Kapitel 6

Sie stand so lange vor der Tür von Angels Zimmer, dass es auffiel. Schließlich näherten sich Schritte hinter ihr und dann fasste eine warme, knochige Hand sie bei der Schulter.

»Alles okay, Madelaine?«

Sie versteifte sich, hob ihr Kinn und wandte ihren Blick von dem Namen ab, der an der Tür stand. »Mir geht's gut, Hilda«, sagte sie und drehte sich langsam um, um die kleine, ernste Krankenschwester anzusehen, die das Transplantationsteam wie ein Feldwebel beim Militär führte.

Hilda strahlte sie an, neigte ihren vogelähnlichen Kopf plötzlich nach rechts. »Ich wollte gerade unseren Mr Jones besuchen. Soll ich warten, bis Sie fertig sind?«

»Ja. Ich würde gern mit ihm eine Weile allein sein.« Hilda zwinkerte ihr zu. »Wenn die Mitarbeiterinnen wüssten, wer er ist, würden Sie umgerannt werden. Nur Sarah, Karen und ich dürfen zu ihm hineingehen. Wir kümmern uns um die Sicherheit. «

Madelaine versuchte, sich zu einem Lächeln zu zwingen. Sie gab sich wirklich Mühe. »Gut.«

»Hollywoodtypen«, sagte Hilda missbilligend. »Dem Enquirer zufolge - und Gott weiß, dass die in solchen Dingen angesehen sind - ist er ein Schluckspecht und bumst alles, was größere Titten hat als er.« Hilda klopfte ihr nochmals auf die Schulter und eilte den Korridor hinunter, um schließlich in ihrem Büro zu verschwinden.

Madelaine atmete tief ein, um ruhig zu werden, und marschierte in die Höhle des Löwen.

Er schlief. Gott sei Dank.

Sie schloss die Tür leise hinter sich. Das Licht der schwachen Herbstsonne fiel durch das kleine Fenster und nahm dem Raum etwas von der kalten Sterilität der Neonbeleuchtung. Das schmale Bett mit dem Metallgestell teilte den Raum.

Er lag reglos wie ein Toter da, das verwaschene graue Laken schief über die Brust gezogen. Dunkelbraunes Haar lag zerzaust und wirr auf der weißen Baumwolle des Kopfkissens. Das markante Gesicht wirkte eingefallen und zu schmal. Die Lippen waren blass. Schwarze Bartstoppeln warfen einen Schatten auf den dreieckigen Unterkiefer und verdunkelten die Oberlippe.

Dennoch sah er so gut aus, dass es ihr den Atem verschlug.

Sie setzte sich unsicher auf den Stuhl. Für eine Sekunde konnte sie nicht an seine Krankheit denken oder daran, was hier auf dem Spiel stand. Sie konnte nur an die Vergangenheit denken, daran, wie sehr sie diesen Mann geliebt hatte.

Er hatte sie lachend in eine völlig neue Welt katapultiert. In eine Welt von Lichtern und Möglichkeiten und Hoffnung, an einen Ort, wo Regeln und Verantwortung nicht existierten. Sie hatte sich an ihn geklammert, kichernd, ihm glaubend, ihm folgend, wohin auch immer er sie führte, so stolz darauf, dass es ihre Hand war, die er halten wollte. Sie hatte sich in ihn auf diese wilde, rückhaltlose Weise verliebt, wie nur Teenager es können. Hatte Ausreden gefunden, um am Tage mit ihm zusammen zu sein, sich mitten in der Nacht aus dem Haus ihres strengen Vaters geschlichen. Es war das allererste Mal, dass sie ihrem Vater nicht gehorcht hatte, und dadurch fühlte sie sich verwegen und selbstsicher.

Nach so vielen Jahren wusste sie, dass sie niemals wirklich in ihn verliebt gewesen war, nicht auf jene Art, die von Dauer ist. Sie war von seiner, einem Buschfeuer gleichenden Leidenschaft verzehrt, von ihm verwandelt worden.

Da war diese Nacht gewesen unter der alten Eiche im Carrington Park ...

