18

Else Frings sprang erschreckt auf, als die Klingel ertönte. Dattner sah sie missbilligend an und deutete dann auf den Monitor, wo das nichtssagende Gesicht Pollacks zu erkennen war.

»Der ist auch ein Ganove, aber lassen Sie ihn rein.«

Die Frings führte den Privatdetektiv herein und schloss dann die Tür. Sie blieb immer im Vorraum, wenn Dattner Besuch hatte.

Pollack streckte seine Hand in Dattners Richtung. Dattner ergriff sie und drückte sie kurz und widerwillig. Pollack setzte sich und lächelte.

»Es geht Ihnen besser«, sagte er. »Das freut mich.«

»Was gibt es?«

»Ich habe gehört, dass die Polizei zwei Männer festgenommen hat.«

»Sie sind wieder auf freiem Fuß.«

Pollack lächelte unbestimmt. »Soll ich mich mal mit ihnen befassen?«

»Nein, das ist nicht nötig. Sie können nichts mehr für mich tun.« Dattner zog die Schreibtischschublade auf und holte das Scheckheft heraus.

»Sie brauchen Personenschutz, Herr Dattner. Ich kenne da jemanden. Zuverlässig, beste Referenzen ...«

»Ich habe Brehm.«

»Brehm ist ein Weichling. Wie alle Schwulen. Der hat nicht so viel Mumm wie ein toter Hering.«

Dattner, der schon begonnen hatte, das Scheckformular auszufüllen, blickte auf.

»Das wussten Sie nicht?«, fragte Pollack.

»Es interessierte mich nicht.« Er unterschrieb den Scheck und schob ihn über den Tisch. »Sie brauchen sich nicht weiter zu bemühen.«

»Ich könnte auf eigene Faust weitermachen. Nur auf Erfolgsbasis.«

Dattner hob die Schultern. »Es hat keinen Sinn.«

Pollack betrachtete den Scheck. Die Summe war großzügig bemessen. Er stand auf und verbeugte sich leicht. »Vielen Dank, Herr Dattner. Wenn Sie mich brauchen ...« Er verstummte, wandte sich um und ging.

Dattner blickte auf den Monitorschirm. Pollack baute sich vor dem Fahrstuhl auf, stieg dann ein.

»Frau Frings! Rufen Sie mir ein Taxi!«

Else Frings erschien in der Verbindungstür. »Sie wollen schon weg? Es ist doch erst Viertel vor sechs!« Sie murmelte etwas Unverständliches, als sie sich das Telefon heranzog.

Dattner warf einen neuen Blick auf den Monitorschirm, bevor er den Safe öffnete. Er nahm zwei dicke Geldbündel aus dem Innentresor, die er in die Innentaschen seines Jacketts stopfte.

»In fünf Minuten kommt der Wagen!«, rief die Frings. »Der Fahrer schellt.«

Dattner ging mit schweren Schritten zum Garderobenständer und nahm seinen Mantel. Unwillig wehrte er die Frings ab, die herbeieilte, um ihm in den Mantel zu helfen.

»Lassen Sie den Unfug!«, sagte er barsch.

Als die Klingel anschlug, verließ er wortlos seine Geschäftsräume. Das Taxi stand in der Einfahrt zum Hof. Der Fahrer stieß von innen die hintere Tür auf. Dattner ächzte, als er sich umständlich hineinsetzte. Die Bandagen hinderten ihn immer noch am Atmen, und hin und wieder spürte er noch einen scharfen Schmerz im linken Oberbauch, wo nach Ansicht der Ärzte die Milz durch einen Fußtritt in Mitleidenschaft gezogen worden war.

»Adersstraße«, sagte er und zog die Tür zu. »Zwischen Scheuern und Pionierstraße.«

Der Fahrer sah sich um. »Mann, dafür lassen Sie mich kommen? Da sind Sie doch zu Fuß schneller!«

»Wollen Sie mich fahren?«

Der Fahrer verzog das Gesicht, drehte sich um und fuhr an.

»Ich muss über die Herzogstraße fahren«, sagte er.

Dattner reagierte nicht. Er hing seinen Gedanken nach. Hatte er richtig gehandelt, als er den jungen Mann, den er an der Stimme erkannt hatte, davonkommen ließ? Bandisch, der Kriminalbeamte, hatte ihm indirekt bestätigt, dass dem Kerl höchstens die Beteiligung am letzten Raubüberfall nachzuweisen gewesen wäre. Dattner hatte Deugius gefragt, mit welcher Strafe der Bursche zu rechnen gehabt hätte. Deugius wollte sich nicht festlegen, das taten die Juristen nie. Es hinge von verschiedenen Faktoren ab. Ob der Beschuldigte vorbestraft sei, ob er der Haupttäter oder nur ein Mittäter, der Anstifter oder weiß der Teufel was gewesen sei. Es hätte jedenfalls sein können, dass der Mann mit ein, zwei Jahren davongekommen wäre, weil er ja keine Beute gemacht hatte, vom Inhalt der Brieftasche abgesehen, der ja nicht das beabsichtigte Ziel des Überfalls gewesen sei. Weil Dattner den Safe nicht aufgemacht hatte, hätte die Anklage wahrscheinlich nur auf versuchten Raub lauten können.

