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Seine Sinne registrierten nichts Bedrohliches. Nur unbestimmbare Geräusche und Licht, das durch seine geschlossenen Lider sickerte. Seine Zunge tastete durch die leere Mundhöhle, vermisste die Zahnprothesen, berührte empfindliches Zahnfleisch und schmeckte Blut, aber der Schmerz war erträglich. Er konnte nur flach atmen, sehr flach, weil irgendetwas mit seinem Brustkorb nicht stimmte.

»Herr Dattner! Sind Sie wach? Herr Dattner! Antworten Sie!«

Er verzog leicht das Gesicht. Er mochte diese lauten, geschäftsmäßig freundlichen weiblichen Stimmen nicht. Sie klangen alle eine Spur zu schrill. Auch die Frings sprach so.

Die Frings. Wie eine Puppe auf den Tisch geworfen. Ein magerer Schenkel, die Strumpfhose.

»Herr Dattner, Sie sind doch wach!«

Widerwillig öffnete er die Augen, wissend, dass die friedlichen Gefühle weichen würden.

Die Schwester hatte rote Haare und ein weißes Gesicht. Etwas zu spät bemerkte sie, dass er sie ansah, und rasch knipste sie ihr Lächeln an.

»Herr Dattner, können Sie mich hören? Ich hole den Herrn Doktor!«

Er schloss die Augen wieder. Vorsichtig bewegte er eine Hand, tastete an der Seite hinauf zum Brustkorb. Man hatte ihn bandagiert. Eingewickelt wie eine Mumie. Gummisohlen knirschten auf Linoleum, dann spürte er, wie sich jemand neben ihn setzte und nach seiner Hand griff. Kühle Finger, energisch, tüchtig. Er schlug die Augen auf.

Der Arzt sah ihn an. Er bemühte sich nicht um ein falsches Lächeln, aber seine Augen blickten freundlich.

»Haben Sie im Moment Schmerzen, Herr Dattner?«

Die Stimme klang angenehm. Dattner wollte den Kopf schütteln, ließ es aber.

»Nein«, sagte er, und weil er seiner Stimme nicht traute, noch einmal: »Nein.«

»Sie haben zwei gebrochene Rippen und einen Riss der Milz.«

Dattner folgte dem Blick des Arztes, und er bemerkte die Tropfflasche mit der Infusionslösung und den Schlauch, der zu seinem rechten Arm führte.

»Seit wann bin ich hier?« Er schloss sofort die Lippen. Er hätte gern seine Prothesen gehabt. Ohne sie kam er sich entstellt und erniedrigt vor.

»Seit gestern Abend. Ein paar Tage müssen Sie schon hier bleiben.«

Also war heute Samstag.

»Wie spät ist es?«

»Zwei Uhr mittags. Sie können gleich etwas essen. Ihr Hausarzt war übrigens zweimal hier. Wir kennen Ihre Leber- und Blutzuckerwerte. Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen.«

Der Arzt stand auf, und Dattner bemerkte die beiden Blumensträuße auf dem Tisch unter dem Fenster. Die rothaarige Schwester schob sich in sein Blickfeld. Sie lächelte.

»Die Blumen sind von Ihrer Tochter und dem Stammtisch«, verkündete sie.

»War sie hier?«, fragte er.

»Sie hat sie schicken lassen. Aber sie ruft an. Nachher. Sie haben ein Telefon, Herr Dattner, hier, sehen Sie?«

Er wandte den Kopf. Es bereitete ihm Mühe, aber er schaffte es. Er sah das Telefon, und er sah den Mann, der neben dem kleinen Schrank hinter dem Kopfende saß.

Reglos sah Dattner den Mann an, der seinen Blick ebenso unbewegt erwiderte.

Der Mann hatte kurze helle Haare. Er trug eine schwarze Lederjacke, die wie der Bestandteil einer Uniform aussah. Locker, mit übereinandergeschlagenen Beinen, saß er da. Einen Arm hatte er über die Stuhllehne gelegt, die Hand, sie war kräftig und gebräunt, baumelte herab. Der Mann hatte ein flaches Gesicht mit schmalen Lippen und einer kleinen stumpfen Nase, auf der die unauffällige Brille lag. Die Augen hinter den Gläsern waren grau, der Blick eigensinnig, interessiert, prüfend, und doch seltsam vage und unbeteiligt.

»Wer sind Sie?«, fragte Dattner.

Der Mann stellte die Füße auf den Boden und schob sich mit dem Stuhl näher an das Bett heran.

