THIS AIN’T A LOVE SONG

Every night I remember that event
The way you looked when you said you were leaving
The way you cried as you turned to walk away
The cruel words and the false accusations
The mean looks and the same old frustrations
I never thought that we'd throw it all away
But we threw it all away.

Ja, die Zeit allein mit Gabe hatte mich über so einiges nachdenken lassen.

Zum Beispiel, das meine wenigen Sachen, die ich vor drei Monaten mitgenommen hatte, allesamt noch bei Chilali im Gästezimmer lagen.

Oft war ich versucht in meinem

Geburtstagsgeschenk von Chilali zu lesen, hatte mich dann aber doch eines besseren besinnt.

Als ich nun so in der Küche stand und mir ein Erdebeermarmeladenbrot mit extra viel Marmelade schmierte sah ich aus dem Fenster in den Vorgarten. Ich konnte sehen, wie eine Gestalt auf uns zuflog und meine Aufregung legte sich erst wieder, als ich sie als Nakisa entzifferte.

Nakisa war in den drei Monaten unser einziger Kontakt gewesen, sie hatte uns Kleidung und Nahrung, Unterhaltung und Neuigkeiten gebracht. Das war meist ein Highlight, denn sosehr ich auch in meinen Gabriel verliebt war, so eintönig wurde das Leben hier mit der Zeit.

Ich ging zur Tür, nicht ohne mein Brot, biss einmal herzhaft ab und öffnete die Tür.

Nakisa landete gerade auf der Marmortreppe und lächelte mich an.

Sie warf einen verstohlenen Blick auf meinen Bauch bevor sie mich umarmte und trat schließlich ein.

Das Haus war zwar groß, aber es mussten schon mehr als 12 Zimmer und ein riesen Garten kommen, damit mein Verlobter nicht von allem wusste.

Und schon stand er oben an der Treppe, die von der Eingangshalle zu den Zimmern führte.

Er umarmte Nakisa ebenfalls, als er neben uns stand und wir gingen in Richtung Küche.

Mein Lieblingsraum, nebenbei bemerkt.

Es war so schön hell und man konnte manchmal Rehe im Vorgarten beobachten.

Und der Kühlschrank war in Reichweite…

Wir setzten uns an den großen Eichentisch und warteten, was Nakisa zu berichten hatte.

Sie legte auch gleich los.

„In den letzten Wochen ist es sehr still um Luzifer geworden, es hat keine Überfälle mehr gegeben, und auch keine Anschläge auf Michael, Jophiel und Gabriel.

Er scheint zu warten. Wir wissen nur nicht worauf. Auf jeden Fall heißt das für euch meine Freunde, dass ihr…“, sie machte ein dramatische Pause, „wieder nach Hause könnt!“

Ich lachte.

DAS war wirklich die beste Nachricht, die ich in letzter Zeit zu hören bekommen hatte.

Wir standen wieder vor der großen Eichentür der Akademie und mein Herz klopfte wie wild in freudiger Erwartung.

Als Ich den kleinen Schlüssel im winzigen Schlüsselloch umdrehte hörte ich schon Schritte hinter der Tür. Ich zog die Tür auf und sah Marissa vor mir stehen. Sie strahlte und als sie mich genauer betrachtete kreischte sie.

Aber vor Freude nehme ich an.

Sie fiel mir glücklich um den Hals.

Als sie sich Gabe zuwandte hob sie belehrend den Zeigefinger.

„Du kleiner Schlingel, was hast du denn mit meiner Josie gemacht!?“

Sie lachte und umarmte ihn ebenfalls.

Das es erst 9 Uhr morgens war hinderte sie nicht durch die Eingangshalle zu hüpfen und alle anderen zusammenzurufen. Nach einem herzlichen

Wiedersehen, viel Gekreische um meinen

Babybauch und endlos vielen Umarmungen ging ich ins Wohnzimmer und setzte mich auf die große Couch, die ich so vermisst hatte.

Wir hatten auf ihr schon endlos viele Videonächte durchgemacht und mindestens genauso oft mussten wir Chipskrümel aus den Sofaritzen fischen.

Ich lehnte den Kopf an die Wand und schloss die Augen. Ich fühlte wie sich etwas Weiches und Warmes auf meine Hand legte und sah hinunter.

Es war Crispy, der mir freudig die Hand ableckte. Ich nahm ihn auf die eine Hand und kraulte ihn mit der anderen hinter seinem Ohr.

Das liebte er.

Dann legte ich ihn in meinen Schoß, wo er sich zusammenrollte und ebenfalls die Augen schloss. Ich weiß nicht wie lange ich so dasaß, aber ich hörte Schritte und sah hoch.

Shannon stand vor mir und sah mich aus großen Augen an.

Dann kam sie neben mich und flüsterte mir etwas ins Ohr.

„Josie, ich muss dir etwas zeigen, es geht um mein Geheimnis…“, Sie deutete auf die Küchentür.

Ich hob Crispy hoch, und setzte ihn auf ihre Schulter. Dort legte er sich wie ein Schal um ihren Hals und schloss wieder die Augen.

Ich folgte Shannon in die Küche.

Sie ging zu einem der Schränke und holte den Wasserkocher hervor.

Sie fühlte Wasser hinein, drückte den Knopf und holte eine Glasschüssel aus einem anderen Schrank. Als das Wasser kochte füllte sie es in die Schüssel und stellte diese neben dem Kamin auf den Boden. Ich hatte ihr bis jetzt schweigend zugesehen.

Sie setzte sich vor den Kamin und bedeutete mir es ihr gleich zu tun.

„Guck“, flüsterte sie.

Sie legte eine Hand über das kochende Wasser und die andere hielt sie vor den Kamin.

Dann schloss sie die Augen und schien sich zu konzentrieren. Ich sah wie das Wasser gefror und sich ein kleines Feuer im Kamin entfachte.

Ich keuchte. Ich hatte zwar viel mit ihr geübt, aber wir hatten nie mehr geschafft, als Kerzen anzuzünden.

Aber jetzt verstand ich.

Es war nie genug Wärme in der Luft gewesen. Shannon konnte Wärme absorbieren und wieder abgeben. Darum war das Wasser jetzt auch gefroren. „Shay, das ist ja super! Dann hast du jetzt ja endlich herausgefunden, wie du noch mehr Energie erzeugen kannst. Geht das jetzt auch wieder rückgängig, also, dass du das Wasser zum Kochen bringst und das Feuer ausmachst?“

Sie nickte und führte es mir vor.

Ich klatschte in die Hände und umarmte sie.

