20. Kapitel
Zwei Minuten später sausten die Gespenster an ihren Winden und Seilen zum Boden hinunter, um lautlos am Rande des Verladebereichs zu landen. Jesmin war die Erste. Sie setzte im Schatten von einer der Gleisstützen auf und nahm sich einige Sekunden Zeit, um ihre Umgebung zu sondieren, bevor sie die anderen nach unten winkte. Nachdem Myri unten auf dem Permabetonboden angelangt war, ließ sie den Blick ebenfalls in die Runde schweifen.
Sie befanden sich in einer großen Halle, dem Aussehen nach zu urteilen einem Fuhrpark. Der Großteil der Kammer bestand aus einer breiten Permabetonfläche mit dem Spalt des Metallgrabens in der Mitte, der die Halle in zwei Hälften teilte. Der Graben führte mitten durch ein breites, hohes Korridorgewölbe weiter nach Norden und nach Süden. Der Gang wurde dabei von uralten Glühstäben erhellt, von denen viele aufgrund ihres Alters und mangels Wartung flackerten.
In dieser Düsternis erstreckte sich der Korridor weiter, als Myri sehen konnte, und alle zwanzig oder dreißig Meter konnte sie Türen in den Wänden ausmachen, einige für Menschen gemacht, andere sechs oder sieben Meter hoch und breit. Außerdem glaubte sie, Seitengänge entdeckt zu haben, die nach links und rechts abgingen. Was die Fahrzeuge um sie herum anging … Sie sah riesige Plasma-Artilleriegeschütze, moderne Einheiten, die mühelos auf Repulsorlifts fuhren. Da waren Frachtlandgleiter, teure Personenluftgleiter, Düsenschlitten und gepanzerte Truppentransporter. Nirgends waren Leute zu sehen, und in der Halle war es gespenstisch still. Das einzige Geräusch stammte von der Aufzugskabine, die jetzt das obere Ende des Schachts erreichte.
Die Gespenster banden ihre Seile an Metallringe am Fuß von einer der Säulen, ehe sie sich in den tiefsten Schatten sammelten, die sich an der Wand unter der verwaisten Wohnebene befanden.
Bhindi schaute sich in dem Fuhrpark um und zuckte mit den Schultern. »Wir haben gewonnen.«
»Noch sind wir hier nicht wieder raus.« Myri vermochte nicht zu sagen, ob sie über Bhindis Annahme, sie hätten bereits gesiegt, erschrocken sein sollte oder nicht.
»Stimmt. Aber sieh doch nur. Artillerie-Einheiten. Ich wette hundert zu eins, dass diese Babys angeblich bei Gefechtsübungen zerstört wurden. Jetzt landen sie auf dem Schwarzmarkt. Genau wie das ganze Bacta.«
»Warum ist es hier so leer?« Obgleich sein Flüstern nicht allzu viele Emotionen in sich tragen konnte, klang Trey abgelenkt, besorgt. »Warum war die obere Ebene geräumt?«
»Das finden wir schon noch raus. Neue Befehle.« Sie wies auf Turman. »Er kriegt den ganzen Sprengstoff mit den funkgestützten Zündern. Die einfachen Dinger. Vier, mach ihn damit vertraut, um sicherzustellen, dass er weiß, wie er sich nicht selbst in die Luft jagt. Zwei, du bleibst hier in dieser Halle und bringst Sprengladungen unter den Repulsormotivatoren von so vielen dieser Fahrzeuge an, wie du nur kannst – die Militärfahrzeuge haben dabei Priorität. Wenn wir verschwinden, zünden wir die Ladungen, damit sie das Beweismaterial nicht kurzfristig ausfliegen können. Dann, Vier, überprüfst du zusammen mit Drei alles Interessante im Süden, während Fünf und ich dasselbe im Norden machen. Zeichnet alles auf. Lasst euch nicht erwischen. In einer Stunde treffen wir uns hier wieder. Alles klar?«
Myri nickte. »Alles klar.« Allerdings vermochte ihre Bestätigung nicht das Unbehagen mindern, das sie empfand.
