GABRIEL

I can fly
But I want his wings
I can shine even in the darkness
But I crave the light that he brings
Revel in the songs that he sings
My angel Gabriel

Vor mir stand ein Engel.

Ein wahrhaftiger Engel.

Er strahlte selbst ein so helles Licht aus, dass der Garten zu leuchten schien.

Der erste Blick, der sich mir ergab, nachdem mein Herz aufgehört hatte, Blut in meinen Kopf zu pumpen, um einer Ohnmacht vorzubeugen, war nicht sonderlich aufschlussreich.

Ich konnte nicht mal das Geschlecht erkennen.

Alles war so hell, dass ich mir dir Hand vor die Augen hielt.

Dann hörte ich einen Laut den ich erst gar nicht deuten konnte.

Und dann erkannte ich, dass es ein Lachen war.

Es kroch mir förmlich unter die Haut und war beinahe schon unangenehm.

Kurz darauf dimmte die Helligkeit herunter.

Ja, sie dimmte.

Wie bei einer Lampe…

Und dann erkannte ich mehr. Es war auf jeden Fall schon mal ein Mann.

Er hatte dunkelbraune Haare, wie ich!

Sie waren gewellt und endeten auf Höhe seines markanten Kinns.

Er hatte olivgrüne Augen, wie ich!

Er hatte dünne Lippen, die völlig ausdruckslos waren.

Genau wie seine Augen.

Nichts deutete auf das Lachen von eben hin.

Seine Kleidung war so, wie ich sie mir bei einem Engel vorgestellt hatte.

Er hatte eine Leinen Tunika an, die bis kurz über da Knie reichte.

Die Ärmel waren diese langen weiten Ärmel, die ich bei Kostümen immer so liebte.

Unter der Tunika trug er eine weiße Hose.

Das Fabrikat konnte ich nicht erkennen.

Die Füße steckten in weißen Stiefeln, deren Schaft ein wenig über das Knie reichte.

Über der Tunika trug er noch einen Gürtel, der von einer Schnalle geziert wurde, die eindeutig Platin war!

Das einzige was fehlte war ein Kreuz.

Er trug überhaupt keine Kette.

Und auch sonst keinen Schmuck.

Aber am wohl beeindruckendsten waren die Schwingen.

Mit Federn so lang oder sogar noch länger als die Feder von eben.

Kein Zweifel, die stammte von ihm.

Jetzt faltete er die Flügel hinter dem Rücken und kam auf mich zu.

Leider bot mein Lieblingsplatz nicht viel Platz zum Ausweichen.

Also setzte ich mich neben die Feder auf die Bank. Er war gar nicht so groß, das sah ich jetzt.

Die Flügel machten ihn größer.

Er war vielleicht so 1,85m.

Mit einer behutsamen Geste setzte er sich neben mich.

Zum Glück war die Bank 2 Meter breit.

Ich wich soweit zurück, wie es ging, ohne unhöflich zu werden.

Er blickte mir tief in die Augen und ich wusste, dass ich keine Angst zu haben brauchte.

Ich entspannte mich.

Soll ich so mit dir reden.

Hörte ich plötzlich eine Stimme in meinem Kopf. „Oder ist es dir so lieber“, erhob der Engel nun seine Stimme.

Ich konnte sie gar nicht beschreiben.

Es war wie ein hauchen.

Eine Brise, die über die Dünen weht.

Nicht greifbar, aber doch fühlbar.

Sie war ziemlich neutral.

Nicht besonders tief, aber auch nicht sonderlich hoch.

Moment, konnte er meine Gedanken lesen?

Hallo?

Hörst du mich?

Er zeigte keine Reaktion.

Aber das hieß nichts. Er hatte lange genug Zeit gehabt sein Pokerface zu üben.

„Also reden ist mir lieber, und noch was können sie, kannst du, meine Gedanken lesen“, fragte ich etwas ängstlich.

Er lächelte gutmütig, und schüttelte den Kopf. „Nicht, wenn du es mir nicht erlaubst.“

Ich runzelte die Stirn.

„Es ist wie mit Vampiren, die nur in Wohnhäuser können, wenn sie eingeladen sind.“

Ich glaubte ihm das jetzt einfach mal.

Ich hatte ihn noch kein einziges Mal direkt angesehen.

Stattdessen starrte ich auf meine Finger.

„Ach, und du darfst mich duzen“, jetzt grinste er tatsächlich.

„Wer bist du“, es war kaum mehr al ein Flüstern. Die Hand, die entspannt auf seinem Knie gelegen hatte verkrampfte sich nun.

„Tja, darauf könnte ich dir vieles Antworten“, er schien in Gedanken, dann fing er sich wieder,

aber ich glaube, die einfachste Erklärung ist ich bin ein Erzengel. Ich bin Gabriel.“

Jetzt keuchte ich.

„Ich hab es nicht vergessen“, piepste ich.

Jetzt war er es, der verwirrt war.

„Was?“

Ich blickte kurz zum Vogelnest, und dann sah ich ihm in die Augen. Die Augen die meinen so ähnlich waren.

„Dass ich sterben muss.“

Er schloss kurz die Augen.

Dann lächelte er wieder.

„Memento Mori. Ja, er hat es dir gesagt, Josephine.“ Bei der Erwähnung meines Namens zuckte ich zusammen. Man nannte mich nur selten bei meinem vollen Namen.

Es gab wahrscheinlich sogar Bekannte, die meinen richtigen Namen gar nicht kennen…

Darüber musste ich schmunzeln.

Als ich ihn wieder ansah, fiel mir auf, was mich die ganze Zeit beschäftigt hatte.

Etwas an seinem Gesicht war anders.

Und jetzt wusste ich es. Ich beschloss ihn einfach zu fragen.

„Wieso fehlt bei dir diese Rinne über der Lippe?“ Jetzt musste er lachen.

„Es gibt Leute die würden mich fragen, was der Sinn des Lebens ist, aber du fragst, wieso ich kein Philtrum habe.

Gut für mich, denn die Frage nach dem Sinn könnte ich dir nicht beantworten.

Auch wenn ich sie weiß…

Aber zurück zur Frage. Kennst du die Geschichte oder eher die Legende um das Philtrum?“

Er sah mich neutral an. Ob ich jetzt ja oder nein sage, würde mein Ansehen nicht schmälern, da konnte ich genauso gut ehrlich sein.

„Nein.“

„Also gut, dann erzähl ich sie dir, vielleicht kommst du dann von selbst darauf.

Es war einmal eine kleine Seele.

Nichts weiter nur eine Seele.

Sie ging zu Gott und sagte: „Ich will Mensch werden.

“ Gott war einverstanden und sagte:

„Gut, so sei es. Dann darfst du auf die Erde.“ Daraufhin schickte Gott nach einem Engel, der die kleine Seele führen sollte.

Als der Engel die Seele zum Himmelstor führte bekam die Seele Angst.

„Ich habe es mir anders überlegt“, sagte die kleine Seele.

Daraufhin schwieg der Engel.

„Kann ich nicht doch hier bleiben“, bat die Seele. „Nun, du wolltest Mensch werden, nun geh und schweige.“

Bei den letzten Worten legte der Engel seinen Zeigefinger auf den Mund der kleinen Seele.

Seit diesem Tage haben alle Menschen ein Philtrum. Und wer aufmerksam ist, kann den Engel im Augenblick der Geburt erkennen. Wie du jetzt vielleicht bemerkt hast, haben also nur die Menschen ein Philtrum.

Wir Engel wurden geschaffen und nicht geboren. Darum habe ich keines.“

Ich hatte Gabriel während seiner Geschichte an den Lippen gehangen.

Jetzt war ich enttäuscht, dass es schon vorbei war. „Weißt du, eine der Nephilim, die hier wohnte hat diesen Garten entworfen und gepflegt. Sie nannten ihn Himmel auf Erden“, dabei deutet er auf eine Innschrift in der Bank, die mir vorher nie aufgefallen war.

Kein Wunder, denn sie war ziemlich verwittert.

Dort stand eingeritzt

Astrum in Terram.

Himmel auf Erden.

Mehr schien Gabriel mir nicht zu dieser Nephilim sagen zu wollen, denn er sah sich mit einem nachdenklichen Blick um.

Sein Blick blieb an dem Baum hängen. Genauer gesagt an dem Vogelnest, in das ich den Anhänger gelegt hatte.

Mit einer geschmeidigen Bewegung stand er auf. Und das trotz des Gewichts seiner Flügel auf dem Rücken.

„Kannst du deine Flügel eigentlich auch … wegmachen?“

Mir fiel kein besseres Wort dafür ein.

Sein Rücken erzitterte und er lachte.

„Wegmachen…“, wieder musste er lachen.

Er drehte sich noch einmal zu mir um und sah mir direkt ins Gesicht.

Er fing meinen Blick mit seinen Augen ein.

Dann schloss er die Augen, und es sah aus, als würde er schlafen.