Und glaubt mir, mit einem fünf Monate Bauch, auf dem Boden sitzend und vor Müdigkeit überquellend, war das eine Leistung.

Verdammter Jetlag!

Ich streichelte Crispy noch einmal kurz über die Nase und stand auf.

„Ich glaub ich ruh mich ein bisschen aus…“

Als ich schon auf dem Weg in mein Zimmer war überlegte ich es mir anders und ging zu Gabe.

Mir war eine wichtige Frage in den Sinn gekommen, die mich in der letzten Zeit viel beschäftigt hatte.

Ich nahm all meinen Mut und beschloss ihn einfach zu fragen. Ich klopfte an, aber niemand antwortete. Ich zuckte mit den Schultern und trat ein.

Die Wohnung war leer.

Ich sah auch im Bad nach, aber Gabe war weg.

Auf seinem Bett lag aber eine Notiz.

Ich hob die Augenbrauen und las.

Bin einkaufen, komm in ca. 20 min wieder (9 ²¹)

Gabe

Ich sah auf meine Uhr.

Halb Zehn.

Also gut, ich warte.

Ich machte es mir auf seinem Bett bequem und schloss die Augen.

Ich summte gerade die Melodie von Hier kommt die Braut als ich hörte wie die Tür aufging.

„Hey Gabe, bist du das? Ich muss mit dir über die Hochzeit reden!“

Ich stand auf um ihn zu begrüßen, aber als ich ins Wohnzimmer kam, war es nicht Gabriel der in der Tür stand sondern ein Mädchen, das ich nicht kannte. Sie sah mich geschockt an, so als wäre nicht sie, sondern ich die Fremde hier im Haus.

Ich muss zugeben, sie war eine imposante Erscheinung.

Sie hatte lange schwarze Haare, die ihr bis auf die Hüfte hinab fielen, in die, ähnlich wie bei Chilali, bunte Bänder und Perlen eingeflochten waren.

Ihre Kleidung war die einer Zigeunerin, sie hatte eine schulterfreie weiße Bluse an, die von vielen goldenen und kupfernen Ketten verdeckt wurde.

Ich erkannte, dass es viele verschiedene Uhren waren. Dazu trug sie einen lila farbenen bodenlangen Rock, dessen Saum von einer goldenen Borte verziert war.

Sie hatte sich ein grünes Seidentuch um die Hüfte geschlungen und mit einem dicken Lederband, das wohl als Gürtel diente verknotet.

An ihrem Gürtel hingen viele kleine Säckchen in den verschiedensten Formen und Farben.

Doch entgegen dieser Aufmachung wirkte ihr Gesicht vollkommen normal, nicht außerordentlich schön, oder außerordentlich hässlich.

Überhaupt nicht außerordentlich.

Bis auf ihre Augen. Es waren die grünen Augen einer Katze, die in diesem Moment verwirrt durch den Raum starrten und vermutlich nach Gabe suchten.

Ich versuchte es mit reden.

„Sorry, ich dachte, du wärst Gabe… Kann ich dir weiterhelfen. Ich bin Josie. Suchst du jemanden?“ Ich machte ein optimistisches Gesicht, das alles und nichts sagte. Lachen war auch eine Art Pokerface, und ich hatte keinen Grund ihr zu vertrauen.

Sie musterte mich kurz und schien beschlossen zu haben, mich mit ihrer Stimme zu beehren.

„Mein Name ist Cadence. Aber was machst du in seinem Zimmer? Warum bist du hier? Und ja, ich suche jemanden. Kannst du mir sagen wo Gabriel ist?“

Sie hatte eine angenehme Stimme, das muss ich zugeben.

„Nun, ich denke ich habe mehr Recht hier zu sein als du meine Liebe“, dabei wedelte ich mit meinem Verlobungsring vor ihr herum,

„und Gabe ist momentan nicht hier, er kauft ein.“ Ich lachte immer noch, und versuchte sie meinen Ärger nicht spüren zu lassen.

Was bildet die sich ein.

So mit mir zu reden.

Ts, ts.

Sie warf einen Blick auf meine Hand und meinen Babybauch.

Dann schluchzte sie.

Sie ließ sich auf einen Sessel fallen und blickte auf den Couchtisch.

Da bemerkte ich, dass noch Bilder auf dem Tisch verstreut lagen, die Gabe und Ich vor unserem „Urlaub“ durchgesehen hatten.

Es waren Bilder von ihm und mir in Disneyland, oder auf einer Bootstour mit J.D. und Mari.

Eines meiner Lieblingsbilder war das, von unserem Verlobungstag.

Wir waren im Central Park gewesen.

Es war ein sonniger Tag und wir alle machten dort ein Picknick.

Also alle.

Die ganze Akademie.

Nach dem Essen bin ich auf dem Bauch liegend eingeschlafen.

Da hat Gabe mir mit Sonnencreme „Marry me“ auf den Rücken geschrieben und ein Polaroid davon gemacht.

Dann hat er mich geweckt und mir einen Umschlag und ein Kästchen gegeben.

Ich sollte den Umschlag zuerst öffnen und dann das Kästchen.

Natürlich bin ich total ausgeflippt!

Tja, und das Polaroid hab ich immer noch.

Süß, oder?

Das Mädchen schien das anders zu sehen, denn nun war sie Tränen nahe.

Sie hielt ein paar der Bilder in den Händen und schluckte. Plötzlich fasste sie sich und sie blickte mich hasserfüllt an.

„Wie kannst du nur?! Gabriel und ich waren für einander bestimmt. Alle haben das gesagt. Und jetzt hast du ihn mir einfach weggenommen!“

Jetzt wurde ich aber langsam auch sauer.

„Tja, Pech gehabt. Wenn er dich nicht wollte ist das nicht meine Schuld. Er gehört jetzt mir. Ich bin die mit dem Ring, also lass uns in Ruhe!“

Ich war kurz davor zu schreien.

„Ja, das passt zu dir.

Sag mir Josie, wolltest du jemals alleshinschmeißen?

Hast du dich jemals ausgeschlossen gefühlt, als würdest du irgendwie nicht dazu gehören und niemand dich verstehen?

Wolltest du schon mal vor all dem wegrennen, aber hast dich nicht getraut?

Hast du dich schon mal in deinem Zimmer eingeschlossen und das Radio so laut gestellt, dass dich niemand schreien hört?

Nein, du hast keine Ahnung, wie es ist, wenn nichts sich richtig anfühlt, hast keine Ahnung wie es ist Ich zu sein: Verletzt zu sein, verloren zu sein! In der Dunkelheit allein gelassen zu werden. Getreten zu werden, wenn du am Boden bist! An der Kante zu stehen und keiner ist da um dich zu retten…

Nein du hast keine Ahnung was es heißt Ich zu sein. Willkommen in meinem Leben! Aber wie könntest du mich verstehen? Unsere kleine Miss Eitelkeit kriegt immer was sie will.

