18
Der schwarze BMW stand unbeleuchtet am Straßenrand. Als Jochen auf gleicher Höhe war, flog die hintere Tür auf und prallte fast gegen sein Knie. Ein hagerer Zwei- Meter- Mann glitt heraus und baute sich vor ihm auf. Mit einer knappen Handbewegung deutete er ins Wageninnere.
Jochen sah sich unsicher um. Er hatte einen Geist beschworen, als er vorhin eine Telefonnummer in St. Georg angerufen hatte, aber er hatte nicht geglaubt, dass der Geist so schnell erscheinen würde.
Er setzte sich auf die Rückbank. Der Große stieg hinter ihm ein und schob ihn in die Mitte. Links saß ein breithüftiger Kerl, dessen Gesicht Jochen nicht erkennen konnte. Er roch nur den Schweiß, der den Mann wie eine Dunstglocke einhüllte.
Der Große schlug mit der flachen Hand auf die Rücklehne des freien Beifahrersitzes. Der Fahrer fuhr an, ohne den Kopf zu wenden.
Sie fuhren zügig über den Steindamm in Richtung Borgfelde, bogen irgendwo rechts ab, wo Jochen sich nicht auskannte. Keiner der Fahrzeuginsassen sprach ein Wort, und Jochen wusste, dass es sinnlos gewesen wäre, sie irgend etwas zu fragen. Seine Idee kam ihm plötzlich idiotisch vor.
Der Wagen hielt vor einem eisernen Rolltor. Das Tor rasselte in die Höhe, und der BMW glitt in eine dunkle Garage, deren Inneres kurz von den abgeblendeten Scheinwerfern erhellt wurde, bevor sie erloschen. Das Tor fuhr wieder herab.
Jochen versuchte, seine Unsicherheit und Angst nicht allzu deutlich werden zu lassen, als die Kerle ausstiegen. In einer Ecke leuchtete eine abgeschirmte Lampe auf. Durch eine Tür kam ein feister Mann, der mit schlenkernden Armen auf den BMW zuging. Die Männer, die Jochen im BMW hergebracht hatten, waren nicht zu sehen, aber er war überzeugt, dass sie im Schatten standen und auf das kleinste Zeichen ihres dicken Chefs warteten, um einzugreifen.
Der Dicke zog die hintere Tür auf und bückte sich. Er betrachtete Jochens Gesicht, das im Schein der kleinen Innenlampe gut zu erkennen war. Erst nachdem die Musterung beendet war, ließ er sich mit einem leisen Seufzer auf die Bank fallen. Die Tür blieb geöffnet.
»Wie kommst du darauf, dass ich dir helfen könnte?«, begann er.
»Ich habe von Ihrem Ruf gehört«, sagte Jochen. »Karl Zaczek. Es heißt, dass ohne Sie nichts läuft östlich der Alster.«
Karl Zaczek lachte selbstgefällig. »So ist es, mein Junge.« Das Lachen hörte abrupt auf. »Du wolltest mich sprechen. Normalerweise reagiere ich nicht darauf, wenn mich ein Polizist sprechen will. Dafür habe ich Anwälte, oder ... na, lassen wir das. Du hast mich neugierig gemacht. Ich habe deinen Namen nämlich schon gehört.«
»So?«, machte Jochen. Er dachte an Maria. Sein Herzschlag beschleunigte sich.
»Du kommst aus der Heide hierher und fegst über den Kiez wie eine Dampfwalze. Junge, du willst doch alt werden in dieser Stadt!«
Jochen blickte in das feiste Gesicht. Zwischen den feuchten, aufgeworfenen Lippen glänzte ein Goldzahn. Wie in einem alten Gangsterfilm, dachte Jochen plötzlich, und er fühlte sich wie in einem Traum.
»Du musst gewisse Spielregeln einhalten, mein Junge«, fuhr Z fort. »Sonst holst du dir eine blutige Nase.«
»Oder eine Kugel?«
Karl Zaczek schüttelte tadelnd den Kopf. »So etwas passiert einfach, wie ein Unfall, verstehst du? Niemand will so etwas, niemand, glaub mir! Es gibt andere Mittel, um sich einen Polizisten gefügig zu machen. Oder ihn kaltzustellen.«
»Wollen Sie mir drohen? Ich habe keine Angst. Und bestechlich bin ich auch nicht.«
Z lachte trocken auf. Es klang wie ein Husten. »Junge, du bist viel zu grün, um eine Drohung zu verstehen. Und dich kaufen? Jungen wie dich kaufe ich nicht. Ich warte, bis ihr eure Illusionen verloren habt. Dann kriege ich euch für einen kleinen Gefallen, oder für gar nichts. Aber dein Eifer kann gefährlich werden . . .«
»Wem?«
»Mir, das gebe ich zu, aber ich kann mich wehren. Dein Eifer gefährdet vor allem dich selbst. Halt dich etwas zurück.«
»Also doch eine Drohung!«
Zaczeks Seufzer verriet aufkommenden Ärger. »Du willst doch etwas von mir! Muss ich dich daran erinnern?«
»Ich suche meine Schwester«, sagte Jochen.
»Ich weiß . . . Schade, wenn ich es früher gewusst hätte . . .«
»Was ist mit ihr?«, fragte Jochen laut. Er beugte sich zu dem dicken Mann hinüber.
Wie aus dem Nichts erschienen die Leibwächter an den Türen. Zaczek scheuchte sie mit einer ärgerlichen Handbewegung zurück.
»Ich weiß nicht; wo sie ist, aber ich werde es herausfinden. Und ich werde dich wissen lassen, wo sie ist. Diesen Gefallen werde ich dir tun. Ist das alles?«
Jochen nickte. Seine Kehle war wie zugeschnürt.
»Ich brauche aber Zeit dafür, ein paar Tage vielleicht. Werde nicht ungeduldig.«
»Nein«, sagte Jochen heiser.
Er spürte den Blick der vor quellenden Augen auf seinem Gesicht.
»Hast du eine Vorstellung davon, in welchem Zustand du sie vielleicht vorfinden wirst?«
»Nein, aber es ist mir egal.«
Zaczek nickte. »Geh mit ihr in die Heide zurück. Dies ist keine Stadt für Kinder wie euch. Jemand hat einen Fehler gemacht, einen bösen Fehler . . .«
»Reimers!«
»Vergiss ihn, Junge! Ist das klar? Das ist der Preis, den ich verlange. Vergiss ihn, sprich nie wieder von ihm! Vergiss, dass du den Namen je gehört hast. Und sorg dafür, dass deine Schwester ihn vergisst. Ganz gleich, was sie dir je erzählen wird!«
Zaczek stieg aus. Jochen sah ihm beklommen nach, bis er durch die kleine Tür verschwand.