Und dann keuchte ich.

Seine Flügel fielen in sich zusammen und es sah aus, als wären sie flüssig.

Und das waren sie auch. Es war als hätte man in einen Wasserballon ein Loch gestochen.

Die Flüssigkeit fiel zu Boden und versank in der Erde.

Das einzige, was zurückblieb war einen weiße Feder.

Jetzt öffnete er die Augen wieder.

Ich musste sehr geschockt ausgesehen haben.

Er blickte zu Boden und grinste.

„Das ist nur Wasser keine Angst.“

Dann bückte er sich und hob die eine Feder hoch. Sie war identisch zu der, die ich auf der Bank gesehen hatte. Er steckte sie ein und sah mich aufmerksam an.

„Wieso Wasser?“

Er zuckte die Schultern.

„Das weiß niemand. Aber es ist auch nur bei mir Wasser.

Bei Michael ist es zum Beispiel Wind und eine Feder. Und bei Jophiel ist es eine Arnika, das ist eine Blume, und einen Feder.

Zurück bleibt also immer eine Feder.

Was das andere soll wissen wir auch nicht.

Natürlich haben wir Theorien, aber keine davon erscheint uns plausibel.“

Mit diesen Worten drehte er sich zu dem Baum um. Dann griff er zielsicher in das Nest und holte den Anhänger heraus.

Er gab ihn mir zurück.

„Den solltest du bei dir tragen.“

Mir war aufgefallen, dass das Muster aufgeleuchtete hatte, als Gabriel es anfasste.

So stand er vor mir.

Mit der ausgestreckten Hand.

Ohne seinen Flügel wirkte er nicht weniger imposant.

Ich glaube das war eine Sache des Ansehens.

Die meisten berühmten Leute haben so einen Ausstrahlung.

Als würden sie jede Sekunde darauf warten, dass man sie fotografierte.

Zögernd streckte ich die Hand aus und nahm ihm den Anhänger aus der Hand.

Es war das erste Mal, dass ich ihn berührte.

Ich hatte irgendetwas erwartet, aber nichts passierte. Unschlüssig stand ich da, mit dem Anhänger in der Hand.

Schließlich lachte Gabriel und trat hinter mich.

Ich gab ihm den Anhänger wieder und er legte ihn mir um den Hals. Ich stand mit dem Rücken zur Gartentür, als ich das vertraute Knarren hörte. Gabriel fummelte immer noch am Verschluss herum, also blickte ich über die Schulter.

„Was machst du da mit meiner Verlobten“, hörte ich Gabes eisige Stimme.

Gabriel erstarrte in der Bewegung.

„Hey Gabe, es ist alles in Ordnung. Das ist wirklich nicht das, wonach es aussieht“, gegen meinen Willen musste ich lachen.

Jetzt sah Gabe verwirrt und auch ein bisschen verletzt aus.

„Können wir uns vielleicht mal kurz umdrehen“, fragte ich Gabriel.

Ich hörte das Klicken des Verschlusses und Gabriel trat zurück. Also drehten er und ich uns zu Gabe um. Als Gabe Gabriel erkannte fielen ihm fast die Augen aus dem Kopf.

Er deutet einen Verbeugung an und flüsterte: „Entschuldigung.“

Ich sah zu Gabriel und musste grinsen.

Er schien sich sein Grinsen wirklich verkneifen zu müssen.

„Also Gabe, du kennst Gabriel ja schon. Dann muss ich euch nicht mehr vorstellen.

Woher wusstest du eigentlich, dass ich hier war?“ Jetzt sah er selbst erstaunt aus.

„Ich, ich weiß es nicht… Ich bin durch die Gänge gelaufen, und plötzlich stand ich hier…“, er wirkte überzeugend also glaubte ich ihm das.

Stattdessen hatte ich jemand anderen im Verdacht. Mit zusammen gekniffenen Augen blickte ich nach links.

Gabriel blickte unschuldig in die Luft und sah aus, als würde er gleich pfeifen.

Ich knuffte ihn in die Seite und lachte, als er keuchte.

Ich wusste nicht wieso, aber dieser Erzengel war mir so vertraut, als wäre er mein bester Kumpel, den ich schon seit Jahren kannte.

Umso erstaunter war Gabe jetzt, als er sah, wie locker ich mit dem Fremden umging.

„Also gut, Gabriel, Josephine“, Gabriel verneigte sich vor uns.

Ja vor uns!

„Ich muss los.“

Mit diesen Worten erschienen seine Flügel wieder, aber diesmal sah es aus, als würden sich die Wassertröpfchen aus der Luft zu einem Nebel und schließlich Flügeln verbinden.

Mit einem Schlag seiner mächtigen Flügel, der nebenbei einigen Putz abriss, schwang er sich in die Lüfte und verschwand schnell aus meinem Blickfeld.

Es kam mir immer noch unwirklich vor, und wenn ich nicht Gabes Gesicht gesehen hätte, hätte ich angenommen, dass ich geträumt hatte.

„Wow, was wollte Gabriel denn von dir? Und woher wusste er, dass du hier bist?“

Gabe schien immer noch ziemlich baff zu sein.

Ich zuckte die Schultern, denn das wusste ich auch um ehrlich zu sein nicht. Beides.

„Eigentlich hat er nicht so viel gesagt. Er hat mir ein bisschen was über Engel erzählt, aber das war‘s dann auch schon“, ich zuckte noch einmal mit den Schultern.

Er nahm das scheinbar als Erklärung hin, er würde ja auch keine bessere bekommen, und so verließen wir meinen Garten und gingen zurück.

Als wir in meinem Zimmer ankamen legte ich mich aufs Bett und kuschelte mich unter die Decke.

Mir war immer noch kalt. Gabe legte sich neben mich, aber auf die Decke.

Ich kuschelte mich an ihn und döste ein. Ich war einfach kein Frühaufsteher.

Ich träumte von meinem Geburtstag.

Ich saß vor einer riesigen Torte, die mit pinkem Zuckerguss verziert war.

Auf der Torte brannten zwanzig Kerzen.

Wir saßen alle zusammen in der Küche.

Marissa, Shannon, Bel, J.D. und Gabe.

Die gelb gestrichenen Wände leuchteten und draußen schien die Sonne.

Ich spürte einen Wind, der durch das Fenster herein schwebte.

Er bauschte die hellblau-weiß gestreiften Vorhänge auf und war angenehm warm.

Es war unglaublich real.

Marissa saß bei J.D. auf dem Schoß und strahlte mich an.

Das einzige, das mich irritierte, war der fehlende Ton. Es gab keine Geräusche.

Shannon kraulte Crispy, der um ihre Schultern lag und lächelte ebenfalls.

Bel hielt mir ein blau verpacktes Geschenk hin und ich nahm es freudig entgegen.

Mit groben Bewegungen riss ich das Papier herunter und sah mein Geschenk.

Es war eine Feder.

Mehr nicht.

Eine lange weiße Feder.

An ihrem Stiel klebte eine rote Flüssigkeit.

Als ich diese genauer betrachtete wusste ich, dass es Blut war.

„Blut ist wichtig, aber von dem Richtigen muss es sein“, hörte ich Gabe plötzlich sagen.

Es war unheimlich, denn es war das einzige Geräusch im ganzen Raum.

Er blickte mich an, und schien gar nicht mehr er selbst zu sein. Seine hellen Augen schienen mich zu durchbohren, aber andererseits auch gar nicht zu sehen. Er hob die Hand und deutete auf die Feder. „Das ist nicht der Richtige…“

Plötzlich hörte ich ein Kinderlachen.

Aber es kam nicht von Shannon. Ich schüttelte wild den Kopf und sah mich um.

Das Zimmer hatte sich stark verdunkelt und draußen zogen schwarze Wolken auf.

Ich blickte noch einmal zum Fenster und sah ein Mädchen auf der Fensterbank sitzen.

Sie trug ein weißes Rüschenkleid mit schwarzer Schleife auf dem Bauch. Sie konnte nicht alt sein. Nicht älter als 7 Jahre.

Zumindest sah ihr Körper so aus.

Aber dann sah ich ihr ins Gesicht.

Ihre blonden Haare waren leicht gewellt und schulterlang.

Aber das war es natürlich nicht, was mich so erschreckte. Es waren ihre Augen.

Sie waren zweifarbig.

Das linke Auge war grün und das rechte Auge blau. Und sie hatte einen Blick, als wäre ihr Geist weit über die 20 hinaus.

Sie sagte keinen Ton sondern starrte einfach nur die ganze Zeit Gabe an.

In ihrem Blick lag tiefes Bedauern.

Das Geräusch einer Klinge ließ mich zu Gabe blicken.

Jetzt erst fiel mir auf, dass die anderen 4, inklusive Crispy, uns alle zuschauten.

Sie bewegten sich nicht, und sagten auch nichts. Gabe zog seine Klinge vollends aus der Scheide und sah mich traurig an.