Zusammen mit Trey schlich Myri ein paar Dutzend Meter den Südkorridor entlang. Sie spähten durch die erste Türöffnung, ein offenes, schwarzes Rechteck, und entdeckten jenseits der Schwelle bloß einen Lagerraum, in dessen Regalen Kisten mit Lebensmitteln standen – Getreideprodukte, getrocknete Früchte, Süßstoff, verschiedene Pulver, die dazu gedacht waren, dass man sie in sein Getränk mischte.
»Ich muss mir das mal näher ansehen.« Trey wandte dem Lagerraum den Rücken zu und huschte geduckt zum Graben hinüber. Er ließ sich hineingleiten und verschwand aus Myris Sicht.
Myri folgte ihm und landete neben ihm in dem schattigen Spalt. »Ich sagte dir doch, dass ich weiß, wofür der ist.«
»Ja, hast du, und du hattest recht.« Trey warf ihr einen rätselhaften Blick zu – rätselhaft vor allem deshalb, weil sie sein Gesicht nicht richtig sehen konnte und es ihr deshalb unmöglich war, seine Miene zu deuten. »Aber weißt du alles, wofür er vielleicht noch da ist?« Er deutete auf die Seite des Grabens, die sich unter einem vielleicht zehn Zentimeter tiefen Überhang befand. Er schaltete den Glühstab ein, den er in der Hand hielt, um einen Abschnitt der metallenen Grabenmauer zu erhellen. »Siehst du diese Schrauben? Die halten ein Paneel von einem Meter Höhe und einem Meter Breite an Ort und Stelle.«
Myri nickte. »Sicher.«
»Ein Paneel, das in einen Nebenstollen führt – unter dem Permabetonboden. Vermutlich gibt es hier jede Menge davon. Einige führen zu Abwasserschächten, andere gewähren einem Zugang zu Maschinen, die für die Infrastruktur von entscheidender Bedeutung sind. So verlassen, wie dieser Ort ist, möchte ich wetten, dass die meisten davon nicht einmal verriegelt sind. Wenn wir abrücken, sollten wir einen von uns hier zurücklassen, um das weiter auszukundschaften. Wenn wir das tun, wird das unseren Beweisen wesentlich mehr Glaubwürdigkeit verleihen.«
»Erzähl das der Anführerin.«
»Das werde ich.« Er kroch südwärts und blieb dabei ein gutes Stück unter der Kante des Grabens.
Myri folgte ihm. Hin und wieder spähte sie über die Kante, um sich einen Überblick über die Umgebung zu verschaffen. »Mein Vater war beim Angriff auf den Todesstern dabei. Du weißt schon, bei dem berühmten über den Geschützgraben. Ich hingegen … Ich bin ganz vorn beim Grabenkriechen im Keller des Generals dabei.«
Myri konnte sein Gesicht nicht sehen, aber Treys Schultern schienen sich zu versteifen. »Ich weiß, wer dein Vater ist. Jeder weiß, wer dein Vater ist.«
»Wie bitte?« Sie sah ihn verblüfft an.
»Einige von uns haben keine berühmten Verwandten, die man bewundern könnte. Oder unbekannte Verwandte, die Bewunderung verdienen, was das betrifft.«
»So war das nicht gemeint. Es sollte ein Scherz sein.«
»Schon klar.«
Jesmin und Bhindi hielten sich längs der Wände im Schatten und wechselten in den Graben, wenn sie nicht tief genug waren, um sich vor neugierigen Blicken zu verbergen. Die beiden arbeiteten sich nach Norden vor. Wenig später kamen sie an einer Reihe von Türen an den Wänden zu beiden Seiten vorbei, die in abgedunkelte Bereiche führten.
»So still.« Bhindi hob den Kopf ein Stück aus dem Graben und schaute sich um, bevor sie sich wieder duckte. »Ich höre ferne Stimmen und Musik. Musikaufnahmen, die widerhallen, denke ich.«
Jesmin spähte unter den Rand der Grabenkante. Mit einer behandschuhten Hand griff sie nach einem Klumpen, den sie dort kleben sah, und zog daran, um ihn vom Metall darüber zu lösen. Der Klumpen kam mit einem leisen, reißenden Laut frei, und sie hielt ihn Bhindi hin.
Es handelte sich um eine unregelmäßige, zentimeterdicke Masse aus einem Material, das Bhindi zunächst offensichtlich nicht recht zuzuordnen wusste – Schichten aus verschiedenen Farben: Weiß, Braun, Grau und Schwarz. Bhindi nahm den Klumpen näher in Augenschein.
