12. Kapitel

MULVAR-SENSORSTATION, VOM IMPERIUM KONTROLLIERTER RAUM, ÄUSSERER RAND

19 JAHRE NACH DER SCHLACHT VON YAVIN (25 JAHRE ZUVOR)

»He, du da! Schwachkopf!«

Piggy blickte von seiner Arbeit auf, die darin bestand, den letzten Abschnitt dieser Ecke des Innenhofs der Station zu feudeln. Er war von Drahtgitterstühlen und -tischen umgeben sowie von jetzt makellos sauberem, weißem Duraplastboden, der in regelmäßigen Abständen mit dem zahnradähnlichen Emblem des Imperiums verziert war. Zu dieser späten Stunde war der Bereich nahezu verlassen. Abgesehen von Piggy war bloß noch ein anderer Mann zugegen: Ein Offizier, forsch und adrett in seiner grauen Uniform, nippte an einem der Tische an einer letzten Tasse Kaf. Den Wischmopp als Hebel benutzend, zog Piggy seinen Eimer bis auf zwei Meter an den Sprecher heran, einen faltigen, grauhaarigen Mann in vorgerücktem Alter. Piggy grunzte eine nonverbale Nachfrage.

Der Offizier warf ihm einen düsteren Blick zu und seufzte, als würde er bezweifeln, dass Piggy imstande sei, irgendetwas auf die Reihe zu kriegen. »Verstehst du Basic?«

Piggy nickte grunzend.

»Gut. Ich hab noch was für dich zu tun.« Der Mann wies nach oben – nicht auf den sternenerfüllten Himmel, sondern zur Oberkante der Wand, einem umlaufenden, monolithischen Permabetonbogen, der von einer unregelmäßigen Schicht von etwas bedeckt war, das wie weißer Grieß und Staub wirkte. Doch dort, wo der Offizier hinzeigte, unter der weißen Schicht, war eine dunkle Pfütze zwei Meter weit die Wand hinuntergelaufen, um die ansonsten perfekte Sauberkeit der Oberfläche zu ruinieren. »Siehst du das? Ich will, dass du das sauber machst. Sofort!«

Piggy ließ ein Zittern durch seinen Körper fahren. Er deutete flehentlich auf den Offizier und gestikulierte dann ungehaltener, senkte die Hände, um sie dann abrupt zu heben, auszubreiten und mimisch eine gewaltige Explosion darzustellen. Er unterlegte die Darbietung mit schrillen Grunzern.

Der Offizier schüttelte mit gezwungener Geduld den Kopf. »Nein. Wir deaktivieren die Minen und ihre Zündsensoren, solange du da oben bist. Du steigst auf Turm drei hoch und machst dem Wachmann dort klar, dass du auf die Mauer rausgehst. Er wird wissen, was du da machen sollst. Er wird die Dinger abschalten, während du arbeitest, und wieder einschalten, wenn du fertig bist.«

Piggy stieß noch einige weitere gespielte Wimmerlaute aus. Dann ließ er die Schultern unter dem unerbittlich starren Blick des Offiziers zusammensacken. Er nahm den Eimer auf, sorgsam darauf bedacht, dass weder vom Eimer noch vom Mopp etwas auf seinen perfekt gereinigten Boden tropfte, und ging zur Tür am Fuß von Wachturm drei.

Der Offizier hatte die Wahrheit gesagt. Als Piggy auftauchte, schaute der wachhabende Soldat im Ausguck des Turms kaum von seinen mit Infrarot ausgestatteten Holokamera-Monitoren auf. Auch explodierte der erste Meter der Wand nicht unter Piggys Füßen, als er darauftrat. Piggy begab sich zu der Stelle direkt über dem Schmutzfleck und legte sich auf den Bauch, die Füße über den Dschungel jenseits der Mauern ausgestreckt, während sein Kopf über das kurz gemähte Gras im Innern des Areals herausragte. Er machte sich mit dem Mopp an die Arbeit.

