Kapitel 24

Die Medien fielen in St. Joe's ein wie ein Zirkus, der in die Stadt kommt. Reporter, Techniker, Kameramänner und Moderatoren aus dem ganzen Land strömten aus Transportern und Mietwagen, scharten sich auf dem Krankenhausparkplatz und rannten hin und her, während sie ihre Ausrüstung immer wieder überprüften. Sie schleppten ihre schweren schwarzen Kisten und die riesigen tragbaren Scheinwerfer die Eingangstreppe hoch und über den großen Korridor.

Die Cafeteria war für Angels Pressekonferenz, die um zehn Uhr beginnen sollte, geschlossen worden. Sie füllte sich schnell mit Menschen.

Schwarze Kabelstränge schlängelten sich über den gesprenkelten Linoleumboden und suchten nach Steckern. Klobige Scheinwerfer richteten ihre gleißenden Strahlen auf das Podium, das Dr. Allenford neben der Kasse hatte aufbauen lassen. Dutzende von Reportern hatten sich in kleinen Gruppen zusammengefunden. Jeder Fernsehsender und jedes Redaktionsteam hockte in einer Ecke zusammen und testete die Mikrofone. Alle, bis auf die Zeitungsreporter - die saßen verstreut auf unbequemen Stühlen, ihre Schreibblocks in den Händen, und musterten angewidert ihre Konkurrenten.

Angel stand in der Küche hinter der Cafeteria und beobachtete die Vorgänge durch ein kleines rundes Fenster in der Tür.

Direkt neben ihm war ein riesiger begehbarer Kühlschrank, aber er wusste, dass dies nicht der Grund war, warum er fröstelte.

Es waren die Nerven.

Jemand berührte seine Schulter und er zuckte zusammen und wirbelte herum. Madelaine und Chris und Sarandon, sein neuer Kardiologe, starrten ihn an. Madelaine zog langsam die Hand von seiner Schulter zurück.

Angel versuchte zu grinsen. »Ich kann das einfach nicht glauben... ich bin nervös. Teufel auch, ich habe das schon eine Million Mal getan.«

Sie warf ihm einen schiefen Blick zu. »Nüchtern?«

Er dachte darüber nach. »Gute Feststellung.«

Allenford schaute auf seine Armbanduhr. »Es ist zehn Uhr.«

Angel fasste Madelaine bei der Hand. »Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.«

»Du kannst alles schaffen, Angel DeMarco. Wann wirst du das endlich begreifen?«

Sie sagte das auf so ruhige Art, so sachlich, als sei es eine gegebene Tatsache, dass Angel alles tun könnte, alles sein könnte. Ihr schlichter Glaube an ihn machte ihn betroffen. Er versuchte, ihr Lächeln zu erwidern. »Was würde ich ohne dich tun?«

Sie lachte, aber es war ein ängstliches, nervöses Geräusch. »Bist du bereit?«

»Sag Lina nicht, dass ich mich so verhalten habe. Sie hält mich für cool.«

Allenford drückte Angels Schulter und ging zur Tür voraus. Sarandon folgte ihm. Die beiden Ärzte schoben sich durch die Schwingtüren wie Doc Holliday und Wyatt Earp beim Betreten eines Saloons.

In dem Augenblick, als die Ärzte ins Blickfeld der Reporter traten, begannen Blitze zu zucken und Kameras klickten.

Allenford ging zum Podium, klopfte auf sein Mikrofon, um es zu testen, und begann, seine vorbereitete Presseerklärung vorzulesen.

Hinter den Türen hörte Angel Bruchstücke von Allenfords Statement.

»... Angel DeMarco wurde nach seinem dritten und schwersten Herzanfall in das St. Joseph's Hospital eingeliefert ... Nur eine Herztransplantation konnte sein Leben retten ... Mr DeMarco wurde als möglicher Empfänger auf die Liste des UNOS - des United Network for Organ Sharing -gesetzt.«

Jemand stellte eine Frage, die Angel nicht ganz verstand.