Mit langsamen Schritten ging er auf das Mädchen zu. Sie blieb vollkommen ruhig und hielt ihm ihren rechten Arm hin.

Er packte sie oberhalb ihres Handgelenks und sah mich noch einmal an.

„Ihr Blut ist gut…“, sagte er leise und legte die Klinge an.

Ich prang auf und wollte ihn entwaffnen. Irgendetwas tun!

Und obwohl ich durchs Zimmer hechtete kam ich dem Geschehen keinen Schritt näher.

Ich schrie und flehte die anderen um Hilfe, doch keiner rührte sich.

Sie blickten alle zu Gabe. Dann schnitt Gabe dem Mädchen die Pulsader auf.

Ein stechender Schmerz durchfuhr mich.

Ich sah an mir herunter und sah mein rechts Handgelenk bluten.

Ich drückte mir den Arm an die Brust und wimmerte. Ich sah wie auch Gabe eine Hand an sein rechtes Handgelenk legte.

Zwischen seinen Fingern quoll Blut hervor.

Das Mädchen war nach vorne gesackt und zu Boden gefallen.

Mit Tränen in den Augen sah ich Gabe an.

„Wieso, Gabriel“, flüsterte ich.

Jetzt richteten sich alle Blicke auf mich.

Während Gabe ebenfalls zu Boden fiel und sich zusammen krümmte sprachen die anderem im Chor: „Gutes Blut, gutes Blut…“

Mir wurde schwarz vor Augen und ich spürt, wie ich fiel.

Mit einem Schrei erwachte ich.

Mein erster Blick galt meinem Handgelenk.

Doch dort war nur die Narbe von der Wunde, an der ich einmal fast verblutet wäre.

Damals hatte Gabe mich gerettet.

Und das auch nur mit einer Yara.

Mein zweiter Blick galt Gabes Handgelenk. Auch dort war nichts zu sehen. Gabe nahm ein Taschentuch und wischte mir den Schweiß von der Stirn.

Mein Atem ging immer noch Stoßweise.

Ich warf einen Blick in den Spiegel, der gegenüber vom Bett hing.

Meine Haare klebten strähnig und verschwitzt an meiner Stirn.

In meinen Augen war viel zu viel weißes zu sehen und ich war leichenblass.

Gabe sagte kein Wort.

Das war nicht nötig.

Er wusste das.

Ich wusste das.

Mein Herzschlag klopfte mir so laut in den Ohren, das ich dachte mein Kopf würde gleich explodieren. Ich hatte schon lange keinen so schrecklichen Albtraum mehr gehabt…

Mit zittriger Stimme fing ich an zu erzählen.

„Es, es war mein 20 Geburtstag. Ich glaube es war morgens oder mittags…

Wir saßen in der Küche und haben gefeiert. Und dann hat Bel mir ein Geschenk gegeben in dem eine Weiße Feder lag…“

Als ich an der Stelle angekommen war, dass Gabe seine Klinge zog und dem Mädchen die Pulsschlagader aufgeschnitten hatte stockte ich. „Du…du… du bist zu dem Mädchen gegangen und hast gemeint sie hätte gutes Blut oder so… Dann hast du, du hast, sie hat dir ihren Arm gereicht und du hast ihre Pulsader aufgeschnitten“, ich atmete wieder unregelmäßig.

Gabe hörte mir schweigend zu und beruhigte mich indem er mir übers Haar streichelte.

Ich schluckte und erzählte weiter.

„Und dann bist du zusammengebrochen.

Deine und meine Pulsader waren auch durchtrennt. Auch am rechten Handgelenk.

Und die andern haben gesagt „Gutes Blut“.

Die ganze Zeit. Wie eine Beschwörung.

Und wie Zombies.

Dann bin ich auch zusammengebrochen und, und ich glaube ich bin gestorben.

Ich wusste einfach, dass es so war“, bei den letzten Worten brach meinen Stimme weg.

Ich spürte, wie mein T-Shirt am Rücken klebte. Mit einem nachdenklichen Blick sah er mir in den Ausschnitt.

Aber nicht aus den Gründen, die für eine Jungen normal gewesen wären.

Er streckte zögernd die Hand aus und nahm den Anhänger in seine Faust, von dem ich total vergessen hatte, dass ich ihn trug.

„Ich glaube der hier ist dafür verantwortlich.“

Er ließ ihn wieder los, und er glitt zurück in seine Ausgangsposition.

„Weißt du, was mich viel mehr erschreckt hat, als alles andere heute? Du…Du hast mich angefleht, dich nicht umzubringen… Das du mich liebst und wieso ich dir das antäte…“, auch seine Stimme war jetzt unsicher.

„Aber ich hatte doch gar keine Angst, dass du mich umbringen könntest. Ich wollte nur das Mädchen retten… Ich weiß doch, dass du mich nie verletzten würdest.“

Jetzt sah er mich ernst an.

„Bist du dir da sicher? Ich würde doch auch nie ein kleines Mädchen abschlachten…“

Jetzt wurde mir kalt. Ich hätte ihm so gerne gesagt, dass Träume nur Träume waren und nichts weiter, aber die Erfahrung hatte mich gelehrt, dass dem nicht so war.

Viele meiner Träume hatten bis jetzt eine Bedeutung gehabt. Nur leider war mir das immer erst viel zu spät klar geworden.

Aber diesmal war ich vorberietet.

Dieses Mädchen würde ich immer erkennen.

Und wenn sie dann da war würde ich sie beschützen!

Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen. Als ich sie wieder öffnete fiel mein Blick auf den Funkwecker.

Heute war der 28. Juli.

In zwei Wochen war mein 20. Geburtstag…

Ein weiterer Schauer lief mir über den Rücken.

Seit diesem Tag hatte ich jede Nacht den gleichen Albtraum.

Und jede Nacht war ich nicht in der Lage das Mädchen zu retten.

Ich konnte gar nichts ändern.

Selbst, wenn ich mich noch so sehr sträubte, das Päckchen zu öffnen arbeiteten meine Hände ohne mein zu tun.

Jede Nacht verblutete ich und mit jeder Nacht lagen meine Nerven mehr blank.

Jeden Abend versuchte ich wach zu bleiben und lenkte mich mit allem möglichen ab.

Aber nichts half.

Mal versuchte ich durch Training wach zu bleiben, schließlich machte ein Spaziergang an der frischen Luft fit.

Aber ich kehrte schnell nach Hause zurück denn meine Füße arbeiteten gegen mich.

Dann versuchten Gabe und Marissa mit mir eine Filmnacht durchzumachen.

Doch ich fiel mitten im Film in den Tiefschlaf und konnte es nicht ändern.

Shannon bot mir an, mich von Crispy so lange beißen zu lassen, bis ich vor Schmerz nicht hätte schlafen können, aber Crispy weigerte sich vehement mich zu beißen.

Bel las mir stundenlang Geschichten vor und J.D. versuchte mich mit seiner kompletten Musik Sammlung wach zu halten.

Aber nichts funktionierte.

Ich schlief jede Nacht spätestens um 22 Uhr ein.

Es war nicht zu fassen.

Nun waren es nur noch drei Tage bis zu meinem 20. Jetzt war es so weit, Gabe und ich wurden alt.

Er war schon vor fast 2 Monaten 20 geworden und ich nun auch bald.

20 war für mich eine Grenze, vor der ich immer Angst gehabt hatte…

20 klang so unglaublich alt.

19 war okay, aber dann kam 20!

21 ging wieder besser. Ich wusste gar nicht, wie ich dieses eine Jahr überleben sollte.

Aber wenn ich es mir recht überlege, und meine Träume eine Prophezeiung waren, dann brauchte ich mir wohl darüber keine Gedanken machen…

An seinem 20. Zu sterben hat schon etwas Trauriges an sich.

In der Blüte seiner Jahre verstorben.

Ich blickte auf die Uhr.

Es war kurz nach 8 Uhr abends.

Bald würde der Traum wieder kehren.

Ich war nur froh, dass Gabe ihn nicht miterleben musste. Es hätte ihn bestimmt ziemlich verstört, wenn er sich selbst so gesehen hätte.

Immer wieder dachte ich über die Worte nach, die mir mittlerweile wie ins Gehirn gebrannt schienen. „Blut ist wichtig, aber von dem Richtigen muss es sein… Das ist nicht der Richtige…Ihr Blut ist gut…gutes Blut…“

Es drehte sich immer um Blut und den Richtigen. Aber, wer war der Richtige?

Wieso war das Mädchen gut, aber nicht der Richtige?

Ich verstand gar nichts mehr.

Und wieso bluteten Gabe und ich mit dem Mädchen mit?

Vielleich sollte ich zu einer Traumdeuterin gehen… Andererseits würde die mich und Gabe vielleicht auch einfach gleich einweisen lassen.

Mit jeder Minute, die ich im Bett lag wurde ich unruhiger.