»Mein Name ist Bandisch, Kriminalpolizei. Ich hatte gestern Abend Dienst. Ich freue mich, dass es Ihnen besser geht, Herr Dattner.«

Bandisch betrachtete Dattners geschwollenen Mund. Gestern hatte der Mann schlimm ausgesehen. Schlimmer als die Frau mit ihrem gebrochenen Nasenbein.

»Glauben Sie, dass Sie mir schon etwas über den Hergang der Tat erzählen können?«, fragte Bandisch.

»Weiß Kommissar Siebek Bescheid?«, fragte Dattner.

»Herr Siebek ist jetzt beim Landeskriminalamt«, sagte Bandisch.

»Sind Sie von der Mordkommission?«

»Raubdezernat. Es war Zufall, dass ich gestern Dienst auf der Kriminalwache hatte. Ich habe einen Kollegen vertreten. Sonst hätte vielleicht ein Kollege vom Falschgelddezernat den Fall aufgenommen.«

»Warum ist niemand vom Morddezernat hier?«

»Ihre Mitarbeiterin lebt, Herr Dattner. Sie ist schon wieder zu Hause.«

»Vor zwei Jahren wurde mein Sohn ermordet. Wissen Sie das?«

»Ja. Ihre Stammtischfreunde haben es mir gesagt. Ich hätte es auch so herausgefunden.«

»Es waren dieselben Täter.«

Bandisch musterte das breite, konturlose Gesicht mit den gelblichen Augen, die ihn irgendwie feindselig ansahen.

»Haben Sie sie erkannt?«

»Dieses Mal waren es zwei. Ich habe die Stimme des einen erkannt. Ich bin ganz sicher.«

»Die Täter waren maskiert?«

»Ja. Mit Wollmützen.« Dattner schwieg und schloss die Augen.

Der Arzt trat neben Bandisch. »Sie dürfen ihm nicht zu sehr zusetzen«, sagte er. »Niemand kann sagen, ob sich der Schock als Trauma fixiert hat. Wir dürfen nichts riskieren.«

»Ich kann mir vorstellen, dass er darüber reden möchte«, sagte Bandisch ruhig. »Es kann ihm helfen, den Schock zu überwinden.«

Der Arzt hob die Schultern. »Übertreiben Sie es nicht.« Er ging mit federnden Schritten zur Tür. Im Hinausgehen legte er eine Hand auf das Hinterteil der rothaarigen Schwester. »Pulvermädchen, passen Sie auf die beiden auf«, sagte er.

Die weiße Haut der Schwester füllte sich mit Blut.

»Sagen Sie es, wenn Sie allein sein möchten«, sagte Bandisch.

»Bleiben Sie. Wie ... wer hat mich gefunden?«

»Die Täter haben Ihre Brieftasche im Treppenhaus weggeworfen, nachdem sie vermutlich das Geld herausgenommen hatten. Wie viel Geld befand sich darin?«

»Zweitausend — ungefähr.«

»Dr. Deugius hat die Brieftasche gefunden, als er aus seinem Büro herunterkam. Er hat bei Ihnen geklingelt, aber weil niemand öffnete, hat er vermutet, Sie hätten die Brieftasche verloren. Er ist zu Ihrem Stammtisch bei Schuhmacher gegangen. Weil Sie nicht dort waren, haben Ihre Freunde sich Sorgen gemacht. Damals muss es ähnlich gewesen sein ...«

Dattner schloss die Augen. Deugius, Söntgen und Ruda hatten ihn gesucht und ihn von Max weggezogen.

»Ja«, sagte er heiser.

»Dr. Deugius hat die Einsatzzentrale der Polizei angerufen. Die Funkwagenbesatzung hat die Tür aufbrechen lassen.«

Dattner schwieg. Die Schwester kam näher.

»Er muss jetzt etwas essen«, sagte sie.

»Ich will nichts essen.« Dattners Lippen bewegten sich kaum.