»Farbe.« Jesmin drückte das Zeug in der Hand zusammen, sodass die Ränder des Klumpens sich verbogen, sich krümmten und abbröckelten. »Womöglich gar Hunderte von Schichten.« Sie schnüffelte daran und erkannte vage den Geruch von Lösungsmittel und Durastahlpolitur. »Diese Anlage ist sehr alt.«
Bhindis Augenbrauen schossen in die Höhe und verschwanden unter der Haube. »Ich weiß, wo wir hier sind.«
»Dann erhelle mich.«
»In einer Tech-Raider-Basis. Diese Schwarzmarkttypen von damals. Thaal und seine ursprünglichen Schnapphunde hielten sich in einem ihrer Stützpunkte in der Nähe der Stadt Vangard versteckt, um ihren Guerillakrieg gegen die Yuuzhan Vong zu führen. Während ich mit deinem Vater, Piggy und den anderen Gespenstern in der gesamten Galaxis unterwegs war, hat Thaal sich an einem Ort wie diesem verschanzt und dem Feind mit seinen ganz eigenen Methoden zugesetzt. Allerdings nicht von dieser Basis aus. Diese hier wird nirgends in seinen Unterlagen erwähnt.« Bhindi blinzelte nachdenklich. »Das würde erklären, warum er die Fey’lya-Basis so weit von Vangard und den alten Klontruppenanlagen entfernt errichten ließ. Der Einfachheit halber wollte er möglichst in der Nähe dieses Stützpunkts sein – seines eigenen Schwarzmarktverteilers.«
Jesmin ließ ein fast lautloses Pfeifen hören. »Er hat mehr als eine Basis entdeckt und es nie gemeldet. Er ist schon seit dem Ende des Yuuzhan-Vong-Kriegs korrupt.«
»Mindestens. Ich frage mich …« Bhindi rutschte herum, während sie nachdachte. »Vielleicht waren noch ein paar von den alten Tech-Raiders hier, als er damals auftauchte. Möglicherweise haben sie ihm dabei geholfen, sich mit dem Gelände vertraut zu machen, haben ihm die Tricks und Kniffe der Schmuggler beigebracht – und ihn davon überzeugt, sich ihnen anzuschließen. Vielleicht sind seine Schnapphunde die Tech-Raider einer neuen Generation.«
Jesmin nickte. »Und vielleicht ist Thaal genau der Richtige, um sie massiv expandieren zu lassen. Um sie zu einem Verbrechersyndikat von galaktischem Format zu machen.«
Die ersten beiden Kammern, die Jesmin und Bhindi überprüften, erwiesen sich als Schlafsäle. In jedem stand ein Dutzend Pritschen, die jetzt mit transparentem Flexiplast bedeckt waren. Auf sämtlichen Oberflächen hatte sich eine dünne Staubschicht angesammelt.
Die dritte Kammer, auf der anderen Seite des Grabens, war frei von Staub. Bhindi zog die Korridortür hinter sich zu und machte sich an der Kontrolltafel neben der Tür zu schaffen, damit die Glühstäbe unter der Decke ausgeschaltet blieben, obwohl sich Leute im Raum befanden. Dann gingen die beiden Frauen von einer Regalreihe zur anderen, um sich im Schein ihrer eigenen Glühstäbe anzuschauen, was für Waren hier gelagert wurden: Hochwertige, Militärspezifikationen entsprechende Elektronikbauteile, Reparatur- und Ersatzteile für Kom-Systeme, Sensorsysteme und Energiegeneratoren. Blickdichte schwarze Transportkisten, die bloß mit dem Datum markiert waren, an dem sie versiegelt wurden – in jedem Fall war Kessel als Herkunftsplanet angegeben. Bhindi schien im Licht von Jesmins Glühstab tatsächlich zu erbleichen. »Glitzerstim-Lieferungen«, erklärte sie Jesmin.
Mehrere Regale enthielten Bacta – jede Menge Bacta, schwarz-rosa Zylinder wie die, die auf den Luftgleiter verladen worden waren. Jeder Behälter mit dem Wunderheilmittel war sauber mit dem Namen einer Militärbasis versehen. Die meisten waren an die FEY’LYA-MILITÄRBASIS, VANDOR-3 adressiert, und auf nahe gelegenen Regalen standen purpurne Fässer, die mit VRADIUM und AMBORI beschriftet waren.