Sie hatten im Gras gelegen, zum Nachthimmel hochgeschaut, sich beim Fall der Sternschnuppen etwas gewünscht, ihre Träume geteilt, einander gehalten. Aber sie hatte gewusst, dass es Zeit zum Heimgehen war. Ihr Vater würde von seiner Geschäftsreise zurückkommen.

Sie löste sich von ihm, schaute die lange, dunkle Straße hinunter. Der Gedanke, ihn zu verlassen, zu diesem kalten Haus und ihrem noch kälteren Vater zurückzukehren, gab ihr das Gefühl, vor Verzweiflung fast krank zu sein. »Ich will nicht zurückgehen ...« Ihr war augenblicklich bewusst, dass sie zu viel gesagt hatte. Sie hielt den Atem an, wartete darauf, dass Angel sie als albern oder dumm oder kindisch bezeichnen würde - all die Worte, mit der ihr Vater sie mit solcher Regelmäßigkeit bedachte.

Aber das tat er nicht. Er berührte ihre Wange, drehte ihr Gesicht sanft seinem zu. »Tu's nicht. Bleib bei mir. Wir könnten davonlaufen ... eine Familie gründen ... eine Familie sein...«

Bis zu diesem Augenblick hatte Madelaine nicht gewusst, was für ein Gefühl es war, jemanden zu lieben. Die Emotion überkam sie, erfüllte sie mit Hitze, bis sie plötzlich lachte. Und dann weinte sie. »Ich liebe dich, Angel.«

Ach ... es war so bittersüß gewesen ...

Er zog sie in seine Arme, hielt sie so fest, dass sie nicht atmen konnte. Gemeinsam sanken sie in dem weichen Gras auf die Knie. Sie spürte seine Hände an sich, wie er ihr Haar streichelte, ihren Rücken, ihre Hüften. Und dann küsste er sie, kostete ihre Tränen, nahm sie so vollständig mit seinem Mund, dass sie sich benommen fühlte.

Schließlich ließ er von ihr und starrte auf sie herab. In seinen Augen war eine Intensität, die ihr den Atem raubte, dazu führte, dass ihr Herz wild schlug. »Ich liebe dich, Madelaine. Ich habe nicht... ich meine, ich habe nie ...« Tränen quollen unter seinen Lidern hervor und er begann, sie wegzuwischen.

Sie hielt seine Hand fest. »Hab keine Angst«, flüsterte sie.

Er lächelte sie unsicher an. In diesem Augenblick verstand sie so vieles an ihm, die Art, wie er war. Er gab sich großspurig und war laut und führte sich wie ein Rebell auf, aber tief in seinem Inneren war er genau wie sie. Verängstigt und verwirrt und einsam. Er glaubte nicht an sich selbst, glaubte nicht, dass er gut war, aber das war er - sie glaubte so sehr an ihn, dass es für sie beide reichte. Und er liebte sie, wie sie nie zuvor von jemand geliebt worden war ...

So starke, starke Worte: Ich liebe dich ...

Danach hatte sie ihm alles erzählt, ihm ihr Herz und ihre Seele geöffnet und ihn Teil von sich werden lassen. Sie hatte nicht geglaubt, ohne ihn leben zu können.

Was, wenn er ihr das wieder antun könnte?

Sie zwang sich dazu, an die anderen Dinge zu denken, an die anderen Augenblicke, und ließ sich von dem Schmerz kalt und reinigend durchspülen.

Sie hatte geglaubt, sie hätte ihm verziehen, was er ihr angetan hatte - dass er sie verlassen hatte, ohne ihr auch nur Lebewohl zu sagen. Das hatte sie ehrlich und wahrhaftig geglaubt. Immer wieder hatte sie sich die Abfolge der Ereignisse durch den Kopf gehen lassen. Sie sagte sich, dass sie Angel keine Vorwürfe dafür mache, dass er weggelaufen sei. Sie sagte sich, dass siebzehn Jahre jung war, so jung, und mit jedem neuen Jahr ihres Lebens war siebzehn noch jünger. Sie sagte sich, dass es so am besten gewesen sei, dass sie es nie geschafft, dass sie sich ihr Leben gegenseitig ruiniert hätten.

