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Dattner schob die beiden Umschläge mit den Schecks über den Schreibtisch.

»Das sind Ihre Gehälter für den laufenden Monat. Über Ihre Abfindungen wird Dr. Deugius mit Ihnen reden. Ich habe entsprechende Anweisungen gegeben, besonders, was Sie betrifft, Frau Frings. Sie werden es sicher schwer haben, eine neue Position zu finden ... Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«

Das Gesicht der Frings zuckte, dann rannen Tränen über die fahlen Wangen.

»Aber, Herr Dattner ... so plötzlich!«, schluchzte sie.

Brehm stand neben ihr, mit einem etwas dümmlichen Ausdruck in den Augen.

»Ich wäre Ihnen dankbar, Frau Frings, wenn Sie am Montag noch einmal kämen. Ich werde Ihnen einige Anweisungen auf Band sprechen. Einen Brief an alle meine Geschäftsfreunde, und vielleicht noch dieses und jenes.« Das Diktiergerät stand aufnahmebereit im offenen Seitenschrank des Schreibtisches. »Ich war sehr zufrieden mit Ihnen, ich danke Ihnen«, sagte er undeutlich.

Die Frings heulte jetzt laut los. Brehm gab ihr sein Taschentuch, das sie sich gegen die Augen presste. Dattner sah angestrengt zwischen seine großen, plumpen Hände. Er fühlte sich der Situation nicht gewachsen. Er wollte allein sein, so bald wie möglich.

»Und bekümmern Sie sich um die Rechnungen, die noch bezahlt werden müssen. Deugius wird Ihnen die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen. Sie können jetzt gehen, Herr Brehm, ich brauche Sie nicht mehr. Frau Frings, Sie schreiben bitte noch die beiden Briefe, die ich Ihnen vorhin diktiert habe.«

Dattner ließ sich von Brehm die Hand schütteln, es war eine wortlose Geste. Er sah ihn gleich darauf auf dem Bildschirm des Monitors, während die Frings sich in den vorderen Raum verzog, weil er ihr zu verstehen gegeben hatte, nicht gestört werden zu wollen. Gedämpft hörte er das Klappern ihrer Schreibmaschine.

Er zog das Telefon zu sich heran und begann, seine Stammtischfreunde anzurufen, einen nach dem anderen. Jedem erzählte er die gleiche Geschichte.

»Ich kann heute nicht zum Stammtisch kommen, und ich möchte nicht, dass Sie sich Gedanken machen. Nein, nein, ich fühle mich wohl. Es ist nur ... ich habe Brehm gerade zum Flughafen geschickt. Mit der Maschine um sieben Uhr kommt ein Mitarbeiter des Jüdischen Dokumentationszentrums aus Wien an. Ja, dort sind die Akten aller noch nicht geklärten Nazi-Verbrechen archiviert. Ich möchte etwas herausfinden, und dieser Mann kann mir vielleicht helfen. Sagen Sie den anderen Bescheid ...«

Er legte auf, öffnete die Schreibtischschublade und holte die Pistole heraus. Er wog sie in der offenen Hand, und er probierte, wie schnell er seinen dicken Zeigefinger unter den Abzugsbügel bekam. Viel Spielraum besaß er nicht. Er entsicherte die Waffe und zog den Schlitten zurück. Er sah genau, wie eine gelb schimmernde Patrone ins Lager glitt, bevor er den Schlitten zurückschnellen ließ. Jetzt genügte der leiseste Druck gegen den Abzug, um einen Schuss auszulösen.

Er legte die Pistole vor sich auf den Schreibtisch und deckte eine aufgeschlagene Zeitung darüber. Er versuchte, seine Hand unauffällig unter die Zeitung zu schieben und den Pistolengriff zu fassen. Schweiß brach unter seinen Achseln hervor, als er feststellte, dass die Zeitung sich bewegte, als hielte er eine Schar Küken unter ihr verborgen.

Er nahm die Pistole wieder in die Hand, legte sie, immer noch entsichert, auf seinen rechten Oberschenkel. Das war schon besser, obwohl dort die Gefahr bestand, dass sie abrutschte und zu Boden fiel, wenn er nicht hinsah.

Vorsichtig legte er die Waffe auf den Schreibtisch zurück. Er zog die mittlere Schublade ganz heraus und stellte sie auf den Boden. Von der Tür aus war die Lade nicht zu sehen. Die Pistole legte er jetzt in den großen dunklen Raum, den vorher die Lade eingenommen hatte. Jetzt konnte er die Waffe unauffälliger ergreifen.

Sein Herzschlag beruhigte sich. Geduldig verfolgte er den Lauf der Uhrzeiger. Um drei Minuten vor sechs rief er die Frings herein.

»Sie können jetzt gehen«, sagte er.

»Ich bin aber noch nicht fertig!« Ihre Augen waren gerötet vom Weinen, das Gesicht verquollen.

»Machen Sie am Montag weiter. Gehen Sie jetzt, bitte.« Er drückte ihre kleine trockene Hand, die sich wie zusammengeknülltes Papier anfühlte, dann hörte er, wie die Außentür mit einem vorwurfsvollen Knall geschlossen wurde.

Er war allein mit sich und seinen Erinnerungen, die er vielleicht nie würde vertreiben können, wenn der Mörder nicht kam. Denn um neunzehn Uhr fünfzig ging seine Maschine nach Israel.