24. Kapitel

Voort erwachte, als ihm jemand gegen die Schulter tippte, und schaute sich um. Er lag ausgestreckt auf einem Abschnitt des Laufstegs hinter dem Wetterpfad, den Kopf auf Treys Rucksack gebettet. Er konnte die Gesichtszüge von Trey, der sich über ihn beugte, nur vage erkennen. »Irgendwelche Neuigkeiten?«

»Im Osten fängt es an zu dämmern – und damit beginnt jetzt deine Schicht.«

»Ich meinte eigentlich, ihr sollt mich in ein paar Tagen bei Sonnenaufgang wecken.«

»Netter Versuch.«

Voort setzte sich auf.

Thaymes, rechts von Voort, sah in dessen Richtung. »Zuerst die guten oder die schlechten Nachrichten?«

»Die guten.«

»Die Schnapphunde sind nicht weiter vorgerückt.«

»Und die schlechten?«

»Das macht es schwieriger, auf sie zu schießen.«

Eine Energieladung von unten traf die felsige Decke direkt über Thaymes, um in einem lauten Krach-Knirsch zu verklingen. Von der Einschlagstelle lösten sich überhitzte Steinsplitter, die auf Thaymes herabregneten. Er jaulte auf und rollte beiseite.

Wran, auf der anderen Seite von Thaymes, brach in leises Gelächter aus.

Voort zog sich teilweise über die Mauer hoch. »Sie haben sich zum Fuß des Hügels geschlichen …« Er ließ Augen und Stirn über den Rand der Mauer ragen, während er seinen Blick über den Hang weiter unten schweifen ließ.

Am Fuß der Treppe, hinter demselben Felsen, hinter dem Wran Stellung bezogen hatte, um sein Gewehr abzustützen, damit er einen näher kommenden Speeder mit einem gezielten Schuss außer Gefecht setzen konnte, schimmerte ein Licht: ein Glühstab, der in die Höhe gehalten wurde, um in ein Gesicht zu leuchten – in ein Wookiee-Gesicht, das zu Voort hinaufstarrte.

»Huhunna?« Voort wich zurück und sah Wran an. »Euer Wookiee ist da unten.«

Wran lehnte sich in einen Spalt, der auf Kniehöhe in der Wand klaffte, ein Loch, das gerade groß genug für seinen Kopf war. Er spähte den Felshang hinab und verschaffte sich einen Überblick über die Lage. »Da ist sie. Sie winkt und ist bei – wie war noch gleich ihr Name? Eure Anführerin.«

»Bhindi.« Voort lugte wieder nach unten. Seine Augen waren offenkundig nicht so gut wie die von Wran, aber er konnte eine tellergroße Handfläche ausmachen, die zu ihnen hochwinkte.

»Beide haben Deckung gesucht.« Wran hielt inne. »Sie hat es zwar durch das Getreidefeld bis hierher geschafft, hat aber nicht genug Sichtschutz, um die Treppe hochzusteigen und sich uns anzuschließen. Ich wette, sie möchte ein wenig Feuerschutz, was sie uns über Komlink nicht sagen kann, weil die Frequenz gestört wird.« Er zog sich aus der Spalte zurück und sah Voort an. »Ich glaube nicht, dass Bhindi sich rührt. Huhunna harrt bloß bei ihr aus.«

Voort ließ sich wieder nach unten fallen und wandte sich der Tür des Observatoriums zu. »Alle Mann bei der Mauer sammeln!«

Sharr klang beleidigt. »Eigentlich sollte ich das doch sagen.«

»Nun, dann sag’s eben.«

Sharr winkte ab. »Ist schon gut.«

Voort wartete, bis die Gespenster ihre Steinbetten verlassen oder ihre Erkundung der fernen Tunnel der Station aufgegeben hatten. Sie sammelten sich bei der Mauer, angeschlagen und mit müden Augen. In der Zwischenzeit begannen weiter entfernte Schnapphunde, Huhunnas Umgebung mit wildem Blasterfeuer zu beharken.