Es hatte einige Tage gedauert, um sich mit den Sicherheitsroutinen der Basis vertraut zu machen und sich das beste Vorgehen zu überlegen – nämlich dieses hier. Ein zerbrechliches Duraplastei und eine lächerlich überdimensionierte Schleuder, die er in seinem winzigen Arbeiterquartier gebaut und auf einem Stativ befestigt hatte, hatten es ihm ermöglicht, gestern Abend eine Ladung schnell wachsender, aber harmloser Pilze gegen die obere Mauer zu schießen. Als er mit den Chemikalien in Berührung kam, die aus Piggys Mopp rannen, zischte der Pilz jetzt, starb ab und fiel nahezu augenblicklich von der Wand ab, um in Fladen zu Boden zu segeln.

Weiter unten, ein Stückchen zur Linken, schien der Offizier mit Piggys Fortschritten zufrieden zu sein. Er leerte den Rest von seinem Kaf, stand auf und machte sich auf den Rückweg in die Offiziersunterkünfte.

Piggy verwandte einen Moment darauf, mehrere Ausrüstungsgegenstände aus der trüben Flüssigkeit in seinem Eimer zu fischen. Er ließ Mopp und Eimer stehen und kehrte zum Turm zurück.

Der diensthabende Wachmann sah nicht auf, als Piggy hereinkam. »Bist du fertig?«

»Nein, du Idiot, ich fange gerade erst an.«

Der Wachmann sah ihn an, erstaunt darüber, eine menschenähnliche Stimme aus dem Mund eines Gamorreaners kommen zu hören. Sein Gesicht war noch immer von Überraschung erfüllt, als Piggy eine kompakte Blasterpistole hob und ihm einen Betäubungsschuss in die Brust verpasste.

Der »Spaziergang« dauerte bloß zwei Minuten, als Piggy über die Mauer unsicher von Turm drei zu Turm zwei balancierte und mit der dortigen Wache genauso verfuhr. Als er wieder bei seinem Eimer war, riss er den Behälter auf, der sein Seil trocken hielt. An einem Ende befand sich ein Beutelchen mit Schnellhaftmittel. Er drückte ein Stück Seil gegen die Mauerkuppe und schnitt mit einer kleinen Vibroklinge den Beutel auf. Klebemittel rann an Seil und Wand hinunter. Sobald es mit dem Sauerstoff in der Luft in Berührung kam, erhitzte und verhärtete sich das Zeug. Piggy wartete drei Minuten, während er die Augen danach offen hielt, ob vielleicht jemand zu den Tischen oder den Türmen wollte. Doch niemand ließ sich blicken. Er warf den Rest des Seils über die Mauer nach unten. Innerhalb von Sekunden straffte es sich.

Eine pelzige Hand packte die Mauerkuppe, ehe Knirps sich in die Höhe hievte. »Das hat lange gedauert.«

»Der Leuteschinder mit dem Reinlichkeitsfimmel hat seine Pause erst spät gemacht.«

Als Nächstes kam Shalla hoch, grinsend vor guter Laune. Genau wie Knirps trug sie größtenteils Klamotten aus haftendem, schwarzem Material. Piggy half ihr auf die Mauerkrone hinauf.

Knirps packte das Seil mit beiden Händen und zog. Es war offensichtlich, dass er etwas von gewaltigem Gewicht hochhievte, und Piggy zuckte zusammen, als er hörte, wie die Ladung immer wieder über die Außenmauer rieb. Dann kam ein großer Webkorb mit strapazierfähigen Stoffbeuteln in Sicht. Er half Shalla, den Korb zu dirigieren, während Knirps ihn ganz nach oben zog.

Innerhalb weniger Minuten waren sie unten auf Bodenhöhe, unten im Innern von Turm drei, jeder mit einem Stoffbeutel beladen. Der von Knirps war am größten.

Während Knirps aus dem in die Panzertür eingelassenen Sichtfenster spähte, beugte Shalla sich vor, um Piggy ins Ohr zu flüstern: »Ich habe die Beförderung akzeptiert.«

»Oh nein.« Piggy ließ die Schultern nach unten sacken. »Ich dachte eigentlich, du würdest ewig bei uns bleiben.«

»Ich war ewig bei euch. Zwölf Jahre lang. Nächste Woche werde ich Ermittlerin. Dann ist es vorbei mit dem Aufmischen von Leuten.«