Ja, sie hatte sich viele Dinge eingeredet, aber jetzt, in dieser Sekunde, als sie auf ihn hinabstarrte, erkannte sie endlich die Wahrheit. Es waren Lügen. Alles Lügen. Hübsches Geschenkpapier um ein böses, hässliches Geschenk.

Sie hatte ihm nicht vergeben. Wie könnte sie auch?

In diesem Sommer hatte er einen Teil von ihr getötet, einen Teil, den er erschaffen und genährt und den zu lieben er behauptet hatte. Einen Teil, den sie nie wieder zurückbekommen hatte.

 

Angel erwachte langsam. Für eine kurze, segensreiche Sekunde wusste er nicht, wo er sich befand oder was ihm widerfahren war. Dann drang das gedämpfte saugende Geräusch von Maschinen an seine Ohren, das Murmeln des Elektrokardiographien.

Nach seinem vergeblichen Ausbruchversuch hatten Hilda, die Vogelfrau, und eine Krankenschwester von der Größe eines Marineinfanteristen sein nutzloses Herz wieder zur Kontrolle an den Haken gehängt. Die Maschine zeichnete alles klickend auf und spuckte Berge von Papier aus.

Er fühlte sich hundeelend. Seine Brust schmerzte, der Kopf dröhnte und die Nadeln in seinem Arm brannten wie unzählige Feuer. Er konnte sich nicht bewegen, ohne dass er irgendwo Schmerzen spürte. Er konnte das verräterische Schwirren von Medikamenten in seinem Blutkreislauf förmlich spüren. Er hatte in seinem Leben zu oft Betäubungsmittel genommen, um sich täuschen zu lassen.

Er stöhnte und ließ den Kopf zur Seite sinken. Der Geruch von alter Baumwolle, grüner Götterspeise und gebratenem Truthahn drang in seine Nase.

Essenszeit in der Herzhölle.

Er zuckte zusammen, als Sonnenlicht in seine Augen stach. Blinzelnd versuchte er, seine trockenen Lippen zu befeuchten, und griff zitternd nach dem blauen Plastikkrug, auf dem 264-W stand.

»Ich werde das für dich tun.«

Die Stimme plätscherte auf ihn nieder. Zuerst bemerkte er ihre beruhigende Heiserkeit, diese Kehligkeit wie bei Debra Winger. Sie erinnerte ihn an etwas, an eine ferne Nacht in seiner Vergangenheit, als er eine Kellnerin in Tulsa aufgegabelt hatte, sie mit nach Hause genommen hatte, gefi...

Oh, Gott. Das war überhaupt nicht die richtige Erinnerung.

Sein idiotisches Herz machte einen Satz, stieß gegen seinen Brustkorb und begann zu hämmern wie ein alter Motor, der den falschen Sprit bekommt. Der Monitor neben ihm spuckte ein plötzliches Revolverfeuer in den Raum. Er konnte nicht atmen.

Atme tiefein, du Arschloch. Beruhige dich. Langsam hob er sein Kinn. Und sah sie neben sich.

Gott, nach all diesen Jahren ...

Sie saß völlig aufrecht da, ihr Oberkörper war verdeckt durch einen Arztkittel, der unter den breiten, weißen Aufschlägen kaum etwas von einem waldgrünen Pullover erkennen ließ. Ihr Gesicht war herrlich ausdruckslos, ihre großen, silbergrünen Augen waren völlig leer. Kein Lächeln spielte um die Winkel ihrer vollen, ungeschminkten Lippen.

Für eine Sekunde blitzte das Bild eines sechzehnjährigen Mädchens mit gebrochenem Herzen durch sein Hirn. Es stand an einem vergitterten Fenster, eine blasse, schlanke Hand auf die Scheibe gepresst, Tränen liefen ihm über die Wangen, es rief seinen Namen.