»Aber Herr Dattner, Sie müssen doch wieder zu Kräften kommen! Der Herr Doktor hat extra Hühnerfrikassee bestellt.«

»Weil ich keine Zähne habe? Oder weil ich Jude bin?«

»Ich weiß nicht. Herr Dattner ...«

»Gehen Sie. Ich will nichts essen.«

»Herr Dattner ...«

Bandisch schnalzte mit der Zunge. »Tun Sie, was er sagt. Lassen Sie uns allein.«

»Ich werde mit dem Doktor reden.«

»Tun Sie das. — Können Sie jetzt berichten, was geschehen ist, Herr Dattner?«

»Ist sie weg?«

»Ja, sie ist weg.«

Dattner schlug die Augen auf. »Der Jüngere war schmächtig und nicht sehr groß, höchstens einsfünfundsiebzig, eher etwas weniger. Er trug helle, leinene Turnschuhe ...«

»Tennisschuhe?«

»Nein. Eher Laufschuhe, ziemlich verschlissen. Zuerst hat er mit verstellter Stimme gesprochen. Er hat schwarze Haare.«

»Wie sah die Mütze aus, mit der die beiden sich maskiert hatten?«

»Das waren so lange Wollmützen. Blau, dunkelblau, mit Augenlöchern. Sie reichten bis zum Hals.«

»Woher wissen Sie, dass der eine schwarzhaarig war?«

Dattner überlegte. Dann sagte er: »Er trug ein Hemd ohne Kragen, ein T-Shirt. Ich konnte seinen Hals sehen. Die Haut war weiß und sehr glatt. Unten am Adamsapfel standen ein paar lange schwarze Haare. Der Mann ist jung. Ich bin sicher.«

»Gut beobachtet, und der andere?«

»Er ist größer und breit. Er hat einen dicken Bauch. Seine Schuhe waren braun. Von seiner Haut war nichts zu sehen, aber ich glaube, er war viel älter als der andere. Seine Bewegungen, und dann der Bauch und all das Fett ... Mir fallen noch mehr Details ein. Wenn Sie Zeit haben ...«

»Ich nehme mir die Zeit. Wessen Stimme glauben Sie erkannt zu haben?«

»Die des Schmächtigen, des Jüngeren. Ich habe schon vorher etwas gespürt, wissen Sie? Zuerst hat er mit gesenkter Stimme gesprochen, und einmal schrill und aufgeregt, das war es vielleicht. Er war aufgeregt, hektisch. Und dann sagte er etwas.« Dattner konzentrierte sich, lauschte den Worten nach. »Warum tut er es nicht? Warum? — Er meinte den Safe. Ich habe ihn nicht aufgemacht. Damals hatte er ähnliche Worte gebraucht. Ich erinnere mich genau.«

»Die Männer wollten Sie zwingen, den Safe zu öffnen, aber Sie haben es nicht getan.«

»Ja.«

»Warum nicht?«

»Ich weiß es nicht einmal. Ich habe meinen Besitz schon so oft verloren ... Mir liegt nichts daran. Das können Sie nicht verstehen, aber Sie müssen es mir glauben.«

»Die hätten Sie umbringen können. Viel hat nicht mehr gefehlt.«

»Mir liegt auch nichts mehr am Leben.«

»Weil man Ihren Sohn getötet hat?«

Dattner bewegte die geschwollenen Lippen. Seine Augen bekamen einen hasserfüllten Ausdruck.

»Sie glauben jetzt«, fuhr Bandisch fort, »dass zumindest einer der Täter auch dieses Mal am Raubversuch beteiligt war. Weil es damals so gut geklappt hatte, wollte er es noch einmal versuchen. Nach dem Motto etwa. Kann es nicht sein, dass die ähnliche Situation Sie, sagen wir einmal, dazu verleitet hat, Übereinstimmungen festzustellen, die uns auf eine falsche Spur bringen könnten?«

»Es war dieselbe Stimme! Ich werde sie nie vergessen! Mein Sohn wurde umgebracht, haben Sie das vergessen?«

»Beruhigen Sie sich, Herr Dattner. Bitte, ich muss diese Frage stellen. Seit wann haben Sie die Fernsehüberwachungsanlage?«

»Ich habe sie vor etwa zwei Jahren anbringen lassen. Nach ... nach ...«

»Ich verstehe.«

»Ich verlange, den Leiter der Mordkommission zu sprechen«, sagte Dattner.

»Ich werde Ihr Gesuch weiterleiten«, sagte Bandisch förmlich.

