stücke von etwas schwammen, das wie Haut oder Fleisch aussah, das in Wachstumsbeschleunigerflüssigkeit trieb. Das Labor roch so unappetitlich wie die Hutt-Raumstation, der Voort kürzlich einen Besuch abgestattet hatte.

Scut stand neben dem dritten Tisch, ohne seine Menschentarnung zu tragen. Auf dem Tisch lag etwas, das aussah wie ein Leichnam, der ausgehöhlt worden und dann in sich zusammengefallen war. Die Haut war rotbraun, mit kurzen, stacheligen Auswüchsen, die zwar nicht sonderlich scharf aussahen, aber dennoch eine Verteidigungsfunktion zu erfüllen schienen. Die Ellbogen, die Kniescheiben und die Knöchel an Händen und Füßen waren mit schärferen Knochensporen versehen, die daraus hervorragten. Aus der Stirn wuchsen gefährlich aussehende Hörner. Und das Gesicht …

Etwas Derartiges hatte Voort noch nicht gesehen. Unter einem gewaltigen Brauenwulst lagen zwei tief eingesunkene Augenhöhlen. Eine Nase gab es nicht. Stattdessen war direkt unter den Augen der Unterkiefer, breit und massiv, mit Lippen, die aus segmentierten Knochenplättchen bestanden. Dahinter waren zahnartige, blutrote Kämme zu sehen. Der Kopf wirkte gerade groß genug, um einem menschengroßen Schädel Platz zu bieten.

Voort studierte den Körper von oben bis unten. »Ist das die finale Form des Anzugs?«

Scut zupfte an der Brust des Dings herum, die sich entlang einer vertikalen Naht öffnete, die zuvor nicht zu sehen gewesen war. Der Saum verlief vom Hals der Kreatur bis zu der Stelle, an der sich bei einem Menschen der Bauchnabel befände. Die Naht öffnete sich mit einem feuchten Laut.

Ohne Voort anzusehen, beugte Scut sich hinunter und schob den Kopf in die leere Brusthöhle. Er schaute hin und her. Als er antwortete, klang seine Stimme im Innern der Brust hohl. »Dies ist noch nicht ganz die finale Version. Zwar ist es Turmans Körpermaßen angepasst, aber ich habe Schwierigkeiten, seinen Lebenszyklus zu stabilisieren. Dieser Anzug wird bloß zwei Tage oder so überdauern. Falls er eine Woche intakt bleiben soll, muss ich noch weitere Modifikationen daran vornehmen.« Er zog den Kopf wieder heraus und sah Voort schließlich an. »Achtunddreißig Prozent der Gene sind mit denen eines kuratooinischen Meereskrustentiers identisch. Gene, mit denen ich noch nie zuvor gearbeitet habe. Das ist ziemlich knifflig.«

»Das glaube ich gern.«

»Ich war den ganzen Nachmittag und Abend über hier. Was gibt’s Neues?«

»Muskelboy und Rangergirl sind mit den Aufnahmen von Thadley Biolan zurückgekehrt. Sie sind gerade dabei, sie zu analysieren. Thaymes hat einige Dinge über Biolan in Erfahrung gebracht. Angeblich stammt er von Alderaan, wuchs jedoch an Bord von Schiffen auf und baute sich eine eigene Flotte von Frachtschiffen auf, die in den Randgebieten und den Unbekannten Regionen unterwegs sind. Das passt zu Usans Profil über Thaals neue Identität.«

»Ah.« Scut ließ vom Körper der Kreatur ab. Die Naht schloss sich, beginnend am unteren Ende und dann weiter nach oben, als sei der Spalt eine rasch verheilende Wunde. »Dann bist du also nicht hier, um über den Anzug zu reden.«

»Nein, ich bin hier, um über unsere weitere Vorgehensweise zu sprechen. Darüber, dass du den Tod aller Gespenster verursachen könntest.«

Scut schaute zum Himmel empor – ein stilles Jetzt-geht-das-wieder-los. »Weil ich ein Yuuzhan Vong bin. Weil wir allesamt Zerstörer, Verwüster und Monster sind.«