Du musstest wohl noch nie für etwas arbeiten.

Dein Leben war bestimmt immer ein Ponyhof und du die Hauptperson.

Und dir fällt nichts Besseres ein, als mir den einzigen Menschen wegzunehmen, dem ich je etwas bedeutet habe.

Soll ich dir meine Geschichte erzählen?

Sie wird dir nicht gefallen, denn du kommst nicht darin vor. Das Ganze ist lange her, als ich ungefähr fünf war. Meine Mutter war längst tot und ich lebte mit meinen vier Brüdern und meinem Vater zusammen in Connecticut.

Meine Kindheit war ein Fluch, denn weißt du was? Ich bin eine Hexe, aber das Gen kann nur an weibliche Nachfahren vererbt werden und all meine Brüder blieben verschont.

Aber mich haben immer alle anders behandelt.

Die Kinder haben mi Steinen nach mir geworfen, weil ihre Eltern Angst vor mir hatten.

Und eines Tages, als ich wieder wegrennen musste, stellte sich den Kindern jemand in den Weg und rettete mich.

Er war mein Schutzengel, noch mehr noch, als ich seinen Namen erfuhr.

Gabriel.

Ich fragte ihn, ob seine Eltern keine Angst vor mir hätten, weil ich doch eine Hexe war.

Daraufhin sagte er, dass seine Eltern sich niemals vor einer Hexe gefürchtete hätten, denn sie waren Nephilim gewesen, „und die fürchten sich vor gar nichts.“ Er erklärte mir stolz, dass Nephilim nicht nur die Bösen zur Strecke brachten, sondern auch die Guten beschützten, also wollte er mich beschützen. Ich war überglücklich, denn seit diesem Tage haben die Kinder mich nie beworfen, wenn Gabriel bei mir war.

Umso schöner die Zeit mit Gabriel wurde, umso schlimmer war die Zeit ohne ihn, wenn ich zuhause bei meiner sogenannten Familie war.

Ich wurde älter und mächtiger.

Mein Vater fürchtete mich sosehr, dass er mich mit Gewalt unter Kontrolle zu halten versuchte, während meine Brüder mich und meine Fähigkeiten für die schlimmsten Dinge missbrauchten.

Sie gaben mir deutlich zu verstehen, dass ich für sie keine Schwester war, und sie mich nicht in der Familie wollten.

Jeden Tag musste ich mich überwinden wieder nach Hause zu gehen, und es ist einzig und allein Gabriel gewesen, der mir die Kraft dazu gab.

Mit fünfzehn bin ich schließlich von zuhause weggelaufen. Ich versuchte alles um bei Gabriel leben zu können, aber sein Mentor war streng. Trotzdem schlief ich heimlich in seinem Zimmer und natürlich sah ich ihn tagsüber.

Diese Zeit war die schönste meines Lebens.

Und dann hat das Schicksal mir wieder alles zerstört. Mir war viel durch den Kopf gegangen und so saßen wir beide im Park beim Picknick.

Und dann fragte ich ihn, ob er nicht auch manchmal davon träumte eine eigene Familie zu haben, zu heiraten. Er sah mir tief in die Augen. Lange.

Und ich wusste, er hatte die Anspielung verstanden. Und als er schließlich sprach war seine Stimme voller Traurigkeit.

„Es tut mir Leid, Cady, aber ich habe nicht vor jemals zu heiraten, oder Kinder zu kriegen. Sieh uns doch an. Als Nephilim lebt man ein gefährliches, meist kurzes Leben, und als Hexe sowieso.

Das möchte ich keinem Kind antun.

Ich weiß, wie es ist ohne Eltern aufzuwachsen. Es verändert dich für immer. Es tut mir wirklich leid…“

Ich bin damals weggerannt.

Ich habe das alles hinter mir gelassen.

Gabriel, mein altes Leben und mein gebrochenes Herz.

Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen.

Aber ich dachte, vielleicht kann ich dennoch mit ihm zusammen leben, wenn wir auch niemals heiraten.

Darum bin ich jetzt zurückgekommen.

Und was muss ich jetzt hier sehen. Dieses Brünette Flittchen, für die er all seinen Prinzipien über den Haufen geworfen hat!“

Ich hatte während ihrer Erzählung beschämt die Augen zugekniffen.

Scheiße, das hatte ich nicht kommen sehen.

Aber ihre Beleidigung holte mich wieder zurück. „Was redest du da für eine Scheiße, mein Leben ist einiges aber definitiv kein Ponyhof. Ich bin auch eine Waise. Wusstest du das? Nein!

Denn du interessierst dich hier überhaupt nicht für meine Version dieser Geschichte.

Alles, worum es sich bei dir dreht bist du, du und nochmals DU! Und noch etwas niemand, und ich meine NIEMAND nennt mich Flittchen unter meinem Dach!“

Ich wurde aufbrausend und wusste trotzdem nicht, was ich tun sollte.

„Sag mal, wie bist du eigentlich hier reingekommen?!“

Sie sah mir tief in die Augen und ich wiederstand dem Drang den Blick abzuwenden.

„Ich weiß nicht, wie du in Häuser reinkommst, aber ich habe geklingelt und mir wurde aufgemacht…“ Ich verdrehte demonstrativ die Augen.

„Ich weiß, wie man in ein Haus reinkommt, aber was ich meinte ist, wie hast du herausgefunden, wo Gabe wohnt?“

Jetzt war sie dran mit Augen verdrehen.

„Natürlich hat er es mir gesagt. Vor einem halben Jahr habe ich versucht mit ihm Kontakt

aufzunehmen, und später haben wir uns dann Briefe geschrieben. Daher wusste ich auch, wo er wohnt.“ Davon wusste ich nichts.

Er hätte es mir doch sicherlich erzählt, wenn er mit einer alten Freundin wieder Kontakt aufgenommen hätte. Aber, wieso hat er es dann nicht getan.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten.

Erstens, Cadence lügt, Zweitens, Gabe hat es mir verschwiegen. So gern ich es mir anders gewünscht hätte, und auch wie unwahrscheinlich ich es fand, so musste ich zugeben, dass Cadence keinen Grund hatte zu lügen und Gabe es mir wohl verschwiegen hatte. Das machte mich traurig.