Voort richtete das Wort an die Gespenster. »Gleich werden wir Feuerschutz geben. Huhunna und Bhindi werden hochkommen, um sich uns anzuschließen. Unsere Aufgabe besteht darin, Schnapphunde zu identifizieren, die auf sie feuern, und sie in die Flucht zu schlagen – oder ins Jenseits zu befördern. Das bedeutet, dass wir nicht das Feuer auf jene erwidern, die vielleicht auf uns schießen. Die Ausnahme hier sind Wran und ich – diesen Job übernehmen wir.«

Wran, Thaymes und Drikall schauten um Bestätigung heischend zu Sharr hinüber. Er nickte.

Voort wartete, bis alle über die gesamte Mauer verteilt Position bezogen hatten. Dann stand er auf, lehnte sich über die Mauer und winkte Huhunna nach oben.

Sofort wurde die Mauer von Blasterfeuer getroffen, das sich auf Voort konzentrierte. Er kauerte sich nieder und erwiderte das Feuer. Er konnte Huhunna nicht mehr sehen, doch dafür konnte er Geschützstellungen ausmachen, die auf sie ballerten. Das galt auch für die anderen Gespenster, die die Artillerie-Einheiten daraufhin mit Blasterbeschuss eindeckten.

Voort ging die einzelnen Schritte wieder und wieder durch. Ein Ziel ins Visier nehmen. Den Entfernungsmesser des Zielfernrohrs überprüfen. Die unmittelbare Umgebung des Ziels checken und die Bewegungen der Getreidestängel einschätzen, um Windrichtung und -geschwindigkeit zu bestimmen. Das Ziel von Neuem anvisieren. Sich sammeln, so reglos verharren wie ein Stein, ausatmen.

Den Abzug drüüückeeeeen …

Die anderen Gespenster feuerten häufiger. Dafür traf Voort öfter. Ein zweifelhafter Segen – er verfehlte seine Ziele nur selten und reduzierte die Zahl der Feinde letztlich schneller als die anderen. Doch er tötete Leute, anstatt sie nur dazu zu bringen, sich in Deckung zu bringen.

Er hatte sechs Gegner unschädlich gemacht, als Huhunna endlich das obere Ende der Treppe erreichte. Sie trug Bhindi in den Armen und hastete durch die Lücke in der Mauer, sprang zur Seite, um aus dem Blickfeld der Schnapphunde zu gelangen, und kniete nieder. Dann hob sie die Stimme in einem Wookiee-Knurren, das zu einem schrillen Crescendo anschwoll.

Voort sprach zwar kein Wookiee, doch wie viele Individuen, die entweder weit gereist waren oder Kriegserfahrung besaßen, kannte er Schimpfwörter in einer verblüffenden Anzahl von Sprachen. Flüche, die Bitte nach Essen und Trinken, die Forderung oder Aufforderung, sich zu ergeben, und auch das Wort, das Huhunna gerade gebrüllt hatte: »Sanitäter!«

Der Geruch von verkohltem Fleisch und verbranntem Stoff attackierte bereits Voorts Nasenlöcher.

Der Devaronianer, Drikall, schob seine Blasterpistole ins Halfter und folgte Huhunna auf Händen und Knien krabbelnd durch die Tür ins Observatorium.

»Alle anderen bleiben hier.« Voort kroch dem Sanitäter nach. »Wran, du übernimmst das Kommando. Lenk ihren Beschuss irgendwo anders hin.«

Unaufgefordert folgten Sharr und Scut ihm. Sharr aktivierte seinen Glühstab und hielt ihn in die Höhe, sodass die anderen in seinem Lichtkreis agieren konnten.

Drikall streifte sich im Stehen seine schwarze Jacke ab, um darunter ein schwarzes Unterhemd zu enthüllen. Er faltete die Jacke zusammen und legte sie auf den Fliesenboden, ehe er Huhunna zunickte. Diese legte Bhindi hin, mit dem Kopf auf die Jacke. Bhindis Augen waren geschlossen.

