4. Kapitel
Zehn Minuten später und dreißig Stockwerke tiefer, unten im Zwielicht der Permabetonschluchten zwischen den langen Reihen von Bürogebäuden und Industriekomplexen, glitt das als Drahtgittermodell dargestellte Tor eines Lagerhauses vor dem Transporter auf. Voort bremste ab und steuerte den Gleiter in die Öffnung, die in eine Lagerhalle von mittlerer Größe führte. Abgesehen von zwei Drahtgittergebilden, deren genaue Form und Funktion unklar blieb, war diese faktisch leer. Eins der Gebilde war jedoch zweibeinig und bewegte sich – entweder ein organisches Wesen oder ein Droide.
Voort landete den Transporter in der Mitte der freien Fläche. Als er hörte, wie sich das Haupttor knirschend schloss, öffnete er seine Tür, zerriss das gelbe Material, das daran haftete, und schließlich konnte er das Innere des Lagerhauses erkennen.
Bei dem beweglichen Gebilde handelte es sich tatsächlich um eine Person – um einen Menschen mit blasser Haut. Der Mann war kräftig, sein Schädel kahl, die Ohren eine Spur zu groß und abstehend. Er trug einen ausgebeulten grauen Overall und stellte ein Lächeln zur Schau, das irgendwie fehl am Platz wirkte. Wie sich zeigte, handelte es sich bei dem anderen Gebilde um einen Schwebewagen, größer als der, den Voort im Raumhafen vor sich hergeschoben hatte, von der Funktionsweise her jedoch identisch. Der Glatzkopf dirigierte diesen zum Heck des Transporters und fing dann an, das gelbe Zeug von der Rückseite des Fahrzeugs zu reißen.
Aus der linken Wand des Lagerhauses waren Metallplatten entfernt worden, um eine altmodische Verbrennungsanlage freizulegen. Voort konnte die Hitze, die davon ausging, von dem Moment an spüren, als er aus dem Transporter stieg.
»Vergiss deine Tasche nicht.« Trey kletterte vom Rücksitz und lief nach hinten, um sich dem kahlköpfigen Mann anzuschließen.
Myri stieg aus und streckte sich. Dann legte sie die Hände vor den Mund, bildete mit ihnen einen Trichter und hob die Stimme. »Phase drei! Aufmachen!«
Ein Durastahlpaneel an der Wand unweit der Verbrennungseinheit schwang auf. Voort waren die Fugen und Angeln des Paneels nicht aufgefallen. Drei Leute kamen heraus, zwei Frauen und ein Mann, allesamt Humanoide. Voort identifizierte ihre schlabberigen grauen Overalls als Blitzwechselgarderobe. Die aus leicht entzündlichem Stoff bestehenden Kleidungsstücke würden innerhalb eines Wimpernschlags verbrennen, wenn sie Feuer ausgesetzt waren. Für die Träger stellten sie eine Gefahr in jeder Umgebung dar, in der es zu Funkenschlag oder offenen Flammen kommen konnte, doch für eine Geheimdiensteinheit, die schnell ihr Äußeres verändern musste, waren sie ein wertvolles Hilfsmittel.
Der Mann war ein Exot – humanoid, aber nicht menschlich. Seine raue Haut schimmerte hellgrün. Seine Augen mit den schmalen, geschlitzten Pupillen waren blau. Er war haarlos, mit einer Hautfalte, die von der Stirnmitte bis zur Spitze seiner schlanken Nase verlief. Sein Mund war klein, ein schmaler, horizontaler Strich im Gesicht. Voorts Brauenwülste wanderten in Richtung seiner Hörner in die Höhe. Er war in seinem Leben noch nicht vielen Clawditen begegnet. Allerdings war die Rolle, die der Mann bei den Gespenstern spielte, auf den ersten Blick offenkundig. Clawditen besaßen bemerkenswerte Kontrolle über ihre Haut, über deren Farbe, Textur und Eigenschaften, weshalb sie sich als eine von vielen humanoiden Spezies ausgeben konnten. Ein solches Chamäleon war ein wertvoller Spion. Während Voort verfolgte, wie der Clawdite herübergelaufen kam, um sich zu Trey und dem kahlköpfigen Menschen zu gesellen, registrierte er kaum, wie die beiden Frauen näher kamen.