Mit einem Mal erschöpft, legte Jesmin die Stirn gegen eins der Regale.
Bhindi ging zu ihr hinüber. »Fünf, du siehst aus, als fängst du gleich an zu heulen.«
»Weil ich das am liebsten täte.« Jesmin nahm ein paar stockende Atemzüge, um sich wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Bhindi runzelte die Stirn. »Ich bin nicht vertraut mit … Was ist das für Zeug? Vradium und Ambori.«
»Wenn man beides vermischt, bilden sie die chemische Lösung, die bei Tests verwendet wird, um den Bacta-Gehalt einer Flüssigkeit zu bestimmen. Mischt man sie mit einem flüssigen, trägen rosa Medium, sehen sie genauso wie Bacta aus. Deshalb gehören diese beiden Chemikalien zu dem, was als der Bacta-Dreier oder der Bacta-Trigonschwindel bezeichnet wird.«
Bhindi schüttelte den Kopf. »Davon habe ich noch nie etwas gehört.«
»Ist auch größtenteils auf den Schwarzmarkt beschränkt. Das Ganze wird als Trigon – also als Dreieck – bezeichnet, weil der Schwindel drei Elemente erfordert. Man benötigt frisches Bacta und Bacta, das das Ende seines Haltbarkeitsdatums schon fast erreicht hat, sowie eine gewisse Menge dieser beiden Chemikalien. Sagen wir, du bist Versorgungsoffizier in einem Krankenhaus oder auf einer Militärbasis. Frisches Bacta kommt rein. Du nimmst das frische Bacta und schüttest alles in Behälter, die als etwas anderes deklariert sind. Dann schmuggelt man das Zeug aus dem Lager und verkauft es auf dem Schwarzmarkt. Du nimmst das alte Bacta und füllst es in die Behälter, in denen das frische Bacta geliefert wurde. Und du gibst die träge Vradium-Ambori-Verbindung in die Behälter, in denen sich eigentlich altes Bacta befinden soll. Wenn diese Container dann ihre regelmäßigen Überprüfungen durchlaufen, bestätigt ein erster Test, dass es sich um Bacta handelt, doch ein zweiter Test belegt, dass das Bacta sein Haltbarkeitsdatum überschritten hat und vernichtet werden sollte.«
»Oh.«
»Und diese Masche ist sogar noch schlimmer, als einfach Bacta aus einem Krankenhaus zu stehlen. Denn überall, wo dieser Dreck im Umlauf ist, fordern Ärzte eine Dosis frisches Bacta an. Es wird geliefert, ein Patient bekommt es verabreicht – oder in Krisenzeiten, wie etwa nach einer Schlacht, gleich ein ganzer Haufen Patienten –, und der Patient wird krank oder stirbt, weil diese Dosis, bei der es sich in Wahrheit um altes Bacta handelt, in der Zwischenzeit verdorben ist. Leute sterben.« Jesmin wandte sich einen Moment lang ab, damit Bhindi ihr Gesicht nicht sehen konnte. »Mein … Freund … wurde ermordet, als er in einem Fall ermittelte, bei dem es um genau diesen Dreck ging. Im letzten Krieg.«
»Das tut mir leid.«
Die Tür glitt auf. Jesmin warf einen Blick hinüber. Ein Schnapphund kam herein, mit einem Datapad in der Hand. Der Mann – ein Twi’lek mit blauer Haut und locker herabhängenden Kopftentakeln – näherte sich dem Seitengang, in dem die Gespenster standen. Zuerst schaute er nicht in ihre Richtung. Dann schloss sich die Tür, und die Kammer versank in tiefer Dunkelheit.
»Stang!« Ein Scheppern ertönte, als der Schnapphund gegen ein Metallregal stieß, vermutlich, als er sich wieder zur Tür umdrehte. Ein Duraplastobjekt fiel lärmend zu Boden.