»Nein, eigentlich nicht. Vielmehr, weil du mich nicht als Anführer der Gespenster unterstützt.« Voort schaute sich nach einem Stuhl um, entdeckte aber keinen. Er lehnte sich gegen die Wand und versuchte, ungezwungen zu wirken. »Du denkst, ich sei als Anführer ungeeignet. Das bedeutet, dass du jeden meiner Befehle im Einsatz infrage stellen wirst, was wiederum zu einem Fehler in unserem ausgesprochen komplizierten Timing oder zur Fehlkommunikation neuer Anweisungen führen kann – oder dem in letzter Sekunde gefällten Entschluss, dass du dich weigerst, deinen Teil des Jobs zu erledigen.«

»Ich kann mein eigenes Urteilsvermögen nicht einfach außer Acht lassen.« Scut wandte die Aufmerksamkeit wieder dem Neoglith-Anzug zu und verfolgte, wie er sich von selbst gänzlich verschloss.

»Dann denkst du also, dass dein Urteilsvermögen meinem überlegen ist.«

Scut zuckte mit den Schultern. »Ich weiß, dass dem so ist.«

»Und die Tatsache, dass dein Vater in zwei Tagen eintrifft, sorgt dafür, dass deine instinktiven Schutzmechanismen auf Hochtouren laufen. Scut, ich muss dir beweisen, dass ich recht habe und du dich irrst. Tue ich das nicht, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass du etwas machen wirst, das einige von uns ins Grab bringt, exponentiell an.«

Scut stand schweigend da und starrte Voort mit seinen leeren Gesichtszügen und schwarzen Yuuzhan-Vong-Augen an. »Ich muss zugeben, dass das schon ganz anders klingt als dein übliches Gerede.«

»Das hier ist etwas anderes. Aber bloß, damit dich das nicht allzu sehr verwirrt, kommt hier etwas, das dir vertraut ist: Du hattest recht auf Vandor-3. Ich hasse deine Spezies.«

»Ich weiß.« Scut ging zu einem der anderen Tische hinüber, auf dem ein weißer Metallbottich mit einer rötlichen Flüssigkeit darin stand. Scut tauchte die Hände in das Zeug, um es großzügig auf den bloßen Armen aufzutragen, bis hoch zu den Ellbogen. Die Masse floss und tropfte nicht von seiner Haut ab. »Das hier ist ein Neutralisierungspräparat, das die Verdauungssäfte unschädlich macht, die das Innere des Botscha-Prototypen bedecken.«

»Das Innere, wo Turman wäre?«

»Ja. Noch ein Problem, an dem ich gegenwärtig arbeite: auszutüfteln, wie ich das Design so verändern kann, dass Turman nicht verdaut wird.«

Voort grunzte. »Zurück zum Thema. Als du noch zu den Yuuzhan Vong gehörtest, als du einer der Beschämten warst … Hattest du da Angst um deine Art? Angst davor, dass sie ausgerottet werden würde?«

»Nein.«

»Und als du bei Familie Cheems lebtest?«

»Nein …« Scuts Stimme klang nachdenklich. »Sie hielten die meisten Kriegsnachrichten von mir fern. Ich habe einfach studiert. Und ich bin diesem Hass für meine Spezies schon früher begegnet. Als sie mich adoptierten, verloren meine Eltern viele Freunde.«

»Scut, ich war in diesem Krieg. Nicht an der Front – meistens dahinter. Manchmal drang ich in die seltsamen Komplexe der Yuuzhan Vong ein, um zu sehen, was sie mit der gefangen genommenen Bevölkerung machen – um zu sehen, wie sie die Welten verändert haben, die sie erobert hatten. Dann brachte ich mich wieder in Sicherheit, unmittelbar hinter der Frontlinie, und sah all diese Furcht und Entschlossenheit und den Schmerz in den Gesichtern der Leute der Neuen Republik. In den Gesichtern von Leuten, die nicht bloß glaubten, dass sie bald eines qualvollen Todes sterben würden, sondern dass ihre gesamte Zivilisation untergehen würde. Dass man sich nicht bloß nur ihrer als Individuen nicht erinnern würde, sondern dass auch nichts von dem übrig bliebe, das sie kannten – nichts von dem, mit dem sie aufgewachsen waren, nichts von dem, das sie liebten und bewunderten. Alles auf ewig fort.«