Dann ergriff eine von ihnen das Wort. Ihre Stimme klang vertraut. »Ich glaube, ich wurde gerade beleidigt.«
Voort drehte sich um. Vor ihm standen zwei hellhäutige Menschenfrauen, zwischen denen altersmäßig eine Generation lag. Die Ältere war schlank, ihr Gesicht hager. Sie hatte dunkles, kurz geschnittenes Haar und dunkle Augen, von denen er wusste, dass ihr Blick selbst dann prüfend wirkte, wenn sie an nichts Bedeutenderes dachte als daran, was sie sich zum Abendessen bestellen sollte. Nach menschlichen Maßstäben waren ihre Gesichtszüge markant, vielleicht sogar unattraktiv – Züge, die zu einer ranghohen Militäroffizierin oder einer Großindustriellen passten. Für Voort hatte sie allerdings ein Lächeln übrig.
Die jüngere Frau war größer, von athletischem Körperbau und mit langem blondem, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenem Haar. Über ihrem Overall trug sie einen einfachen schwarzen Arbeitsgürtel mit unzähligen Karabinerhaken und anderen Befestigungsvorrichtungen. Erstaunlicherweise baumelte an einer davon ein Lichtschwert mit schlichtem, schnörkellosem Griff. Voort nahm an, dass die Gesichtszüge der Frau für andere Menschen schön wirkten, doch kurioserweise hatte sie kein Make-up aufgelegt, und ihren Haarstil schien sie einzig und allein im Hinblick darauf gewählt zu haben, ihr bei Wartungsarbeiten nicht ins Gehege zu kommen, anstatt etwas herzumachen. Irgendwie kam sie ihm sonderbar bekannt vor.
Voort wandte seine Aufmerksamkeit wieder der älteren Frau zu. »Bhindi! Und deine Freundin ist …« Voort warf der jüngeren Frau erneut einen raschen Blick zu. »Ist das Jesmin? Jesmin Tainer?«
Bhindi stellte sich auf die Zehenspitzen, um Voort auf die Wange zu küssen. »Bis wir im Versteck sind, bin ich Eins oder Anführer. Und es ist gut, dich zu sehen, Sieben.«
Die jüngere Frau bedachte ihn mit einem unsicheren Lächeln. »Schön, dich wiederzusehen. Ich bin überrascht, dass du dich an mich erinnerst.«
»Du siehst deiner Mutter mittlerweile ähnlicher als dir selbst.« Abermals hielt Voort die Hand auf Hüfthöhe, nun, um zu demonstrieren, wie groß die Frau gewesen war, als er sie das letzte Mal gesehen hatte.
»Die Wiedersehensfeierlichkeiten werden warten müssen.« Bhindis Stimme war freundlich, aber forsch. »Fünf, ich brauche dich auf deinem Posten. Sieben, hilf Drei beim Brennofen. Gute Arbeit übrigens bei dem Überfall.« Sie ging an Voort vorbei, um sich zu Trey und den anderen am Heck des Transporters zu gesellen.
Jesmins Lächeln wurde entschuldigend. Sie wandte sich ab, um in die Richtung zurückzueilen, aus der sie gekommen war.
Voort ging zu dem Brennofen hinüber, hielt allerdings gesunden Abstand dazu: Das Ding strahlte tatsächlich ein unangenehmes Maß an Hitze aus. Der Ofen war eine robust wirkende Durastahlsäule, die sich vom Boden bis zur Decke erstreckte, das schwarze schmierige Äußere mit verschiedenen Analoganzeigen und einer großen Klappe auf Hüfthöhe versehen. Die Klappe stand offen und gab den Blick auf eine Wand gelbroter Flammen frei. Voort wusste, dass der weitere Verlauf der Säule hoch in die Decke ein Teil der Förderbandanlage des Gebäudes war. In den Etagen über dieser hier warfen die Bewohner des Wolkenkratzers Müll in Abfallkörbe, von wo aus dieser dann in den Schacht geleitet wurde, bis er geradewegs in die Verbrennungsanlage fiel.
Drüben beim Transporter hatten die Gespenster die Türen zur Ladefläche entriegelt und geöffnet. Sie waren gerade dabei, den Inhalt auszuladen: eine große Anzahl blau-schwarzer Duraplastkisten von anderthalb Metern Länge, einen halben Meter breit und tief. Ihrem offensichtlichen Gewicht und ihrer Herkunft nach zu urteilen vermutete Voort, dass sie Blastergewehre enthielten.