Drikall kniete neben ihr nieder und löste sein Medipack vom Gürtel. Er sprach, als würde er in ein Aufnahmegerät diktieren: »Die Patientin ist eine Menschenfrau in scheinbar guter physischer Verfassung, Alter: fünfundvierzig oder fünfzig. Wir haben eine Blasterwunde im Unterleib, dem ersten Eindruck nach zu urteilen von einem Gewehr.« Er schaute zu Huhunna auf, um sich dies bestätigen zu lassen, erntete ein Nicken und wandte die Aufmerksamkeit wieder seiner Patientin zu.

Mit einer kleinen Schere aus dem Pack schnitt er vorsichtig die Haube von Bhindis Regulationsanzug auf, sodass ihr Gesicht frei lag, und drückte ihr einen kleinen Gegenstand seitlich gegen den Hals. Voort erkannte, dass es sich um einen Vitalzeichenmonitor für den Feldeinsatz handelte. Flexibel wie ein Verband und von den Maßen einer großen Credmünze, blieb das Gerät an ihrer Haut haften. Die Oberfläche bestand zum größten Teil aus transparent rotem Flexiplast, mit einem Leuchten in der Mitte, das im Rhythmus von Bhindis Herzschlag zu pulsieren begann – in einem Rhythmus, der viel zu langsam war, um Voort irgendwie zu beruhigen.

Der obere Teil von Bhindis Regulationsanzug war bereits beiseitegeschält. Mit Präzision und Feingefühl benutzte der Devaronianer die Schere, um den unteren Teil ihres Hemds wegzuschneiden. Dabei zeigte sich, dass ein Bereich des Unterleibs, rechts vom Bauchnabel, von einem Pflaster bedeckt war. In der Mitte war das Pflaster braun von verkrustetem Blut, und die Haut darum herum wechselte von gesundem Rosa zu verbranntem Braunschwarz. Drikall entfernte das Pflaster rasch, aber behutsam.

Sobald das Pflaster ab war, konnte Voort selbst mit seinen beschränkten Erste-Hilfe-Fähigkeiten erkennen, dass die Wunde übel war – sie klaffte weit auf, war schwarz und tief. Obgleich sie von der Energieladung des Blasterschusses, der ihr die Verletzung zugefügt hatte, größtenteils kauterisiert worden war, quoll hier und da noch immer Blut hervor. Der Geruch von verbranntem Fleisch wurde intensiver.

Obwohl Drikall derlei durch seinen Beruf eigentlich gewohnt war, zuckte er zusammen. »Wir fangen mit einem Schmerzmittel und einem Schockblocker an. Das sollte … helfen.« Nacheinander presste er ihr zwei Mikroinjektoren gegen den Hals. Dann blickte er auf und sah zwischen Sharr und Voort hin und her. »Wenn ihr wollt, dass sie überlebt – müssen wir uns ergeben und sie ihnen überlassen. Sofort. Um ihr zu helfen, ist ein voll ausgestattetes Medilabor nötig. Die Wunde ist einfach zu ernst.«

Voort und Sharr sahen einander an.

»Das … habe ich … gehört.« Bhindis Stimme war schwach, und sie hielt die Augen nach wie vor geschlossen, doch sie war offensichtlich bei Bewusstsein. »Das werdet ihr nicht tun.«

Voort kam herüber und kniete neben ihr nieder. »Bhindi …«

»Das sind meine Befehle. Wir wissen, das Thaal Dreck am Stecken hat. Und die wissen, dass wir das wissen. Wenn ihr euch ergebt, um mich zu retten, werdet ihr alle sterben. Nicht nur ich.« Ihre Augen öffneten sich flatternd, und sie schaute zu dem Sanitäter auf. »Wie heißt du?«

»Drikall. Drikall Bessarah.«

»Dieses Betäubungsmittel ist ziemlich guter Stoff. Eigentlich fühle ich mich gar nicht so übel.« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit Voort und Sharr zu. »Bringt diese Kinder sicher nach Hause. Ich übertrage das Kommando an …« Sie verstummte und starrte bloß in die leere Luft zwischen Sharr und Voort. Der Vitalzeichenmonitor am Hals hörte auf zu pulsieren.