»Nein«, erwiderte Allenford, dessen Stimme schriller als gewöhnlich klang. »Mr DeMarco wurde wegen seiner Berühmtheit oder seines finanziellen Status nicht bevorzugt behandelt. Er wurde in der Transplantationsliste wegen seines kritischen Zustandes nach oben gesetzt.« Allenford faltete seine vorbereitete Rede zusammen und steckte sie in die Tasche seines weißen Arztkittels. »Er wartete wie jeder andere auf sein Herz. Länger als manche, nicht ganz so lange wie andere. Ich habe die Operation ausgeführt, die sehr gut verlief. Mr DeMarco blieb für eine gewisse Zeit im Krankenhaus und wurde dann entlassen. Er beginnt jetzt mit diesem neuen Abschnitt seines Lebens. Ich danke Ihnen.«

Fragen kamen wie Geschosse aus der Menge. Reporter sprangen auf, schwenkten wild die Hände, streckten Mikrofone vor. Angel konnte die Fragen nicht verstehen - sie waren nur ein summendes Gewirr von Statik und Verwirrung -, aber er wusste, dass sie unwichtig waren. Allenford konnte sagen, was er wollte. Das zunehmende Durcheinander würde erst enden, wenn Angel vortrat.

Madelaine drückte seine Hand. »Du weißt, dass du nicht rausgehen musst.«

»Es ist ein bisschen beängstigend«, gab er zu. »Ich höre in meinem Kopf die Titelmusik des Films Der weiße Hai. Entweder singt Francis oder ich bin in Gefahr.«

Sie lachte. »Du bist ein kranker Mann, Angel DeMarco.«

Durch das Milchglas sah er, wie Allenford links neben das Podium trat - ihr Signal für Angel, herauszukommen, wenn er es wollte.

Er wandte sich an Madelaine. »Komm mit mir.«

»Natürlich.«

Er spürte das plötzliche Verlangen, sie zu küssen. Stattdessen lächelte er. Das bloße Wissen darum, dass sie neben ihm sein würde, dass sie ihn ermutigte, an ihn glaubte, gab ihm die Kraft, alles zu tun. Es überraschte ihn - was für ein gutes Gefühl es war, jemanden zu haben, an den man sich anlehnen konnte. All die vielen Male in seinem Leben, wo er Angst gehabt hatte, war er allein gewesen. Jetzt fragte er sich, ob er Angst gehabt hatte, weil er allein gewesen war. »Du solltest lieber vorgehen. Wenn sie uns zusammen sehen, wird die Hölle los sein. Morgen werden die Sensationsblätter in deinem Müll wühlen und nach meiner Unterwäsche suchen. Irgendeine Stripteasetänzerin in Deadwood wird sie beschreiben.«

Er wartete darauf, dass sie lachte, aber das tat sie nicht. Sie stand nur da und sah ihn an. »Du wirst es toll machen.« Sie drückte zum letzten Mal seine Hand und verließ dann vor ihm die Küche. Sie huschte um das Podium herum und nahm im hinteren Teil des Raumes Platz.

Nun war es so weit. Er holte tief Luft und bereitete sich vor, genau so, wie er es für eine Filmrolle getan hätte. Mit einer routinierten Leichtigkeit verwandelte er sich in den berühmten Angel DeMarco.

Lächelnd schlenderte er aus der Küche. Er wusste, dass er wirkte, als sei er völlig unbekümmert. Er trat auf das Podium und blieb stehen.

»Er ist es!«

Kameras zuckten wie Blitze durch die Menge, knallten und zischten. Mit einem Mal wurde er mit Fragen bombardiert, so viele, dass er in dem ganzen Durcheinander keine einzige richtig verstand.

Jemand begann zu klatschen und dann, bevor er sich's versah, hatten die Fragen aufgehört und sie alle klatschten.

Zum ersten Mal seit zwei Monaten war er wieder Angel DeMarco - nicht der anonyme Mark Jones, nicht der Herztransplantationspatient auf 264-W, kein verdorbener jüngerer Bruder, kein Instantvater. Er war Angel DeMarco, Schauspieler, der böse Junge aus Hollywood, und er liebte es.

Die alten Gefühle kamen wieder, erfüllten ihn. Das Geräusch und die Heftigkeit des Applauses pumpten Luft in sein Ego, bis er glaubte, er würde dadurch platzen. Wie hatte er diese Woge vergessen können, diesen hypnotisierenden Augenblick, wenn er sich von der Welt geliebt und angebetet fühlte?

