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»Verdammt, Sie lassen mich hier warten wie einen Schuljungen!«, sagte Vohsen laut, nachdem er Kallberg eingelassen und die Wohnungstür wieder geschlossen hatte.

»Ich brauchte die Zeit, zu Ihrem Vorteil, Herr Vohsen«, antwortete Kallberg kühl. »Hampelmänner bringen nichts. Die könnten Sie überdies billiger kriegen. — Könnten wir zur Sache kommen?«

»An mir liegt es nicht!«, grollte Vohsen. »Fangen wir mit dem plötzlichen Interesse der Behörden an der DEMIBAU und den anderen Firmen an.«

»Es ist die übliche Geschichte. Eine der am Bau des Kernkraftwerks beteiligten Firmen hat sich von einem ihrer Kalkulatoren getrennt. Es war kein Mann, der aufgrund seines Aufgabenbereichs den großen Überblick hatte, aber anscheinend hat er über Jahre hinweg Kopien von allen Kalkulationsunterlagen gemacht, an die er rangekommen ist. Er hat versucht, seine Firma zu erpressen. Sie hat die Gefahr unterschätzt und ihn abfahren lassen. Daraufhin hat er das ganze Zeug der Kartellbehörde übergeben.«

»Verdammt, warum hat man nicht mit ihm verhandelt!«

Kallberg hob die Schultern. »Die Prüfer der Staatsanwaltschaft werden sich besonders für die Kalkulationen solcher Projekte interessieren, für die die Firma den Zuschlag nicht bekommen hat, obwohl sie mit dem Preis niedriger lag als die Konkurrenz, die den Auftrag schließlich erhielt.«

»Weil die Firma nicht dran war, hat sie im Angebot einen höheren Preis genannt«, stellte Vohsen nüchtern fest. »Kann man den Kerl nicht mundtot machen?«

Kallberg war an den Tisch getreten, auf dem Vohsen Flaschen und Gläser bereitgestellt hatte. Langsam drehte er sich um.

»Es ist bereits geschehen«, sagte Kallberg.

Vohsen sah in die leuchtenden blauen Augen, und er konnte ein Gefühl des Unbehagens nicht unterdrücken. Jemanden mundtot machen, das sagte man doch, wenn man jemanden das Maul stopfte. Mit Geld oder mit der Androhung von Konsequenzen. Aber man meinte es nicht buchstäblich. Bestechung, Preisabsprachen, das waren notwendige Maßnahmen, nichts anderes als Akte der Notwehr.

Sprach Kallberg etwa von Mord?

Es war ausgeschlossen, aber Vohsen wagte es nicht, nachzuhaken.

Kallberg schenkte sich einen Whisky ein. »Ich weiß aus sicherer Quelle«, sagte er, »dass die Untersuchungen der Kartellbehörde weitergehen. Sie wird Ermittlungen auch bei anderen Arbeitsgemeinschaften, an denen die DE MIBAU beteiligt ist, verlangen. Beseitigen Sie alle Schriftstücke, die den Behörden Hinweise auf unsere ... Arbeit geben könnten.«

»Ich habe bereits dafür gesorgt, dass alles noch einmal durchgegangen wird«, sagte Vohsen.

»Ich weiß, dass Sie nicht über falsche oder frisierte Kalkulationsunterlagen stolpern werden, Herr Vohsen. Was ist aber mit Ihren persönlichen Aufzeichnungen? Ihre Notizen und Protokolle zu Gesprächen mit Ihren Wettbewerbern? Der Quotenschlüssel, nach dem die Aufträge verteilt werden? Und Ihre Notizen über Ihre Zuwendungen an Parteikassen und Wahlkampffonds?«

»Diese Papiere sind sicher. Ich habe sie hier im Safe. In dieser Wohnung.«

»Wer weiß von dieser Wohnung?«

»Dass sie mir gehört und von mir benutzt wird, wissen außer Ihnen und dem Geschäftsführer der Real Immobilien nur mein Chauffeur und meine Tochter. Aber sie war nie hier.«

Die Reinigung besorgte eine Firma im Auftrag der Hausverwaltung. Die Leute wussten nicht, wem die Wohnung gehörte. Vohsen ließ nichts herumliegen, und Kallberg hielt es mit seinem Apartment genauso.

Kallberg nickte. »Wir müssen die nächsten Wochen überstehen, Herr Vohsen«, sagte er. »Die Ermittlungen kommen in einem ungünstigen Augenblick.«

»Wenn die Untersuchungen weitergehen, können Sie dafür garantieren, dass mein Name draußen bleibt?«

Kallbergs Augen nahmen eine kalte Färbung an. »Ihr Name, mein verehrter Herr Vohsen, muss draußen bleiben! Sonst fallen nicht nur Sie und ich. Dann fällt auch der Ministerpräsident! Die Folgen für sich und Ihren ganzen Wirtschaftszweig können Sie sich unschwer ausmalen.«

Vohsen füllte ein großes Glas mit Doppelkorn. Der Schnaps war noch eiskalt. Er leerte das Glas mit einem Zug.