Mittlerweile hatte ich es aufgegeben wach zu belieben. Stattdessen kam Gabe jeden Abend vorbei und ich schlief in seinen Armen ein.

Es beruhigte mich wenigstens wenn ich aufwachte. Obwohl ich wusste, wie hart das auch für ihn war. Denn jede Nacht flehte ich ihn an mich am Leben zu lassen.

Eine Nacht war ich aufgewacht und merkte, dass Gabe eingeschlafen war. Ich lag neben ihm und hörte ihn weinen.

Er hat im Schlaf geweint. Er war sonst gar nicht der Typ, der viele Tränen vergießt…

Und ich wusste, wie unglaublich egoistisch ich war. Damit ich mich besser fühlte musste er leiden.

Auch wenn er das nie wirklich zugegeben hätte. Dafür brauchte ich ihn zu sehr…

Es klopfte, und Gabe trat ein. Er war immer noch der Meinung, dass dies alles nur an meinem Anhänger lag, und ich ihn ausziehen sollte, aber das konnte ich nicht.

Gabriel hatte gesagt, ich sollte ihn tragen, und es fühlte sich falsch an ohne ihn.

Gabe legte sich wortlos neben mich und ich ergriff seine Hand.

Er blickte mir in die Augen und ich wusste, lange würde er das nicht mehr ertragen.

Und ich auch nicht…

Ich hatte wirklich gehofft, diese Nacht würde anders werden, aber auch heute erwachte ich mit einem Schrei.

Obwohl mir dieser Traum inzwischen jede Nacht wiederfuhr hatte er immer noch

eine traumatisierende Wirkung auf mich.

Plötzlich bekam ich Kopfschmerzen.

Es war wie der Hammerschlag eines Schmiedes, der meinen Kopf mit dem Amboss verwechselt hatte. Ich presste mir die Handflächen auf die Augen und stöhnte.

Gabe neben mir schlief noch.

Ich stand auf und ging ins Badezimmer.

Dort lehnte ich mich übers Waschbecken und atmete aus. Dann spritzte ich mir etwas Wasser ins Gesicht. Auf einmal spürte ich einen beißenden Geschmack im Rachen und übergab mich auch schon.

So völlig aus heiterem Himmel.

Als die erste Welle überstanden war setzte ich mich auf den Klodeckel.

Das kam so unerwartet.

Was war nur mit mir los?

Jetzt begann ich mir wirklich Sorgen um mich selbst zu machen.

Also mehr noch, als sowieso schon…

Und so saß ich da.

Mit den Händen auf den Bauch gelegt und in meine Gedanken vertieft.

Erst, als mir ein Lichtstrahl ins Gesicht strahlte fiel mir auf, dass ich kein Licht angemacht hatte.

Vom Waschbecken her stank es immer noch beißend und ich blickte zur Tür.

Dort stand Gabe.

Das Licht in seinem Rücken ließ die Ringe unter seinen Augen noch dunkler erscheinen.

Er kam zu mir und kniete sich neben mich.

Dann legte er eine Hand auf mein Knie und flüsterte “Was ist nur mit dir los? Wie kann ich dir helfen…“ Seine Stimme klang verzweifelt.

Er warf einen schnellen Blick zum Waschbecken und sah wieder in meine Augen.

Ich legte eine Hand auf seine Wange.

Entweder hatte er Fieber, oder meine Hand war eiskalt.

„Das tust du doch schon“, sagte ich kaum hörbar. Plötzlich strafften sich seine Schultern.

Er lächelte.

Das war das erste richtige Lächeln seit langem.

Ich konnte förmlich die Lampe über seinem Kopf sehen.

Müde lächelte ich und wartete.

„Wenn du deinen Geburtstag nicht hier feierst, dann ist dein ganzer Traum nichtig.

Das heißt, wir müssen lediglich dafür sorgen, dass du an deinem 20. nicht in der Akademie bist. Und wenn wir schon gehen, dann gehen wir nach Esmeras, dort gibt es bestimmt jemanden, der dir deinen Traum deuten kann…“

Gabe schien hellauf begeistert von der Idee zu sein. Bei mir hielt sich die Freude in Grenzen, denn meine Meinung über Esmeras hatte sich in den letzten 2 Jahren nicht geändert.

Ich stand auf und versuchte zuversichtlich zu wirken.

Gabe stürmt bereits aus dem Zimmer und setzte sich an meinen Laptop.

Als ich die Badezimmertür hinter mir schloss war Gabe schon dabei die Angebote verschiedenster Fluganbieter zu checken.

Man konnte nämlich in die Nähe von Esmeras fliegen.

Man musste sich nur eines der umliegenden Länder aussuchen.

Frankreich, Deutschland oder Belgien. Gerade war er auf der Seite von Belgium Airlines.

„Ok, wir fliegen heute Nachmittag.

Das ist gar nicht so teuer. Und dann kommen wir in Belgien am Airport an und fahren mit dem Taxi an die Grenze zu Esmeras, und von da laufen wir nach Esmeras. Das dauert gar nicht lange… Gut…“

Er war vollkommen in seine Reiseplanung vertieft, während ich mich umzog.

Als ich mein Spiegelbild sah fühlte ich mich noch elender.

Ich sah aus, wie eine Leiche auf Beinen.

Meine Haut hob sich kaum von meiner weißen Tapete ab und meine Iris war ungewöhnlich stark geweitet.

Meine Lippen zitterten, als ich mir mit der Bürste durch das Haar fuhr.

Das waren aber alles nur allgemeine Zeichen von Kreislaufschwäche und Übermüdung.

Kein Wunder bei der Menge Schlaf, die ich in letzter Zeit bekam.

Meine Kleiderwahl entsprach so gar nicht meiner Stimmung.

Ich trug einen beigen Knielangen Rock, der ziemlich Taillen betont war.

Im Rock steckte eine weiße Bluse, und über der hatte ich eine ebenfalls beige Strickjacke an.

Ich sah aus, wie in den 50ern.

Jetzt fehlte nur noch die Hochsteckfrisur mit extra viel Haarspray.

Ich wählt eine weiße GG&L und stellte mich hinter Gabe. Ich wusste nicht, was ich an Gepäck mitnehmen sollte.

Trugen dort alle Kampfmonturen oder nicht?

„Gabe, was soll ich als Gepäck mitnehmen?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Da ich nicht weiß, wie lange wir dort bleiben werden kannst du auch einfach alles was du brauchst dort shoppen gehen.“

Diese Worte wirkten Wunder.

Und das wusste er. Ich besaß immer noch die Kreditkarte mit dem Taschengeld von Mr. Katzen. Wahrscheinlich hatte er mich längst vergessen, und die monatliche Zahlung fiel ihm gar nicht auf.

Also steckte ich mir meinen American Express ein und fragte mich, ob sie dort meine Karten annahmen. Schließlich gab es dort keine Technik. Also doch lieber Bargeld abheben…

Ich sah hinaus aus dem Fenster, das wie ein Bullauge aussah.

Unter mir sah ich nichts als Meer.

Überall blau.

Neben mir saß Gabe und schlief. Ich glaube er hatte lange nicht mehr so gut geschlafen.

Ich öffnete meinen Gurt und quetschte mich an Gabe vorbei auf den Gang.

Ich lief zu einer blonden Stewardess und fragte sie, wann wir landen würden.

„In etwa 4 Stunden“, sagte sie mit einer angenehmen Stimme. Das war die Stimme, die einen bittet Ruhe zu bewahren.

Sie hatte einfach so eine beruhigende Art.

In ihrer Nähe fühlte ich mich wohl.

Wisst ihr, wie das mit dem Zauberglanz funktioniert?

Normalerweise verschwindet er nur, wenn an sich konzentriert, aber manchmal kann man die Dinge auch aus den Augenwinkeln erkennen.

Als ich mich also völlig nichts ahnend umdrehte, um die Toilette aufzusuchen sah ich etwas großes weißes, das dort nicht hingehörte.

Ich drehte mich wieder um und setzte mein zweites Gesicht ein.

Ich riss erstaunt die Augen auf.

Der Stewardess waren Flügel gewachsen.

Natürlich hatte sie die auch vorher schon gehabt… Aber ihr wisst, was ich meine.

Jedoch waren ihre Flügel zierlicher als die von Gabriel.

Jetzt fiel mir erst auf, wie sorgsam sie sich bewegte. Sie hatte ihre Flügel so klein gefaltet, dass es nicht sonderlich anders war, als trüge sie einen großen Rucksack.

Unter dem Zauberglanz trug sie ein langes weißes Kleid, das an der Seite eine ungewöhnliche Naht hatte.

Ich fragte mich, wieso sie ihr Flügel nicht einfach komplett auflöste, so wie Gabriel.

Aber dann fiel mir ein, dass Gabriel ein Erzengel war, und sie das vielleicht gar nicht konnte.

Jetzt war ich irritiert.

Vorsichtshalber überprüfte ich auch das ganze restliche Flugzeug, aber bis auf eine Elfe sah ich nichts.