»Bhindi?« Voort spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. »Bhindi?«

»Sie ist tot.« Drikall hob die Hand, um ihr die Augen zu schließen. »Es tut mir leid.«

Huhunna starrte zur Decke empor und stieß ein dumpfes, fast melodisches Wehklagen aus.

»Kark!« Voort schlug mit der Faust so fest auf den Boden, dass er sich wehtat. Er ignorierte den Schmerz und stand auf. Er merkte, dass er so heftig zitterte, dass er sich fragte, ob er sich wohl deutlich genug artikulieren konnte, damit sein Implantat die Worte übersetzte.

»Drikall …« Sharrs Stimme war kratzig, als sei seine Kehle mit einem Mal mit Sand beschichtet. »Geh raus und schau mal, ob irgendjemand etwas zum Zudecken hat – eine Überlebensdecke oder so was –, um sie abzudecken.«

Der Devaronianer nickte und trat in die Dunkelheit hinaus.

»Wir müssen einen neuen Anführer bestimmen.« Das war Scut. Seine Stimme klang niedergeschlagen, sogar gequält.

Diese Worte rüttelten Voort auf, zwangen ihn aus der Versenkung seines eigenen Kummers. Bilder der anderen Gespenster flimmerten an seinen Augen vorbei wie Zahlen.

Sie werden sich für Sharr entscheiden. Sharrs Stärke besteht darin, langsam und akribisch Sachen aufzuziehen, die die Leute dazu bringen, entweder ihre eigene geistige Gesundheit oder ihr Vertrauen in andere anzuzweifeln. Alle anderen sind zu jung, zu grün hinter den Ohren. Wenn einer von ihnen in dieser Situation zum Anführer bestimmt wird, sterben wir alle.

Voort fand seine Stimme wieder. Er drehte sich um und starrte Scut an, doch seine Worte waren an alle gerichtet. »Zur Hölle damit. Ich übernehme das Kommando.«

Scut begegnete dem Blick des Gamorreaners. Falls es je einen Moment gegeben hatte, in dem das groteske Lächeln auf seinem Gesicht nicht zum Ausdruck in seinen Augen passte, dann jetzt – von der Nase aufwärts war er ganz Gram und Groll. »Nein, wirst du nicht! Möglicherweise will uns ja auch Sharr anführen. Falls nicht, müssen wir wählen. Sharr war der Anführer seines Teams, Bhindi hat unseres angeführt. Du bist ein einfaches Mitglied, und du taugst nicht dazu, andere zu führen.«

»In Kriegszeiten werden Anführer nicht gewählt, du Narr.« Voort sah Sharr an. »Ich übernehme das Kommando. Hast du dagegen etwas einzuwenden?« Obgleich er während des Yuuzhan-Vong-Krieges lange Zeit mit Sharr zusammengearbeitet hatte und den Mann sogar als Freund betrachtete, war sein Tonfall jetzt unverhohlen drohend.

Sharr schüttelte den Kopf. »In puncto Erfahrung bist du mir weit überlegen – und was die Masse betrifft, auch.«

»Da hast du recht.«

Drikall kam zurück, mit Wrans Umhang in der Hand. Er breitete ihn über Bhindi, um sie von der Taille bis zum Kopf zuzudecken.

Voort fuhr fort: »Alle sollen mit dem weitermachen, was sie vorhin getan haben. Mit Ausnahme von dir, Scut. Du kommst mit mir.« Mit steifen Schritten drehte er sich um und marschierte zur Treppe hinüber.