Er hatte sich in ein süßes Etwas mit langem braunem Haar und lachenden, nebelgrünen Augen verliebt, aber die Frau, die neben ihm saß, hatte nichts mehr von diesem Mädchen an sich. Sie war majestätisch in ihrer Haltung, das kurze, honigbraune Haar akkurat gestylt, das Gesicht von klassischer Vollkommenheit. Die perfekte Ärztin, völlig dominant.

Seltsamerweise ärgerte es ihn, dass sie so gut allein zurechtgekommen war. Er hätte glücklich sein müssen, er sollte stolz auf sie sein, aber er fühlte sich nur betrogen und wütend. Als ob all diese Erinnerungen an sie Einbildung seien. Diese Frau konnte durch seinen Verrat nicht gebrochen gewesen sein, konnte nicht lange getrauert haben. Und offensichtlich hatte das Geld ihres Daddy die bestmögliche Ausbildung finanziert.

»Angel«, sagte sie mit dieser Barfrauenstimme, die er nie ganz hatte vergessen können. »Wie ... interessant, dich wiederzusehen. «

»Du bist sehr gut allein zurechtgekommen, Mad«, sagte er bitter. Bitterer, als er beabsichtigt hatte.

»Nenn mich nicht Mad.« Sie schenkte ihm ein durch und durch förmliches Lächeln und schlug seine Patientenakte auf. »Man hat mir gesagt, dass du ein neues Herz brauchst.«

»Es sollte dich nicht überraschen.«

»Das tut es nicht.«

Er konnte die Verurteilung spüren, die sie ausstrahlte. Das war alles, was er jetzt noch brauchte - ein weiteres Paar vorwurfsvoller Augen, noch ein Mensch, der ihn nach irgendeinem unsichtbaren Standard beurteilte und fand, dass er den Ansprüchen nicht genügte. »Hör zu, Mad, ich denke, wir sind uns einig, dass ich einen anderen Arzt haben sollte.«

»Ja. Finde ich auch. Unglücklicherweise will Allenford, dass du den besten bekommst.«

»Ich auch, aber...«

»Ich bin der beste, den es hier gibt, Angel. Du kannst glücklich sein, dass du mich hast.« Sie schaute etwas freundlicher drein. »Aber wenn du mich nicht willst, werde ich dich an einen anderen überweisen lassen.«

Er spürte etwas wie Verärgerung. »Du willst mich nicht als Patienten haben?«

»Ich bin nicht scharf darauf.«

»Dann will ich dich«, sagte er schroff und bedauerte das im selben Augenblick, als er es sagte. Aber er hatte an ihrem Käfig rütteln wollen, diese Frau erschüttern wollen, die er so persönlich kennen sollte und doch überhaupt nicht kannte.

Sie studierte seine Akte. »Ich Glückspilz.«

Der harsche Ton ihrer Stimme wirkte auf absurde Weise untypisch für diese gepflegte, geradezu perfekte Frau neben ihm. Er konnte nicht anders und musste einfach lachen. »Ich denke, die kleine Mad ist erwachsen geworden.«

Sie schaute ihn hart an. »Das bewirkt das Medizinstudium bei einem Mädchen.« Sie wandte ihren Blick von seinem Gesicht ab und studierte die Papiere in ihrem Schoß. »Du scheinst dich überhaupt nicht geändert zu haben, Angel.«

»Das ist nicht wahr. Ich muss mich jetzt jeden Tag rasieren.«

Sie lächelte daraufhin nicht. »Deine Blutwerte sehen ganz gut aus. Trotz offensichtlichen Alkoholmissbrauchs funktionieren all deine Organe gut. Jetzt können wir nur abwarten. Hoffentlich finden wir rechtzeitig einen geeigneten Spender. Wie dir wahrscheinlich gesagt worden ist, sind weniger als ein Prozent aller Unfalltoten geeignete Spender. Gehirntod ist außerordentlich selten.«

»So, also abwarten«, sagte er und spürte den Ärger in sich aufsteigen. Er sagte sich, dass sie seine Kardiologin sei - die Person, die sein Leben in ihren Händen hielt. Aber er schien den Ärger nicht unterdrücken zu können. Sie war der letzte Mensch auf Erden, der ihm einen anständigen Drink geben würde.