»Aber das kannst du verdammt gut.«

»Aaach.« Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Das Imperium ist drauf und dran, sich zu ergeben, Piggy. Bald wird sich ohnehin alles ändern. Da kann ich die Gelegenheit ebenso gut nutzen, um eine neue Phase meines Lebens in Angriff zu nehmen.«

»Das wird aber nicht so viel Spaß machen wie das hier.«

Knirps warf einen Blick über die Schulter. »Würdet ihr zwei wohl mal still sein? Das hier ist immer noch eine laufende Mission. Oh, und da kommt jemand.«

»Den übernehme ich.« Shalla schüttelte sich, als habe sie ein gewaltiger Schauder gepackt, aber Piggy wusste, dass sie sich bloß locker machte. Knirps stieg die Metalltreppe hoch, außer Sicht. Piggy trat einige Schritte zum Fuß der Stiege zurück und hob die Hände, wie um sich zu ergeben.

Als die Tür aufglitt, starrte der Truppler, der sie aktiviert hatte, Piggy verblüfft an. Er trug eine Soldatenuniform, die identisch mit denen der von Piggy niedergeschossenen Wachen war, und hielt ein Tablett mit einem halben Dutzend Tassen dampfenden Kafs in Händen. »He! Was machst du hier?«

Shalla huschte aus den Schatten und verpasste ihm einen Tiefschlag.

Piggy machte sich nicht einmal ansatzweise die Mühe, den Kaf zu retten. Er sprang mit einem Satz vor und schlug auf den Türschalter. Die Tür sauste zu, bevor die Becher klappernd zu Boden fielen.

Da hatte Shalla bereits ihren zweiten Hieb angebracht, so unnötig das auch gewesen sein mochte. Knirps kam wieder runter, wuchtete den bewusstlosen Mann hoch und trug ihn die Stufen hoch, um ihn neben dem ersten ohnmächtigen Wachmann abzulegen.

Die drei Gespenster schlichen sich am Fuß der Mauer entlang und betraten die Wissenschaftssektion. Shalla, die ein Dutzend Meter vor den anderen ging, überwältigte zwei zivile Wissenschaftler, schickte beim nächsten Quergang einen diensthabenden Wachmann zu Boden und verpasste einem Captain der Flotte, auf den sie direkt vor dem Hauptcomputerlabor stießen, einen Tritt gegen die Kehle.

Piggy schüttelte verdutzt den Kopf. »Wie kann sie das nur aufgeben wollen? Sie hat so viel Spaß bei der Arbeit.« Er verfolgte, wie Shalla lautlos ins Computerlabor schlüpfte.

Knirps nickte. »Der Spion in mir ist da ganz deiner Meinung. Der Familienmensch, der in mir schlummert, sagt allerdings: Wie soll ich so jemals eine Familie aufbauen? Vielleicht ist es das, was sie dazu gebracht hat, den Job anzunehmen. Und der Pazifist in mir sagt, dass ich ungeachtet all des Guten, das ich bewirke, eigentlich bloß Leuten wehtue. Womöglich steckt in ihr ja auch eine Pazifistin. Der Teil deiner Selbst, der am meisten beansprucht wird, wird irgendwann müde, Piggy. Und die Teile deiner Selbst, die am wenigsten zum Tragen kommen, werden ruhelos.«

Shalla steckte den Kopf zur Tür heraus und winkte sie herein.

Im Computerzentrum setzte sich Piggy an die Hauptkonsole und tippte den Code und die Befehlssequenzen ein, die Face ihm gegeben hatte. Die Konsole übermittelte alles gehorsam an weit entfernte Sensorstationen. In Kürze würde jede einzelne davon – orbitale Tiefraumscanner, Stellarlichtsammler und -auswerter, Kom-Frequenz-Abhörposten – Fehlfunktionen haben. Einige würden falsche Informationen an das Flottenoberkommando schicken, das unter Admiral Pellaeons indirekter Kontrolle stand. Andere würden Selbstzerstörungssequenzen initiieren. Wieder andere würden sämtliche Übertragungen einstellen, sich neu positionieren und ihren gesamten Treibstoff bei dem letztlich erfolgreichen Bemühen verbrennen, in die nächstbeste Sonne zu fliegen.