Scut pellte sich das Gel von den Armen. Es löste sich wie zwei Handschuhe. Er hielt sie über einen silbernen Zylinder. Der Deckel öffnete sich wie eine Irisblende, um sich dann wieder zu schließen, sobald er die Handschuhe hineinfallen ließ. »Nach dem Krieg erfuhr ich von meinen Eltern, dass sie so empfunden hatten. Allerdings taten sie alles, um mich und die anderen Kinder – meinen menschlichen Bruder und meine Schwestern – nichts davon mitbekommen zu lassen.«

Voort nickte. »So war es fünf Jahre meines Lebens lang. Jahre, in denen ich Freunde verlor und zusah, wie das Universum, das ich kannte, wie von einem Krebsgeschwür aufgefressen wurde. Der Einzige, den ich je wirklich als meine Familie betrachtet habe, starb in dieser Zeit.«

»War das der, den sie Knirps nannten?«

Voort nickte. »Ist es also ein Wunder, dass ich mich schlagartig wieder mit all diesen Gedanken konfrontiert sehe, mit all diesen Erinnerungen, wenn ich an die Yuuzhan Vong denke?«

»Nein, das ist kein Wunder. Dafür verurteile ich dich auch gar nicht. Aber du bist irrational, unvernünftig. Und Unvernunft sorgt in diesem Gewerbe dafür, dass Leute umkommen. Das hat Bhindi mir erzählt, und das habe ich in vielen Geschichten über dich gehört.«

»Aha.« Voort stieß sich von der Wand ab. »Gut. Das bringt uns zu dem, worüber ich eigentlich mit dir reden wollte. Du warst bereit, Bhindi zu folgen, aber mir nicht. Korrekt?«

»Korrekt.«

»Trotz der Tatsache, dass ihre eigene Unvernunft zum Tod von jemandem geführt hat, seit du dich den Gespenstern angeschlossen hast?«

Scut runzelte die Stirn. Die Stirn des Yuuzhan Vong wirkte ohnehin schon grüblerisch. Wenn er sie in Falten legte, sah er aus wie ein Richter, der sich anschickt, ein Todesurteil auszusprechen. »Du denkst, dass sie irgendwie für Face Lorans Tod verantwortlich ist?«

»Nein. Für ihren eigenen.«

»Das ist – wie nennt Sharr das noch gleich? – eine Übertragung. In deinem Denken überträgst du deine eigenen schlechten Wesenszüge auf jemand anders.«

»Bhindi war meine Freundin.« Obgleich die Menschenstimme, die aus dem Kehlkopfimplantat drang, freundlich blieb, wurde Voorts wahre Stimme darunter schwer. »Ich habe sie geliebt und respektiert. Allerdings habe ich darüber nachgedacht, seit wir beide auf Vandor-3 miteinander gesprochen haben, und es ist offensichtlich, dass sie eine Reihe dummer, unvernünftiger Fehler gemacht hat, die letztlich zu ihrem Tod führten. Genauso wäre die Mission hier auf Kuratooine mit ihr von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen – und du hast nicht genug Erfahrung, um das zu verstehen.«

»Ich brauche frische Luft.« Scut schob sich an ihm vorbei zur Tür. »Überzeug mich.«

Draußen spazierten sie auf dem baumlosen Streifen Land dahin, der unmittelbar um die Gebäude herum verlief. Hoch über ihnen trieb gerade ein winziges, radförmiges Objekt gleichmütig von der Stirnseite des größeren Mondes fort: die Skifter-Station.