Grinsend hob er eine Hand. »Aber, aber. Ich habe die Operation nicht durchgeführt, ich habe sie nur überlebt.«

Kurzes Gelächter perlte durch den Raum. Der Applaus erstarb langsam, und als er geendet hatte, bemerkte Angel die plötzliche Stille, die Art, wie sie ihn mit unverhohlener Neugier beobachteten.

So sahen sie ihn normalerweise nicht an. Die lange rote Narbe, die seine Brust teilte, begann zu jucken.

Die Luft schwand aus seinem Ego, hinterließ in ihm das Gefühl, hohl und gewöhnlich zu sein. Er überlegte plötzlich, ob er auf diese Weise überleben könnte, einfach ein ganz durchschnittlicher Kerl zu sein.

Er hatte das nie gedacht. In den alten Zeiten pflegte er Männer mit Frauen und Familien und Jobs von neun bis fünf anzusehen und über sie zu lachen.

Er hatte immer geglaubt, das Leben sei eine Party — entweder man war eingeladen oder nicht. Und wenn man nicht eingeladen war, dann gehörte man zu der großen Putzkolonne, die nie irgendwelchen Spaß hatte.

Aber er fing an zu verstehen, dass Spaß nur ein Teil dessen war, was das Leben sein konnte. Er dachte an die letzte Nacht, die Zeit, die er mit Lina auf der Veranda verbracht hatte, die Art, wie sie ihn umarmt hatte. Und an Madelaine an Francis' Grab, die zärtlichen Worte und das Lächeln, das sie ihm schenkte, um ihm durch den nagenden Kummer zu helfen. Er hatte mehr Gefühle in diesen wenigen Minuten mit diesen beiden empfunden als in den ganzen vierunddreißig Jahren davor.

»Zunächst einmal«, sagte er ruhig, »möchte ich St. Joe's für die außergewöhnlich gute Pflege danken. Meine Ärzte - Chris Allenford, Marcus Sarandon und Madelaine Hillyard -kämpften selbst dann um die Rettung meines Lebens, wenn ich es ihnen schwer gemacht habe. Und die Krankenschwestern und Therapeuten...«

»Angel, zeigen Sie uns Ihre Narbe!«

Die quiekende Frage riss Angel aus seinen Gedanken und erinnerte ihn daran, wo er war. Er wusste sofort, dass er zu lange geschwiegen hatte. Jetzt fragten sie sich wirklich, was mit ihm los sei.

Er lachte unbekümmert. »Nun hören Sie aber auf, Jeff, das können Sie besser. Glauben Sie wirklich, dass Amerika meine Narbe sehen will?«

»Wie fühlen Sie sich, Angel?«

»Prächtig, danke. St. Joe's hat bei mir hervorragende Arbeit geleistet.«

Jemand kicherte. »Bei uns haben sie auch hervorragende Arbeit geleistet. Es gab überhaupt keinen Knüller über Sie.«

Angel nickte. »Das geschah auf meine Bitte hin. Teufel, es hat mich einige Zeit gekostet, zuzugeben, dass ich so krank war. Ich war nicht bereit, das aller Welt zu erzählen.«

»Und jetzt sind Sie's?«

Angel verstand den Wink auf Anhieb. Er griff in die Tasche nach der Verlautbarung, die er vorbreitet hatte, fand aber plötzlich, dass sie zu förmlich sei. Er stützte die Ellenbogen auf das Podium und blickte auf die Menge. »Hier ist die Geschichte. Ich bin noch immer krank - es wird mir zwar besser gehen und ich werde eine lange Zeit leben und all das, aber ich erhole mich von einem verdammt schweren Schnitt. Ich brauche einige Zeit - und ich würde es wirklich schätzen, wenn Sie mir die gäben.«

Im Raum herrschte für einen Augenblick Stille. Dann sagte jemand: »Das klingt nicht wie Angel DeMarco.«

Angel warf einen Blick zu der Reporterin vom People-Magazin, die gesprochen hatte - es war die Frau, die ihn im letzten Jahr interviewt hatte. »Ich bin es, Bobbie. Aber ein Mensch neigt dazu, sich nach so etwas zu verändern - ich denke, entweder ändert man sich oder man stirbt.« Er lachte. »Sehen wir's doch, wie's ist. Ich bin am Ende der Straße gegen die Mauer gerast und ich hatte verdammtes Glück, dass ich in St. Joe's dagegen gerast bin. Diese Geschichte sollten Sie schreiben, Bobbie. Ich bin einer derer, die Glück gehabt haben. Über vierzigtausend Menschen, die auf Organe warten, sterben jedes Jahr.«

»Wer war Ihr Spender?«, fragte sie mit scharfer Stimme.

