HOMECOMING
Do you think about me
now and then?
Do you think about me now and
then?
Cause I’m coming home
again
I’m in home again
Der Anblick kam unerwartet.
Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber das bestimmt nicht.
Das Foyer war dunkel.
Im matten Licht, das von den Straßenlaternen herein fiel konnte ich einen großen Kronleuchter an der Decke erkennen.
Spinnenweben verbanden die einzelnen Arme des Metallungetüms zusätzlich.
Ganz im Gegensatz zu diesem war die Einrichtung.
Sie war keineswegs staubig und sah gepflegt aus.
Ich stand auf einem Roten Perserteppich der sich weit in den Raum hinein erstreckte.
Auf dem Teppich standen zwei grüne, mit Samt überzogene Ohrensessel.
Zwischen den beiden Sesseln stand ein kleiner Kaffeetisch. Er war aus dunklem Holz gefertigt.
Vermutlich Kirsche oder Mahagoni.
Auf dem Tisch stand nichts.
Erst jetzt fiel mir auf, dass ich die Wände des Raumes nicht erkennen konnte.
Entweder war es einfach zu dunkel, oder der Raum war riesig. Kurz hinter den Sesseln konnte ich einen langen Gang erkenne, doch auch der entzog sich meinem Blickfeld.
Ich drehte mich um, um zu sehen, was Gabe gerade tat.
Er war dabei an einem Stoffband zu ziehen, das von der Decke hing.
Ich glaub es nicht.
Ich dachte immer, diese Dinger gibt es nur in alten englischen Filmen. Eine Hausklingel!
Als ich mich so umsah, fiel mein Blick auf eine große, schön verzierte Standuhr.
Das lange goldene Pendel schwang hin und her.
Ich blickte wie hypnotisiert darauf.
Schließlich wanderte mein Blick auf das Zifferblatt.
Du meine Güte, es war schon kurz vor 12.
Uh, Geisterstunde!
Ich wandte mich wieder der Sitzgemeinschaft zu.
Plötzlich wurde der ganze Raum von gelbem Licht durchflutet.
Gabe hatte den Lichtschalter betätigt.
Nachdem meine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten konnte ich erkennen, dass sich an den Wänden ein Regal neben dem nächsten tummelte.
Soweit Regale sich tummeln können. Sie waren allesamt vollgestellt mit Büchern.
Ich merkte, wie ich bewundernd den Mund aufmachte.
Gabe gesellte sich neben mich.
Dann vernahm ich Schritte. Sie kamen aus dem Gang, der nun ebenfalls hell erleuchtet war.
Auf uns zu gerannt kam ein Mädchen das wohl Shannon sein musste.
Ihre blonden Locken hüpften auf und ab, als sie auf uns zu joggte.
Sie war recht groß für ihr Alter.
Wahrscheinlich so um die 1,55m.
Ihr Gesicht war zierlich und mit kindlichen Pausbacken.
Doch am beeindruckendsten waren ihre Augen.
Sie waren leuchtend grün.
Nicht etwa Oliv oder Lindfarben.
Nein! Sie hatten ein Grün von der Farbe reifen Grases.
Nur viel strahlender.
Passend zu ihren Augen trug sie einen hellroten Pferdepyjama.
Sie rannte auf Gabe zu und umarmte ihn.
Diese Szene wirkte irgendwie merkwürdig auf mich.
Es war komisch Gabe so zu sehen.
Er war für mich das perfekte Abbild eines Einzelkindes.
Es war aber mindestens genauso komisch ihn so vertraut mit jemandem zu sehen.
Denn als ideales Einzelkind war er auch der ideale Einzelgänger.
Tja, wie sehr man sich doch täuschen kann…
Ich blickte in den Gang zurück und sah zwei weiter Gestalten auf uns zu kommen.
Ein Junge und ein Mädchen.
Der Anblick des Mädchens ließ mich vor Eifersucht zusammenzucken.
Sie war ohne Zweifel Marissa, das Supermodel.
Dabei war sie doch kaum älter als 16.
Ihre Körper hatte wahrlich Modelmaße. Aber nicht dieser Ich-bin-ein-Strich-in-der-Natur-ich-steck-mir-meine-Zunge-in-den-Hals Typ.
Eher Tyra Banks oder Gisele Bündchen.
Ich wette sie schaffte die 90-60-90!
Aber es war ja nicht nur ihr Traumkörper.
Nein, sie sah auch noch Gesichtstechnisch gut aus.