Myri gesellte sich zu ihm, einen Stoffbeutel in Händen. Sie zog sich die rote Perücke vom Kopf und warf sie durch die offene Klappe des Ofens. Ihr echtes Haar – offenbar kurz und schwarz – wurde von einer eng anliegenden Netzhaube gebändigt. »Du solltest deine Klamotten verbrennen – alles, woran chemische oder sonstige Spuren des Gleiters haften könnten.« Sie griff in ihre Tasche, holte eine rote Perücke daraus hervor, die genauso aussah wie die erste, und ließ sie vor dem Ofen zu Boden fallen. »Ich habe hier noch einen neuen Overall für dich, genauso grässlich wie der, den du gerade anhast.«
»Ich bin begeistert.« Voort warf einen Blick auf die Perücke. »Voller forensischer Beweise für die Ermittler der Armee, nehme ich an?«
Sie lächelte ihn an. »Oh, die Nummer kennst du also schon.«
»Diese Masche ist so alt wie die Sterne selbst. Aber wenn man sorgsam genug vorgeht, kann sie Wunder bewirken.« Voort beugte sich vor, um die Verschlüsse seiner Stiefel zu öffnen. Er streifte sie ab und richtete sich dann auf, um den Overall auszuziehen, den er trug.
Drüben beim Transporter hatte sich eine Art »Fertigungsstraße« gebildet, die mit höchster Effizienz arbeitete. Der Glatzkopf lud die Blastergewehrkisten aus und stapelte sie auf dem Boden. Bhindi hob eine nach der anderen hoch, um sie auf einer Seite des Schwebewagens abzustellen, der jetzt deaktiviert auf dem Boden stand. Dann machte sich Trey mit einer Reihe von Werkzeugen daran, minutiös die Schlösser zu öffnen, mit denen jede Kiste verriegelt war. Der Clawdite holte ein Blasterenergiepack aus der Kiste und legte dafür ein identisch aussehendes Exemplar von einem Haufen auf dem Boden hinein. Dann verschloss Trey die Kiste wieder, und Bhindi stapelte sie am anderen Ende des Schwebewagens auf. Der Clawdite nahm die Energiepacks des Militärs und legte sie in eine große Flexiplasttasche zu seinen Füßen.
»Nur zu. Was denkst du, was wir hier tun?« Myri klang amüsiert.
Voort sah sie an. Sie hatte das zerknitterte goldene Kostüm abgelegt und in den Ofen geworfen. Jetzt trug sie bloß graue Shorts und ein ärmelloses graues Unterhemd. Eine Aufmachung, die mit ihrer ursprünglichen identisch war, lag oben auf der Perücke auf dem Boden. Sie hielt ihm ein Stoffbündel hin: einen neuen Overall.
Er nahm ihn entgegen, wandte dann den Blick ab und seine Aufmerksamkeit wieder der »Fertigungsstraße« zu. Seiner Erfahrung nach hatten Schauspieler, Tänzer und Spione keine Hemmungen, sich in der Gegenwart anderer umzuziehen, aber er zog es dennoch vor, ihr zumindest den Anschein von Privatsphäre zuzugestehen. Er starrte auf die Energiepacks. »In diesen neuen Batterien stecken Sendeempfänger, damit ihr sie anpeilen könnt.«
»Viel zu einfach. In Wahrheit handelt es sich bei diesen neuen Energiepacks um Droiden, die über gewisse Bewegungs- und Aktionsfunktionen verfügen… Außerdem funktionieren sie tatsächlich wie Energiepacks, auch wenn sie nicht für so viele Schüsse taugen, wie die Anzeige behauptet.«
»Ah.« Voort kickte seine Stiefel beiseite und schälte sich aus dem Overall. »Die König-der-Droiden-Nummer.«
»Du bist damit vertraut?«
»Die Masche hat vor langer, langer Zeit eine meiner Teamkameradinnen mit ihrem Astromech ausgetüftelt. Bevor du deinem Vater sein erstes graues Haar verschafft hast. Jeder eurer Batteriedroiden kann einfache Droiden wie zum Beispiel Haushaltsdroiden umprogrammieren und unter Kontrolle bringen. Richtig?«
»Ach Mann!« Selbst über das Geräusch raschelnder Kleider hinweg klang Myris Stimme enttäuscht. »Ich dachte, wir seien darauf gekommen.«
Voort quälte sich in seinen neuen Overall, ehe er die Stiefel anzog und die Verschlüsse zumachte. »Und damit dieser Trick funktioniert, müsst ihr dafür sorgen, dass die Gewehre wieder beim Militär landen, korrekt? Oder wollt ihr sie an ein Verbrechersyndikat verkaufen?«
»Das Militär holt sie sich zurück.«
»Wo?«
»Hier. In ein paar Minuten.«
Verblüfft sah er sie wieder an. Sie war jetzt komplett bekleidet. Ihr Haar – eine neue Perücke – war ein Pagenschnitt in Silbermetallic. Sie hatte ihre Maske vollständig entfernt und trug nun einen von außen blickdichten Blendschutz sowie einen Overall, der dem der anderen entsprach. Der Ersatz für ihr verbranntes Originalkostüm lag zu ihren Füßen auf dem Boden.