Jesmin rief sich ihre Umgebung in Erinnerung – alles, was sie gerade gesehen hatte, bevor es in der Kammer dunkel wurde. Sie lief geradeaus los, huschte an Bhindi vorbei und wandte sich dort zur Seite, wo sie glaubte, dass sie direkt zu dem Twi’lek gelangen müsse. Sie lag richtig und stürmte ungehindert voran – dann krachte sie gegen ihn. Er schien innerhalb von drei Sekunden um einiges geschrumpft zu sein – er reichte ihr kaum bis zur Hüfte, und sie stolperte über ihn und krachte mit dem Kopf voran auf den harten Boden. Zwar dämpfte die dicke Haube des Regulationsanzugs den Aufprall, aber sie sah trotzdem kleine Lichtpunkte in der Dunkelheit tanzen, wie Glut, die vom Wind von einem Feuer aufgewirbelt wird.
»Wer ist das? Wer ist da?« Der Twi’lek tastete sich vor, stolperte seinerseits über die Unbekannte und fiel auf sie.
Jesmin packte ihn, fand seinen Hals und versuchte, ihn in den Würgegriff zu nehmen. Doch einer seiner Kopftentakel hinderte sie daran. Ein Lichtstrahl blendete Jesmin. Dann ertönte ein vertrautes Geräusch – ein Blaster, der abgefeuert wurde.
Einen Moment lang leuchtete die gesamte Kammer auf, und blaues Licht tanzte über die Brust des Twi’leks, während Bhindis Silhouette vom Schein ihres eigenen Schusses aus der Dunkelheit gerissen wurde. Dann erschlaffte der Twi’lek, und die Kammer versank wieder in Dunkelheit.
Jesmin erstarrte und horchte. Alles, was sie hörte, war Bhindis Atmen. Dann vernahm sie auch Bhindis Stimme.
»Fünf?«
»Hier.« Sie rollte den Twi’lek von sich herunter und stand auf. Ihrem Gedächtnis folgend, ging sie zur Tür, die sich öffnete, als sie näher kam, und Licht hereinströmen ließ. Vorsichtig lehnte sie sich nach draußen und warf einen Blick in beide Richtungen. Es war niemand zu sehen. Sie zog sich in die Kammer zurück, und als sich die Tür wieder geschlossen hatte, deaktivierte sie über den Wandschalter den Bewegungssensor der Tür. Sie drehte sich wieder zu Bhindi um, die jetzt in dem Licht stand, das ihr eigener Glühstab warf. »Tut mir leid.«
»Es war nicht deine Schuld.«
»Doch, war es. Ich bin emotional geworden. Das hat meine Fähigkeit beeinträchtigt, andere zu spüren. Mein Fehler.« Sie setzte sich in Bewegung, um den bewusstlosen Schnapphund zu packen und ihn zur Rückseite der Kammer zu ziehen. »Ich werde ihn fesseln. Nimm du alles auf.«
In einer düsteren Lagerhalle am Südende der Anlage starrte Myri die Regale voller Kisten mit Blastergewehren, Energiepacks und Granaten an. Für jemanden wie Myri, die hin und wieder Gefallen an Chaos fand, solange es nur laut war, war der Raum ein Spielzimmer stummer Versprechen. Dann fiel ihr auf, dass Trey verstummt war, sich vorbeugte und seine Stirn gegen eine massive, verschlossene Transparistahlvitrine drückte. Myri trat vor, bis sie sein Gesicht sehen konnte. »Vier? Du siehst plötzlich aus, als würdest du am liebsten losheulen.«
»Ja, dieser Anblick treibt einem wahrlich die Tränen in die Augen.« Er wich von der Vitrine zurück und beleuchtete mit seinem Glühstab den Inhalt.
Die Vitrine verfügte über zwei Regalbretter, die ebenfalls aus Transparistahl bestanden. Auf dem oberen befanden sich zwei silberne, schüsselartige Ständer, und in jedem davon ruhte eine Kugel von der ungefähren Größe einer geballten menschlichen Faust – eine Kugel mit Einstellrädern und einem hineindrückbaren Knopf.
Myri starrte ihren Fund einen Moment lang an, ehe sie die Hand vor den Mund schlug, um ein Keuchen zu unterdrücken. »Thermaldetonatoren.«
»Und sogar zwei davon.« Treys Stimme klang beinahe entzückt. »Zwei, die muss ich mitgehen lassen!«
»Ist diese Vitrine irgendwie gesichert?«
»Sieht aus wie … Ja, und das nicht zu knapp.« Trey studierte den Verschlussmechanismus, der aus Durastahl bestand und nicht transparent war. Er kauerte sich hin, um ihn näher in Augenschein zu nehmen.