Elfen waren nicht ungewöhnlich, die flogen oft mit den öffentlichen…

Schließlich beschloss ich einfach zu fragen.

„Ähm, Miss, könnten sie kurz kommen“, meine Stimme zitterte leicht.

Mit einem freundlichen Lächeln kam sie auf mich zu.

Ihre Flügel bewegten sich fast gar nicht, so angespannt hielt sie sie.

Mit dem Zauberglanz ist es wie mit optischen Täuschungen.

Sobald man ein neues Bild erkannt hat ist es fast unmöglich das alte wieder zu sehen.

Man muss sich immer anstrengen, wenn man umdenken will.

Ich zog sie leicht am Ärmel zu einer ruhigeren Gegend.

Wir standen direkt vorm Cockpit Eingang.

„Hey, ähm, was macht ein Engel so weit über den Wolken?“

Jetzt lächelte sie wissend.

„Du hast es also erkannt…“, es war wieder diese Stimme, und wieder beruhigte sie mich.

Sie öffnete die Tür, und wir befanden uns im Ruheraum der Stewards.

Ich setzte mich ihr gegenüber auf eine Liege und sah sie gespannt an.

„Ich hab noch nicht so viele Engel gesehen, das ist immer noch komisch“, ich kicherte.

„Das glaub ich gerne.“

Ich klatschte in die Hände und beugte mich vor. „Okay, erst mal, wie heißt du?

Wie ist das so mit Flügeln, sind die sehr schwer? Hast du schon mal ausprobiert, wie hoch du fliegen kannst?

Was bist du überhaupt für ein Engel, und wieso sieht man euch so selten?“ Ich fand, das waren genug Fragen fürs erste…

Sie lachte.

„Also, ich heiße Caliel, aber eigentlich habe ich keinen festen Namen.

Der ändert sich nämlich immer mit dem Geburtstag meiner Seele, aber Caliel war mein aller erster Name, und den habe ich einfach behalten… nein, Flügel sind nicht wirklich schwer.

Eher wie so ein Schulranzen.

Ja, ich bin auch schon mal zur Schule gegangen… Und nein, ich habe bis jetzt kein Limit festgestellt. Also ich bin ein Schutzengel, aber mein Patron wurde noch nicht wieder geboren.

Du musst wissen, das ist ein ganz großes Geheimnis von da oben, aber irgendwie fühle ich, dass dein Schicksal wichtig ist. Ich glaube ich erzähl‘s dir einfach mal, aber sag niemandem, dass ich das erzählt habe, okay?“

Ich nickte, und sie fuhr fort.

„Also ich erklär dir die Kurzform. Es gibt immer zwei Seelen, die untrennbar miteinander verknüpft sind. Sie leben zusammen, und wenn der eine stirbt, kann seine Seele nicht wiedergeboren werde, bis auch der andere gestorben ist.

Das dauert meist nicht lange, denn ohne ihre Seelenverwandten halten die meisten es nicht lange aus.

Meine Seele schwebt momentan irgendwo im Nirwana oder so herum.

Das weiß niemand, wohin die Seelen dann gehen. Aber bald wird sein Seelenverwandter auch sterben. Und dann geht das ganze wieder von vorne los…

Es ist wie in diesem Kinderlied. Januar, Februar, März, April die Jahresuhr steht niemals still… Oktober, November, Dezember und dann, und dann fängt das ganze schon wieder von vorne an…“, sie sang und begann zu lachen.

Ich sah mich suchend im Ram um und bevor ich fragen konnte antwortete sie auch schon.

„Nein, du hast keinen Schutzengel… Nur Menschen haben einen bekommen…

Ach und zu deiner letzten Frage, ihr beachtet uns ja nicht.

Zugegeben, die Cherubim und Erzengel sind wirklich nicht oft auf der Erde, aber Schutzengel sind überall.

Nur kann man sie nicht sehen, solang ihre Seele lebt. Denn dann sind die Schutzengel im Körper ihrer Seele. Sonst würde es einfach zu voll werden“, sie lachte herzhaft.

Ich hatte während der Geschichte mein Handy aus der Hosentasche genommen, und daran rumgefummelt.

Jetzt fiel es hinunter und ich beugte mich vor, um es aufzuheben.

Dabei rutschte die Kette aus meiner Bluse und baumelte vor meiner Nase.

Über mir sog Caliel scharf die Luft ein.

Als ich aufblickte hatte sie den Mund weit aufgerissen.

Sie keuchte.

„Das ist ja ein Teil des Amuletts…“, zögernd streckte sie die Hand aus, aber kurz bevor sie den Anhänger berührte zog sie sie wieder zurück. „Woher hast du das?“ sie klang immer noch völlig entgeistert.

„Na ja, ich habe es seit meiner Geburt, und Gabriel meinte, ich solle gut darauf aufpassen…“

Jetzt sah sie aus, als hätte sie Gott höchstpersönlich gesehen.

Der Gabriel? Du hast den Gabriel getroffen, und er hat dir seinen Anhänger anvertraut?“

Jetzt runzelte ich die Stirn.

Sein Anhänger?

Wieso sein Anhänger?

Aber kurz bevor mein Hirn klick machen konnte sprach Caliel weiter.

„Darauf musst du wirklich gut aufpassen… Weißt du, die wenigsten Engel sind bis jetzt den Großen Sieben begegnet. Die haben ihre Szene weiter oben und verlassen ihr Residenzen eher selten…“

Das klang wie bei Promis. Ich verabschiedete mich von Caliel und ging erst mal aufs Klo.

Als ich wieder zu meinem Platz ging suchte ich überall nach ihr, aber niemand kannte eine blonde Stewardess…

Das war wie in solchen Filmen.

Echt unheimlich.

Als ich mich neben Gabe setzte döste ich wieder ein. Komischerweise blieb ich verschont.

Ich schlief durch und wurde von der Ankündigung des Piloten wach, dass wir uns nun im Landanflug befänden.

Ich schnallte meinen Gurt an, und versuchte mich zu erinnern, wovon ich geträumt hatte, aber ich wusste es nicht mehr. Alles, woran ich mich erinnerte war ein Gesicht direkt hinter meinem Fenster.

Auf einer solchen Höhe natürlich vollkommen unmöglich.

Als wir am überfüllten Flughafen von Belgien standen war mir schon ein wenig mulmig zumute. Ich war noch nie in Esmeras gewesen.

Es war komisch nur Gabe dabei zu haben.

Ich hatte mich schon so daran gewöhnt, dass die anderen vier auch immer in Reichweite waren, dass ich sie garantiert vermissen würde.

Wir liefen zur Gepäckausgabe und nahmen unsere Taschen.

Koffer konnte man die nicht nennen, denn wir hatten ja wie bereits erwähnt keine Klamotten dabei.

Dann begaben wir uns hinaus auf den Vorplatz des Flughafens.

Es war ein schöner sonniger August Nachmittag.

Ich roch die frische Luft, die kaum verpestet war, so wie in New York.

Wir nahmen ein Taxi, und der Fahrer sah uns verblüfft an, als wir ihm sagten, wir wollten mitten in die Pampa.

Wir gaben ihm die GPS Daten und fuhren los. Die Grenze zu Esmeras sah aus, wie ein stinknormales Kartoffelfeld.

Wir bezahlten und stiegen aus.

Ich hing mir die Tasche über die Schulter und sah hilfesuchend zu Gabe.

Wie das jetzt laufen würde wusste ich nicht.

Und schon wieder überkam mich ein Gefühl der Übelkeit und des Schwindels.

Aber diesmal konnte ich mein Frühstück bei mir behalten.

Ich ging kurz in die Hocke.

Als ich mich wieder gefangen hatte sah ich mich um.

Gabe hatte nichts bemerkt und ritze grade ein paar Runen in die Erde.

Ich kroch zu ihm und setzte mich neben ihn. Erblickte nur kurz auf und malte dann weiter. Ich erkannte die Runen.

Da war einmal Algiz in Verbindung mit Raiđō.

Das bedeutete Schutz für den Reisenden.

Dazu malte er noch die Runen Mannaz und Naudiz. Zusammen hießen sie ein Mensch in Not. Schließlich zeichnete er noch die einzelnen Perpro und Dagaz.

Perpro stand für Schicksal und Dagaz für den Tag oder die Dämmerung.

Aber Perpro stand in unserem Fall für die Vorahnung. Was das bedeutete ist natürlich jedem klar.

Nun war ich mir sicher, dass dies nicht die Standard Version eines Türcodes war.

Nein, dies war ein individuelles Gespräch zwischen Gabe und den Türstehern Esmeras‘.

Hoffentlich verstanden sie unsere Bedrängnis…

Ich zückte meine Yara und war schon dabei auch noch Tyr und Ethel dazu zu malen, aber Gabe hielt mich ab.

Für euch kurz die Erklärung.

Tyr ist der Krieger und Ethel die Heimat.