Ein erwartungsvolles Raunen füllte den Raum.

Angel wappnete sich. »Das ist vertraulich.«

»Männlich oder weiblich?«, fragte ein anderer aus der Ecke.

Angel zwang sich zu einem Lächeln. »Ja.«

»Wann genau wurden Sie operiert?«, fragte Bobbie, ihren Stift bereithaltend, um das Datum niederzuschreiben, das eine umfangreiche Recherche auslösen würde.

»Das ist ganz allein meine Sache.« Angel schenkte ihnen ein freundliches Lächeln, um seinen Worten die Schärfe zu nehmen.

»Was werden Sie jetzt tun? Wir haben gehört, dass Sie bereits für einen neuen Actionfilm verpflichtet worden sind.«

Es war eigenartig, wie unwichtig das klang. Vor einem Jahr hatte er Val in Marsch gesetzt, um diese Rolle zu bekommen. Er hatte ihm Anweisung gegeben, alles zu tun, um den Vertrag abzuschließen. Jetzt war Angel das völlig egal. Der Gedanke, Hollywood für immer zu verlassen, löste bei ihm weniger als einen Anflug von Bedauern aus. Sein altes Leben hatte langsam die schimmernde, undeutliche Gestalt eines Traumes angenommen, dessen er sich kaum erinnern konnte.

Er überlegte, ob er ihnen von seinem wirklichen Vorhaben erzählen sollte - von der Francis-Xavier -DeMarco-Stiftung für Transplantationsforschung. Doch wenn er Francis' Namen nannte, würde irgendein Reporter versuchen, den mysteriösen Bruder zu interviewen, und wenn dabei herausgefunden wurde, dass er tot war - wenn festgestellt wurde, wie und wann er gestorben war -, würde alles vorbei sein. Irgendein übereifriger Reporter würde graben, bis die wahre Story ans Licht kam.

Nein, er würde ihnen später von Francis erzählen, wenn die Wunde nicht mehr ganz so frisch und schmerzhaft war. Eines Tages, falls und wenn ihm danach war, würde er die Welt wissen lassen, was tatsächlich hinter seinem Wunder stand.

Eines Tages, aber nicht heute.

Er ließ sein berühmtes Lächeln blitzen. »Ich werde versuchen, sesshaft zu werden und ein normales Leben zu führen.«

»Sief«, sagte jemand lachend.

Bobbie sah ihn eindringlich an. »Das haben Sie nach dieser Entziehungskur auch gesagt.«

Angel wich ihrem Blick nicht aus. Sie hatte Recht. Sie beide wussten das - er hatte es zu ihr gesagt. »Das ist wahr, Bobbie«, sagte er ruhig. »Der Unterschied ist, dass ich damals wusste, dass ich log. Ich konnte mir mein Leben nicht anders als eine ständige Party vorstellen.« Dabei musste er einfach Madelaine ansehen. »Jetzt sehe ich eine ganze Welt neuer Möglichkeiten.«

»Wie lange werden Sie leben?«, fragte jemand.

Er sah den Reporter an. »Wie lange werden Sie leben?«

»Haben Sie die Absicht, sesshaft zu werden und zu heiraten?«

Angel hörte den Spott in der Frage und er wusste, dass er ihn verdient hatte. Prominente, die Probleme hatten, gaben solche Reden immer von sich. Das Peop/e-Magazin brachte die Schlagzeilen über die Hochzeiten - und die folgenden über die Scheidungen -, die das bewiesen. Die Medien und die Öffentlichkeit hatten gelernt, Berühmtheiten, die schwören, sein oder ihr Leben zu ändern, nicht mehr zu glauben.

Er hatte keine Möglichkeit, sie oder sich zu überzeugen. Alles, was er tun konnte, war, es zu versuchen, und wenn er scheiterte, es wieder zu versuchen.