Voort betrat die Seilbahnkammer und wartete, bis Scut durch die Türöffnung kam. Dann wirbelte er herum, packte Scut an den Schultern, donnerte ihn gegen die Wand und hielt ihn gegen das Gestein gedrückt. »Ich habe wirklich genug

Scuts Stimme war ein bisschen heiser, aber sein Tonfall blieb trotzig. »Ich denke nicht, dass dem so ist.«

Voort versetzte ihm einen letzten Schubs, ehe er ihn losließ, jedoch ohne einen einzigen Zentimeter zurückzuweichen. »Nimm dieses idiotische Gesicht ab. Lass mich dein wahres Ich sehen. Dein Yuuzhan-Vong-Ich.«

Scut griff unter den Kragen des Regulationsanzugs und streifte sein fröhliches Gesicht ab, um darunter die harten, kantigen Züge und die blitzenden Augen eines Yuuzhan Vong freizulegen.

Voort drückte sich so klar wie nur irgend möglich aus: »Dies ist ein direkter Befehl. Ich will alles wissen. Alles, was dir nicht an mir gefällt. Jeden Grund dafür, warum du denkst, dass ich nicht als Anführer tauge. Ich will, dass jede Einzelne dieser Maden des Missfallens aus deinem Mund kommt, damit ich sie alle unter meinen Stiefeln zerquetschen kann. Also, schieß los!«

»Zunächst einmal bist du ein Drückeberger. Du bist schon einmal bei den Gespenstern ausgestiegen, weil du zu bekümmert warst, um weiterzumachen. Bhindi hat mir die Geschichte erzählt. Sie hätte dich niemals wieder zurückholen dürfen. Jetzt ist sie tot, und du bist wieder von Trauer überwältigt. Deshalb wirst du aufhören – wieder einmal. Zweitens: Du bist ein unvernünftiger Narr.«

»Seltsame Worte aus dem Mund eines Yuuzhan Vong – immerhin hat deine Spezies nicht die geringste Ahnung, was Vernunft überhaupt ist.«

»Da hast du’s. Da hast du’s!« Scuts Stimme wurde lauter. »Ich bin genauso sehr Yuuzhan Vong wie du Gamorreaner – nämlich nur zum Teil. Ich habe auch menschliche Familie.«

»Eine Adoptivfamilie. Vorher allerdings hattest du etliche Jahre Zeit, um dich zu einem kranken Soziopathen zu entwickeln.«

»Ach? Nun, wenn ich ungeachtet der Umstände, wie ich aufwuchs, durch und durch ein Yuuzhan Vong bin, dann bist du durch und durch Gamorreaner: träge, dämlich, fett, amoralisch, vulgär. Grunz für mich, Schweinemann!«

»Mehr hast du nicht zu bieten? Nein, du bist noch nicht fertig. Mach weiter! Ich werde merken, wenn wir zur Wahrheit durchgedrungen sind. Falls in dir überhaupt auch nur ein Fünkchen Wahrheit steckt.«

»Also gut.« Scuts Stimme kehrte zu normaler Tonlage und Lautstärke zurück. Falls er sich unbehaglich fühlte, weil er von Voort gegen die Wand gedrückt und körperlich eingeschüchtert wurde, ließ er es sich nicht anmerken. »Ich weiß über dich – dich persönlich – Bescheid, seit ich ein Kind war. Von damals, als ich meine menschlichen Eltern das erste Mal getroffen habe.«

»Wie das?«

»Das ist jetzt nicht von Belang. Aber ich wusste um die Gespenster. Helden! Sie überlisten jene, die andere versklaven und zerstören. Denkst du, ich lüge? Du lügst. Sag mir, wurdest du Lehrer, weil du diesen Job so liebst?«

»Weil ich ihn liebe. Ja. Weil ich mich dem nächsten Abschnitt meines Lebens zuwenden musste. Irgendwann tun das alle Gespenster. Jedenfalls die, die lange genug überleben.«

»Ich habe schon Lehrer kennengelernt, die es lieben zu unterrichten. Jetzt sag mir genauso die Wahrheit, wie du es von mir verlangst. Wenn deine Studenten fertig sind, gehen sie dann voller Energie fort, erfüllt von der Liebe für Zahlen, die du ihnen vermittelt hast?«

»Nicht … viele.« Nachdenklich trat Voort schließlich einen halben Schritt zurück.