Zusammen heißen sie also Krieger der Heimat. Wieso ich ihm nicht helfen sollte wusste ich nicht. War bestimmt so ne Ego Sache.

Und plötzlich sah ich, was ich zuvor nicht gesehen hatte.

Nie gesehen hatte um ehrlich zu sein. Esmeras.

Aus dem Kartoffelfeld wurde eine grüne Wiese mit vielen Gänseblümchen.

Es war richtig surreal.

Aber eine Stadt war nicht in Sicht.

Ich hob meine Tasche hoch und folgte Gabe über die unsichtbare Grenze.

Als ich Esmeras betrat kribbelte mir der Magen.

Ich war unglaublich aufgeregt.

Und so marschierten wir durch Esmeras.

Um uns herum flogen Vögel und es rannten Kaninchen.

Jedoch mied Gabe jeden Wald oder Schattenplatz. Ich hatte die Geschichten gehört.

Werwölfe trieben in den Wäldern ihr Unwesen. Aber das störte mich nicht.

Wir wanderten an einem kleinen Bach entlang und als ich grade etwas Quellwasser trinken wollte, schlug Gabe mir gegen die Hand und das Wasser fiel zurück in den Strom.

„Das solltest du nicht trinken… Diese Gewässer gehören den Blütenfeen. Man kann nie wissen bei den kleinen Biestern.“

Ich zuckte mit den Schultern und wir gingen weiter. Immer wieder hatte ich Gleichgewichtsprobleme, aber ich schob das auf den Jetlag.

Zeitverschiebung war schon eine Scheißsache. Unglaublich verwirrend.

Schließlich erkannte ich Konturen am Horizont.

Das musste Esmeras sein.

Ich fand Esmeras unglaublich faszinierend.

Obwohl ich nie da gewesen war kannte ich die Stadt doch ziemlich gut.

Das war Pflichtstoff in der Ausbildung gewesen. Esmeras bestand aus sieben Bezirken.

In jedem Bezirk wohnte eine andere Gattung.

Zum Beispiel wohnten im Bezirk Zadkiel die Hexenmeister und Schamanen.

Dort wohnte auch die berühmte Chilali.

Sie war eine der ersten Schamaninnen gewesen, wenn nicht sogar die erste.

Wie lange sie schon lebte wusste niemand.

Aber sie war sehr, sehr alt.

Es hieß sie sei eine direkte Nachfahrin der Eva oder vielleicht sogar Eva selbst.

Es gab die wildesten Theorien…

Und während ich so nachgrübelte kam Esmeras immer näher.

Gabe neben mir war ungewohnt schweigsam.

Er lief wortlos neben mir her und manchmal blickte er verstohlen zu mir rüber.

Meist gerade dann, wenn ich wieder kein Gleichgewicht hatte.

Aber er sagte nichts.

Schließlich waren die Stadttore von Esmeras keine hundert Meter mehr entfernt.

Mein Herz klopfte wie wild. Beruhigend nahm Gabe meine Hand und drückte sie.

So gingen wir zum Tor. Angelehnt an ein Wachhäuschen stand ein Nephilim.

Das erkannte man sofort an seiner Kampfmontur.

Er trug das Wappen einer alten Familie auf der Brust aufgestickt und sah uns mit misstrauischem Blick an.

Langsam merkte ich, wie erschöpft ich war.

Die Sonne stand schon weit über ihrem Zenit und bald würde die Dämmerung einsetzen.

Zuhause musste es schon finstere Nacht sein.

Ich glaube wir sahen ziemlich abgerissen aus.

Wie die Nephilim Version einer Liebesgeschichte, bei der das Liebespaar in eine andere Stadt flüchtet, um vor den verfeindeten Eltern zu fliehen.

Ja, meine Fantasie ging mit mir durch, ich weiß… „Namen“, fragte der Wächter geschäftlich, aber nicht sehr nett.

Gabe hob eine Hand und zeigte zuerst auf mich und dann auf sich selbst.

„Das ist meine Verlobt Josephine van Pevencie und ich bin Gabriel McIntire. Wir haben uns vor ein paar Stunden angemeldet. Wir bitten Einlass.“

Der Wächter holte einige Papiere hervor und sah sie durch.

„Ah, da haben wir sie ja. Vor fünf Stunden haben wir uns gesprochen…“

Fünf Stunden!?

Es kam mir gar nicht so vor…

„Ja, ich habe ihre Beweggründe beglaubigt.

Damit dürfen sie herein.“

Er gab jemandem ein Zeichen und eine kleine Tür in dem riesigen Tor öffnete sich.

Ich zog den Kopf zwischen die Schultern und trat ein. Hinter der Tür herrschte reges Treiben. Menschen und Wesen aller Arten huschten von einer Seite zur nächsten. Hatten Gepäck dabei oder Verwandte, trugen Kleider und Monturen.

Es war, als wäre ich in einem andern Land, aber nicht in einer anderen „Welt“…

Ich blickte zurück, und sah, wie sich das Tor schloss.

Über dem Bogen war ein Engel abgebildet.

Es war eindeutig Raphael.

Also war dies der Bezirk, der Raphael gewidmet war.

Als wir beide so daher schlenderten war ich innerlich total überwältigt.

Um uns herum eilten die Menschen, und die alten Fassaden sahen aus, wie im Mittelalter.

Vermutlich waren sie das auch…

Gabe meinte, dass wir uns erst mal ausruhen sollten, und so übernachteten wir in einer Gaststätte.

Ich war so müde, dass ich mich kaum noch an diesen Abend erinnern konnte.

Aber eins war sicher, ich schlief ohne Albtraum komplett durch.

Am nächsten Morgen bezahlten wir (ohne American Express) und traten in die Sonne.

Es war genauso viel los, wie gestern Abend.

Ich zog die Handtasche enger über meine Schulter, schließlich hieß es doch immer, Gelegenheit macht Diebe.

Und in großen Menschenmengen war das ja immer besonders gefährlich.

Zumindest in Afrika oder Südamerika…

Während ich so meinen Gedanken nachhing tat sich vor uns ein großer Platz auf.

Über all waren Stände und man konnte lautes Marktgeschrei hören.

Alle möglichen Händler priesen ihre Waren an.

Ich war im siebten Himmel.

Gabe schien meine Aufregung zu spüren.

Er lachte und sagte:

„Ok, da ich dich wahrscheinlich sowieso verlieren werde treffen wir uns einfach um 12 an der Kathedrale.“

Er deutete auf den großen Uhrturm am Ende des Platzes. Sie war Sandsteinfarben und kurz unter dem Dach prangte eine riesen große Uhr.

Die Zeiger standen auf kurz nach elf.

Ich nickte und stürzte mich ins Getümmel.

Hastig riss ich meinen Kopf von links nach rechts und hin und her, um mir auch ja kein Angebot entgehen zu lassen.

Dann kam ich an einen Schmuckstand.

An den vielen Waffenständen war ich geflissentlich vorbei gegangen, schließlich hatte ich davon schon genug. In der Auslage lagen wunderschöne Armbänder, Ringe und Ketten.

In allen Formen und Farben.

Aber ein ganz besonderes Kettenpaar zog meine Aufmerksamkeit auf sich.

Es waren zwei Kettenstücke, die zusammen ein Flügelpaar bildeten.

Der linke Flügel war schwarz und in seiner Mitte war ein weißes A eingraviert.

Der rechte Flügel war genau anders herum.

Er war weiß mit einem schwarzen B. Ich nahm die beiden Ketten in meine Hand.

Sie waren wunderschön.

Ich blicke den Händler an.

Es war ein alter Mann mit vielen Falten im Gesicht und einer dicken Brille auf der Nase.

„Kann ich die mit allen Buchstaben haben?“

Er lächelte und nickte. Ich legte die Ketten zurück und bat um ein J und ein G.

Ich ließ dem Mann freie Wahl, welchen Buchstaben auf welche Kette.

Schließlich gab ich dem Mann sein Geld und nahm die Anhänger entgegen.

Es war ein weißes J und ein schwarzes G.

Ich packte die Sachen ein und ging weiter.

Wenig später war ich um ein Seidentuch reicher. Hier auf dem Markt war es wie im Orient.

Während ich mir einen Weg durch das Gedränge bahnte war ich vollkommen entspannt, als mir plötzlich jemand die Handtasche von der Schulter riss.

„Hey“, rief ich völlig perplex.

Ich sah eine dunkel gekleidete Gestalt, wie sie Menschen aus dem Weg schubste und in Richtung Kathedrale rannte.

Als ich meine Schockstarre überwunden hatte sprintete ich los.

Mit vielen „Entschuldigung, bitte“ schob ich die Menge mehr oder weniger sanft aus dem Weg. Schließlich war ich am Rand des Platzes angekommen und sah gerade noch einen schwarzen Schatten in eine Gasse verschwinden.

„Hey!“

Ich gab noch mal alles und kam bei der Gasse an. Ich sah eine Gestalt an der Wand lehnen.