Sie hatte Haselnussbraune Haare, die ihr lang und glatt über die Schultern fielen.
Über ihren extrem hohen Wangenknochen thronten zwei türkisfarbene Augen.
Sie kam barfuß und mit einem weißen Nachthemd, dessen Saum kurz oberhalb ihrer Knie endete.
Nicht nuttig und kein Kirchenrock.
Es hatte eine ideale Länge, die ihre Beine noch mehr betonte. Sie waren vermutlich kilometerlang.
Sie trug keine Schminke.
Ware Schönheit braucht sowas nicht.
Es war unglaublich einschüchternd.
Umso mehr beruhigte mich der Anblick des Jungen neben ihr.
Er schien etwas jünger als Marissa zu sein und war definitiv grade in einer Hip-Hopper Phase.
Obwohl es sein Schlafanzug war trug er auch jetzt eine Goldkette über dem übergroßen T-Shirt.
Entweder schlief er tatsächlich mit dieser Kette, oder er hatte sie sich eben noch kurz übergezogen.
Sein Hemd war vollkommen typisch.
Es war lila und eine gelbe 74 war darauf abgebildet.
Seine dunkelbraunen Haare hatte er selbst jetzt spitz nach oben gegelt.
Alls was zu einem „perfekten“ Look fehlte war die Mütze. Und Aha!
Er zog sie von irgendwoher aus seiner schwarzen Schlafanzughose.
Die beiden machten schließlich vor uns halt.
Marissa lächelte mich freundlich an, J.D. hingegen musterte meine Haare, die, wie ich mich erinnerte, immer noch blutverklebt waren.
Ich ignorierte seinen Blick und zählte durch. 1,2,3 und mit Gabe 4.
Eine fehlte doch noch…
Und da kam sie auch schon.
Aber nicht durch den langen Gang.
Sie kam durch eine Geheimtür hinter dem Bücherregal.
Was für ein Klischee!
Ich hatte irgendwie erwartet, dass sie eine alte Schachtel mit dicker Hornbrille und langen braunen Röcken sein würde.
Tja, da hatte ich mich wohl total geirrt.
Hinter der Bücherwand trat eine junge Frau hervor, die wohl so Mitte 20 war.
Ihre Haare waren zu einem gut gepflegten Bob geschnitten und sie trug einen wunderschönen blauen Seiden Schlafanzug.
Unter den weiten Ärmeln konnte ich ihre perfekt manikürten Finger sehen.
Ich warf einen kurzen Blick auf meine Fingernägel unter denen sich Blut verkrustet hatte.
Tja, ich wollte eigentlich morgen – oder ist das mittlerweile heute? - ins Nagelstudio gehen.
Deshalb waren meine Nägel jetzt lediglich hellblau angemalt und wie gesagt, ziemlich verschmutzt.
Sie war barfuß, so wie eigentlich jeder in diesem Haus…
Ihr Gesicht war das einer normalen Studentin. Sie trug zwar eine Brille, aber keine Hornbrille.
Es war ein elegantes Metall-Gestell mit eckigen Brillengläsern.
Sie hatte dünne Lippen, die verkniffen gewirkt hätten, wenn sie nicht mit einem freundlichen Lächeln zu uns getreten wäre.
Ich konnte ihre Augen nicht erkennen, denn die Brille reflektierte.
Als sie etwa noch 2 Meter entfernt war sah ich, dass diese Augen vielleicht der Grund waren, weshalb sie doch nicht als normale Studentin durchging.
Sie waren lila. Ja lila. Aber nicht dunkel sondern hell.
Vielleicht auch eher Beerenfarben…
„Die genaue Bezeichnung ist Magenta“, sie lachte.
Ich blickte sie erstaunt an.
Alls um mich herum grinsten.
„Man konnte in deinem Gesicht erkennen, dass du gerade darüber nachgedacht hast. Aber die meisten Leute reagieren so. Du willst gar nicht wissen, wie oft ich diesen Satz schon sagen musste. Natürlich musste ich für die normalen Menschen immer noch hinzufügen, dass es ein genetischer Defekt ist. Sie würden nicht verstehen, dass diese Farbe immer dann entsteht, wenn ein Nephilim und eine Fee ein Kind bekommen. So gesehen ist es vielleicht doch ein genetischer Effekt“, sie lachte und reichte mir die Hand.
„Ich bin Belasca, aber nenn‘ mich einfach Bel.