»Die willst du doch bloß für dich selbst.«
Er stand auf, legte sich einen Finger an die Lippen und ging so leise wie möglich wieder zu ihr hinüber. Er drehte sie in Richtung Ausgangstür und ging voraus. Er schob die Tür von Hand auf – sie hatten sich einen Moment genommen, um die Bewegungssensoren der Tür zu deaktivieren –, überprüfte den Hauptkorridor dahinter und führte sie nach draußen. Erst, als sich die Tür wieder geschlossen hatte, ergriff er das Wort. »Im Sicherheitssystem der Vitrine ist ein Abhörgerät installiert.«
Myri spürte, wie sie ein kalter Schauder durchfuhr. »Dann ist der Sicherheitsdienst der Basis also bereits unterwegs zu uns …«
»Das denke ich nicht. Diese Art von Gerät ist nicht sonderlich ausgefeilt. Ich wette, es hat lediglich registriert, dass jemand in der Nähe der Vitrine gesprochen hat, und diesen Umstand an den zentralen Sicherheitscomputer übermittelt. Das Gerät hat also vermutlich dem Zentralrechner bloß etwas mitgeteilt wie: Das war hier ein bisschen seltsam gerade.«
Myri atmete erleichtert auf. »Aber solange auf dem Stützpunkt nicht noch etliche andere Seltsamkeiten passieren …«
»… wird sich der Computer kaum sagen: Hier geht irgendetwas Komisches vor. Ich sollte lieber alle aufwecken.«
»Dann sollten wir dafür sorgen, dass das so bleibt.«
»Gute Idee, Drei.«
Als sie weiter vorrückten, stießen sie auf weitere Lagerhallen, beide leer und staubig, und auf einen Schlafsaalblock – zwei große Kammern für Männer, eine für Frauen, allesamt dunkel, aber mit einigen Leuten belegt. Myri konnte den regelmäßigen Atem der Schlafenden hören. Eine Tür weiter den Gang runter führte in einen Gemeinschaftswaschraum. Myri konnte das Zischen und den feuchten Luftstrom von einer altmodischen Wasserdusche wahrnehmen – der alte Stützpunkt verfügte über nichts so Modernes wie eine Sanidusche. Sie und Trey schlichen daran vorbei, ohne die Aufmerksamkeit des oder der Soldaten zu erregen, die sich darin befanden.
Im letzten Seitengang, bevor der Hauptkorridor endete, entdeckten sie den Zellblock. Der Tunnel war nicht groß, bloß drei Meter breit und drei Meter hoch, gesäumt von Metalltüren. Jede Tür war auf Hüfthöhe mit einem metallenen Querbalken gesichert und wies in Kopfhöhe eine mit Metallgitter versehene Öffnung auf, durch die etwas Luft und Licht in die Zelle dringen konnten. Nur hinter einer einzigen Tür – die, die am weitesten vom Hauptkorridor entfernt war – brannte Licht.
Trey warf einen Blick auf sein Chrono. »Nicht mehr lange, bis wir uns wieder mit den anderen treffen sollen, und wir haben sämtliche Beweise, die wir brauchen. Der Privatbesitz von Thermaldetonatoren ist ziemlich illegal. Deutet auf terroristische Absichten hin.«
»Hör zu, all unsere Aufnahmen erklären aber nicht, warum wir bei der Erkundung dieses ganzen riesigen Dings bloß zwei Schnapphunden aus dem Weg gehen mussten. Oder warum wir immer wieder auf abgeriegelte, leere Schlafsäle und Offiziersquartiere stoßen. Je weiter wir uns vom zentralen Schacht entfernen, desto verlassener ist die Anlage. Warum?«
»Weil niemand gern dicht bei zwei Thermaldetonatoren lebt?«
»Nette Antwort, aber dafür brauche ich eine Bestätigung – und zwar die Art von Bestätigung, wie sie uns bloß ein williger Zeuge verschaffen kann. Beispielsweise ein Gefangener.«
Trey seufzte. »Beeilen wir uns.«
Sie huschten lautlos den Korridor entlang und verharrten draußen vor der Tür, die erkennen ließ, dass im Raum dahinter Licht brannte. Beide nahmen sich viel Zeit, um die Außenseite der Tür und die umliegenden Wände nach Holokameras und Abhörmikrofonen abzusuchen, aber da waren keine. Tatsächlich wirkte alles hier ausgesprochen primitiv – die Türen waren vor langer Zeit mit Lasern aus dem Felsgestein geschnitten worden, und die Türen und Angeln bestanden aus schwerem Durastahl in Rüstungsqualität.