»Weil du keine Liebe hast, die du ihnen schenken könntest. Du unterrichtest, weil dich das nicht an das erinnert, was du aufgegeben hast. Du unterrichtest, weil das eine schmerzfreie Art zu sterben ist.«

Voort merkte, wie er unwillkürlich die Faust ballte. Doch er zwang sich, sich zu entspannen. Irgendwo in Scuts Worten war ein Körnchen Wahrheit begraben. Im Gegensatz zu den anderen Lehrern hatte er niemals Studenten gehabt, die sich in der Mathematik besonders hervorgetan hätten. Es schien ihm nie zu gelingen, in seinen Schülern die Liebe für die Kunst der Zahlen zu erwecken, die er selbst empfand.

Was hatte das zu bedeuten?

Scut fuhr unbarmherzig fort. »Du taugst nicht zum Teamkameraden, geschweige denn zum Anführer, denn jeden Tag zeigst du uns, dass du jeden einzelnen deiner Teamkameraden im Stich gelassen hast, mit dem du jemals zusammengearbeitet hast – und insbesondere jene, die starben, während sie mit dir gedient haben. Uns wirst du ganz genauso im Stich lassen.«

»Warum das?«

»Weil in dir kein Leben mehr steckt, Schwachkopf! Du hast andere gerettet, du hast Leben bewahrt, darunter sogar das meines eigenen Menschenvaters. Und jetzt, wo du an vergangene Zeiten erinnert wirst, tust du nichts als trauern. Die, die gefallen sind … Würde es sie wohl zum Lächeln bringen, wenn sie wüssten, dass das Einzige, was du tust, ist, zu trauern und deine Verluste zu zählen? Dass du dich in ihre Leichentücher kleidest?« Scut nahm einen tiefen Atemzug. »Bhindi ist gerade an deiner Seite gestorben, und jetzt wirst du ihren Namen nie wieder aussprechen, so, wie dir auch die Namen derer nicht über die Lippen kommen, die vor ihr fielen. Bhindi starb in dem Wissen, dass du keine lustigen Geschichten über sie erzählen oder sie als Beispiel anführen wirst, um andere zu inspirieren. Es ist genau wie mit deinen Zahlen – du kannst uns kein Mitgefühl vermitteln, keine Liebe.«

Voort spürte, wie sein Zorn verrauchte, was vermutlich eher daran lag, dass das Adrenalin in seinem Organismus nachließ, als an Scuts Argumentation. Er legte ein wenig Spott in seine nächsten Worte. Sein Implantat, das darauf ausgelegt war, bestimmte Stimmeigenschaften zu interpretieren, verlieh seinem Tonfall das angemessene Maß Sarkasmus. »Es tut mir so unglaublich leid, dass ich deinen Erwartungen nicht gerecht geworden bin.«

»Ich denke, das ist gelogen.«

»Du hast vorhin deinen Menschenvater erwähnt. Haben wir ihm geholfen?«

»Ja, vor langer Zeit. Die Lage der Joyls erinnert mich daran, wie mein Vater seinerzeit den Gespenstern begegnet ist, einschließlich dir. Du hast ihm das Leben gerettet. Genau wie Usan Joyl wurde er wegen seiner besonderen Fähigkeiten von einem einflussreichen Offizier entführt. Die Gespenster haben ihn gerettet. In einem unbedachten Moment sprachen sie offen mit ihm. Dabei erfuhr er einige ihrer Namen. Er erfuhr, dass sie die Gespensterstaffel waren.«

Voort schnaubte. »Das war kein unbedachter Moment. Face Loran neigte dazu, über jemanden, dem die Gespenster geholfen hatten, ein rasches Urteil zu fällen. Dann ließ er ein paar Geheimnisse durchsickern, um Vertrauen zu schaffen. Allerdings nur, wenn dieser Jemand über Fähigkeiten oder Ressourcen verfügte, die für die Gespenstern später vielleicht von Nutzen sein konnten.«