Myri nahm seinen gebrauchten Overall und warf ihn in den Ofen. »Fertig? Dann geh um die Ecke, dorthin, wo Jezzie hin ist. Die Granaten, die du dort findest, gehören dir, den Blaster nehme ich.«
»Jezzie?«
»Ich meine Fünf. Ich kenne sie schon, seit wir Kinder waren. Alte Spitznamen lassen sich nur schwer ablegen.«
Gemeinsam kehrten sie der Nische mit dem Verbrennungsofen den Rücken und begaben sich zu dem kühleren, ruhigeren Durchlass in der Wand, aus dem Bhindi, Jesmin und der Clawdite aufgetaucht waren. Voort schaute sich um. Es hatte den Anschein, als hätten sich die Gespenster durch das Mauerwerk Zutritt zu einem abgeriegelten Korridor verschafft – vermutlich zu einem Wartungsgang oder vielleicht auch bloß zu einem Bereich, der im Zuge von Renovierungsarbeiten abgeschottet worden war –, um an beiden Enden Türen einzubauen, die nicht von den Wandpaneelen zu unterscheiden waren. Er konnte den nackten Korridor hinunterspähen, den sie so geschaffen hatten und der sich einige Meter entfernt anscheinend zu einem anderen Lagerareal hin öffnete. Er konnte hören, wie Repulsoren und Schubdüsen vermutlich im Rahmen eines Antriebstests auf Touren gebracht wurden.
In Griffweite lagen zwei Granaten und ein Blastergewehr auf dem Boden an der Wand. Er hob die Granaten auf, die ihm von der Art her bekannt waren – eine war eine Rauchbombe und die andere eine Blendgranate, so voreingestellt, dass sie beim Aufprall explodierte, wenn die Aktivierungsknöpfe gedrückt wurden. Er wog sie in der Hand und machte sich mit ihrem Gewicht vertraut. »Wie geht es deinen Eltern?« Er kam sich unbeholfen vor, das zu fragen, doch er wollte das Thema Wedge und Iella zur Sprache bringen, damit er das Gespräch vorsichtig auf das lenken konnte, was ihn wirklich interessierte.
Myri nahm das Blastergewehr auf, ließ das Energiepack herausgleiten, um die Kontakte zu überprüfen, und schob es wieder hinein. Sie stellte den Schalter an der Seite der Waffe auf Betäubung. »Daddy geht’s bestens. Hast du seine Memoiren gelesen?«
»Das Ass im Ärmel: Ein Pilotenblick auf turbulente Zeiten. Oh ja, zu schade, dass er über das meiste, das er erlebt hat, nichts schreiben durfte.«
»So hat er jedenfalls noch Material für später, wenn gewisse Dinge nicht mehr der Geheimhaltung unterliegen. Wie auch immer, es macht ihm großen Spaß, Lesereisen zu unternehmen, als Berater für Incom zu arbeiten und solche Dinge. Mom hingegen – sie hasst den Ruhestand. Ich schätze, demnächst wird sie irgendwo eine Revolution anzetteln, bloß, um der Langeweile zu entfliehen.«
»Myri, ich dachte, du würdest deinen Lebensunterhalt mit Glücksspiel bestreiten. Sicher und unbehelligt an Bord des Fliegenden Händlers. Nach dem, was ich gehört habe, hast du damit ein Vermögen gemacht.«
Sie nickte, ohne den Blick von ihrem Gewehr abzuwenden.