»Sie haben die Frage nicht beantwortet.«

Angel blickte den Reporter in der letzten Reihe an. Der Mann sah zerknittert und müde aus. Sein Gesicht zeigte keinerlei Emotionen - nur einen gelangweilten Ausdruck, der so viel bedeutete wie: Spuck es aus, DeMarco, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.

»Okay, Jungs und Mädels, hier ist das Zitat des Tages. Angel DeMarco tritt ab.«

Ein allgemeines Kichern kam aus der Menge. Sie alle hatten das schon vorher gehört und sie glaubten es nicht. Niemand hatte jemals wirklich auf Ruhm verzichtet.

»He, Angel«, rief jemand aus dem hinteren Teil des Raumes. »Ist dies alles nur ein Vorwand, um zu vertuschen, dass Sie Aids haben? Diese Prostituierte in Florida ...«

Angel lachte über die Absurdität der Frage laut auf. Ganz plötzlich fühlte er sich jung und sorgenfrei, fast voller Elan. Ich bin gerade noch davongekommen, dachte er. Er hatte es nicht geplant, hatte es nicht sagen wollen, aber es war irgendwie herausgekommen, und jetzt, da er es getan hatte, fühlte er sich freier, als er es in den letzten Jahren gewesen war. Diese Leute würden ihn für ein paar Tage oder Wochen weiter im Auge behalten, doch eines Tages würde er aufwachen und sie würden weg sein. Es würde sie nicht mehr interessieren. Er konnte sein Leben so leben, wie er es wollte, und brauchte sich keine Sorgen darum zu machen, dass alles, was er tat, unter die Lupe genommen wurde. Er konnte ein ganz gewöhnlicher Mann sein - und dieses Mal faszinierte ihn der Gedanke.

»Ich habe definitiv kein Aids«, sagte er. »Die einzige ansteckende Krankheit, die ich je hatte, war Ruhm.« Er spürte, dass er zu lächeln begann, ein breites, natürliches Lächeln, das aus irgendeinem Winkel seines neuen Herzens zu kommen schien. »Und die ist jetzt vorbei.«

Er winkte ihnen kurz zu und merkte, dass er hoffte, nie wieder vor sie treten zu müssen. »Wiedersehen.«

 

Angels Lächeln erschien auf dem Fernsehschirm. Die kahlen Wände der Cafeteria umrahmten ihn. Dadurch wirkte er ungeheuer kraftvoll und vital. Selbst die mangelhaften Farben des kleinen tragbaren Fernsehers zeigten den unglaublichen, hypnotisierenden Grünton seiner Augen.

Madelaine griff nach der Fernbedienung und zappte durch die Programme - er war auf jedem Kanal, sagte dieselben Worte wieder und wieder. Okay, Jungs und Mädels, hier ist das Zitat des Tages. Angel DeMarco tritt ab ... tritt ab... tritt ab...

Selbst jetzt noch, Stunden nach der Pressekonferenz, überraschte diese Erklärung sie. Er hatte kein einziges Mal eine Andeutung gemacht, dass er die Absicht habe, aus dem Showbusiness auszusteigen.

Was würde er jetzt tun?

Sie empfand ein wenig Furcht. Sie gab es ungern zu, aber sie hatte während der letzten Wochen bei Angel Halt gesucht. Seit seiner Operation war er der Mann geworden, den sie immer in ihm gesehen hatte. Sie wusste, dass er glaubte, das läge an Francis' Herz, und vielleicht stimmte das zum Teil auch, aber keinesfalls ganz. In mancherlei Hinsicht glaubte sie, ihn besser zu kennen, als er sich selbst kannte. Das lag daran, weil sie mehr als nur sein hitziges Temperament und sein unbeständiges Wesen sah. Sie glaubte an ihn - das hatte sie immer getan, selbst dann, als sie es nicht gewollt hatte. Er hatte immer einen guten Kern in sich gehabt, Mitgefühl. Er brauchte nur daran zu glauben und danach zu greifen.