Während Trey den Schließmechanismus der Tür in Augenschein nahm – ein großes Metallschloss, primitiv, aber wirkungsvoll, das über die Mitte des metallenen Querbalkens verlief, der die Tür an Ort und Stelle hielt –, richtete Myri sich auf Zehenspitzen auf, um durch das Metallgitter zu spähen. Ja, das Innere der Kammer war erhellt, und Myri konnte zwei Polsterstühle mit einem niedrigen Tisch dazwischen erkennen, auf dem ein rasterförmiges Spielbrett lag. Auf jedem der Stühle saß ein Mann, beides Duros mit großen schwarzen Augen und grauen Gesichtszügen. Einer von ihnen schaute just in dem Moment von dem Spiel auf, um zur Tür hinüberzusehen, als Myri ihn erblickte. Hastig zog sie den Kopf ein.
Eine Stimme drang durch das Gitter, dünn, aber wohlklingend. »Wer ist da draußen?«
Trey starrte mit finsterer Miene zu Myri empor. »Verstohlenheit ist nicht unbedingt eine deiner Stärken.«
»Vier, mir ist aufgefallen, dass du nie zweimal mit demselben Teammitglied auf Missionen wie diese gehst. Diplomatie ist also offenbar nicht unbedingt eine deiner Stärken.« Myri stellte sich wieder auf die Zehenspitzen und hielt den Mund dicht an das Gitter. Ihre Antwort war ein Flüstern: »Seid leise, wenn ihr leben wollt.«
»In Ordnung.«
Trey gab einen leisen, angewiderten Laut von sich. »Diese Kerle machen mich krank. Die Typen, die diesen Knast betreiben, meine ich. Das hier ist ein primitiver Alptraum. Nicht die geringste Sicherheitstechnik. Das Schloss und die Endkappen verhindern, dass sich der Balken bewegen lässt. Das Schlüsselloch ist für einen großen, einfachen Metallschlüssel. Mit gewöhnlichen Dietrichen lässt sich dieser Mechanismus nicht knacken. Und selbst falls es mir gelingt, das Schloss zu entriegeln, hat dieser Balken ein Gewicht von hundertfünfzig Kilo. Die Schnapphunde müssen einen Lastenheberdroiden einsetzen, um ihn zu bewegen.«
Myri legte ein wenig liebreizend klingenden Spott in ihre Stimme. »Ein großer, starker Mann wie du kann doch wohl hundertfünfzig Kilo stemmen.«
»Natürlich kann ich das. Allerdings dachte ich dabei eher an jemanden mit durchschnittlicheren Fähigkeiten – an jemanden wie dich, zum Beispiel.«
»Ooh, dafür wirst du büßen!«
»Hätte ich das Lichtschwert von Fünf, könnte ich uns den Weg durch die Tür in sechzig Sekunden freischneiden.«
»Entriegel einfach die Tür, Vier.«
»Ja, ja.« Trey dachte einen Moment lang nach, ehe er seine Vibroklinge aus der Hüftscheide zog. »Gib mir dein Messer.«
»Du hast doch dein eigenes.«
»Ich brauche beide. Um sie auseinanderzunehmen.«
»Ah.« Sie zog ihre Waffe aus der Scheide und reichte sie ihm.
Während Myri sowohl ihn als auch den Korridors ringsum im Auge behielt, baute Trey die Vibromesser auseinander und entfernte die Metallklingenkomponenten, die selbst dann noch mit reduzierter Effizienz zustechen und schneiden konnten, wenn der Ultraschallverstärker oder die Batterie der Waffe versagten, von der Elektronik. Er ließ beide Klingen in die Schlüsselöffnung gleiten, stocherte damit herum und bewegte sie hin und her.