Ich bin der Mentor von diesem Haufen hier.
Wie es scheint hast du Gabe bereits kennen gelernt. Ich hoffe er hat nicht zu viel Schlechtes über mich erzählt“, sie grinste.
Sie schien ein sehr lebensfroher Mensch zu sein. Auch um Mitternacht.
Sie hob eine Hand und deutet ringsum auf alle im Kreis stehenden.
Sie stellte jeden mit Namen vor.
Und ich hatte natürlich recht gehabt.
Aber das war ja auch nicht so schwer gewesen. Schließlich stellte Gabe mich vor.
Angeber, das hätte ich auch selbst gekonnt!
Dann fiel mir ein, von wem Gabe mir auch erzählt hatte, der jetzt allerdings nicht anwesend war.
„Wo ist Crispy“, fragte ich in die Runde, aber ganz besonders in Shannon’s Richtung.
Bei der Erwähnung seines Namens verzogen sich die Gesichter aller, abgesehen dem von Shannon. Ihre Augen fingen an zu leuchten, als sie ein weißes Frettchen aus ihrem Pyjama zog.
Bis auf einige silbern glitzernde Härchen hatte es die Farbe von frisch gefallenem Schnee.
Es schnupperte mit geschlossenen Augen.
Langsam öffnete Crispy die schwarzen Augen und sah mich direkt an. Es war geradezu unheimlich.
Er gähnte, und ich konnte die langen spitzen Zähnchen sehen. Moment mal, waren Frettchen nicht eigentlich Nachtaktiv?
„Du Shannon, sind Frettchen nicht eigentlich Nachtaktiv“, ich glaube ich sage zu oft, was ich denke…
„Eigentlich schon, aber Crispy hier ist etwas besonderes! Er hat sich ganz schnell daran gewöhnt nachts neben mir zu liegen, und zu schlafen“, ihre Stimme quoll förmlich über vor Stolz.
„Willst du ihn nicht mal streicheln“, sie blickte mich erwartungsvoll an.
Alle anderen versuchten mir mit Handzeichen und stummen Mundbewegungen zu verstehen zu geben, dass ich das auf keinen Fall tun sollte.
Na toll, was jetzt?
Sie hielt mir den Nager auf ihrer Handfläche hin. Crispy verfolgte jede meiner Bewegungen mit den Augen.
Zaghaft streckte ich die Hand aus. Ich biss mir auf die Unterlippe und hielt Crispy zuerst nur meine Finger an die Nase.
Meine Hand zitterte.
Seine Barthaare kitzelten meine Fingerspitzen, als er schnüffelte.
Dann schloss er die Augen und wartete.
Ich glaub‘s nicht.
Heißt das jetzt ich soll weiter machen oder nicht? Ich hielt den Atem an und fuhr schließlich mit der Hand über seinen Rücken.
Sein Fell war unglaublich weich!
Ermutigt streichelte ich weiter.
Nach vier Zügen lies ich meine Hand sinken. Shannon strahlt und redete auf Crispy ein.
„Oh du braver Junge! Na, ist das nicht nett von ihr. Das hat dir bestimmt gefallen…“
Jeder andere im Raum blickte mich erstaunt an. Bewundernd klatschte J.D. in die Hände.
„Wow, du bist nich gebissen worden, ich glaub‘s nicht…“, er klang beinahe etwas enttäuscht.
Oder bildete ich mir das nur ein?
Plötzlich sog Marissa vor mir scharf die Luft ein. „Gabe! Was hast du mit deinem Arm gemacht? Warte ich helf dir“, sie wartete seine Antwort gar nicht ab, sondern zückte ihre Yara und legte sie ihm auf den Oberarm.
„Mari, das ist nicht nötig, das geht viel einfacher…“, er warf J.D. einen bestimmten Blick zu, der daraufhin sofort Shannon die Hände auf die Augen und Ohren legte, und sie wegdrehte.
Er fluchte, als Crispy ihm herzhaft in den Zeigefinger biss.
Mit einer geübten Bewegung packte Gabe seine eigene Schulter und renkte sie mit einem knackenden Geräusch wieder ein.
Bei dem Geräusch bekam ich eine Gänsehaut auf den Armen.
Ich musste wohl etwas grünlich geworden sein, denn Marissa fragte mich:
„Musst du reihern?“
J.D. der mit Shannon abgelenkt gewesen war fuhr herum und sah uns begeistert an.
