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»Es ist schön hier«, sagte sie versonnen.

Der dünne Morgennebel über dem Rasen des weiten Parks und die dichten Hecken aus Buchsbaum und Feuerdorn erinnerten sie an zu Hause.

Zu Hause.

Sie spürte einen Stich. Wenn ihre Mutter sie so sähe, oder ihr Bruder. Sie knotete das dünne Batisttuch fester um ihre Hüften, bevor sie sich umwandte.

Sie spürte Peters Blicke auf ihren Brüsten. Er lag auf dem breiten, mit schwarzen Laken bezogenen Bett und sah sie von unten herauf an. Seine breiten Schultern und die behaarte Brust waren für sie der Inbegriff der Männlichkeit gewesen, als sie ihn kennenlernte. Dabei war er anfangs so zärtlich und verständnisvoll gewesen. Ihre Jungfräulichkeit hatte er als Geschenk betrachtet — und genommen.

Seit kurzem sah sie ihn mit anderen Augen an. Sie war blind gewesen in der ersten Zeit. Bald hatte sie erkannt, dass er kein Student gewesen war, wie er behauptet hatte. Sie hatte sich eingeredet, dass es ihr nichts ausmachte. Und sie hatte sich nicht gefragt, wovon er lebte, wovon er den amerikanischen Wagen mit den roten Lederpolstern oder die große Wohnung in Hamburg, hoch über dem Jungfernstieg, mit Blick auf die Binnenalster, bezahlte.

Und gestern hatte er sie mit hierher genommen. Ein Wochenende in einem alten Schloss irgendwo in Schleswig Holstein, sie wusste nicht einmal genau, wo es lag. Irgendwo zwischen Malente und Plön. Zuerst war sie aufgeregt gewesen wie ein Kind, aber am Abend war ihr jäh bewusst geworden, dass sie wie in einem Traum lebte.

Dieses hier war nicht ihre Welt, aber auch Peter Reimers passte hier nicht hinein, genauso wenig wie die Anderen, die sie gestern Abend kennen gelernt hatte. Ihre Sprache war zu gewöhnlich, ihr Bemühen, ihr Benehmen der Umgebung anzupassen, war etwas zu anstrengend ausgefallen.

Peter Reimers und sein Freund Karl, der Schlossbesitzer. Pferde in den Boxen, in den Garagen Porsches und große BMW Limousinen.

Um ein Haar wäre sie beeindruckt gewesen. Sie, das naive Mädchen aus der Heide. Wenn da nicht die Mädchen gewesen wären. Zu viele Mädchen, zu leicht bekleidete Mädchen.

»Warum warst du so unfreundlich zu Karl?«, fragte Peter unvermittelt.

Sie sah ihn befremdet an, aber seine Frage überraschte sie nicht wirklich. Sie hatte genau gespürt, wie dieser Karl sie anstarrte. Ihm gehörte nicht nur das Schloss. Während der Fahrt hier herauf hatte Peter ihr von Karl erzählt. Ihm gehörten mehrere Häuser in Hamburg. Und einige Hotels und Gaststätten auf St. Pauli. Sie hatte es Peters Stimme anmerken können, dass es mehr war als Bewunderung, die er seinem Freund Karl entgegenbrachte. Vielleicht Respekt, hatte sie geglaubt, bis sie ihn gestern Abend vor dem Kamin beobachtet hatte. Es war Unterwürfigkeit. Speichelleckerei. Peter war wie ein Hund, der um die Aufmerksamkeit seines Herrn bettelte.

Karl war ein eitler feister Mann und mindestens fünfzig. Sie hatte genau gesehen, wie er die anderen Mädchen betatscht hatte. Wie ein Viehhändler, der die ihm angebotene Ware prüfte. Den Mädchen schien es nichts ausgemacht zu haben.

Sie bemerkte Peters lauernden Blick. Er wartete immer noch auf ihre Antwort. Ihr lag eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, aber sie wusste jetzt, dass sich zwischen ihr und Peter etwas verändert hatte. Bis gestern hatte sie es nicht erkennen wollen. Sein lauernder Blick machte ihr Angst. Deshalb suchte sie eine Antwort, die seiner Frage die Spitze nahm.

»Ich hatte den Eindruck, als ob er versorgt wäre«, sagte sie leichthin.

Peter Reimers lachte. Die Antwort gefiel ihm. Er sprang aus dem Bett und kam auf sie zu. Er trug einen durchsichtigen Nylonslip, der nur sein Glied umhüllte und es wie die unförmige Nase eines Gnoms aus dem krausen Schamhaar hervorstehen ließ.

Sie spannte kurz die Schultern, als er vor ihr stand, aber als er sie berührte, lockerte sie die Muskeln wieder. Sie spürte nichts, als seine Hände über ihre Brüste strichen, an der Seite hinab und über die Hüften nach hinten wanderten und dann ihre Hinterbacken kneteten.