Seine Haltung war merkwürdig, so als hätte dieser jemand zu viele Wirbel im Rücken.

Er machte einen Buckel und hatte sein Gesicht unter einer Kapuze verborgen.

Vor ihm lag meine Tasche. Sie war ausgeschüttet worden und meine Einkäufe lagen zusammen mit allem anderen über die ganze Gasse verstreut. Wütend stapfte ich mit dem Fuß auf.

„Was sollte das! Du packst das schön wieder ein!“ Natürlich war er überhaupt nicht beeindruckt von meiner Show.

Er hob den Kopf und zischte.

Ja zischte!

Ich konnte sein Gesicht erkennen und verzog angeekelt den Mund.

Er war definitiv ein Dämon und hatte ein grünes Gesicht. Es wirkte schleimig und das gab ihm den Anblick eines Wassermonsters.

Jetzt hatte ich keine Hemmungen mehr.

Ich zog meinen Dolch aus der Hosentasche.

„Wie konntest du es wagen mich zu überfallen?“ Mit langsamen Schritten kam ich auf ihn zu. Plötzlich erinnerte ich mich.

Mit einer gewohnten Geste zog ich das Amulett hervor und zog es aus.

Dann hielt ich es wie ein Pendel vor mich.

„Weißt, du was das hier mit deiner schönen Haut macht? Danach reicht kein einfaches Salzwasser Peeling mehr. Also los, du bückst dich jetzt und packst meine Sachen zurück in die Tasche.“

Mit einem Grunzen, das sofort verstummte, als ich das Amulett in seine Richtung schwingen ließ, kniete sich der Dämon hin und packte alle zurück. Zum Glück waren seine Hände nicht schleimig.

Mit Bedacht stand er auf du hielt sich selbst außerhalb meines Radius.

Dann kreischte er und lief um eine weitere Ecke in das Innere der Stadt.

Ich hatte keine Lust in zu verfolgen und hob lediglich meine Tasche auf.

Mit einer beleidigten Geste legte ich mir den Riemen über die Schulter und ging zum Marktplatz zurück.

Luzifer hatte das ganze Geschehen mit einem Lächeln beobachtet. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass er direkt neben dem Dämon gestanden hatte.

Es hatte schon etwas für sich, wenn man mit seiner Umgebung verschmelzen konnte.

Er lachte leise.

Sie hatte es also wirklich, dachte er.

Wie unvorsichtig von dir Gabriel, ihr das Amulett anzuvertrauen.

Du wirst schon noch sehen, wie sie versagt.

Und das ist Gewiss.

Auf Menschen ist kein Verlass.

Noch nie gewesen.

Selbst nicht auf diejenigen, die ein wenig von unserer Stärke geerbt haben.

Jedes Wesen, das ein Herz hat, hat auch eine Schwachstelle.

Und die von ihr war leicht zu erkennen gewesen… Auch wenn sie noch gar nichts davon weiß… Gedankenverloren drehte er seine Kette in der Hand. Soviel hing von diesen kleinen Dreiecken ab, dachte er amüsiert, als er einen Stein berührte und in einem Geheimgang verschwand.

Um kurz vor zwölf stand ich vor der riesigen Flügeltür der Kathedrale.

Den Vorfall hatte ich fast schon wieder vergessen, als ich sah, wie Gabe auf mich zutrat.

Er hatte eine große Tüte dabei.

Mit einem Neugierigen Blick wollte ich schon hineinsehen, als Gabe die Tüte vor mir wegzog.

Er hob den Zeigefinger und wackelte, gespielt belehrend mit ihm in der Luft herum.

„Na, na, na. Das ist für morgen, Geburtstagskind.“ Erst da fiel es mir wieder ein.

Morgen war mein 20. Geburtstag.

Ich spürte, wie ich blass wurde.

Gabe kam schnell zu mir und legte mir einen Arm um die Schultern.

„Hey, das wird schon. Morgen wird überhaupt nichts Großartiges passieren, abgesehen davon, dass meine Liebste ein graues Haar mehr bekommt“, er lachte. Ich streckte ihm die Zunge raus.

„Okay, ich möchte dich jetzt jemandem vorstellen. Ich glaube, sie kann uns helfen. Also los.“

Er nahm meine Hand und wir gingen los.

Weg von der Kathedrale und in eine kleine Gasse hinein. Es war allerdings eine andere Gasse, als die von eben.

Mit gezielten Schritten gingen wir weiter.

Wir gingen meinem Gefühl nach durch die halbe Stadt und kamen in einen anderen Bezirk.

Das konnte man irgendwie sehen, aber fragt mich nicht wie. Schließlich standen wir vor einer dunkelbraunen Tür.

Ich wäre glatt an ihr vorbei gelaufen.

Nichts deutete auf ein Haus hin.

Lediglich eine Tür in einer Mauer.

Gabe trat vor und klopfte dreimal.

Die Tür öffnete sich karrend und ich warf den Blick auf eine Frau mittleren Alters.

Sie hatte lange blonde Haare, die ihr bis über die Hüfte fielen.

Sie trug, wie viele hier, ein grünes Gewand mit weiten Ärmeln.

Ein dünner brauner Gürtel betonte ihre schmalen Hüften. Ihr Kleid hatte einen hoch geschlossenen Kragen, der von einer goldenen Brosche zusammen gehalten wurde.

Ihre Gesichtszüge waren markant und gaben mir noch mehr den Eindruck, dass alles an ihr schmal war.

Ihre blauen Augen hätten sie dumm wirken lassen können, aber der intelligente Glanz in ihnen vertrieb jeden Gedanken daran.

Sie hatte bunte Bänder und Perlen im Haar, was ihr ein verspieltes Aussehen gab.

Mit einer einladenden Geste winkte sie uns herein. In ihrem Haus war es ungewöhnlich hell.

Und ich erkannte den Grund dafür sofort.

Das Dach ähnelte stark einem Gewächshaus.

Und auch der Rest der Einrichtung wirkte so. Überall standen Pflanzkübel mit den verschiedensten Gewächsen.

Sogar ein Baum wuchs zum Dach hin, das bei genauerer Betrachtung gar kein Dach war, sondern nur eine Ansammlung von Balken, auf denen wohl einmal das Dach gelagert hatte.

Mit großen Augen sah ich mich um.

Dies war nur ein einziger Raum, und ich konnte die Türen zu weiteren Räumen erkennen, aber schon dieser Anblick haute mich um.

Unsere Gastgeberin wies uns zu einer Bank, die im Schatten des Baumes stand.

Dieser Baum schien die gleiche Sorte von dem zuhause zu sein, dessen Art ich nie entziffern konnte. Unsicher ließ ich mich auf der Bank nieder. Gabe blieb stehen.

Ich sah einen Schmetterling ganz in der Nähe an einer Blüte saugen und lächelte.

Hier war alles so harmonisch wie in einem Disney Film.

Ich atmete die klare Luft hier drinnen –draußen?- ein und fühlte mich unglaublich entspannt.

„Also, wieso seid ihr zu mir gekommen. Ich nehme doch stark an, dass das deine Idee war, Gabe?“

Sie hatte eine Stimme, die unglaublich rauchig klang. Aber nicht heiser einfach nur gemütlich. Ungewollt kam mir das Bild einer Duftkerze in den Sinn.

Ich sah neugierig zu Gabe.

Die gleiche Frage stellte ich mir auch.

Er räusperte sich.

„Nun ja, Josie hat seit ungefähr zwei Wochen diese beunruhigenden Alpträume und ich dachte mir, dass du wahrscheinlich die beste Traumdeuterin bist, die man sich vorstellen kann. Und jeder menschliche Traumdeuter würde sie in die Klapse schicken… Außerdem hatten die Träume etwas mit unserer Akadmie zu tun, also sind wir sozusagen hier her geflüchtet.“

Seine Stimme war nach außen hin vollkommen ruhig, aber in seinen Augen konnte ich seine Verunsicherung sehen.

„Am besten stell ich mich erst einmal vor. Ich bin Chilali, aber du kannst mich Chi nennen.“

Ich zuckte erschrocken zusammen. Ich saß im Wohnzimmer von Chilali!

Wenn ich das gewusst hätte…

Chilali lächelte.

Wahrscheinlich konnte man mir meine Gefühle ablesen.

„Keine Sorge, dass bin ich gewöhnt. Die meisten Leute würden nicht glauben, dass ich so jung aussehe…“

Sie sagte aussehen, nicht sein.

Ich musste schmunzeln.

„Also gut, Kinder, erzählt mir von dem Traum. Am besten du Josie, schließlich hast du ihn wohl ziemlich oft gesehen.“

Mit schwerer Stimme wiederhole ich den Traum. Chilali lauschte mir still und gab nicht die kleinste Regung von sich.

Auch von meinen Übelkeitsanfällen erzählte ich. Als ich geendet hatte sah sie mich immer noch durchdringend an.