„Was? Wer hat Bock auf ‘n Dreier?“
Ich warf einen geschockten Blick auf Shannon, aber die sah nur gelassen zurück.
Sie war solchen Scheiß wohl schon gewöhnt. Währenddessen hatte Marissa J.D. in den Schwitzkasten genommen.
„Das hättest du wohl gern, hä“, sie traktierte ihn mit der Faust auf dem Kopf.
Während sie so seine perfekt gegelte Frisur zerstörte blickte ich zu Bel.
Sie schien solche Vorstellungen ebenfalls gewöhnt zu sein.
Gabe verdrehte die Augen und wandte sich ab. „Hey“, ich lief ihm hinterher. „Hättest du dir deinen Arm nicht auch vorhin einrenken können?
Na ja, egal.
Was machen wir denn jetzt? Ich würd gern duschen. Und zwar allein“, sagte ich betont, nach einem Blick, den Gabe mir zugeworfen hatte.
Für was hielt er sich eigentlich?
Ich hatte stark Lust irgendwas zu treten.
Gern auch Gabes Schienbein.
Aber ich hielt mich zurück.
Plötzlich fühlte ich etwas Kaltes an meiner Hand. Erschrocken wollte ich sie wegziehen, doch es war nur Shannon, die meine Hand umklammert hielt. Ihre Hand war eiskalt, wie die einer Toten.
Sie hatte eine enorme Kraft.
Ich sah sie an.
„Ich kann dir dein Zimmer zeigen, wenn du willst“, ihre helle Stimme klang ernst.
„Du kannst natürlich erst duschen gehen“, sagte sie nach einem Blick auf mein Haar.
Peinlich berührt fuhr ich mir mit der freien Hand durchs Haar. Bäh, das klebte aber ganz schön!
„Komm ich zeig‘s dir“, mit diesen Worten führte sie mich in den langen dunklen Gang.
Aufmerksam sah ich mich um.
Die Wände waren mit einer altertümlichen Tapete tapeziert.
Sie war mit Blumen gemustert, die das meiste ihrer Farbe schon an die Zeit abgeblättert hatten.
Unsere Schritte hallten auf dem dunklen Parkett, und es hörte nur dann kurz auf, wenn wir über einen weiteren der vielen roten Perserteppichen gingen. Vor langer Zeit hatte sich wohl jemand die Mühe gemacht, alle zwei Meter einen Wandleuchter in die Wand einzulassen.
Jede Kerze hatte ihre eigene kleine Nische.
Doch keine einzige brannte.
Als uns das Licht aus dem Foyer nicht mehr erreichte nahm Shannon eine Kerze aus einer der Nischen und zündete sie an.
Ich hatte kein Feuerzeug in ihrer Hand gesehen. Ebenso wenig, wie ein Streichholz.
Ich machte schon den Mund auf, um meine Verwunderung auszudrücken, als sie selbst mit der Sprache herausrückte.
„Du musst wissen, ich habe eine Gabe. Ich kann Energie erzeugen. Aber bis jetzt ist es nur Feuer.
Bel sagt, eines Tages kann ich bestimmt auch Strom und andere Energien herstellen, aber ich bin schon sehr stolz auf mein Feuer.
Aber bitte sag es keinem. Besonders nicht meiner Schwester. Sie hat es schwer genug in ihrem Leben“, ich dachte zurück an Marissa‘s strahlende Schönheit.
Wieso hatte sie es denn schwer?
„Ach und meinen Eltern sag‘ bitte auch nichts, die werden mich nur als Experiment nach Esmeras schicken.
Dann wären sie vielleicht endlich stolz auf mich, denn dann würde sich ihr Ansehen seigern.
Aber sie kommen eh so selten, dass du sie wahrscheinlich nich kennen lernen wirst“, sie sagte das mit solch einer Unbefangenheit, dass es mich schmerzte.
Was waren das nur für Eltern, das ihre 10-Jährige Tochter sich damit abgefunden hatte, dass ihre Eltern nicht stolz auf sie waren?
Am liebsten hätte ich den beiden jetzt eine Standpauke gehalten!
Abrupt hielten wir vor einer Tür an, die für mich nicht anders, als die vielen anderen Türen aussah, an denen wir vorbei gekommen waren.
Sie drückte die goldene Klinke herunter und die Tür öffnete sich nach innen.
Ich hatte ein Klein-Mädchen Zimmer mit Pferdepostern an der Wand und Hello-Kitty Kissen auf dem Bett erwartet.