Er fragte sich, warum und wofür er hier seine Freizeit opferte. Er hatte seine Pflicht getan, als er den Fall aufnahm. War es der Anblick der beiden bewusstlosen, misshandelten Menschen gewesen, der ihn veranlasst hatte, dranzubleiben, so lange die Spur noch heiß war? Übers Wochenende wäre die Meldung liegengeblieben. Nichts wäre geschehen. Dr. Deugius, einer der Stammtischfreunde des Überfallenen, hatte ihm zuerst von dem anderen Überfall erzählt, bei dem Max Dattner umgekommen war. Ein junger Mann von 28 Jahren. Erstochen, nachdem der Alte den Safe schon geöffnet hatte. Warum? Hatten die Täter es mit der Angst zu tun bekommen? Er war noch nicht an die Akte herangekommen. Wahrscheinlich würde er sie auch nie zu Gesicht bekommen. Am Montag würde die Mordkommission den Fall an sich ziehen, die alten Ermittlungen wieder aufnehmen. Siebek, der damals offenbar die Ermittlungen geleitet hatte, war zum LKA hinübergewechselt. Terroristenbekämpfung. Dabei ließ sich leichter Karriere machen als mit einem schnellen Raubmord, obwohl dabei Juwelen im Wert von annähernd einer Million geraubt worden waren. Im Düsseldorfer Raum war von dem Zeug kein Stück aufgetaucht, das hätte er erfahren.

Der Mann, der hilflos wie eine gestrandete Qualle in dem weißen Erste-Klasse-Bett lag, tat ihm irgendwie leid. Er hätte nicht einmal sagen können, wieso. Mit keinem Wort hatte Dattner bisher nach seiner Mitarbeiterin gefragt. Immerhin war sie von den eindringenden Gangstern sofort brutal niedergeschlagen worden.

»Was hätten Sie getan, wenn die Täter Ihre Mitarbeiterin vor Ihren Augen misshandelt hätten, um Sie zu zwingen, den Safe zu öffnen?«, fragte Bandisch.

»Ist das eine Frage, die für die Ermittlungen von Belang ist?«

»Nein. Sie kam mir gerade in den Sinn.«

»Sie sollten sich auf Fragen zur Sache beschränken.«

»Ja.«

Dattner zögerte, dann sagte er: »Wie geht es ihr?«

»Den Umständen entsprechend. Sie war lange bewusstlos. Nasenbeinbruch, eine Gesichtshälfte unförmig geschwollen. — Sie haben nicht bemerkt, wie die Täter hereingekommen sind?«

»Nein. Ich hatte den Monitorschirm nicht beobachtet. Die Safetür hat ihn zudem einige Zeit verdeckt. Was sagt Frau Frings?«

»Sie hat nicht viel bemerkt. Eigentlich gar nichts bewusst wahrgenommen. Das Fehlen einer Erinnerung an den Moment vor dem Eintritt der Bewusstlosigkeit kann seine Ursache in der leichten Gehirnerschütterung haben, die sie durch den heftigen Faustschlag erlitten hat. Ich vermute, dass die Täter mit dem Lift eine Etage höher gefahren und dann über die Treppe herabgestiegen sind. Sie haben dann am Treppenabsatz gewartet. Die Monitorkamera erfasst diesen Bereich nicht.«

»Hat Deugius nichts bemerkt?«

»Nein. Dr. Deugius war allein in seiner Praxis. Er wäre eigentlich schon weg gewesen, wenn er nicht durch einige Telefongespräche aufgehalten worden wäre.«

Dattner schwieg.

»Vielleicht waren die Täter mit der Örtlichkeit vertraut«, sagte Bandisch.

»Der eine war schon mal da ...«

»Ja. Aber auch er und seine damaligen Komplizen müssen über Ortskenntnisse verfügt haben. Sie haben noch einen Angestellten Brehm, nicht wahr?«

»Ja, Brehm.«

»Seit wann ist er bei Ihnen?«

»Da müssen Sie die Frings fragen. Ich weiß es nicht genau. Vier oder fünf Jahre.«

»Trauen Sie ihm?«

»Darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich bringe Menschen nicht in Versuchung. Nicht wissentlich. Haben Sie ihn noch nicht vernommen?«

»Brehm? Nein. Ich habe ihn gestern Abend nicht zu Hause angetroffen. Ich versuche es nachher noch mal.«

Das Telefon auf dem kleinen Nachtschrank begann zu schnarren. Dattner verdrehte den Kopf. Er hätte die rechte Hand benutzen müssen, um nach dem Hörer zu greifen.

»Soll ich für Sie abnehmen?«

»Fragen Sie, wer es ist.«

Bandisch nahm den Hörer ab. »Hallo? Mein Name ist Bandisch.«

»Sind Sie der Arzt?«, fragte eine weibliche Stimme.