»Hätte es dir was ausgemacht, mit ihm . . .«

Sie beugte den Kopf nach hinten, um ihn besser sehen zu können. Er versuchte erst, ihrem Blick auszuweichen, doch dann sah er sie voll an.

»Hätte es dir etwas ausgemacht?«, wiederholte sie.

Eigenartig, sie hatte keine Angst vor der Antwort. Weil sie sie kannte?

»Unter Freunden stellt man sich nicht so an.« Er lachte etwas zu laut. Eine Gänsehaut überzog ihren Körper.

»Ich möchte mich anziehen«, sagte sie.

»Es gibt noch lange kein Frühstück«, sagte Peter.

Er presste seinen Mund auf ihre Lippen, während er seinen Slip abstreifte und das dünne Batisttuch von ihrer Hüfte zerrte. Sie spürte sein heißes Glied an ihrem Bauch, und sie hielt den Atem an.

»Was hast du auf einmal?«, fragte er heiser. Mit einer Hand versuchte er, ihre Schenkel auseinander zu zwingen.

»Ich will nicht, ich kann jetzt nicht, ich habe Kopfschmerzen, ich muss mich erst waschen . . .«

Er lachte, als er sie aufhob, sie herum schwang und auf das Bett warf. O Gott, dachte sie, als sie seine Finger in ihrem Gesicht spürte. Er zwang sie, den Mund zu öffnen, zwängte eine rote Pille zwischen ihre Lippen und presste die Faust unter ihren Kiefer.

»Davon verschwinden die Kopfschmerzen, du wirst es sehen!« Er starrte in ihre Augen und wartete, bis sie die Pille schluckte.

Sie schloss die Augen. Sie hatte das Gefühl, dass es ein Fremder war, der sie nahm, und nicht Peter Reimers. Sie hatte ihm vertraut. Bis heute.

Ihr Blick wanderte zu dem hohen Fenster, als Peter sich von ihr wälzte und nach den Zigaretten tastete. Sie sah den Himmel und einen Bussard, der schwerelos unter dem zarten Blau schwebte. Sie fühlte sich schläfrig und aufgedreht zugleich. Sie ahnte, dass es keine Kopfschmerztablette gewesen war, die Peter ihr aufgezwungen hatte.

»Ich möchte nach Hause«, sagte sie undeutlich. »Nach Uhlenbeck.«

»Was will ein Mädchen wie du in der Heide?« Er lachte. Es klang unecht. »Wenn wir nachher nach Hamburg zurückfahren, zeige ich dir etwas.«

Sie reagierte nicht. In ihrem Kopf drehte sich ein Windmühlenflügel. Wie aus weiter Ferne drang Peters Stimme in ihr Bewusstsein.

»Ich habe eine Wohnung . . . für dich . . . Sie wird dir gefallen.«

Eine Wohnung? Für mich? Wofür brauche ich eine Wohnung? Ich wohne doch bei dir . . .

»Aber erst . . . Hörst du mir zu? Ich habe Karl etwas versprochen.«

Sie wandte langsam den Kopf und sah ihn an. Sein Gesicht zeigte einen angespannten Ausdruck. Die Augen glänzten hinter den halb geschlossenen Lidern.

»Willst du nicht wissen, was ich ihm versprochen habe?«

Sie konnte ihre Zunge nicht bewegen, nur die Lippen zuckten.

»Ich habe ihm versprochen, dass du heute morgen nett zu ihm sein wirst.«

Wieder lachte er. Das Lachen schwoll an wie das Heulen einer Sirene. Es füllte ihren Kopf, ließ ihn anschwellen bis zum Platzen. Sie wollte sich aufrichten, aber mit einem erstickten Schrei sank sie zurück.

Reimers glitt aus dem Bett. Er zog seine Hose und ein Hemd an, schlüpfte barfuß in die hellgrauen Slipper und nahm ein Badehandtuch.

»Ich gehe in die Sauna«, sagte er.

Ihre Augen waren geöffnet, schienen ihn jedoch nicht wahrzunehmen.

Er verließ das Zimmer. Die Tür ließ er geöffnet. Er klopfte an die Tür auf der anderen Seite des Ganges.

Karl öffnete. Er trug einen Morgenmantel aus roter Seide. Reimers grinste unterwürfig und deutete mit dem Daumen über seine Schulter. Maria lag wie hingegossen auf dem schwarzen Laken. Ihr helles Haar schimmerte wie Goldfäden. Eine Brust ragte in die Höhe.

Karl Zaczek schnalzte mit der Zunge. »Eigentlich ist sie ja viel zu schade für deinen Stall«, meinte er. Er ging hinüber. »Du solltest ihr noch etwas Zeit geben«, mahnte er, als er das Zimmer betrat. Er warf die Tür zu.

Peter Reimers ging pfeifend nach unten. Es ist immer gut, wenn ein Mann wie er einem Mann wie Karl Zaczek einen Gefallen tun kann, dachte er zufrieden.