»Wenn dein Zustand sich beträchtlich verbessert, kannst du vielleicht außerhalb des Krankenhauses leben. Aber jetzt bist du natürlich zu krank, als dass das möglich wäre.«

Er konnte es nicht glauben. Sie saß da, redete zu ihm, als sei er ein Kind, und sah ihn an, als sei er ein Insekt. So verdammt doktormäßig. Als ob sie ihn vorher nie gekannt hätte, er ihr egal gewesen wäre. Er wusste, dass es unvernünftig war, plötzlich wütend zu sein, aber er war niemals ein wirklich rationaler Typ gewesen und sah keinen Anlass, jetzt damit anzufangen. »Nein.«

Das überraschte sie. Sie schaute tatsächlich von ihren Papieren auf und wandte sich an ihn. »Nein? Nein, was?«

»Nein, Doktor Hillyard, ich werde hier nicht wie ein Nadelkissen liegen und auf das warten, was Sie euphemistisch einen >Spender< nennen.«

Sie legte den Ordner langsam wieder ab. »Angel...«

»Und nennen Sie mich Mr DeMarco. Sie wissen einen Dreck von mir, Lady. Ich habe nicht die Absicht, herumzusitzen und zu hoffen, dass irgendein total netter Bursche von einem Schwertransporter platt gewalzt wird. Das ist es doch, worüber wir hier reden, oder? Jemand stirbt und ich bekomme eine Chance zu leben?«

Es dauerte, bis sie antwortete. »Ja. Darüber reden wir, Angel. Organspenden kommen aus einem Körper, bei dem der Hirntod festgestellt worden ist.«

Er erschauerte bei dem Gedanken. Irgendwer lag auf einer Metallplatte und Ärzte ernteten gierig seine Organe. »Also dann, nein, danke.«

Sie starrte ihn eine weitere halbe Minute an und sagte nichts. Schließlich zuckte sie mit den Schultern. »Dann stirb.«

Diese Erwiderung schockierte ihn. Zuerst machte sie ihn wütend, dann kam schleichende Furcht und hinterließ einen sauren Geschmack in seinem Mund. »Sehr mitfühlend, Doktor Hillyard.«

»Hör zu, Angel, ich kann meine Zeit nicht damit vergeuden, Mitgefühl für eine Person zu haben, die sterben will. Du rauchst, du trinkst und in deinem Urin sind Spuren von Marihuana gefunden worden. Und all dies nach zwei Herzanfällen.« Sie beugte sich zu ihm und schaute ihn mit einem harten Blick durchdringend an. »Du wirst sterben - und das sehr bald, wenn du nicht ein paar grundlegende Entscheidungen triffst.«

»Du meinst, ich hätte es verdient.«

Sie wich zurück. Für einen Herzschlag sah sie ihn mit den Augen an, an die er sich erinnerte. »Ich würde sagen, du glaubst, du verdienst es, und ich glaube ...«

»Was?«

»Ich habe kein Recht, etwas zu sagen. Ich kenne dich schließlich überhaupt nicht, oder?«

»Du hast mich einmal gekannt.«

»Nein.« Sie sprach das Wort leise aus, aber es schien in der Stille des Zimmers zu hallen. »Ich dachte nur, dass es einmal so war ... aber der Junge, in den ich mich verliebte, versprach mir, für immer bei mir zu sein.« Sie lachte - es war ein hartes, sprödes Geräusch, das keine Ähnlichkeit mit dem Lachen hatte, an das er sich erinnerte. »Es stellte sich heraus, dass >für immer< zehn Sekunden waren.«

»Ich denke, das ist mein Stichwort, mich zu entschuldigen.«

Sie runzelte die Stirn. »Ich will deine Entschuldigung nicht, Angel. Ich habe vor sehr langer Zeit damit aufgehört, irgendetwas von dir zu wollen. Ich bin jetzt deine Ärztin und als solche möchte ich, dass du lebst. Aber damit wir uns nicht missverstehen, ich werde so etwas Wertvolles wie ein Herz nicht an einen Versager vergeuden, der nicht bereit ist, sein Leben zu ändern.«