Ich meine ich bin keine dieser Kontrollfreaks, die über alles, was ihr Partner tut Bescheid wissen müssen, aber wenn er glaubt, dass er Cadence vor mir Geheim halten muss, dann muss da einfach mehr passiert sein, als Cadence mir gesagt hat.

Aber gut, vergangenes ist vergangen und solange er ihr nur Briefe geschickt hat, ist das für mich in Ordnung.

Glaube ich.

Während ich noch in Gedanken versunken war redete Cadence weiter.

„Tja, und dann haben wir uns in Esmeras verabredet, als Gabriel für 2 Wochen geschäftlich dort war. Aber als ich mich dann mit ihm in einem Café treffen wollte ist er nicht aufgetaucht.

Also war ich für zwei Wochen erst mal beleidigt und habe ihm keine Briefe mehr geschrieben, aber schließlich konnte ich ihn doch nicht vergessen und habe wieder versucht Kontakt aufzunehmen, aber er hat nicht geantwortet.

Als er mir nach zwei Monaten immer noch keinen Brief geschickt hat, kam mir die Idee in doch einfach zu Besuchen.

Bis ich allerdings den Mut dazu aufgebracht hatte ist noch ein bisschen Zeit vergangen.

Aber jetzt bin ich hier! Und weißt du was, er hat dich kein einziges Mal erwähnt.

In den ganzen 6 Monaten hat er niemals von seiner Verlobten gesprochen.“

Ich war vollkommen verwirrt, dass er ihr nicht mehr geschrieben hatte erklärte ich damit, dass wir zusammen in der Villa untergetaucht waren.

Aber warum hatte er mir nicht gesagt, dass er sich mit ihr in Esmeras hatte treffen wollen?

Und warum war er dann doch nicht gekommen?

Das machte doch alles keinen Sinn!

Ich lies mich auf das Sofa fallen und legte die Hände in den Schoß.

Und warum hatte er mich ihr verschwiegen.

Das machte noch weniger Sinn!

Alles was ich jetzt noch tun konnte war darauf zu warten, dass Gabriel nach Hause kam.

Ich beschloss Cadence zu ignorieren und sah mich beiläufig in dem Zimmer um, dass mir so vertraut war, wie mein eigenes.

Mein Blick schweifte über ein Bücherregal, eine Zimmerpflanze und schließlich den Schreibtisch. Oben auf lag die Post, die Gabe bekommen hatte, während er abwesend war.

Ich stand auf und näherte mich dem Schreibtisch. Ich hob den erst besten Brief auf, den ich fand und las den Absender.

In ordentlicher Schrift stand darauf geschrieben

Cadence Muinela

1834 Radcliffe Ave, NY

U.S.A

Die Radcliffe Ave…

Soweit ich wusste war die entweder im Bronx oder sehr nah dran…

Muinela, woher dieser Name wohl kommt?

Aber ich konnte es nicht mehr leugnen.

Der Poststempel war von vor einem Monat.

Sie hatte ihm tatsächlich geschrieben.

Aber das heißt natürlich nicht, dass alles was sie sagt wahr ist. Vielleicht schickt sie Gabe schon seit Monaten Terrorbriefe, die er schon gar nicht mehr liest. Oder vielleicht er wollte sich gar nicht mit ihr treffen und sie hat ihn nur zufällig in Esmeras gesehen. Oder vielleicht messe ich all dem hier viel zu viel Bedeutung bei.

Einfach zu viele Vielleichts für meinen Geschmack. Ich versuchte mich auf andere Dinge zu

konzentrieren und beschloss, wieder mit Cadence zu reden.

„Woher kommt der Name Muinela?“

Ich sah sie dabei nicht an, sondern fuhr mit der Hand über den restlichen Stapel Briefe.

„Es ist der Name meiner Mutter, sie kam vor 30 Jahren aus Rumänien hierher, denn als Hexe war sie dort nicht mehr sicher. Hier hat sie dann meinen Vater kennengelernt. Nachdem ich weglief habe ich ihren Namen wieder angenommen.

Ich bin stolz auf das Erbe meiner Mutter.

Das weiß ich jetzt.“

Ich wusste nicht, wieso sie mir das alles erzählte.

Sie hätte genauso unfreundlich wie ich sein und entweder nur Rumänien oder gar nichts sagen können.

Stattdessen erzählte sie mir von ihrer Mutter.

Ich konnte mir nicht vorstellen, was sie damit bezweckte.

Langsam wurde ich müde. Ich drehte mich schließlich zu Cadence um, die mich ebenfalls nicht angesehen, sondern ein paar der Fotos vom Tisch in der Hand hatte.

„Kannst du mir sagen, wie viel Uhr es ist“, sagte ich mit einem Blick auf die ganzen Uhren, die sie um den Hals trug.

Jetzt lächelte sie schief und sah mich an.

Sie warf einen flüchtigen Blick auf die golden und kupfern glänzenden Ketten und zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß nicht.“

Ich zog verwirrt die Augenbrauen zusammen und ging näher auf sie zu.

Ich griff nach einer schmucklosen kupfernen Uhr. Das Zifferblatt war vollkommen leer und ein einzelner Zeiger drehte mit einem leisen Klicken seine Runden.

Verdutzt griff ich nach einer weiteren Uhr.

Sie war Gold und hatte diesmal ebenfalls nur einen Zeiger und keine Ziffern.

Und trotzdem konnte ich sie ticken hören.

All ihre Uhren waren aufgezogen.

„Wieso haben deine Uhren keine Ziffern und nur einen Zeiger, wie willst du denn dann die Zeit wissen?“

Sie sah mich mit einem geheimnisvollen Blick an. „Nun, ich sage es mit den weisen Worten Ernst Blochs: Die Zeit ist eine Uhr ohne Ziffern.“ Während ich noch über die Bedeutung dieses Satzes nachdachte hörte ich Schritte auf dem Gang.

Ich war aufgeregt, ich ahnte schließlich, dass Gabe gleich herein kommen würde, und dann konnte ich nur für ihn hoffen, dass er mir beim ersten Blick auf Cadence sofort Alles, und ich meine Alles,

beichtete! Die Türklinke wurde nach unten gedrückt und ich hörte Gabes Stimme

„…wer ist zu Besuch…“, dabei betrat er das Zimmer. Ich konnte hinter ihm einen Blick auf J.D. erhaschen. Gabe hatte mit ihm geredet.

Als mein Verlobter (das Wort hatte einen bitteren Beiklang angenommen) sich umdrehte und Cadence erblickte, weiteten sich seine Augen und er lachte. Mit einem Satz war er bei ihr und umarmte sie.

Ich runzelte die Stirn.