Ein Jahr, zwei Jahre, davon ein Drittel auf Bewährung ...

Wenn er den Mann ins Gefängnis geschickt hätte, wäre der einzige Faden, der ihn mit den Mördern seines Sohnes verband, gerissen.

»Wo wollen Sie aussteigen?«

Dattner schreckte auf. Das Taxi stand mitten auf der Fahrbahn.

»Hier ist es gut.« Dattner suchte seine Taschen nach einem Geldschein ab, fand einen zerknüllten Fünfzigmarkschein, den er dem Fahrer in die Hand drückte. »Können Sie auf mich warten?«

»Sicher. Aber ich kann hier nirgendwo stehenbleiben. Ich fahre was auf und ab.«

Dattner stieg aus und ging auf ein unauffälliges Haus zu. Die zahlreichen Schilder neben dem Eingang verrieten, dass hier Schneider, Fotografen und Werbeleute ihre Ateliers unterhielten.

Dattner drückte auf einen Klingelknopf. Walkowiak stand in dem Kästchen daneben. Er wartete drei Sekunden, dann drückte er einen anderen Knopf, dessen Namensfeld keine Beschriftung aufwies. Sofort schnarrte der elektrische Türöffner. Dattner drückte die Tür auf. Er ging über einen hellen Flur, den er durch die Tür zum Hof wieder verließ. Er überquerte den Hof und steuerte einen niedrigen Anbau an, dessen Fenster mit einem kräftigen Scherengitter gesichert waren. Als Dattner die massive Stahltür erreichte, sprang sie mit einem deutlich hörbaren Knacken auf.

Walkowiak kam ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen.

»Dattner! Ich habe gehört, was Ihnen passiert ist. Kommen Sie, setzen Sie sich. Möchten Sie einen Cognac?«

»Einen kleinen, ja, bitte.« Dattner setzte sich in einen Ledersessel und streckte seufzend die Beine von sich. Er sah Walkowiak zu, der geschickt mit einer Flasche und zwei Gläsern hantierte. Walkowiak wog über zwei Zentner. Seine Augen waren in dicke Fettpolster eingebettet, die schiefe Nase und die ausgefransten Ohren zeugten von einer bewegten Vergangenheit. Walkowiaks mächtiger Bauch bewegte sich wie ein mit Wasser gefüllter Sack, als er auf Dattner zukam.

»Zum Wohl!«

Sie tranken. Walkowiak setzte sich. Dattner sah sich langsam um. An den Wänden standen Vitrinen, in denen Schmuck ausgestellt war. Fabrikschmuck, wie Dattner wusste. Ware aus Italien, aber auch aus Idar Oberstein und Neu Gablonz.

»Bei Ihnen hat sich nicht viel geändert, Walkowiak.«

»Es sind die Zeiten, die sich ändern. Männer wie wir bleiben sich treu.«

Er lächelte, und Dattner erwiderte das Lächeln unwillkürlich. Er mochte den schwergewichtigen Mann. Warum, hätte er nicht einmal sagen können. Walkowiak war ein Gauner. Ein Hehler. Er kaufte, was woanders geraubt wurde. Vielleicht wurde in diesem Moment ein Juwelier an der Croisette in Cannes überfallen und ausgeraubt. Die Beute würde vielleicht morgen früh schon bei Walkowiak auf dem Tisch liegen.

»Sie so zu behandeln«, sagte Walkowiak dann. »Die Polizei weiß nichts?«

Dattner schüttelte den Kopf.

»Ich habe auch nichts gehört. Vielleicht Leute von außerhalb?«

»Vielleicht. Haben Sie irgendwas Hübsches da? Ich bekomme nächste Woche Besuch aus New York.«

Walkowiak rührte sich nicht. »Sie sollten die Finger von so was lassen, Dattner. Das haben Sie doch nicht nötig.«

»Ich brauche etwas Geld für meine alten Tage.«

»Sie sind doch noch nicht so alt.«

»Ich fühle mich aber so. Vielleicht höre ich auf. Bald schon. Da will ich noch ein paar gute Geschäfte machen.«

Walkowiak stemmte sich in die Höhe. Er walzte in den Nebenraum. Nach einigen Augenblicken kam er mit einem kleinen Tablett zurück, auf dem mehrere Ringe, zwei Anhänger, ein Kettenhalsband aus Platin und vier Cartier Uhren lagen, deren Bänder mit Brillanten besetzt waren.

»Die Uhren sind nummeriert, leider«, sagte er.