»Also? Warum dann das hier?«
Sie lächelte. »Du musst ja so stolz sein!«
»Was meinst du? Auf wen?«
»Das sagen sie ständig zu mir. Größtenteils in Bezug auf Daddy. ›Die Tochter von Wegde Antilles? Du musst ja so stolz sein!‹ Und das bin ich auch. Einige Leute wissen auch über Moms Karriere Bescheid. ›Du musst ja so stolz sein!‹ Und das bin ich. Einige Leute wissen um die Taten meiner Schwester im letzten Krieg. ›Du musst ja so stolz sein!‹ Ja, ja, das bin ich. Aber vielleicht wird es langsam Zeit, dass jemand stolz auf das ist, was ich tue. Womöglich sogar ich selbst.«
»Die meisten der Leute, die ich stolz bin, gekannt zu haben, starben bei dem Versuch, mich mit Stolz zu erfüllen, Myri.«
Sie warf ihm einen tadelnden Blick zu. »Du bist hier echt nicht mit dem Herzen bei der Sache, was?«
»Nein, und der Gedanke daran, was deine Eltern täten, wenn …«
Ein Lautsprecher erwachte zum Leben. Bhindis Stimme drang über das System: »Nehmt bitte eure jeweilige Zweitposition ein. Wir werden in drei Minuten angegriffen.«
Myri stellte sich so hin, dass sie der Korridorwand den Rücken zukehrte. Jemand, der das Lagerhaus durch die Haupttore betrat, konnte sie so nicht sehen. »Willst du wissen, was gleich passieren wird?«
»Das wäre nett.«
»Eine Einheit von Armeespezialisten wird gleich hier reinplatzen. Du und ich, wir nehmen sie unter Beschuss, um den anderen Zeit zu verschaffen, an uns vorbei zu der Stelle zu gelangen, wo sich das Fluchtfahrzeug befindet. Jez … Ich meine, Fünf fliegt die Kiste. Sobald die anderen Gespenster uns passiert haben, bilden wir die Nachhut, und alle machen sich aus dem Staub.«
Voort nickte. »Dieser Teil gefällt mir besonders.«
In der Haupthalle gingen Trey, Bhindi und der Clawdite zwischen dem gestohlenen Transporter und dem Ausgangskorridor in Stellung. Der kahlköpfige Mensch verharrte am Heck des Transporters und aktivierte den Schwebewagen, der sich brummend zwanzig Zentimeter in die Höhe erhob. Die Blastergewehrkisten darauf vibrierten. Der Glatzkopf reckte sich wie in Erwartung eines sportlichen Wettstreits. Der Clawdite, der dem Ausgangskorridor am nächsten war, hielt den Beutel mit den entfernten Energiepacks.
Bhindi war dem Transporter am nächsten. Sie studierte aufmerksam ein aufgeklapptes Datapad in ihren Händen, und Voort konnte das Bild auf dem kleinen Schirm erkennen, das zwischen Holokamera-Aufnahmen der Außenseite des Lagerhauses hin- und herwechselte, wo Truppen der Galaktischen Allianz in blauen Uniformen – den Einheitskennungen an ihren Uniformen und der Art und Weise nach zu urteilen, wie sie vorrückten, Sondereinsatzkräfte – auf den umliegenden Laufstegen Position bezogen, Passanten zurückdrängten und Späher nach vorn schickten.
Voort schluckte schwer. Sich mit einer Spezialeinheit anzulegen war eine verlässliche Methode, vor seiner Zeit den Löffel abzugeben. Er ging neben Myri in Stellung.
Myri spähte um die Ecke, verschaffte sich einen Überblick über die Lage und zog sich wieder zurück. »Dann hat Scut wohl den kürzesten Strohhalm gezogen. Nun, er ist ein schneller Läufer.«
»Der kahlköpfige Mensch … Ist das Scut?«
»Mensch?« Myri klang verwirrt. »Äh, der Glatzkopf mit den Ohren wie Sonnensegel. Das ist er. Gespenst Sechs.«
Das Haupttor ins Lagerhaus, dasselbe Tor, durch das Voort nur Minuten zuvor hier hereingeflogen war, explodierte nach innen, vom ohrenbetäubenden Ka-bumm einer wohlplatzierten Sprengladung in die Halle katapultiert. Im selben Moment erloschen sämtliche Lichter in der Lagerhalle. Schlagartig stammte die einzige Helligkeit von dem Loch im Tor und dem feurigen Schein der Verbrennungseinheit.