J.D. warf mir einen verunsicherten und beinahe ängstlichen Blick zu, und ich brauchte einen Moment um zu merken, dass er Angst vor mir und meiner Reaktion hatte.

Gabe hielt Cadence immer noch fest umklammert und ich stemmte ungeduldig die Hände in die Hüften und schnalzte mit der Zunge.

Jetzt erst schien Gabe mich überhaupt zu bemerken. Er zuckte leicht zusammen und ließ das andere Mädchen los. Er kam auf mich zu und wollte mich berühren, aber ich streckte nur einen Arm aus, den anderen verschränkte ich vor der Brust und hielt ihn auf Abstand. Er sah mich verwirrt an und öffnete fragend den Mund.

Doch bevor er auch nur ein Wort hätte sagen können hatte ich ein paar von Cadence Briefen gepackt und sie ihm entgegen geworfen.

„Warum hast du mir die ganze Geschichte mit Cadence immer verschweigen?! Sag nichts! Und weißt du was ich noch viel schlimmer finde, warum hast du ihr heimlich Briefe geschrieben und wolltest dich heimlich mit ihr treffen? Es ist doch nicht so, als würde ich dir nicht vertrauen, du kannst du dich mit allen deinen Ex-Freundinnen treffen, wenn es dir Spaß macht, aber du musst das nicht vor mir verheimlichen! Warum hast du mir nicht einfach erzählt, dass du dich mit einer alten Freundin in Esmeras treffen wolltest?

Ich wäre nicht mitgekommen und hätte dir genug vertraut um dich zwei Wochen mit ihr allein zu lassen! Alles was ich über unsere Beziehung dachte hat sich als Lüge erwiesen!

Ich dachte ich könnte dir vertrauen, genauso, wie du mir vertrauen kannst!

Wir wollten uns immer die Wahrheit erzählen!“

Ich drehte mich von ihnen allen weg.

Plötzlich war mir einfach nur schlecht und ich fühlte mich müde. Unglaublich müde und erschöpft.

Ich spürte Gabes Hand schwer auf meiner Schulter lasten.

„Josie, ich würde es dir so gern erklären, aber das kann ich im Moment nicht…Ich will nur“, weiter kam er nicht denn ich hatte sein Handgelenk gepackt und drehte mich wieder zu ihm um.

„Weißt du, Gabriel, ich weiß nicht mehr, ob es eine so gute Idee ist, das mit dir und mir, vielleicht sollten wir uns das Alles noch einmal überlegen“, damit nahm ich seine Hand in meine und sah ihn traurig an. Dann zog ich meine Hand zurück und flüchtete beinahe aus dem Zimmer.

Ich blieb erst stehen, als ich vor meiner Tür stand. Mittlerweile liefen mir die Tränen brennend heiß die Wangen herunter und ich sank vor meiner Tür zusammen.

Ich hielt meine Beine mit den Armen umschlungen und legte meinen Kopf auf meine Knie.

Mein Kopf war völlig leer bis auf einen Gedanken. Verdammte hormonstörende Schwangerschaft.

Gabe blieb völlig verdattert stehen und blickte Josie hinterher. Er sah hinunter auf seine Hand und fühlte etwas Zierliches darin liegen.

Josie musste es ihm vorhin in die Hand gedrückt haben. Er öffnete die Hand und hatte gleichzeitig Angst es zu sehen.

Auf seiner Handfläche lag der filigrane Goldring, den er Josie als Eheversprechen geschenkt hatte.

Nach ein paar Minuten hatte ich mich wieder gefangen und stand auf.

Ich war mir zwar nicht sicher, wie das alles hier nun weiter gehen sollte, aber ich brauchte erst mal ein bisschen frische Luft.

Vielleicht würde die mir beim nachdenken helfen… Ich ging kurz in mein Zimmer um meine Jacke und meine Handtasche zu holen und machte mich dann auf den Weg nach draußen.

Ich begegnete niemandem auf dem Weg und war in diesem Moment unendlich dankbar.

Als ich auf der Straße stand lief ich einfach in eine Richtung ohne zu wissen wohin.

Nach einiger Zeit kam ich an den Rand des Central Parks. Ich lief eine Weile die 5th Avenue entlang und sah schließlich die pompöse Fassade des Plaza Hotels. Plötzlich wusste ich, wohin ich gehen konnte. Benni und sein Vater wohnten schon seit Jahren als Stammgäste im Plaza Hotel und ich war immer bei ihnen willkommen.

Ich ging die Marmorstufen hinauf und ein Page öffnete mir die Tür.

Zielstrebig ging ich zu den Aufzügen. Benni und sein Vater wohnten in der Royal Plaza Suite, die den ganzen 20. Und 21. Stock einnahm.

Diese Suite hatte sage und schreibe 4.490 m²!

Wenn ich bei ihnen zu Besuch war bekam ich immer die Junior Suite 2.

Die hatte ein eigenes Bad und King Size Bett, und war praktischerweise direkt neben Bennis Junior Suite. Als ich in den Aufzug trat fragte mich der Page wohin ich wollte und ich sagte nur „Mr.Katzen“.

Seine Augen weiteten sich ein wenig, aber sonst reagierte er gar nicht.

Er hatte keinen Grund misstrauisch zu sein, denn ich war einerseits zu selbstbewusst um zu lügen und andererseits sah ich zu unschuldig aus.

Er drückte also den Knopf mit der Zahl 20 und der Aufzug setzte sich in Bewegung.

Ich lauschte der obligatorischen Aufzugsmusik und meine Augen folgten dem Zeiger, der sich über der Tür befand und grade zwischen 14 und 15 stand. Nach ein paar weiteren Sekunden machte es leise Pling und die Tür öffnete sich.

Ich trat aus dem Aufzug, wünschte dem Pagen einen schönen Tag und ging einen kurzen Gang hinunter. Neben der Eingangstür war ein Spiegel, und ich betrachtete mich.

Meine Augen waren etwas zu glänzend aber ansonsten sah ich so aus, wie immer.

Ich rückte meine Träger zurecht und drückte auf die Klingel. Beinahe im Selben Moment öffnete mir Blake. Er war schon Mr. Katzens Butler gewesen, als Benni und ich noch in die Grundschule gingen. Er hatte ein unglaubliches Talent für Kekse und er schaffte es immer gerade wenn ich kam ein Blech im Ofen zu haben.

Als er mich sah lächelte er.

„Josephine, es tut gut euch nach so langer Zeit wieder einmal hier zu sehen!“

Ich lächelte zurück und trat ein.

Er half mir wortlos aus der Jacke und brachte sie zur Garderobe. Er hatte kein Wort über meinen Bauch verloren, obwohl sein Blick kurz darauf verweilt war, da war ich sicher.