»Du hast gelernt, hart zu sein, Mad.«

»Dies ist ernst, Angel. Hier kannst du keinen Schwierigkeiten ausweichen oder dich irgendwie durchwursteln. Du musst entscheiden, wie viel dir am Leben liegt. Das kannst nur du beantworten.«

Er war wütend, dass sie darüber so sachlich sprechen konnte, wütend, dass ihr egal zu sein schien, was er tat, und am wütendsten vor allem darüber, dass er sich so verdammt allein fühlte. Für eine verrückte, verzweifelte Minute wünschte er sich, sie niemals verlassen oder verraten zu haben. Sie war der einzige Mensch, mit dem er jemals wirklich hatte reden können, der einzige Mensch, vor dem er weinen konnte. Und diese Intimität brauchte er genau jetzt, er brauchte einen Freund.

Angel schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter. Es war zu spät, um ein Freund von Madelaine zu sein, zu spät für eine Menge Dinge.

Er brauchte Kraft und Glauben und Hoffnung. Nichts von dem hatte er jemals gehabt. Er blickte sie an, sah das vorübergehende Aufblitzen von Mitleid in ihren Augen, ohne es bewusst wahrzunehmen. »Du wirst mich zu einem Monster machen.«

»Es mag sein, dass dieses Gefühl da ist, Angel, aber es stimmt nicht. Wenn du dich ein bisschen änderst, kannst du ein erfülltes, reiches Leben führen. Ich habe am anderen Ende des Korridors einen Patienten, der nach einer Herztransplantation zwei Kinder gezeugt hat und beim Marathon in Seattle mitgelaufen ist.«

»Ich will aber nicht bei einem verdammten Marathon mitlaufen.« Zu seinem Entsetzen brach seine Stimme. »Ich will mein Leben zurück.«

»Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Leben nach einer Transplantation ist nicht leicht. Es erfordert, dass man sich zu etwas verpflichtet und sich daran hält, es erfordert Standhaftigkeit.«

Sie starrte ihn an und er wusste, was sie dachte - dass er ein unzuverlässiges Arschloch war, jemand, der sich niemals in seinem Leben irgendetwas oder irgendjemand verpflichtet hatte. »Du hast kein Recht, über mich zu urteilen.«

»Du hast Recht. Unglücklicherweise muss ich das aber.« Sie beugte sich zu ihm und für eine Sekunde, nur für eine Sekunde, glaubte er, sie würde ihn berühren. »Ein neues Herz ist ein Geschenk, Angel. Bitte, bitte, verlange nicht danach, wenn du dein Leben nicht wirklich ändern willst. Da draußen, irgendwo, ist ein Vater, der an Herzversagen sterben wird - ein Mann, für den ein neues Herz die Chance bedeuten würde, seine Tochter in die Arme zu nehmen oder noch eine Nacht mit der Frau zu verbringen, die er seit Jahren liebt.«

Die Wahrheit ihrer Worte machte ihn krank. Er war ein egoistischer Pisser, der eine solche Chance nicht verdiente. »Noch mal eine Party in einer Disco zu feiern wäre kein Grund?«

»Nach meiner Meinung nicht.«

Er lächelte sie matt an. »Wir hatten nie etwas gemeinsam, nicht wahr, Mad?«

»Nein.«

Er dachte für eine Sekunde darüber nach, wie verschieden sie ihrer Herkunft nach waren. Sie war aufgewachsen in diesem Herrenhaus hinter den eisernen Toren, er lebte in einem beschissenen kleinen Wohnmobilpark in der falschen Gegend. Nein, sie hatten niemals etwas gemeinsam gehabt. »Und wie geht's dem großen Alexander Hillyard so?«

Sie erstarrte. »Er ist schon vor langer Zeit gestorben.«

Er fühlte sich sofort wie ein Idiot. »Oh. Tut mir Leid.«

»Ich werde mir deine Akte ansehen und einige weitere Tests veranlassen.« Sie stand plötzlich auf. »Bitte, bring mich nicht um meinen Ruf, indem du dich selbst umbringst, bevor wir dein Leben retten können.«

Und weg war sie.