Sein Gesicht tauchte wieder auf dem Bildschirm auf - CNN. Bei seinem Anblick machte ihr Herz einen schnellen, kleinen Satz. Er sah so verdammt gut aus. Und obwohl er so gut im Fernsehen aussah, war er in Wirklichkeit noch gut aussehender. Das Fernsehen zeigte keine der Falten, die sich in seinen Augenwinkeln bildeten, wenn er lächelte, erfasste nicht die rasierklingendünne Narbe, die seine linke Augenbraue teilte. Die Kamera fing seine ganze Perfektion ein, aber nichts von seiner Seele.

Die gehörte ihr und Lina.

Das Telefon klingelte, unterbrach ihre Gedanken. Sie legte die Fernbedienung beiseite, begab sich in die Küche und nahm den Hörer beim zweiten Läuten ab. »Hallo?«

»Hi, Mom«, kam Linas begeisterte Stimme durch die Leitung.

Madelaine musste unwillkürlich lächeln. Lina klang in letzter Zeit so glücklich - Angel und Zachary hatten das bewirkt. Obwohl Madelaine ein wenig Eifersucht empfand, war sie so froh darüber, dass Lina begonnen hatte, ihren Weg zu finden, dass es sie nicht weiter kümmerte, wer diese Veränderung ausgelöst hatte.

»Ich bin drüben bei Vicki Owen. Wir haben Trivial Pursuit gespielt. Jetzt hat Zach gefragt, ob ich mit ihm ins Kino gehe. Bist du einverstanden?«

Madelaine wollte sie bitten, Vicki ans Telefon zu holen, um mit ihr zu sprechen, wusste aber, dass Lina durch diesen offensichtlichen Vertrauensmangel verletzt sein würde. Sie bauten eine zarte, neue Beziehung zueinander auf und dieses Mal wollte sie es richtig machen. »Du wirst um elf zu Hause sein?«

»Jesus, Mom. Ich bin doch kein Baby.«

Madelaine lachte bei dieser vertrauten Klage. »Du wirst immer mein Baby sein.«

»Ja, ja. He, Mom, hast du Dads Pressekonferenz gesehen?«

»Ja. Ich habe sie für dich aufgezeichnet.«

Eine Pause entstand. Dann sagte Lina sehr leise: »Er hat mich nicht erwähnt.«

Madelaine hörte die Enttäuschung in der Stimme ihrer Tochter und überlegte, was sie tun sollte. Sie wusste, dass Lina ihren neu gefundenen Vater anbetete und dass es gefährlich war, so für jemand zu fühlen. Wenn Lina nicht erwachsen wurde und Angel als einen Menschen sah - mit all seinen Fehlern -, konnte sie verletzt werden. Jeden Tag würde Lina Kerben in der Rüstung ihres perfekten Vaters sehen und jede kleine Delle würde schmerzen, ihr das Gefühl geben, als habe er sie im Stich gelassen.

Was würde Lina tun, wenn ihr bewusst wurde, dass ihr Vater nicht Angel DeMarco, der rebellische Schauspieler, war, sondern einfach der alte Angel - ein Mann, der allzu menschlich war?

Sie wählte ihre Worte sorgfältig. »Angel hat mit mir darüber gesprochen. Er wollte nicht, dass die Presse sich auf dich stürzt. Aber er ist sehr stolz auf dich.«

»Dich hat er erwähnt«, sagte sie.

»Ich bin einer seiner Ärzte.«

Eine Pause entstand. Dann: »Hat er wirklich gesagt, er sei stolz auf mich?« Die Frage klang sehnsüchtig.

»Ja, das hat er.«

Lina lachte. Es war ein kurzes, scharfes Geräusch, das schnell endete. »Ja, gut, ich habe meinen Schlüssel dabei. Falls du schon schläfst, komme ich rein und gehe dann zu Bett.«

»Ach, Lina. Als ob ich schlafen könnte, wenn du aus bist. Ich werde auf dich warten.«

Lina lachte. »Das will ich hoffen. Wir sehen uns um halb zwölf, Mom.«

»Um elf. Sei vorsichtig und amüsier dich gut. Schnall dich an.«

»Mom ...« Sie seufzte dramatisch. »Jetzt hör aber ...«

Madelaine grinste über ihre eigenen Neurosen. »Du kannst von Glück sagen, dass ich von dir nicht verlange, einen Sturzhelm zu tragen. Grüß Vicki und Zach von mir. Und, Lina ...« »Ja?«