Er war immer schon sehr diskret gewesen und dieses Mal war es eine Erleichterung.

Er kam wieder zurück und geleitete mich in das Wohnzimmer.

Beziehungsweise in eines der Wohnzimmer.

Es gab zwei in jedem Stockwerk, aber das hier war mein liebstes. Die Möbel waren aus dunklem Kirschholz und sahen aus wie zur Zeit Ludwigs des 15. Und ich glaube Mr. Katzen hat einmal erwähnt, dass sie wirklich aus dieser Zeit stammen.

Ich lies mich auf eine Chaiselongue fallen und sah zum gegenüberliegenden Flur.

Am Ende dieses Flures war nämlich Bennis Zimmer und ich hoffte, er war zu Hause.

„Ich gebe Master Benjamin Bescheid, dass sie hier sind.“

Blake war gerade in dem Gang, der zur Küche führte verschwunden und ich kramte in meiner Tasche nach meinem Handy um es abzuschalten.

Da hörte ich wie jemand den Raum betrat und blickte auf. Benni hatte sich in den letzten Jahren wirklich nicht verändert.

Er hatte noch dieselben kurzen schwarzen Haare, die wie immer widerspenstig in alle Richtungen abstanden und trug immer noch lieber Hemden als T-Shirts. Ich konnte nicht genau sagen woran es lag, aber man sah Benni an und wusste, dieser Mann hat Geld. Er hat Geld und es stört ihn nicht.

Er wirkte auf den ersten Blick immer etwas zerstreut und das lag nicht nur daran, dass seine Krawatte auf Halbmast hing.

Er trug zwar glänzend polierte Lederschuhe, aber keine Anzughose sondern eine einfach Jeans.

Ich musste nicht nachgucken, um zu sehen, dass er verschieden farbige Socken trug.

Ich lächelte und stand auf.

Er lachte ebenfalls und breitete die Arme aus.

Ich stürzte zu ihm und schlang meine Arme um ihn. Ich roch sein Eau de Cologne und presste die Wange an seine Brust.

Ich war nicht unbedingt klein, aber Benni war noch größer. Circa einen Kopf mehr als ich.

Ich merkte erst, dass ich weinte, als ich spürte, wie sein Hemd nass wurde.

Benni strich mir über das Haar und murmelte irgendetwas Beruhigendes.

Schließlich löste ich mich von ihm und wischte mir mit dem Handrücken das verlaufene Mascara weg. Ich blickte zu ihm auf und betrachtete sein Gesicht. Er hatte die treuen braunen Augen eines Hundes und leichte Pausbacken, obwohl er schon 21 war.

Ich hatte das immer süß gefunden.

Er lächelte und dabei fiel ihm eine Strähne ins Gesicht. Ich nahm sie in die Hand und schob sie mit einer geübten Bewegung wieder hinter sein Ohr.

Ich hatte das seit Jahren nicht mehr getan und die vertraute Bewegung gab mir etwas von meinem Selbstbewusstsein wieder. Ich seufzte.

Benni nahm mein Gesicht in seine Hände und sah mir tief in die Augen.

„Was ist passiert?“

Er sah auf meinen Bauch hinunter.

„Will Gabe es nicht…“

Er brachte den Satz nicht zu Ende, weil ich vehement den Kopf schüttelte.

Ich wich seinem Blick nicht aus und sagte mit ruhiger Stimme

„Ich hab mich mit Gabe gestritten. Und jetzt … ich

weiß, dass ich überreagiert habe, aber ich war so wütend und so … so verletzt. Ich habe…“, ich sprach nicht mehr weiter und nun wich ich doch seinem Blick aus.

Er lies mich los und versuchte meinen Blick einzufangen.

„Was hast du getan?“

Ich hielt ihm meine Hand hin, an der nun kein Ring mehr steckte.

„Ich glaube, ich bin jetzt eine Ex-Verlobte… Eine verdammte schwangere Ex-Verlobte!“

Benni sah mich ernst an und dann lächelte er dieses zuversichtliche Das-wird-schon-wieder-Lächeln.

Er nahm meine immer noch ausgestreckte Hand in die eine Hand und legte die andere auf meinen Bauch. So führte er mich zum Sofa.

„Du kannst mir alles erzählen, wenn du willst.

Und wenn nicht, kann ich Blake bitten deine Suite herzurichten und du bleibst erst mal hier, bis alles sich beruhigt hat.“

Er warf mir einen optimistischen Blick zu.

Dafür liebte ich Benni, er hatte immer Verständnis für mich gehabt. In seinen Augen gab es nur einen einzigen Fehler, den ich gemacht hatte, und der war mich von ihm zu trennen.

Umso mehr freute es mich, dass wir Freunde geblieben waren, und er immer für mich da war.

Ich lies mich von ihm auf das Sofa setzen und lehnte mich an seine Schulter.

„Vielleicht willst du ja mit etwas schönem anfangen. Ich hab dich seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen, wie ist es dir denn so ergangen?“

Ich wusste was er meinte.

„Nun, alles war wie immer bis Gabe aus Esmeras zurück gekommen ist“, wieder einmal war ich dankbar, dass ich vor Benni keine Geheimnisse zu haben brauchte, denn er wusste von den Nephilim, Dämonen und Vampiren.

Das lag daran, dass seine Mutter von letzteren ermordet wurde, als er sieben war.

Ein Nephilim namens James konnte ihr zwar nicht mehr helfen, aber wenigstens Benni retten.

Seitdem war er eingeweiht, denn ich hatte ihm immer wieder den neusten Klatsch und Tratsch aus meiner Welt erzählt

„Er war in Esmeras gewesen weil, hm, darauf komme ich später zurück, jedenfalls war das vor ungefähr vier Monaten, und als er dann wieder da war, hat er erzählt, dass Luzifer scheinbar die Erzengel entführt.

Und Teile eines heiligen Amuletts, das ihm ungeheure Macht verleiht, siehst du das hier, es ist eines dieser Teile und ich habe es von Gabriel höchstpersönlich anvertraut bekommen!

Aber dann hatte ich immer wieder so einen Albtraum…“

Nach und nach erzählte ich Benni die ganze Geschichte, dass Chilali mir gesagt hatte ich sei schwanger, Luzifer nach uns gesucht hatte, Gabe seine Mutter getroffen und getötet hatte…

Nur, dass ich und Gabe von Luzifer und Gabriel abstammten lies ich weg, weil, nun ja, ich weiß nicht wieso, einfach so ein Gefühl.