Zwei Minuten später ertönte ein für Myris Geschmack viel zu lautes Klack, und Trey zog die Klingen heraus, die jetzt verbogen und schartig waren, die Schneiden ruiniert. Er ließ sie in seinen Rucksack fallen und klappte den Hauptteil des Schlosses nach oben, sodass er den Balken nicht länger hielt. Er stand auf und beugte sich vor, um den Metallbalken zu packen; beide Hände schlossen sich um die Unterseite. Mit einem Schnaufen richtete er sich auf, wuchtete den Balken von seinen Halterungen und trug ihn ein paar Meter an der Wand entlang. Mit ähnlicher Vorsicht setzte er ihn wieder ab und machte dabei weniger Lärm, als es das Schloss getan hatte.
Myri zog ihren Blaster. Sie wartete, bis Trey ihrem Beispiel gefolgt war. Dann zog sie vorsichtig die Zellentür auf.
Das gleißende Licht von Glühstäben fiel in den Gang hinaus. Ein rascher Blick in die Zelle zeigte Gemeinschaftsraummöbel und mit Computerausrüstung beladene Beistelltische. Die Stühle, die darauf sitzenden Duros und der Spieltisch waren unverändert. Die beiden Männer starrten Myri mit ihren großen, dunklen, fremdartigen Augen an. Ihre Mienen waren ausdruckslos.
Myri betrat die Kammer. Von ihrem neuen Standpunkt aus konnte sie Seitentüren erkennen, die vermutlich in Nebenräume führten.
Trey kam hinter ihr herein, zog die Tür zu und drückte sein Gesicht gegen das Gitter, um das Geschehen draußen im Auge zu behalten.
Myri senkte den Blaster gerade genug, dass sie nicht direkt auf einen der Duros zielte. Die Männer trugen orange-gelb gestreifte Overalls, die in jeder Umgebung leicht auszumachen waren, typisch für Gefangene.
Myri kannte sich ein wenig mit Duros-Physiologie aus, zumindest genug, um das Alter bestimmen zu können. Sie wandte sich an den älteren Mann, der durch die zusätzlichen Runzeln im Gesicht und seine etwas blassere Hautfarbe als solcher zu erkennen war. »Wer sind Sie?«
»Mein Name ist Usan Joyl. Wer sind Sie?«
Myri spürte, wie ihr die Kinnlade nach unten klappte. »Usan Joyl?«
Der Duros schüttelte den Kopf. »Nein, das bin ich.«
Trey warf Myri einen Blick zu. »Wer ist Usan Joyl?«
»Das bin ich.«
»Er ist … Er ist …« Myri ertappte sich dabei, dass sie drauf und dran war zu stammeln. Sie versuchte, ihre Emotionen in den Griff zu bekommen. Sie war umgeben von Berühmtheiten aufgewachsen, doch die meisten davon waren keine Künstler. »Er ist ein Meister im Erstellen falscher Identitäten. Vielleicht der berühmteste, der überhaupt lebt. Auch wenn wir nicht mit Sicherheit wussten, ob er noch lebt. Er verschwand vor einigen Jahren. Wir nahmen an, dass er sich eine neue Identität zugelegt und sich zur Ruhe gesetzt hat.«
Die Stimme des Duros blieb freundlich. »Ich werde mich niemals zur Ruhe setzen. Lieber würde ich sterben, als mich zur Ruhe zu setzen. Allerdings bin ich bloß in bestimmten Kreisen eine Berühmtheit. Wer sind Sie?«
»Ich bin … ein Schützling von Booster Terrik. Ich wurde nach seiner Tochter benannt. Ich halte sechs Abräumrekorde auf dem Fliegenden Händler.«
»Ah.« Endlich klang Usan Joyl zufrieden. Er stand auf, verneigte sich und nahm wieder Platz. »Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Enkelsohn Dashan vorzustellen. Er ist genauso geschickt, wie ich es mit vier war.«
Der jüngere Duros drehte ruckartig den Kopf, um den älteren anzusehen. Myri hatte den Eindruck, als würde er ihn finster anstarren, doch er sagte bloß: »Als du in meinem Alter warst, warst du schon zweimal im Gefängnis. Meine Akte ist sauber.«
»Damals liefen die Dinge anders, Kindchen.« Usan wandte sich wieder an Myri. »Können wir Ihnen etwas Kaf anbieten?«
»Nein danke. Ich nehme an, Sie sind Gefangene von General Thaal. Kann ich Ihnen bei der Flucht behilflich sein?«