»Oh.« Scut dachte darüber nach. »Dann hat Face also auf den ersten Blick gemerkt, dass mein Vater vertrauenswürdig und nützlich ist.«

»Offensichtlich hat Face damals nicht realisiert, wie mangelhaft das Urteilsvermögen deines Vaters bei gewissen Dingen ist.«

Scut ließ die Beleidigung unkommentiert. »Und Face wusste, dass in Militär- und Geheimdienstkreisen im Laufe der Zeit Geschichten über die Gespenster die Runde machen würden – und auch anderswo.«

»Auch bei Schmugglern und Piraten. Ein Furcht einflößender Ruf kann Schlachten schon gewinnen, bevor man sie überhaupt schlägt.«

»Wie weise.« Scut schaute nachdenklich drein. »Und berechnender, als ich angenommen hätte.«

»Und daher kennt Face dich? Er hat Bhindi empfohlen, dich zu rekrutieren?«

Scut nickte.

»Dein Vater ist Xenobiologe, richtig?«

»Nein, das ist meine Mutter. Mein Vater ist interdisziplinärer Wissenschaftler. Anorganische Chemie, Mineralogie, Gemmologie, Physik.«

Das rief in Voort eine ferne Erinnerung wach. Er musterte Scut eingehender. »Dann ist sein Nachname wohl nicht Gorsat?«

»Gorsat ist ein Yuuzhan-Vong-Name, den ich selbst gewählt habe. Dieser Name hat nichts mit der Klasse zu tun, in die ich hineingeboren wurde, deshalb ärgert es die alten Krieger, ihn zu hören. Mein Vater heißt Mulus …«

»… Cheems. Natürlich.« Voort nickte und ließ sich von seinen Erinnerungen drei Jahrzehnte in die Vergangenheit tragen. »Ich erinnere mich an ihn. Ich war bei dieser Mission dabei. Genau wie Jesmins Vater und Wrans Tante.« Voort ließ die Stimme leidenschaftsloser klingen. »Und wie mein bester Freund. Ich hatte sonst keine Familie, und wir waren wie Brüder. Er hat mir ständig Streiche gespielt. Ich habe immer gesagt, dass ich ihm das alles heimzahlen würde, aber das habe ich nie getan.« Er hielt inne und zwang sich durch den Sumpf der nächsten Erinnerung. »Sechzehn Jahre später habe ich ihm einen Blaster unters Kinn gedrückt und ihm das Hirn weggepustet.«

Scuts Miene änderte sich nicht. »Ich kenne die Geschichte. Du hast ihm einen Gnadentod gewährt.«

»Ja. Aber in dem Moment, in dem ich diesen Abzug durchzog, und seitdem, selbst noch fünfzehn Jahre danach, ist da eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf, die flüstert: Am Ende hast du es ihm doch noch heimgezahlt. Ich hasse diese Stimme. Und da ich dumm genug war, mich erneut von Face rekrutieren zu lassen, gab es keinen einzigen Moment, an dem mich die Gegenwart der neuen Gespenster nicht an diesen Augenblick erinnert hat. Vielleicht solltest du daran denken, wenn du das nächste Mal in Versuchung kommst, mir etwas darüber zu predigen, Freude im Leben zu finden und lustige Geschichten über Tote zu erzählen.«

»Du hast soeben zugegeben, dass du irrational bist.« Scuts harter Blick wurde nicht sanfter. »Das war die letzte Made des Missfallens, und du hast noch immer nicht damit begonnen, sie zu zertreten.«

»Ich kann … sie nicht alle zertreten.« Seltsamerweise störte dieses Eingeständnis Voort nicht so sehr, wie er eigentlich angenommen hätte.

»Dann musst du als Anführer abdanken. Du kannst uns nicht anführen.«

Voort lächelte ihn mit gefletschten Zähnen und drohend erhobenen Hauern an wie ein kampfbereiter Krieger. »Das werden wir ja sehen.«