Was ich ihm ebenfalls verschwieg war die Tatsache, dass ich das Amulett niemals ausziehen konnte.

Die ganze Erzählerei hatte mich nun auch meine letzten Kräfte gekostet, darum lehnte ich mich an Bennis Schulter und war wirklich kurz davor einzuschlafen.

„Josie, du siehst müde aus, vielleicht solltest du dich ein bisschen ausruhen…“, in Bennis Stimme schwang leichte Besorgnis mit.

Aber es war eine Form von Besorgnis, die mir ein Gefühl der Geborgenheit gab.

Hier bei Benni konnte ich einfach loslassen und schlafen. Ohne diese ständige Abrufbereitschaft, die in der Akademie immer zu herrschen schien. „Benni“, nuschelte ich müde „sag mir etwas Schönes. Ein paar schöne Lügen, die mich aufheitern. Ich will von der Wahrheit nichts mehr wissen.“

Er küsste mich auf den Scheitel und murmelte.

„Du wirst sehen, Gabe kann auch ohne dich leben.“ Ich drehte den Kopf und sah ihn an.

„Ich wollte, dass du mir eine Lüge erzählst…“

Mir fielen die Augen zu und ich bekam Bennis Antwort nur noch verschwommen mit.

„Also gut, eine Lüge: Ich liebe dich nicht.“

Es war ein traumloser Schlaf, für Träume war ich wohl zu erschöpft und ich war einfach nur dankbar dafür. Als ich die Augen aufschlug wusste ich kurz nicht wo ich war, was wohl daran lag, dass ich hier nicht eingeschlafen war!

Ich lag unter einem Haufen Decken in einem riesigen Bett. Ich blickte zur Decke und erkannte einen zierlichen Kronleuchter.

Die Kerzen waren zwar durch Glühbirnen ausgewechselt, aber sie waren so weit herunter gedimmt, dass der Unterschied fast gar nicht auffiel. Ich drehte meinen Kopf auf die Seite und erkannte das vertraute Nachtschränkchen, auf dem zu meiner großen Freud ein Teller mit Blake’s Plätzchen stand. Ich rollte mich schwerfällig auf die Seite und stützte mich auf den rechten Arm, während ich mit dem linken nach einem Keks griff.

Es waren übliche Butterkekse, aber eigentlich wurde ihnen dieses banale Wort gar nicht gerecht.

Da sah ich, wie Benni das Zimmer betrat und mich anlächelte.

„Na, Dornröschen, bist du auch endlich aufgewacht. Du musst echt erschöpft gewesen sein, du hast nämlich ganze zwei Tage geschlafen…“

Mir blieb der Mund (mitsamt halb zerkauten Keksen) offen stehen und ich starrte ihn an.

„Zwei Tage?!“

Ich musste echt schockiert ausgesehen haben, denn plötzlich grinste Benni breit.

„War nur ein Scherz, du hast eigentlich nur zehn Stunden geschlafen.

Und weißt du noch was.

Du hast dich in letzter Zeit echt gehen lassen. Ich musste dich aus dem Wohnzimmer hierher schleppen und ich muss sagen, du hast echt ganz schön zugelegt seit ich das das letzte Mal tun musste. In dem Moment hätte ich mir echt einen Gabelstapler gewünscht, aber“,

weiter kam er nicht, denn ich bewarf ihn mit einem der vielen Kissen um mich herum und zeigte ihm das böseste Gesicht das ich aufbringen konnte, allerdings verflog es in einem Lachanfall, denn Benni sah mich nur ganz unschuldig an, um mir dann das Kissen mit voller Wucht ins Gesicht zu werfen.

Einzig das jahrelange Training bewahrte mich vor einem Nasenbruch.

Daraufhin versuchte ich so viele Kissen wie nur irgend möglich auf einmal zu packen und schmiss sie ihm alle, mit einem Kampfesschrei, auf den sogar Atilla der Hunnenkönig stolz gewesen wäre, entgegen. Er wich einem Großteil meiner Attacke behände aus und rannte aus dem Zimmer.

Na warte, dich krieg ich noch!

Ich eilte ihm hinterher, mit einem Kissen hinter dem Rücken und lachte.

Ich rannte den Flur entlang in das Wohnzimmer, und merkte plötzlich, dass Bennis Lachen verstummt war. Ich versuchte so schnell anzuhalten, dass ich über den Teppichboden schlitterte und schließlich kurz vor dem Torbogen zum Wohnzimmer zum stehen kam. Ich tastete in meiner hinteren Hosentasche nach einem kleinen Dolch und fühlte nur leere. Scheiße!

Benni musste ihn mir ausgezogen haben, oder ich hatte ihn im Bett verloren.

Ich überlegte, ob ich zurück rennen sollte um ihn zu holen, als ich Benni aufschreien hörte.

Sonst war es mucksmäuschenstill im Haus und ich fragte mich, was mit Blake passiert war.

Vielleicht war er grade einkaufen, oder im nächsten Stockwerk. Ich hoffte es zumindest.

Ich hatte wohl keine Wahl und nahm als Waffe einzig einen siebenarmigen Leuchter von einer Kommode, und zehrte während dem Laufen alle Kerzen davon ab.

Ich blieb im Türrahmen stehen und verschaffte mir einen Überblick. Rechts von mir war die Tür zur Küche, aber sonst niemand, links von mir sah ich einen Mann am offenen Fenster stehen, der Benni bei den Haaren gepackt hatte und seine Hand an dessen Kehle hielt.

Nur das seine Nägel sich zu Krallen verformt hatte. An Bennis Hand tropfte Blut auf den hellen Parkett. Es sammelte sich in den Ritzen.

Als der Mann mich sah drückte er Bennis Oberkörper aus dem Fenster, sodass Benni mich nicht sehen konnte.

„Lass ihn los“, ich bemühte mich um eine ruhig und gleichgültig klingende Stimme, und wirkte selbst in meinen Ohren nicht überzeugend.

„Gerne, Herzchen, du musst mir nur deinen Teil des Amuletts der Engel geben“, er grinste mich an, und ich konnte sehen, dass seine Eckzähne unnatürlich lang und spitz waren.

„Ich, ich hab es nicht dabei“, log ich.

Er verdrehte die Augen.

„Spotte nicht über meine Intelligenz, ich weiß, dass Gabriel dich angewiesen hat, es immer bei dir zu tragen, also, wo ist es?“

In dem Moment spürte ich, was ich nicht spürte.

Die schwere Goldkette um meinen Hals war verschwunden. Alles Blut wich aus meinem Gesicht und ich versuchte ruhig zu bleiben.

Wo konnte es nur sein?