Ja, der Krieg war so gut wie vorbei. Aber solange er noch nicht offiziell vorüber war, hatten die Streitkräfte und der Geheimdienst der Neuen Republik ihre Arbeit zu erledigen.

Knirps ging mit einer gewaltigen Ladung Sprengstoff nach unten.

Piggy wandte sich wieder an Shalla. »Ohne dich wird es einfach nicht mehr dasselbe sein.«

Sie schenkte ihm ein trauriges Lächeln. »Immer, wenn jemand geht, sagst du, dass es künftig nicht mehr dasselbe sein wird. Doch vielleicht ändert sich das ja, wenn du lernst, mit den neuen Gespenstern klarzukommen. Wer sollte am Ende sonst bei dir sein, Piggy?«

Aus einem Kilometer Entfernung verfolgten sie, wie die Mulvar-Sensorstation explodierte. Nicht die gesamte Station flog in die Luft. Knirps hatte seine Sprengladungen sehr präzise platziert, genau so, wie Kell es ihm beigebracht hatte. Die Detonation ereignete sich einige Meter unter der Oberfläche, machte das Laborgebäude dem Erdboden gleich, brachte einen Abschnitt der Außenmauer zum Einsturz und beschädigte den Fuhrpark. Vermutlich gab es einige Tote, jedoch so wenige wie nur möglich.

Shalla wandte sich an Piggy. »Voort! Voort!«

»Seit wann bin ich für dich denn Voort?«

Sie streckte die Hand nach ihm aus, um ihn zu rütteln. »Voort!«

AN BORD DER ERSCHÜTTERER, ÄUSSERE RANDGEBIETE

44 JAHRE NACH DER SCHLACHT VON YAVIN (HEUTE)

Voort erwachte allmählich und stellte zwei Dinge fest: dass er im Navigationssessel eingeschlafen war und dass Bhindi ihn wach rüttelte. Es war ihre Stimme, die er hörte, nicht Shallas.

»Voort!«

»Tut mir leid.« Er blinzelte sie an. »Ich bin eingenickt.«

»Schalt dein Implantat ein – ich kann dich kaum verstehen.«

Er kam der Aufforderung nach. »Ich bedaure, zugeben zu müssen, dass ich an meiner Station eingeschlafen bin. Es ist deine Pflicht, mich vom Dienst zu suspendieren und in meinem Quartier unter Stubenarrest zu stellen.«

Sie lachte. »Das hättest du wohl gern.« Sie ließ sich in den Kapitänssessel sinken. »Wovon hast du geträumt? Du hast gezuckt wie ein Kampfhund.«

Voort blickte zum vorderen Sichtfenster hinaus, das anstelle der verschwommenen Schemen des Hyperraums ein Sternenfeld zeigte. Lichtjahre von der nächsten Sonne entfernt, warteten sie darauf, dass Turman, Scut und Jesmin von der Schmugglerstation zurückkehrten. Die gefangen genommene Besatzung der Erschütterer kühlte ihre erhitzten Gemüter bereits auf dem bewohnbaren Mond eines fernen Gasriesen ab. Den Großteil der Nahrungs- und Wasservorräte des Schiffs hatten sie ihnen mit dagelassen. Es dauerte einige Sekunden, bis Voort antwortete. »Was ich geträumt habe, spielt keine Rolle. Der Traum diente bloß dazu, mir klarzumachen, dass die Rollen stets dieselben sind. Bloß die Gesichter ändern sich.«

»Ich verstehe nicht, was du damit meinst.«

»Der Kraftprotz, der Schauspieler, der Techniker, der Nahkampfexperte, der Sprengstoffspezialist. Manchmal werden die Rollen aufgesplittet, neu zusammengefügt, abgegeben, vererbt. Aber sie sind immer da und überdauern den Abschied, das Verschwinden oder den Tod von jedem, der diese Rolle auch gerade verkörpern mag.«

»Damit ist wohl offensichtlich, dass es keine gute Idee ist, wenn du sechzig Stunden am Stück wach bleibst. Das verwandelt dich in einen melancholischen Philosophen.«

Ein blinkendes Licht an der Kontrollkonsole erregte Voorts Aufmerksamkeit. »Soeben wurde das Transpondersignal des Shuttles aufgefangen. Sie sind wieder da.«