Im Hintergrund konnte ich leise ein Windspiel hören.

Chilali blinzelte und sah zu Gabe.

„Und was gibt es deinerseits noch zu erzählen?“ Nun berichtete Gabe von meinem Flehen im Schlaf. Ich spürte die Angst in ihm hoch kommen.

Ich vergaß immer wieder, wie schlimm es auch für ihn gewesen war.

Auch ihm hatte Chilali mit diesem Anblick vollkommener Trance gelauscht.

„Und wann hat das alles angefangen?“

Ihre Stimme war nun absolut emotionslos.

Nichts deutete auf eine Meinung hin.

„Nun“, nervös fummelte ich an meinem Ausschnitt herum.

Schließlich zog ich den Anhänger heraus und über Kopf.

„Seitdem ich das hier jeden Tag trage.“

Auch beim Anblick des Artefakts kam von Chilali keine Reaktion.

„Ich wollte, dass sie aufhört es zu tragen, aber sie meinte Gabriel hätte gesagt, sie solle es tragen“, brauste Gabe auf.

Ich verdrehte die Augen.

Und wieder waren wir bei dem Thema.

Wir hatten schon oft darüber diskutiert.

Chilali hob eine Hand.

Sie trug einen einzigen goldenen Ring daran.

Ich konnte nicht erkennen, was darauf eingraviert war, aber auch dieser Ring kam mir seltsam vertraut vor. Wie bei vielen Dingen in letzter Zeit.

„Ich glaube nicht, dass es die komplette Schuld des Amuletts der Ma‘lak ist.“

Amuletts der Ma‘lak?

Natürlich, es war ein Engel darauf, und Engel heißt auf Hebräisch Ma‘lak, aber war das ein bildlich zu sehender Name oder nicht?

„Also was sagst du“, fragte Gabe aufgeregt.

Chilali schloss die Augen und schien nachzudenken. „Ich denke, ich muss noch ein wenig darüber nachdenken. Ich werde es euch heute Abend sagen. Vorher muss ich noch ein paar Prophezeiungen durchsehen, um Klarheit zu gewinnen.“

Gabe sah erstaunt aus.

„Prophezeiungen“, fragte er frei heraus.

„Nun, ich könnte euch mein großes Archiv zeigen. Dann könnt ihr es euch vielleicht besser vorstellen.“ Mit einem Wink bedeutete sie uns ihr zu folgen.

Ich zuckte die Schultern und stand auf.

Gabe folgte mir auf den Fersen.

Wir gingen durch eine schwere Eichentür und betraten einen viel dunkleren Raum.

Überall standen Bücherregale.

Sie waren bis oben hin vollgestopft mit Schriftrollen, Büchern und Kästchen.

Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Chilali drehte sich zu uns um, und ihre Perlen klimperten.

„Das hier, meine Lieben, ist mein großes Archiv. Hier befindet sich so ziemlich alles, was die Propheten über die Zukunft ausgesagt haben. Entweder von ihnen, oder von mir niedergeschrieben. Teilweise sind es auch meine Träume, die ganze Epochen abdecken. In den Kästchen habe ich alle möglichen Prophezeiungen, die nicht aus Tinte und Papier bestehen.“

Sie zog ein Kästchen aus einem Regal und öffnete es. Darin lag eine einzelne Knospe.

Sie war vollkommen schwarz und sah aus, als würde sie gleich zerfallen.

Und wahrscheinlich war es auch so.

„Das hier ist das letzte Exemplar der Sylphion. Sie wurde im antiken Rom und Griechenland oft als Heilmittel verwendet. In der Wissenschaft behaupten sie, dass eine Übernutzung der Grund für ihr Aussterben war. Aber ich habe bereits, als sie noch häufig vertreten war diese Knospe gefunden. Sie war kohlrabenschwarz. Ihr müsst wissen, dass diese Pflanze größtenteils an den Hängen des Vesuvs gewachsen ist.

Tja, und eine Woche, nachdem ich mittlerweile mehrere dieser schwarzen Knospen gefunden hatte, ist er ausgebrochen und hat Pompeij unter sich begraben. Es muss in der Luft gehangen haben, oder in der Erde.

Somit ist auch diese Pflanze eine Prophezeiung. Wenn auch eine kurzfristige.

Aber dafür umso gewaltiger. Wie ihr sehen könnt habe ich viele Prophezeiungen über die Welt.

Viele sind bereits passiert. Und ebenso viele werden sich noch erfüllen. Aber ich bitte euch, nicht hier nach irgendetwas zu suchen.

Ihr solltet weder in der Vergangenheit, noch in der Zukunft leben. Das einzige was zählt ist das hier und jetzt. Nun, ich werde euch jetzt euer Zimmer zeigen.“

Wir gingen zurück in den Garten und vorbei an dem Baum. Sie führte uns in ein großes Gästezimmer.

Es hatte ein Himmelbett und eine riesige Couch. Überall standen Bücherregale.

Hier würde ich mich wohlfühlen.

Kurz bevor sie Tür hinter sich schloss trat sie noch einmal hinein.

„Ach ja Josephine? Kann ich noch mal kurz mit dir reden?“

Ich warf Gabe einen Blick zu und er gab mir aufmunternd zu verstehen, dass ich keine Angst zu haben brauchte.

Also trat ich hinaus und stand neben Chilali.

Sie lächelte und deutete auf eine kleine Tür, die sich noch weiter hinten im Gang befand.

Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend lief ich neben ihr her.

Wir betraten ein kleines Zimmer, das nur aus einem Kamin und zwei roten Sesseln bestand.

Ihr Haus war unglaublich vielseitig.

Ich setzte mich in einem Sessel, und sie zündete den Kamin an.

Ich blickte in die lodernde Flamme, zu ängstlich um ihr in die Augen zu sehen.

Sie erhob leise die Stimme.

Ich konnte sie neben dem Prasseln des Feuers kaum verstehen.

„Ich habe über deine Übelkeit nachgedacht… Ich bin mir ziemlich sicher, etwas in deiner Zukunft gesehen zu haben.

Keine Angst es ist nichts Schlimmes.

Ganz im Gegenteil. Du solltest wissen, dass ich aus den Erzählungen der Menschen in ihre nahe Zukunft blicken kann. Wie nah sie ist kann ich meist nicht ermessen, aber in deinem Fall kann es nicht allzu weit entfernt sein.“

Ich sah sie an, und sie lächelte gutmütig.

Der Schien des Feuers warf Schatten auf ihr Gesicht, und ich fragte mich, wie alt sie wirklich war, und ob sie einfach sehr langsam oder gar nicht alterte, oder sie Zauberglanz verwendete.

Ich sah kurz nach.

Zauberglanz war es nicht.

Zumindest kein leichter.

Man konnte ihren Augen am ehesten ansehen, dass sie viel Freude und Leid gesehen hatten.

Was sie wohl alles erlebt hatte.

Es musste eine schreckliche Gabe sein, die Zukunft der Menschen zu sehen…

Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht.

Schon diese kleine Geste wirkte merkwürdig.

Sie war so natürlich. Aber diese Frau vor mir war kein Mensch. Es war allerdings unglaublich schwer das nicht zu vergessen.

„Nun, ich denke, dass du dich immer wieder übergeben musst, und unter dieser Müdigkeit und Gleichgewichtsstörung leidest hat eher weniger mit deinem Traum zu tun. Ich vermute da etwas viel natürlicheres. Liebst du Gabriel?“

Der Themawechsel verwirrte mich. Ich blinzelte. „Ja, natürlich. Über alles auf der Welt.“

Nun schien sich ihr Gesicht noch mehr aufzuhellen. „Dann ist’s ja gut. Josephine, “, sie machte eine kleine Pause,

„ich glaube du trägst ein Kind unter dem Herzen.“ Ihre Worte durchfuhren mich wie einen Schock.

Ich keuchte.

„Bist du dir sicher“, ich flüsterte.

Nun zog sie eine Augenbraue hoch.

„Freust du dich etwa nicht? Es ist doch eine so wunderschöne Nachricht.“

Ich schüttelte den Kopf.

Er schien kurz davor zu sein zu explodieren.

„Nein, nein. Das ist es nicht. Ich war nur geschockt, weißt du, eigentlich nehme ich schon ziemlich lange die Pille, aber ich hab vergessen, dass eine kleine Chance besteht, dass man dennoch schwanger wird, ich hab nur einfach nicht damit gerechnet, das ist alles. Natürlich freue ich mich!“

Jetzt lächelte Chilali wieder.

Mit einer selbstverständlichen Bewegung legte ich mir selbst die Hand auf den Bauch.

Aber fühlen konnte ich nichts. Ich rechnete zurück. Es musste nun so um die zwei Monate her sein, dass ich mit Gabe geschlafen hatte…

Ich wurde erfüllt von einer inneren Wärme und Ruhe.

Ich werde Mutter!

Ich wusste, dass Chilali die Wahrheit sprach.