Uniformierte Männer und Frauen strömten durch das Loch herein und nahmen mit ihren Blastergewehren sofort Ziele ins Visier.
Voort wusste, dass sie restlichtverstärkende Visiere benutzen mussten, wenn sie im Dunkeln angriffen. Er trat in die Korridoröffnung, versperrte Myri das Schussfeld, drückte den Knopf an der Blendgranate und schleuderte sie von sich.
Es war kein sonderlich guter Wurf. Die Blendgranate befand sich in seiner linken Hand, und er war Rechtshänder. Trotzdem flog sie fünfzehn Meter weit und landete fünf Meter vor dem Loch im Tor. Die Granate explodierte beim Aufprall, um die gesamte Kammer mit kurzer blendender Helligkeit zu erfüllen.
Nicht dass Voort etwas davon sah. Er hatte die Augen geschlossen und wartete, bis das Gleißen verschwand, ehe er sie wieder öffnete. Die eingedrungenen Truppler stießen wütende, überraschte Rufe aus. Er drückte den Knopf an seiner anderen Granate, warf sie und trat zurück. Myri drängte sich vor ihn, legte an und feuerte los. Voort verfolgte das Geschehen über ihren Kopf hinweg.
Die Blendgranate hatte gute Arbeit geleistet. Einige der Eindringlinge schossen, doch dabei schien es sich um ungezieltes, defensives Blastersperrfeuer zu handeln. Myris Salven waren wesentlich akkurater – methodisch zog sie einen, zwei, drei, vier Truppler aus dem Verkehr. Und sie schwenkte den Lauf ihres Gewehrs nach rechts, weg von ihren Kameraden, um ihren Weg sicherer zu machen. Der Clawdite schaffte es bis zum Korridor und eilte an Voort vorbei.
Trey war der Nächste. Sein Lauf war schwerfällig, als er unterwegs in Sicherheit an Voort vorüberhastete.
Ungeachtet der Effektivität, mit der Myri die Zahl ihrer Gegner dezimiert hatte, erwiderten die Truppler das Feuer jetzt disziplinierter. Bhindi, die zwei Schüssen nur knapp entging, warf sich zu Boden und krabbelte mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf allen vieren weiter, noch immer ihr Datapad in der Hand. Sie passierte Voort und stand auf, um in vollem Lauf weiterzueilen.
Jetzt war Scut in Bewegung. Er schob den Schwebewagen in rasantem Tempo vor sich her, als habe er die Absicht, mit seiner Beute zu fliehen – und das trotz des Umstands, dass der Ausgangskorridor zu schmal für den Wagen war. Ein paar Kisten mit Blastern, durch sein Manöver gelöst, rutschten herunter und fielen krachend zu Boden, wie um eine Spur hinter ihm herzuziehen. Dann traf ihn ein Schuss mit voller, tödlicher Wucht ins Kreuz. Der Glatzkopf stürzte aufs Gesicht und rutschte einige Meter weiter nach vorn. Der jetzt führerlose Schwebewagen donnerte einige Meter vom Ausgangspaneel entfernt gegen die Wand. Der Aufprall sorgte dafür, dass die meisten Kisten darauf herunterstürzten. Sie krachten gegen die Metallwand und fielen dann vom Wagen zu Boden.
Myri sagte etwas, das für Voort sowohl nach Rodianisch als auch sehr unwirsch klang. Sie konzentrierte ihr Feuer auf die Quelle des Blasterschusses, der Scut erwischt hatte: auf einen von Voorts Granate in Rauch gehüllten Truppler.
Voort kauerte sich hin, um sich auf das Letzte vorzubereiten, wonach ihm auf Coruscant der Sinn stand: in die Halle zurückzulaufen und sich Scut zu schnappen. Dann jedoch kam der Glatzkopf wieder auf die Beine und lief weiter. Voort duckte sich zur Seite. Noch immer grinsend und vollkommen unbeeindruckt davon, dass sein Overall in Flammen stand und um seinen Körper herum zu Asche verbrannte, rannte Scut an Voort vorbei, als würde er lediglich sein tägliches Joggingpensum erfüllen. Voort starrte ihm verdutzt nach.