»Nein. Ich ...«

»Ich bin Elisabeth Dirks. Ich möchte meinen Vater sprechen. Geht das?«

»Herrn Dattner?«

»Ja, ja.«

»Augenblick, bitte.« Bandisch sah Dattner an. »Ihre Tochter. Frau Dirks.«

»Geben Sie her.«

Bandisch stellte den Apparat auf das Bett neben Dattners linke Seite, dann rollte er den Nachtschrank um das Bett herum. Einmal stieß er mit dem Fuß gegen das Gestell mit der Infusionsflasche, die darauf heftig zu schwanken begann. Er spürte Dattners Blicke, und er wurde rot. Dattner hielt den Telefonhörer gegen die Decke gepresst.

»Ich gehe jetzt lieber«, sagte Bandisch.

Dattner nickte nur.

»Oh, Vater, was ist denn schon wieder geschehen?«

»Nichts«, sagte er. »Nichts. Mach dir keine Gedanken. Wie geht es Kurt? Und der Kleinen?«

»Gut.«

»Grüß die beiden.«

»Ja, Vater.«

Er wusste, dass sie es nicht tun würde. Immerhin hatte sie gleich Blumen geschickt. Von Krefeld. Fleurop, vermutlich. Er beschloss, ihr wieder Geld zu schicken. Das würde sie annehmen, ohne ihrem Mann etwas davon zu sagen.

»Woher weißt du es?«, fragte er.

»Jutta hat mich gestern Abend gleich angerufen.«

»Ich wusste gar nicht, dass ihr beide noch in Verbindung steht«, sagte er.

»Wir telefonieren hin und wieder miteinander. — Oh, Vater, wie konnte das nur wieder passieren?«

»Ich weiß es nicht. Es ging so schnell.«

»Wer war dieser Mann? Brandisch, oder wie hieß er doch?«

»Ein Kriminalbeamter.«

»Hat er eine Spur?«

»Ich glaube es nicht. Nein, Kind,ich glaube es nicht. Sie werden wieder nichts finden.«

»Wirst du wieder Privatdetektive engagieren?«

Er zögerte mit der Antwort. Er hatte zwei Privatdetektive bezahlt, Männer mit gutem Ruf. Den einen hatte Deugius empfohlen, der andere hatte vor Jahren einmal für Simon Hirsch gearbeitet, nachdem Hirsch bei einem Überfall in einem Hotel in Wiesbaden Steine im Wert von annähernd zwei Millionen geraubt worden waren. Hirsch hatte einen Teil seines — nicht versicherten Eigentums zurückerhalten. Dattner hatte sich von beiden Detektiven betrogen gefühlt. Trotzdem schickte er Pollack, das war der Mann, der Hirsch geholfen hatte, noch jedes Vierteljahr einen Scheck, damit der weiterhin die Augen offenhielt, falls irgendwo einmal Steine aus der Beute von damals auftauchten. Auch Dattners Geschäftsfreunde und deren Freunde und Partner verfügten über Listen mit genauen Beschreibungen der geraubten Stücke. Es bedurfte großer Geduld, um auf diese Weise etwas zu erreichen.

Einer der Täter hatte keine Geduld gehabt. Er war wiedergekommen. Aber es war eigenartig, dass noch kein Stück aus der Beute auf dem Markt erschienen war.

»Vater, hörst du mich?«

»Ja, Kind, ja. Nein, ich werde keine neuen Privatdetektive engagieren.«

»Gut. Ich komme mal vorbei, wenn ich kann.«

»Ja.«

»Versteh mich.«

»Ja.«

»Kurt, er besucht gerade einen Fortbildungslehrgang seiner Firma, weißt du? Er kann dann Gruppenleiter werden. Es belastet ihn doch sehr. Die viele Arbeit, meine ich. Dreimal in der Woche abends die Lehrgänge

»Da will er nicht daran erinnert werden, dass er mit einer Jüdin verheiratet ist.«

»Vater.«

»Entschuldige. Ich habe es nicht so gemeint. Wirklich nicht. Aber ich fühle mich ebenfalls belastet. Diese Schweine haben mir die Rippen zertreten. Und den Mund. Diese Schweine. Diese Schweine. Wie in Auschwitz haben sie sich benommen.«

»Vater, o Vater, es tut mir so leid.«

»Du brauchst nicht zu weinen. Leg jetzt auf.« Nachdem das leise Klicken ihm verriet, dass sie aufgelegt hatte, sagte er: »Komm her, mein Kind, ich brauche dich so.«