Voort behielt die Station beim Gehen im Auge. »Du erkennst die Fehler in einigen ihrer Entscheidungen doch wohl selbst. Die Erschütterer zum Beispiel. Wir hätten ein Dutzend verschiedene Vorgehensweisen in petto haben können, die uns zumindest eine Chance verschafft hätten, wenn wir uns entschlossen hätten zu kämpfen oder dazu gezwungen gewesen wären. Gewiss, wir wollen kein unschuldiges Militärpersonal der Allianz töten. Aber es hätte genauso gut ein Schnapphund-Truppentransporter hinter uns her sein können. Es hätte Thaal sein können, der seine Schuld eingestand und förmlich um einen Raketentreffer bettelte. Auf aggressive Aktionen waren wir überhaupt nicht vorbereitet. Wir waren bloß darauf vorbereitet, uns aus dem Staub zu machen. Warum?«

Scut schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht.«

»Die Antwort darauf gab sie uns mit einem der letzten Dinge, die sie sagte. Ich versuch’s noch mal: Ihr alle sechs dringt auf Vandor-3 in diese Schnapphund-Basis ein, obwohl das eigentlich eine Mission für Jesmin und Trey allein gewesen wäre. Oder für Jesmin und Turman. Stattdessen gehen fünf Gespenster runter in die Einrichtung – was, wie Trey es ausgedrückt hat, eine Menge Aufmerksamkeit erregt hat. Und das machte am Ende wiederum die Schnapphunde auf uns aufmerksam und zwang uns zur Flucht. Warum hat Bhindi das getan?«

»Ich weiß es immer noch nicht.« Aber jetzt klang Scut neugierig.

»Als wir zum Mount Lyss flohen, haben wir einfach improvisiert. Jesmin führte Myri aus der Kom-Störzone heraus, damit sie Verstärkung für uns rufen konnte. Eine gute Idee, die sich letztlich sogar als erfolgreich erwies. Bhindi indes zog mit Huhunna los, um die Verfolger unschädlich zu machen, die uns am dichtesten auf den Fersen waren, und um für ein nachhaltiges Ablenkungsmanöver zu sorgen. War Bhindi die beste Wahl für diese Aufgabe?«

»Nein.« Scut runzelte die Stirn. »Aber sie konnte nicht zwangsläufig wissen, wer dafür am besten geeignet ist, weil sie Sharrs Gespenster nicht kannte. Deshalb hätte sie sich erkundigen müssen, wer sich am besten auf die Arbeit im Gelände versteht, so, wie du gefragt hast, wer der beste Pilot ist. Eigentlich hätte Wran gehen müssen. Oder du, dank deiner Erfahrung. Vermutlich war Bhindi sogar die schlechteste Wahl.« Diese Erkenntnis schien ihn zu überraschen.

Voort wechselte die Richtung, sodass sie nicht ganz bis zum Rand des Klippenaussichtspunkts gehen würden. »Also, inwiefern war Bhindi irrational?«

Es dauerte einige Sekunden, bis Scut antwortete. »In Bezug auf ihre letzten Worte. Bring diese Kinder sicher nach Hause.«

»Gut, korrekt. Irgendwann in den letzten paar Jahren muss sie etwas eingebüßt haben, eine gewisse Objektivität, wenn es darum geht, Leute Risiken auszusetzen, besonders so junge. Ich wette, dass sie die Gelegenheit sofort beim Schopf gepackt hat, als es darum ging, die Gespensterstaffel wieder zusammenzutrommeln. Das war ihre Chance, wieder zurück ins Spiel zu kommen. Um – ich weiß nicht recht – zu beweisen, dass die Einheit nie hätte aufgelöst werden dürfen. Allerdings bestand das neue Team, das sie zusammengestellt hat, größtenteils aus sehr jungen Leuten, was bei ihr offenbar diesen überfürsorglichen Instinkt geweckt hat. Kinder. Sie war nicht gewillt, Kinder in Gefahr zu bringen, und als sie glaubte, keine andere Wahl zu haben, brachte sie stattdessen sich selbst in Gefahr – und kam dabei um.«

»Ich … denke, damit könntest du recht haben.«

»Und ich bin der Einzige, der sowohl erfahren als auch objektiv genug ist, um das zu erkennen.« Voort seufzte. »Und selbst mir ist das nicht rechtzeitig klar geworden. Ich war einfach zu sehr aus der Übung, zu weit entfernt von dieser Mentalität.«

»Bist du denn imstande, die Kinder wissentlich in Gefahr zu bringen? Das zu tun, wozu Bhindi nicht fähig war?«