Myri packte Voorts Arm, drehte ihn mit einem Ruck in Richtung der hinteren Lagerhalle und schob ihn vorwärts. Sie hob die Stimme, um sich über den Tumult in dem Raum, den sie soeben hinter sich gelassen hatten, Gehör zu verschaffen. »Ab geht’s!«
Die nahe gelegene Tür schlug mit einem Krachen zu. Voort lief mit Verzögerung los, während die Bodenplatten unter seinen Stiefeln bebten, und gelangte in eine kleinere, aber ansonsten ähnliche Lagerhalle. Das Haupttor dieses Raums öffnete sich knirschend. Das Einzige, was sich in der Halle befand, war ein Luftgleiter, ein sperriges, orangefarbenes Lieferfahrzeug. Die Beschriftung auf den Seiten des Vehikels verkündete: LEBENSMITTEL IN IHRER LIEBLINGSFARBE.
Jesmin an den Steuerkontrollen war durch das vordere Backbordfenster zu sehen, und der Speeder schwebte bereits auf seinen Repulsoren. Halb rannte und halb hechtete Scut durch die Seitentür ins Hauptabteil des Gefährts.
Myri überholte Voort und war als Nächste drin. Voort folgte ihr und schlug mit der flachen Hand auf den Türschließer. Die Abteiltür glitt zu, und die plötzliche Beschleunigung des Vehikels riss ihn von den Füßen. Er landete neben Myri auf einem der nach vorn ausgerichteten Sitze. Direkt vor ihm saß Scut, der gerade dabei war, sich in einem der zum Heck zeigenden Sitze festzuschnallen. Bhindi war neben ihm, im mittleren Sitz gegenüber. Der Clawdite belegte den nach hinten weisenden Sitz auf der Steuerbordseite mit Beschlag, Trey den nach vorn zeigenden Sitz ihm gegenüber.
Bhindi seufzte erleichtert. »Nun, das war knapper, als ich dachte.«
Voort starrte sie mit großen Augen an. »Noch ist es nicht vorbei. Sie werden ungefähr dreißig Sekunden brauchen, um ein so auffälliges Gefährt wie dieses aufzuspüren, und wir haben ein schwer verletztes Gespenst an Bord. Wer ist unser Sanitäter?«
Bhindi schüttelte den Kopf. »Wir sind noch dabei, einen zu rekrutieren. Die Zeit saß uns im Nacken.«
Scut sah Voort mit gelassenem Blick an. Noch immer lag dieses irrwitzige Lächeln auf seinen Lippen. »Eine unbedeutende Brandwunde, nicht weiter von Belang. Kein Grund zur Sorge.« Seine Stimme war merkwürdig kratzig und passte nicht im Mindesten zu seinem Auftreten.
»Kein Grund … Bhindi, er befindet sich in einem Schockzustand, und wenn wir nicht unverzüglich dafür sorgen, dass man ihn medizinisch versorgt, wird er sterben. Man kann die Wunde riechen!«
Bhindi tat seinen Einwand mit einem Wink ab. »Was nun unsere Farbgebung angeht, so wird Fünf nach ein paar Kurven einen Knopf am Armaturenbrett drücken. Daraufhin wird sich das Äußere des Gleiters schwarz färben und die Beschriftung abfallen. Alles bestens.«
Voort öffnete den Mund, um erneut zu protestieren, doch Scut hob eine Hand, um ihm zuvorzukommen. »Nun gut, ich werde euch zeigen, was Sache ist. Ich trage ein Körperpolster aus lebendem Gewebe, das vom Aufbau her dem meiner Maske ähnelt.« Er griff nach oben, wie um sich am Hals zu kratzen, doch dann packte er stattdessen zu – und zog sich das Gesicht runter. Es löste sich in einem Stück ab – nicht bloß das Gesicht, sondern auch die gesamte Kopfhaut und der Hals. Das Gewebe gab dabei ein widerliches, saugendes Geräusch von sich. Darunter kamen keine freigelegten Knochen und Muskeln zum Vorschein, sondern ein anderes Gesicht, diesmal schmaler, von hellgrauer Farbe. Das Antlitz war hager, mit knochigen Zügen und schwarzen, starren Augen, in denen eine fremdartige Intensität lag, und die abschüssige Stirn und der ausgeprägte Wulst oberhalb der Augenhöhlen trugen nichts dazu bei, sein grimmiges Erscheinungsbild abzuschwächen. Außerdem hatte dieser Mann kurz geschorenes, dünnes, schwarzes Haar.
Voort überkam ein vager Schwindel, und die Borstenhärchen überall auf seinem Körper schienen sich zu sträuben. »Du bist ein Yuuzhan Vong!«