Ich war mir ganz sicher, dass ich es nicht ausgezogen hatte.

Benni!

Er musste es mir abgenommen haben, wieso auch immer.

Oh Nein, wohin hatte er es gebracht…

Ich zeigte dem Mann am Fenster meinen leeren Ausschnitt.

„Siehst du, ich hab s nicht bei mir. Aber wenn du Benni hier rüber bringst, gehe ich es holen.“

Ich hörte mich selbstbewusst dabei an, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie ich Benni unauffällig fragen sollte, wo es war.

„Es ist versteckt, weißt du? Glaubst du wirklich, ich wäre so dumm, es immer bei mir zu tragen, nur weil Gabriel es mir gesagt hat?“

Nun lachte er.

Das verwirrte mich.

„Nun, du hättest mal lieber auf ihn hören sollen, denn Luzifer hat es gespürt, und nun weiß er, dass es irgendwo hier sein muss. Ich weiß nicht wieso, aber du hast die Aura des Amuletts abgeschirmt, aber jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir es haben, und wenn ich nicht bald mit dem Amulett zurückkehre, wird Luzifer persönlich kommen, um es zu holen. Du siehst, du hast keine Wahl.

Bring mich zum Amulett!“

Scheiße, das hatte ich nicht gewusst.

Danke Gabriel, dass du mir das vorher gesagt hast! Wäre es so schwer gewesen, das mal kurz nebenbei zu erwähnen?

Nein!

Aber Moment mal…

Warum konnte Luzifer das Amulett nicht einfach aufspüren, bevor ich davon wusste, so lange lag es nur in der Akademie rum.

Und warum findet er nicht die fehlenden, wenn er sie spüren kann? Das ist unlogisch!“

Er sah mich an und rollte mit den Augen. Er holte tief Luft und seufzte.

„Bist du wirklich noch nicht von selbst drauf gekommen? Zauberglanz! Dieser verdammte Zauberglanz kann die Amulette abschirmen. Darum weiß auch niemand, wo das Amulett von Jophiel ist.“

Oh.

Na ja, später ist man immer schlauer.

Ich verstärkte meinen Griff um den Kerzenhalter und in diesem Augenblick wünschte ich mir, er wäre aus Silber. Dann ging ich kaum merklich einen Schritt vorwärts, während ich sprach.

„Aber warum hast du mir das jetzt erzählt, das ist doch total dumm. Müsste dich Luzifer nicht eigentlich dafür töten. Schließlich wissen wir jetzt, dass alles, was wir tun müssen, ein bisschen Zauberglanz auf das Amulett zu machen ist…“

Ich hob eine Augenbraue und wartete.

„Woher weißt du, dass ich die Wahrheit sage, und dich nicht einfach hinhalte?“, war seine Gegenfrage. „Hm, du bist gut. Na ja, gut, dann versuch ich was anderes, warum schickt er dich, und ist nicht sofort selbst angerauscht gekommen, als er gespürt hat, dass ich das Amulett nicht mehr trage?“

Ich sah ein leichtes Zittern durch seinen Arm fließen und wusste, lange würde er Benni nicht mehr so halten können, ohne Muskelzuckungen zu bekommen. Das hieß, ich musste mich beeilen.

Er schnalzte ungehalten und als hinter mir eine Tür ins Schloss fiel wandte er kurz den Blick von mir ab und suchte nach der Geräuschquelle.

Dieser Moment reichte mir, um mich auf ihn zu stürzen. Ich schlug ihn mit dem Kerzenhalter vor die Stirn und packte mit der freien Hand Bennis Hemd. Keine Sekunde zu früh, denn als der Werwolf einen Arm hob um meinen Schlag abzuwehren ließ er Benni einfach los, und der wäre wohl aus dem Fenster in den Tod gestürzt, wenn ich ihn nicht gehalten hätte.

Leider war mein Stand nicht stabil genug und ich rutschte ein Stück näher ans Fenster. Bennis Oberkörper hing über der Brüstung und sein eigener Schwung knallte sein Kopf gegen die Hausfassade. Ich hörte ein Knirschen und spürte, wie Benni das Bewusstsein verlor. Ich spürte das deshalb, weil er mir nun gar nicht mehr half, nicht aus dem Fenster zu fallen. Das alles passierte im Bruchteil einer Sekunde. Der Werwolf hatte meinen Angriff abgewehrt und verdrehte mir das Handgelenk.

Ich biss die Zähne zusammen und trat ihm zwischen die Beine.

Das half.

Er keuchte und hockte über dem Boden.

Diese Auszeit nutzte ich um Benni zurück zu ziehen. Ich hievte ihn auf die Chaiselongue und warf einen schnellen Blick auf seine Kopfverletzung.

Es schien nichts Ernstes zu sein und ich drehte mich wieder um.

Der Werwolf hatte sich wieder aufgerichtet und stürzte sich auf mich. Aber meine Reaktion kam eine Sekunde zu spät.

Luzifer ging völlig gelassen durch die Eingangshalle des Hotels. In seinem Designer Anzug unterschied er sich kaum von all den anderen Hotelgästen. Zielstrebig ging er zu den Aufzügen.

„20, bitte“, sagte er leise zum Pagen.

Der grinste und entblößte zu viele Reihen scharfer Zähne.

„Ja, Meister.“ Mit jedem Stockwerk wurde das Gefühl stärker. Das Amulett musste ganz in der Nähe sein. Der Page reichte ihm einen Briefumschlag. Als Luzifer aus dem Aufzug in einen leeren Gang trat konnte er Kampfgeräusche hören. Josephine war wahrlich Gabriels Tochter.

So unglaublich dickköpfig…

Gelassen schlenderte Luzifer zu der Tür, und öffnete den Briefumschlag. Darin befand sich ein kleiner Schlüssel, den er in das Schloss steckte und herum drehte. Mit einem Klick öffnete sich die Tür.

Luzifer trat ein und lies die Tür dann achtlos ins Schloss fallen.

Ich lag auf dem Boden und wusste nicht, wie ich dort hingekommen war.

Blut sickerte mir in die Augen und ich musste blinzeln. Ich fasste mir an den Kopf und spürte klebriges Blut.

Über mir stand der Werwolf und lächelte.

Erst jetzt fiel mir auf, dass er nicht mich ansah sondern über mich hinweg zum anderen Ende des Wohnzimmers blickte.

Dann tat er etwas so unerwartetes, dass ich mich unwillkürlich umdrehte um zu sehen, was er sah.

Er verneigte sich.

Auf einmal lag keinerlei Spott mehr in seinem Blick. Er verneigte sich vor Luzifer.