»Ich liebe dich.«

Ein weiterer Moment der Stille entstand und Madelaine konnte ihre Tochter am anderen Ende der Leitung atmen hören. »Ja, Mom. Ich liebe dich auch.«

Madelaine hängte den Hörer ein und sah sich um. Das Haus wirkte ohne Lina leer. Es war erstaunlich, wie sehr selbst ein stiller, störrischer Teenager Leben in einen Raum bringen konnte. Sie nahm eine Tasse und bereitete sich eine Kanne Earl-Grey-Tee zu. Dann ging sie mit der Tasse ins Wohnzimmer und schaltete auf dem Weg dorthin Lampen an.

Sie war gerade dabei, sich ein Bad einlaufen zu lassen, als es an der Tür klingelte. Sie stellte den Tee auf den rosa Marmorrand der Badewanne und eilte zur Haustür.

Angel stand dort und sah aus, als sei er Bestandteil ihrer Veranda. »Hallo, Mad«, sagte er und schenkte ihr ein strahlendes, jungenhaftes Lächeln, das ihren Herzschlag beschleunigte. Dann zog er einen Strauß Treibhausmargeriten hinter seinem Rücken hervor.

Sie starrte völlig überrascht darauf, versuchte sich - idiotischerweise - an das letzte Mal zu erinnern, als ein Mann ihr Blumen geschenkt hatte. »Sie sind wunderschön«, sagte sie -ebenso idiotisch, dachte sie. Aber sie konnte nicht klar denken. Er sah so stattlich aus, wie er da stand, von hinten durch eine riesige Decke von sternübersätem Nachthimmel beleuchtet.

Er schaute auf den welken Strauß, blickte dann wieder sie an. »Ich wollte dir ein Dutzend rote Rosen kaufen - bin sogar in den Blumenladen gegangen -, aber es fühlte sich an wie mein altes Leben. So wie ich Dinge für Frauen getan habe, die unwichtig waren.« Er zuckte die Schultern. »Jedenfalls sah ich diese Margeriten und dachte an die wilden, die vor meinem Haus wachsen... und ich dachte, sie seien richtig für dich.«

Dieses Feingefühl berührte sie innerlich, dass sie für eine Sekunde keine Worte fand. Sie fühlte sich albern und unreif ... und wundervoll. Sie wollte etwas Geistreiches sagen und überlegte, aber ihr fiel nichts ein. Nervös deutete sie mit dem Daumen in Richtung Küche. »Ich werde sie ins Wasser stellen.«

Er grinste. »Tu das.«

Sie nahm die Blumen und hob sie an des Gesicht, atmete tief ihren frischen, wässrigen Duft ein. Sie drehte sich um und führte ihn in die Küche. Sie holte eine angeschlagene Porzellanvase heraus - die einzige, die sie hatte. Als sie seinen Blick sah, zuckte sie die Schultern. »Ich habe nicht sehr oft Blumen im Haus.«

Er starrte sie an. »Solltest du aber«, sagte er mit weicher Stimme. »Komm, stell sie jetzt ins Wasser, damit wir gehen können.«

Sie gab sie in die Vase und wünschte sich kurz, das Talent zu haben, Blumen arrangieren zu können. »Gehen?«, fragte sie verwirrt und rückte eine große Blüte in der Vase nach vorn. Sie brach unter ihren Fingern ab und sie zuckte zusammen.

»Ich habe große Pläne für uns heute Abend.«

Sie balancierte die abgebrochene Blüte auf dem gesprungenen goldenen Rand aus. »Ich kann nicht ausgehen ... Lina ...«

»Lina hat mich angerufen, bevor ich aus dem Haus ging. Sie sagte mir, sie würde mit Zach ins Kino gehen.«

Sie drehte sich zu ihm um. »Willst du mir damit sagen, wir haben ein Rendezvous?«

Er lachte. »Ich sehe, dass die fünf Jahre auf dem College keine völlige Zeitvergeudung waren.«

Sie musste einfach lachen. Der Gedanke, ein Rendezvous mit Angel zu haben, machte sie fast benommen. »Wohin gehen wir?«

Sein Lächeln schwand und für eine Sekunde sah er so ernst aus, dass sie glaubte, all dies müsse eine Lüge sein. Doch dann lächelte er wieder. »Du wirst schon sehen.«

Bevor sie reagieren konnte, zog er ein schwarzweißes Halstuch aus seiner Hosentasche und ließ es vor ihr baumeln.