Stattdessen sah ich ein perfekt aufgeräumtes modernes Wohnzimmer.
Sie hatten also alle mehr, als nur ein Zimmer.
Sie leitete mich an den modernen Couchen vorbei zu einer weiteren Tür die wohl ins Schlafzimmer führte.
Doch auch im Schlafzimmer herrschte Ordnung. War das vielleicht gar nicht ihre sondern meine Wohnung?
Aber dann sah ich ein Foto auf dem Nachttisch.
Es war die einzige persönliche Dekoration im Zimmer.
Es zeigte zwei Mädchen die vor dem Cinderella Schloss in Disney-Land standen.
Aber die rechte Seite des Bildes war abgerissen worden.
Man erkannte noch die Hände auf den Schultern der Mädchen, doch der Rest der Körper war entfernt worden.
Jede zweite der vier Hände wurde von einem Trauring geziert, und die Mädchen waren eindeutig, als Marissa und Shannon zu erkennen…
Der abgerissene Rand wirkte auf mich, wie ein Faustschlag ins Gesicht.
Die beiden Mädchen lachten doch glücklich, wie konnte es sein, das man also die Eltern aus dem Foto genommen hatte.
Was war nur passiert, das Shannon so hatte abstumpfen lassen, im Bezug auf ihre Eltern? Plötzlich wurde mir das Mädchen etwas unheimlich, aber ich hatte auch Mitleid mit ihr.
„Josie“, ihre Stimme durchbrach meine Gedanken. Ich drehte mich zu ihr und sah sie betont freundlich an.
„Hm?“ Sie deutete mit dem Daumen auf eine weitere Tür.
„Du kannst jetzt duschen, wenn du willst, ich geh solang, und hol‘ aus Maris Zimmer ein paar Klamotten für dich.“
Sie sah mich abschätzend an und murmelte
„Etwas größer als Marissa“, und mit diesen Worten verschwand sie.
Mir war zwar nicht ganz wohl bei der Sache, in einer fremden Wohnung unter lauter fremden Menschen duschen zu gehen, aber ich hatte ja keine Wahl.
Ich öffnete die Badezimmertür und spähte hinein. Alles war weiß.
Die Kacheln, der Boden, das WC, das Waschbecken und die Dusche.
Mist.
Es war eine von diesen Dusch-Badewannen. Ich hasste diese Teile!
Vor der Badewanne hing ein weißer halb durchsichtiger Duschvorhang.
Er sah ein bisschen so aus wie Milchglas.
Na gut, dann wollen wir mal.
Ich legte ein Handtuch vor die Dusche auf den Boden und überlegte, ob ich nicht gleich baden wollte.
Aber nein, ich war müde und wollte ins Bett.
Mein Bett!
Aber ich hatte mich schon damit abgefunden, dass ich wohl hier schlafen musste.
Ich lehnte mich gegen die Tür, als ich mich auszog. Das verdammte Teil hatte kein Schloss!
Oh ich bitte dich Herr erhöre mich!
Mir entfuhr ein Keuchen, als ich das Top von dem getrockneten Blut abzog.
Damit hatte ich die Wunde erneut aufgerissen. Scheiße!
Ich hatte tatsächlich vergessen, dass ich verletzt war. Aber es tat auch nicht weh.
Der Kraftrune sei Dank.
Ich packte meine Unterhose und meinen BH sorgfältig in meine Hosentasche.
Danach schätzte ich ab, wie lang es wohl dauerte, von der Tür unter die Dusche zu springen. Wahrscheinlich 2 Sekunden…
Okay, umso länger ich warte, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand kommt.
Ich sprintete förmlich durch den Raum und hüpfte in die Wanne.
Den Vorhang zog ich gründlich um mich herum. Wenigstens waren keine Haare im Abfluss…
Ich drehte mich zum Wasserhahn und sah eine erstaunliche Ansammlung von Duschzeug.
Ich entschied mich für das Erdbeer-Shampoo und seifte mich mit Lotus Milch ein.
Ich wiederstand der Gewohnheit zu singen und wusch still vor mich hin.
Mit geübten Bewegungen wusch ich die Wunde völlig seifenfrei aus.
Mehr Schwierigkeiten hatte ich damit den Dreck unter meinen Fingernägeln zu entfernen.
Danach widmete ich mich meinen verklebten Haaren.
Sie ziepten gewaltig.
Jungs, ihr habt keine Ahnung, was für eine Strafe es ist lange Haare zu haben.