»Was können wir tun? Was kann ich tun?«, fragte er.

»Es könnte wichtig sein, dass größere Geldbeträge zur Verfügung stehen. Zur schnellen Verfügung. Wie viel könnten Sie kurzfristig bereitstellen?«

Vohsen machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich kann innerhalb von zwölf Stunden bis zu zwei Millionen in bar aus der Schweiz einfliegen lassen. Sauberes Geld.«

»Dann tun Sie das, Herr Vohsen.«

»Zwei Millionen?«

Kallberg sah ihn kalt an. »Wie viel haben Sie und Ihre Kollegen an Sondergewinnen verbucht? Haben Sie darüber jemals Buch geführt?«

»Natürlich nicht.«

»Zweihundert Millionen? Fünfhundert Millionen? Kraftwerke, U-Bahnen, Hafenanlagen ...«

»Ich bin kein Krämer, der abends seine Pfennige zählt! Natürlich stelle ich das Geld bereit!«

»Tun Sie es, bevor der Damm bricht, Herr Vohsen.

Wenn er erst Risse bekommen hat, kann ihn alles Geld der Welt nicht mehr halten.«

»Ich werde es herbringen lassen«, sagte Vohsen.

Kallberg nickte beifällig. »Heute Mittag hatte ich kurz Gelegenheit, mit dem Herrn Ministerpräsidenten unter vier Augen zu sprechen. Er hat zu verstehen gegeben, dass er den Parteivorstand noch vor Jahresende über seine Vorstellungen für das neue Kabinett unterrichten will. Sie wissen, dass er alle Personalfragen zuerst mit mir diskutiert.«

Vohsen nickte.

»Ihr Name steht nach wie vor als Einziger hinter dem Wirtschaftsressort. Er muss sauber bleiben, Herr Vohsen!«

Wieder nickte Vohsen. Er genoss den Rausch, der für einen Moment alle anderen Gefühle überdeckte.

»Der Ministerpräsident hat zu verstehen gegeben, dass er Sie näher kennenlernen, verfrühte Spekulationen jedoch vermeiden möchte. Am Freitag eröffnet der Ministerpräsident die Gewerbemesse. Anschließend gibt er einen Empfang. Ich habe Ihren Namen auf die Einladungsliste gesetzt. Sie werden Gelegenheit bekommen, mit dem Herrn Ministerpräsidenten zu reden, aber vermeiden Sie es nach Möglichkeit, über gemeinsame Pläne zu sprechen, es sei denn, der Herr Ministerpräsident selbst schneidet das Thema an. Aber dazu wird es wahrscheinlich nicht kommen. Ein Empfang ist nicht der richtige Ort. Es gibt zu viele Ohren. Außerdem entspricht es nicht der Arbeitsweise des Ministerpräsidenten, Sachlagen mit einem Kandidaten zu erörtern, bevor er diese mit seinen Beratern und dem Parteivorsitzenden abgestimmt hat.«

Vohsen nickte verstehend. Eine Unvorsichtigkeit konnte alle Hoffnungen und Pläne zunichte machen.

Kallberg brachte das Gespräch wieder auf das Naheliegende zurück.

»Zuerst müssen Sie also Ihr Haus bestellen, Herr Vohsen«, sagte er. »Sie wollten wissen, wo Ihre Tochter sich aufhält. Es war nicht schwer, es herauszufinden. Es ist vielleicht nicht ganz im Sinne des Datenschutzgesetzes, aber die Wohngemeinschaften erfreuen sich der besonderen Aufmerksamkeit durch unsere Polizei. Ihre Tochter und ihr Freund halten sich in einem Haus an der Neutorstraße auf. Hausnummer 17, vierter Stock.«

»Großer Gott!«

»Keine besondere Gegend, nein. Früher war das anders. Die Häuser stammen aus besseren Zeiten, deshalb sind die Wohnungen entsprechend groß. In dem ganzen Viertel wohnt ein buntes Völkchen. Gastarbeiter, Asylanten, Ausgeflippte. Und eben Wohngemeinschaften, wie in Nummer 17. Gegen die neuen Wohngenossen Ihrer Tochter liegt polizeilich nichts vor, wenn man davon absieht, dass dieser Ehlers mit einer Anklage rechnen muss.«

»Lauter Chorknaben!«, knurrte Vohsen. Er spürte sein Herz. Schmerzhaft schlug es gegen die Rippen.