Dattner nahm einen der Ringe auf, hielt ihn gegen das Licht, dann zog er seine Klemmlupe hervor und unterzog zunächst die Innenseite des Ringes einer genauen Prüfung. Er entdeckte den Stempel eines bekannten römischen Juweliers.

»Der Ring müsste umgearbeitet werden«, meinte Walkowiak.

Dattner nickte. Er betrachtete den Stein. Das Feuer wies einen bläulichen Schimmer auf, doch um die Qualität des Brillanten genau beurteilen zu können, hätte er zunächst ausgefasst werden müssen.

»Das ist ein lupenreiner, blau-weißer Karäter, Dattner, das wissen Sie.«

Dattner steckte die Lupe wieder ein und ließ den Ring auf der offenen Handfläche liegen. »Wie viel?«, fragte er. Der römische Juwelier, dem der Ring gestohlen oder geraubt worden war, hatte für den Stein schätzungsweise 30 000 Mark bezahlen müssen.

»Zwanzig«, sagte Walkowiak.

Dattner betrachtete den Ring. Er wusste, dass er ihn für fünfzehntausend bekommen konnte.

»Achtzehn«, sagte er.

»Mit Ihnen mach ich gern Geschäfte.« Walkowiak saß breit da und sah Dattner ruhig an. Er wusste, dass noch etwas kam.

Dattner legte den Ring vor sich hin und zog die beiden Geldbündel. Er zählte von einem Päckchen zweitausend Mark ab, die er in seine Jackentasche zurückstopfte. Die anderen Scheine legte er auf das Tablett über den Schmuck.

»Ich brauche eine Pistole«, sagte er dann.

Walkowiak schnalzte mit der Zunge.

»Warum sagen Sie nichts?«, fragte Dattner laut, der sich ohne seine gewohnten Zähne erbärmlich vorkam.

»Sind Sie sicher, dass Sie eine haben wollen?«

»Wäre ich sonst hier und würde fragen?«

»Ich tue Ihnen gerne jeden Gefallen. Diesen tue ich Ihnen nicht gern.«

»Reden Sie nicht. Wann kann ich das Ding kriegen?«

»Brauchen Sie eine Einweisung?«

»Nein. Nur die Pistole und etwas Munition.«

»Ich will versuchen, Ihnen eine neue spanische Astra zu besorgen. Eine Kanone, die garantiert sauber ist. Nicht von Terroristen erbeutet oder sonst was.«

»Es spielt keine Rolle. Ich will sie nicht der Polizei zeigen.«

»Morgen Vormittag wird jemand ein Päckchen bei Ihnen abgeben. Sind Sie da?«

»Um elf muss ich zum Zahnarzt.«

»Gut. Zehn, halb elf. Noch einen Cognac?«

Dattner spürte noch die angenehme Wärme des ersten in seinem Bauch. »Ja«, sagte er.

Walkowiak schenkte nach. »Sie sollten sich einen harten Jungen zulegen. Leisten könnten Sie es sich doch.«

Dattner nippte an seinem Cognac. »Sie hatten doch mal einen, wenn ich mich recht erinnere.«

»Ludwig, ja. Ein dummer Junge. Vor einem Jahr ist er voll in eine Alarmanlage gelaufen. Wollte es unbedingt selbst probieren.« Walkowiak schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich habe mir keinen neuen Aufpasser zugelegt. Die Zeiten haben sich eben geändert. Heutzutage sind alle Gauner. Was will ich mit einem Gorilla ausrichten?«

»Die guten alten Zeiten gibt es nur in der Erinnerung mancher Leute«, sagte Dattner. In seiner Erinnerung gab es nur böse Zeiten. »Wüssten Sie jemanden?«, fragte er unvermittelt.

»Einen, der auf Sie aufpasst?«

»Einen, der sich auskennt. Der Verbindungen hat. Und keine Angst.«

»Einen intelligenten Gauner mit Herz und Verstand und Muskeln. Ist es das? Und dem Sie auch noch vertrauen können.« Walkowiaks Körper begann zu beben. »Dattner, Sie sind ein Schwärmer.« Walkowiak fixierte Dattner mit kleinen Augen. »Soll der Junge nur Ihren Leibwächter spielen? Oder soll er auch mal einen aufmischen?«

»So kann man's nennen.«

»Ist also kein Dauerjob?«

»Nein, nur für ein paar Tage, denke ich. Ich weiß es aber noch nicht genau.«

»Ich denke da an einen. Der ist aber teuer.«

»Wie teuer?«

»Ich weiß es nicht. Ich muss ihn anrufen. Ich sage Ihnen dann Bescheid. Sie können sich dann mal unterhalten. Hier bei mir. Oder wo Sie wollen.«

Dattner steckte den Ring ein. »Vergessen Sie die Pistole nicht. Und lassen Sie mich wissen, was sie kostet.«

»Nehmen Sie sie als Geschenk von mir. Sie soll Ihnen Glück bringen.«

Dattner lächelte.