Als ich fast fertig war hörte ich Schritte vor der Tür. Vermutlich Shannon, die mir neue Kleider brachte…
Die Tür öffnete sich aber ich konnte nur Schemen erkennen.
Ich hoffte dass das umgekehrt genauso war. Plötzlich fiel mir das Shampoo aus der Hand und rutschte auf dem glitschigen Boden gegen meinen Fuß.
Beziehungsweise es rammte meinen kleinen Zeh mit voller Wucht.
„Aua“, ich schrie auf.
Ich wollte es machen, wie ich es immer tat, wenn meine Zehen wehtaten.
Ich hüpfte auf einem Bein.
Keine gute Idee in einer rutschigen Badewanne.
Und natürlich, ich rutschte aus und fiel leider nicht in Richtung Wand sondern genau entgegengesetzt. Ich riss die Arme hoch und segelte zu Boden.
Meine Wucht hatte den Vorhang abgerissen, der sich jetzt wie Plastikfolie um mich legte.
Leider war es mehr ein fesseln, als ein sanftes legen. Als ich mich gerade fragte, wieso ich so weich gelandet war sah ich es auch schon.
Ich war frontal auf Gabe drauf gefallen.
Der blickte mich benommen grinsend an. J.D. und Shannon kamen ins Zimmer gestürzt.
„Alles okay, ich habe ein Rumpeln gehört und“, weiter kam er nicht denn dann sah er uns beide so hier auf einander liegen.
Er fing schallend an zu lachen.
Und selbst Shannon grinste.
„Haben wir euch bei irgendetwas gestört“, fragte J.D. immer noch breit grinsend.
Ich wollte schon entsetzt Nein! erwidern, aber Gabe sagte völlig lässig:
„Ja.“
J.D. erstarrte mitten in der Bewegung.
„Komm Shannon, wir gehen…“, er warf Gabe einen vielsagenden Blick zu und zog die Kleine mit sich. „Aber die Sachen für sie“, J.D. nahm den Kleiderhaufen aus ihren Armen und warf ihn auf den Klodeckel.
Die beiden gingen, und schlossen die Tür.
Ich wäre am liebsten im Boden versunken.
Meine Nassen Haare hingen Gabe ins Gesicht und tropften ihn ordentlich voll.
Ich hätte mich ja wirklich gerne von ihm wegbewegt, aber es ging nicht.
Meine Arme und Beine waren zu eng an meine Körper gedrängt.
Peinlich berührt sah ich in Gabes Gesicht, das mittlerweile doch schon gut durchnässt war.
Er grinste schon wieder sein süffisantes Lächeln. Dieser Blick hielt mich davon ab, mich zu entschuldigen. „Ich wusste gar nicht, dass du so sehr auf mich stehst, oder wohl eher liegst“, er lachte und wollte sich aufsetzen.
Aber leider war er noch mehr eingeklemmt, als ich. Wir waren in einer ganz schön misslichen Lage. „Könntest du vielleicht“, begann er, aber ich unterbrach ihn.
„Sorry, aber ich kann mich gar nicht bewegen, der Vorhang sitzt zu eng.“
Plötzlich dachte ich daran, dass ich auf jeden Fall dafür sorgen musste, dass ich den Vorhang anbehielt.
Ich war mir ja jetzt schon nicht sicher, ob er alles nötige verdeckte…
Ich war wahrscheinlich so rot wie eine Tomate.
„Na toll, und was machen wir jetzt“, murmelte ich vor mich hin und vergaß, dass Gabe direkt unter mir lag, und damit sogar meinen Atem spüren konnte.
Er grinste, und ich ahnte nichts Gutes.
Na ja, oder vielleicht eher nichts anständiges.
„Also, wir könnten dich auch einfach von diesem lästigen Vorhang befreien…“.
Ich blickte ihn vorsichtshalber gar nicht erst an.
Die Blöße meines Errötens wollte ich ihm nicht geben.
Komisch, sonst war ich immer so cool, wenn ich es mit Jungs zu tun bekam.
Was war bei diesem Exemplar anders?
Es musste doch eine Möglichkeit geben, mich von ihm wegzurollen.
Ohne ihn anzusehen rollte ich mich hin und her.
Er fing an zu lachen, was mich völlig aus dem Konzept brachte.
„Ich musste nur grade darüber nachdenken, dass J.D. wahrscheinlich draußen vor der Tür hockt und lauscht“, jetzt sah ich ihn doch an und sah wieder sein mittlerweile sehr vertrautes Grinsen.