»Was wollen Sie tun?«, fragte Kallberg.

»Sorgen Sie dafür, dass er noch einmal festgenommen wird. Einen Grund müsste es doch geben.«

»Er hat gegen Auflagen verstoßen«, bestätigte Kallberg. »Aber ein paar Stunden später wäre er wieder frei.«

Und Beate würde sich ihm weiter entfremden und sich noch enger an den jungen Mann mit den brennenden Augen binden. Vohsen schüttelte den Kopf. Der Schmerz in seiner Brust verwandelte sich in einen beklemmenden Druck, der auch nicht wich, als er noch einen Doppelkorn trank.

»In der Wohngemeinschaft lebt sie vergleichsweise unauffällig«, sagte Kallberg. »Wenn ich Ihnen raten darf, Herr Vohsen — warten Sie ab. Vielleicht erledigt sich das Problem von allein. Wahrscheinlich wird er ihrer überdrüssig, oder umgekehrt, oder Ihre Tochter ...«

»Nein!«, sagte Vohsen laut, und Kallberg verstummte.

Er hasste diesen Kerl. Die Vorstellung, dass er Beate berührte, erzeugte rote Nebel vor seinen Augen.

»Man muss ihn ausschalten, ein für alle Mal.« Vohsen bemerkte Kallbergs lauernden Blick, und hastig fügte er hinzu: »Ich meine das nicht wörtlich. Ich denke nicht an Gewalt.«

»Sondern?«

»Man muss ihm etwas unterschieben, was ihn moralisch belastet und zugleich für einige Zeit ins Gefängnis bringt.«

»Und was wäre das?«

»Rauschgift.«

Vera hatte ihn in der vergangenen Nacht darauf gebracht. Du brauchst ihm doch nur ein Tütchen Koks unterzujubeln und der Polizei einen Tiop zu geben. Auf diese Typen sind die so geil, die fahren voll ab ...

Beate würde nie zu einem Dealer oder Junkie halten. Er kannte ihre hohen moralischen Grundsätze. Um so bestürzender war es für ihn gewesen, dass sie sich an so einen Burschen vergaß, ein fremdes Haus besetzte und dann in eine Kommune zog.

»Ich dachte mir, dass Sie auf so etwas kommen würden«, sagte Kallberg zurückhaltend. »Aber es ist gefährlich. Zu gefährlich, wenn Sie mich fragen. Wie wollen Sie das Zeug in eine Wohngemeinschaft schmuggeln? Wo wollen Sie es überhaupt herbekommen?«

»Glauben Sie, ich stelle mich an eine Straßenecke und warte auf den nächsten Dealer?«, fragte Vohsen aufbrausend.

Vera verfügte über die notwendigen Verbindungen. Sie hatte ihm erzählt, dass sie einen prominenten Musiker kannte, der Kokain schnupfte und über eine zuverlässige Quelle verfügte. Und Vera konnte ihn auch mit ein oder zwei jungen Kerlen zusammenbringen, die sich in der Szene, wie sie sich ausdrückte, auskannten. Er war fest entschlossen, schnell zu handeln. Beate sollte sich gar nicht erst an den Strolch gewöhnen.

Kallberg hob abwehrend die Hände, als Vohsen ihm von seinen Überlegungen berichten wollte.

»Verschonen Sie mich mit Einzelheiten!«, sagte er.

»Ihr Ministerpräsident bleibt draußen«, sagte Vohsen.

»Unser Ministerpräsident, Herr Vohsen.« Kallberg lächelte dünn. »Sie müssen tun, was Sie für richtig halten, aber sagen Sie später nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt!«

»Für das, was ich tue, stehe ich gerade«, sagte Vohsen brüsk. »Von Ihnen brauche ich nur einen kleinen Gefallen. Eigentlich sind es zwei. Machen Sie die Polizei auf die Rauschgifthöhle aufmerksam.«

Kallberg nickte. »Ich kann es so drehen, dass der Tipp vom Landeskriminalamt oder vom Zoll kommt. Das ist kein Problem. Was ist der andere Gefallen?«

»Sorgen Sie noch einmal dafür, dass meine Tochter glatt durchgeschleust wird.«

Kallberg machte ein skeptisches Gesicht. »So etwas geht nicht jedes Mal glatt, Herr Vohsen. Ich kann mir vorstellen, dass sich bereits bei der Räumung des besetzten Hauses einige Beamte gefragt haben, wieso Ihre Tochter nicht erkennungsdienstlich behandelt, ja, nicht einmal in den Protokollen erfasst worden ist. Dieses Mal wäre es besser, wenn sie nicht in der Nähe ist, wenn die Bombe hochgeht. Und dafür müssen Sie schon selbst sorgen.«