»Fast wünschte ich, die Antwort wäre Nein – aber sie lautet Ja. Ja, das kann ich. Wir haben einen Auftrag zu erledigen. Wir müssen Thaal zur Strecke bringen. Gewähren wir ihm ebenfalls einen Gnadentod. Wir werden den töten, zu dem Thaal geworden ist, damit er andere durch seinen Verrat nicht ins Verderben stürzen kann.«

»Also gut.« Scut nickte. Er blieb stehen, wo er war, und spähte in die schwarze Kluft des in Schatten getauchten Steinbruchs. »Ich werde … dir eine Chance geben. Ich werde dich als Anführer unterstützen.«

Voort hielt ebenfalls inne. »Vielen Dank.«

»Doch etwas musst du wissen.« Scut kickte einen Kiesel beiseite, der über die Klippenkante segelte. Zwei Sekunden verstrichen, bevor er weit unten klappernd auf Gestein aufschlug. »Ich habe die Geschichte meines Vaters über seine Begegnung mit den Gespenstern seit meiner Kindheit gehört. Er wusste, dass ihre Mission darin bestand, einen Admiral zu eliminieren und eine Anlage für biologische Kriegsführung zu zerstören. Sie haben meinen Vater benutzt, um diese Ziele zu erreichen – aber im Zuge dessen retteten sie ihm das Leben. Das hätten sie nicht tun müssen. Vermutlich hat es sie sogar deutlich mehr Anstrengung gekostet, die Sache durchzuziehen, als geplant.«

»Mit Sicherheit.«

»Und trotzdem haben sie ihn gerettet. Das hatte ich immer im Hinterkopf, als ich aufwuchs. Ich bin noch nie jemandem begegnet, der an dieser Operation beteiligt war. Dann wurde ich von Bhindi rekrutiert und erfuhr, dass ich endlich eins der Gespenster von damals treffen würde, den Gamorreaner, der spricht.« Er verstummte einen Moment lang, offenbar, um seine Gedanken zu ordnen. »Aber ich schweife ab. Was ich eigentlich meine, ist, dass ich dich an den Standards jener Gespenster messen werde.«

»Das ist nur fair.« Dann verspürte Voort so etwas wie eine Woge von Benommenheit, als sich Teile von Scuts Ansprache verselbstständigten und sich in seinem Verstand wie Zahlensäulen zusammenfügten, um sich zu einer Summe zu addieren, die er erfassen konnte.

… Geschichte meines Vaters … Begegnung mit Gespenstern … seit meiner Kindheit …

… immer im Hinterkopf, als ich aufwuchs …

… bin noch nie jemandem begegnet … Gamorreaner, der spricht …

Voorts hatte ein flaues Gefühl in der Magengegend. Er bückte sich, legte die Hände um die Knie und nahm einige zittrige Atemzüge.

»Voort?«

»Alles in Ordnung.« Voort erinnerte sich an Scuts Augen von jedem Mal, wenn die Yuuzhan Vong ihn angestarrt hatten. Sie waren hart, leer und voller Hass gewesen. In gewisser Weise hatte Voort sie als Yuuzhan-Vong-Augen betrachtet. Gleichwohl, in den fünfzehn Jahren, seit dieser Krieg endete, hatte er solche Augen viele, viele Male gesehen, und das nicht bei Yuuzhan Vong. Bei Studenten, die ihn herausfordernd anstarrten und mit ihren Blicken wortgewandt erklärten: Sie haben nicht das Recht, mich hierzubehalten und mir zu sagen, was ich zu tun und zu lassen habe.

Scut hatte sich den Gespenstern angeschlossen, um wie die Helden aus den Geschichten seiner Kindheit zu sein und ihnen sogar zu begegnen. Voort war einer seiner Helden gewesen. Voort war für jemanden ein Held gewesen. Und Voort hatte Scut direkt in die Augen geschaut und ihm gesagt, er sei ein Monster.

»Voort?«

»Alles in Ordnung. Bloß eine der Nebenwirkungen des Älterwerdens.« Voort richtete sich auf. »Danke für deine Unterstützung, Scut.«

»Gern geschehen.«

»Und Scut?«

»Ja?«

Voort streckte ihm die Hand hin. »Willkommen in der Gespensterstaffel.«