Als ich bemerkte, dass meine Arme rechts und links von seinem Kopf lagen kam ich auf eine Idee.
Ich winkelte sie an, sodass nur meine Unterarme auf dem Boden lagen.
Ich stemmte mich hoch, wie ich es schon tausendmal beim Training getan hatte.
Dabei stützte ich meine Beine einzig und allein auf meine Zehen. Als ich die Hüfte in die Luft drückte war ich unglaublich stolz auf mich.
Aber ich hatte den Nebeneffekt Badezimmer nicht eingeplant. Während Gabe mich fasziniert musterte und wohl auch etwas froh war, dass ich eine Lösung hatte merkte ich, wie meine Arme auf dem rutschigen Boden langsam wegglitten.
Und plötzlich fiel meine Körperspannung in sich zusammen, wie ein Kartenhaus.
Ich war so kurz davor gewesen, die letzte Karte anzusetzen und jetzt das.
Noch mehr war wohl Gabe über mein Versagen betrübt, denn ich fiel nun mit voller Wucht auf ihn zurück.
Ich presste ihm die Luft aus den Lungen und er keuchte. Ich lächelte ihn entschuldigend an.
„Sorry“, flüsterte ich.
„Schon okay“, krächzte er.
Also ein zweiter Versuch, diesmal klappte es und Gabe konnte sich unter mir heraus winden. Als er schließlich aufgestanden war und mir eine Hand reichte sagte ich nur ein Wort: „Raus.“
Er ging, und prallte beim hinausgehen mit J.D. zusammen.
„Hey Kleiner, die ist nichts für dich. Such dir lieber eine, mit der du es aufnehmen kannst.“
Er klopfte ihm schon beinahe entschuldigend auf die Schulter und schüttelte den Kopf.
Dann ging er an ihm vorbei und setzte sich auf das Bett.
Ich sah J.D. mit meinem bösesten Blick an und er schloss, etwas widerwillig, die Tür.
Ich rollte mich auf den Rücken und befreite mich von dem Ding, das mir so viel Ärger bereitet hatte.
In Windeseile zog ich Marissa’s Sachen an.
Sie passten perfekt.
Auch diese Erfahrung hatte mich darauf aufmerksam gemacht, dass ich Training brauchte.
Und zwar dringend.
Erst jetzt sah ich mir meine Klamotten wirklich an. Ich trug ein marineblaues Kleid, das wahrscheinlich sowohl als Nachthemd, als auch als Strandkleid fungieren konnte.
Es hatte dünne, weiße Träger und war am Ausschnitt mit weißer Spitze versehen.
Wäre es rot gewesen, hätte ich es nicht in der Gegenwart dieser zwei Testosteron Bolzen angezogen.
Es war leider etwas kürzer als Marissa’s Nachthemd von eben.
Es bedeckte sogar nur das nötigste. Darum war ich für den Morgenmantel dankbar, den man mir dazugelegt hatte.
Er war etwas heller blau und Bodenlang.
Ich zog ihn über das Kleid, lies ihn aber unverschlossen.
Ich packte meine Yara und die Dolche in die Taschen und verließ das Bad.
Ja, ich ließ das Bad in dem Chaos zurück, aber irgendetwas sagte mir, dass sich dafür im Moment keiner interessierte.
Als ich die Tür öffnete saßen sie alle versammelt vor mir auf Shannon‘s Bett.
Ich war wohl die Hauptattraktion des Abends. Des Morgens?
Egal.
Ich leckte mir über die Lippen und fragte in die Runde:
„Kann mir jetzt vielleicht jemand mein Zimmer zeigen? Ich bin um ehrlich zu sein ziemlich müde.“ Gabe sprang vom Bett auf – was jetzt stürmischer klingt, als es war- und stellte sich vor mich.
„Das übernehm ich, ich werde“, er war noch gar nicht fertig, als Marissa ihn schon unterbrach.
„Ich glaube, das übernehm ich diesmal. Du hast heute Abend schon wirklich genug getan.“
Es klang nicht, wie ein Kompliment.
Und das sollte es wahrscheinlich auch nicht.
Marissa stellte sich geschmeidig, wie eine Katze neben mich und hakte sich unter.
So verließen wir Shannons Reich und gingen zurück in den langen, dunklen Gang.
Nur das er mittlerweile nicht mehr dunkel war.
Jede Kerze war angezündet und die Wände wirkten auf einmal viel freundlicher auf mich.
Wir gingen nach rechts, in Richtung Foyer.
Ich fragte mich immer noch, wie sie all die Türen auseinander halten konnten.
Dann blieb Marissa vor einer weiteren Holztür stehen und drehte den Türknauf.
Vollkommen lautlos schwang die Tür auf und wir traten in ein dunkles Zimmer.
Ich erwartete ein modernes Wohnzimmer wie vorhin, aber es war vielmehr eine altmodische Stube, wie im Foyer.
Die hohen Lehnsessel sahen gemütlich aus und ein Ölgemälde hing über dem nicht entfachten Kamin. Jetzt fiel mir auch auf, was ich in all den Zimmer vermisst hatte.
Es waren die Fenster. Sie fehlten überall.
Ich sah keinen Grund dafür, aber ich war um ehrlich zu sein einfach zu müde, um mir darüber jetzt Gedanken zu machen.
Mechanisch folgte ich Marissa, und wurde mir schlagartig bewusst, dass der morgige Tag noch viel schlimmer werden würde.
Schon jetzt spürte ich die Nebenwirkungen der Kraftrune.
Und da fiel mir siedend heiß wieder ein, wieso ich die Rune eigentlich benötigt hatte.
Scheiße, ich war schwer verletzt! Ich blieb stehen und merkte, dass Marissa mich nun aufmerksam ansah.
Was ist? , schien ihr Blick zu sagen.
Ich überlegte, ob ich einfach das Kleid hochziehen sollte.
Wieso nicht? Ich trug schließlich Unterwäsche. Sie blickte mich geduldig an, doch als ich ihr die Wunde präsentierte schluckte sie. Sie blutete gar nicht mehr. Wenigstens das musste Gabe geschafft haben. Sie kam auf mich zu und sah sich das genauer an. „Sorry, du kannst damit nicht schlafen gehen. Ich bring dich ins Krankenzimmer.“
Sie zog von irgendwoher ein Handy und benachrichtigte Bel.
Ich warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Schlafzimmertür und folgte ihr hinaus.
Das Krankenzimmer sah aus, wie jedes andere Krankenhaus. Steril und weiß. Weiß und steril.
Ich setzte mich auf eine Liege und wartete ab.
Nach wenigen Minuten kam Bel.
Allein.
Wow, das hatte ich nicht erwartet.
Sie zog sich grüne Latex Handschuhe an und setzte sich auf einen Hocker direkt vor mich.
Auch Marissa zog sich Handschuhe an.
Sie sah jetzt wie eine richtige Krankenschwester aus, in ihrem weißen Kleid.
Ich zog den Mantel aus und legte ihn neben mich. Nach kurzem Zögern folgte das Kleid.
Es war mir etwas unangenehm in Unterwäsche vor Leuten zu sitzen, die ich erst seit einer Stunde kannte, aber wenigstens waren sie Frauen.
Auch Bel hatte mitleidig geguckt, als sie die Verletzung gesehen hatte.
Wenigstens war sie jetzt sauber gewaschen.
Ich blickte weg, während Bel und Marissa sich darum kümmerten.
Ich entdeckte eine Uhr und verfolgte die Zeiger wie hypnotisiert.
1 Uhr 13 und 6 Sekunden.
1 Uhr 13 und 9 Sekunden.
Als Bel sich schließlich geräuschvoll die Handschuhe auszog war es 1 Uhr 27 und 36 Sekunden.
Ich wandte meinen Blick fast schon wiederwillig von der Uhr ab.
„Alles okay, ich hab die Wunde genäht“, sagte Bel fachmännisch.
Genäht? Das hatte ich gar nicht mitbekommen… Aber meine Freude über die Nachricht besiegte den verwirrten Gedanken.
Ich war so müde. Ich ließ mich auf das Bett sinken. So unglaublich müde…
Und plötzlich spürte ich, dass Er da war.
Er stand direkt neben mir.
Ich fühlte seine Hand auf meiner Wange.
„Wird sie wieder okay werden“, seine Stimme war unsicher und zitterte leicht.
Dann erhob Bel ihre Stimme, sie klang ernst.
„Ja, sie wird wieder… Du magst sie, oder?“ Er seufzte.
„Ja…“
Mit einem Lächeln auf den Lippen döste ich weg, und so verpasste ich den Rest seines Satzes. „ ...es ist wie ein Band, das mich zu ihr hin zieht.“