Sie musterte den schwarzweißen Baumwollstreifen. »Was ist das?«

»Ich verbinde dir die Augen.«

Ein überraschtes Lachen kam über ihre Lippen. »Dann hat diese Stripperin in Florida also doch die Wahrheit gesagt.«

»Komm nicht auf schlechte Gedanken, Doktor. Ich habe nur eine kleine Überraschung für dich.«

»Die schließt aber hoffentlich keine Handschellen oder Hundehalsbänder ein.«

Er kam auf sie zu. »Dreh dich um.«

Sie wandte sich langsam von ihm ab. Er trat dicht hinter sie, so nahe, dass sie spüren konnte, wie sein warmer Atem ihren Nacken streifte.

»Schließ deine Augen.«

Sie tat, was er verlangte. Er verknotete das Halstuch hinter ihrem Kopf und in der absoluten Dunkelheit erwachten all ihre anderen Sinne zum Leben. Sie hörte das leise Ticken der Kaminuhr, den gleichmäßigen Rhythmus ihrer Atemzüge, roch den frischen Duft der Margeriten und den Moschusduft seines Rasierwassers. Seine Hände glitten langsam an ihren Armen hinunter und drehten sie langsam zu ihm um.

Sie konnte ihn fühlen. Er stand unmittelbar vor ihr. Die Hitze seines Körpers berührte sie an Dutzenden von Stellen. Sie wollte seine Augen sehen, um zu wissen, wie er sie in diesem Augenblick ansah.

Sehr sanft fuhren seine Finger über ihre Oberlippe und sie erschauerte. Dann nahm er sie bei der Hand und führte sie durch den Raum. Sie hörte, wie die Eingangstür sich knarrend wieder öffnete, spürte den Hauch des kalten Abendwindes auf ihrem Gesicht.

Sie griff nach dem Halstuch. »Das ist aber ein wirklich unheimliches Gefühl.«

»Vertraue mir«, flüsterte er.

Sie wollte eine schnodderige Bemerkung machen, aber plötzlich schien dies wichtig zu sein. Sie wollte ihm vertrauen, wollte das aus ganzem Herzen. »Okay.«

»Bleib hier stehen. Ich werde dir Wanderschuhe holen und alle Lichter ausschalten.«

»Mein Zimmer ist die erste Tür links. Die Schuhe sind in meinem Kleiderschrank.«

»Danke, dass du's mir gesagt hast. Ich wollte schon im Kühlschrank danach suchen.«

Sie hörte, wie seine Schritte sich über den Korridor entfernten. Vorsichtig ertastete sie sich ihren Weg aus der Haustür und blieb auf der Veranda stehen.

Die Nacht war voller Geräusche. Sie konnte hören, wie irgendwo auf der Straße eine Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Ein leichter Windstoß brachte das letzte Blatt ihres Apfelbaums zum Rascheln. Kalte Luft strich über ihre Wangen und zauste an ihrem Haar. Neben ihr quietschte die Verandaschaukel. Die Metallketten klirrten. Sie glaubte, ein Seufzen zu hören - aber es musste der Wind sein -, dann meinte sie, den markanten Duft von Francis' Eau de Cologne zu riechen.

»Francis?«, flüsterte sie und fühlte sich dabei wie ein Narr.

Angel schloss die Tür hinter sich und führte sie zu der Verandaschaukel, ließ sie vorsichtig darauf Platz nehmen. Seine Knie knackten, als er sich vor sie kniete, behutsam ihre Slipper auszog und ihre Füße in die Schuhe steckte.

Sie fühlte sich wie Cinderella.

Dann nahm er ihre Hand und führte sie die Treppe hinunter, über den Hof, und half ihr auf den Beifahrersitz seines Mercedes. Schweigend startete er den Motor und fuhr los.

Madelaine versuchte zu verfolgen, wohin sie fuhren, und es gelang ihr auch bei den ersten Blocks. Doch dann gerieten all die Abbiegungen und Kurven durcheinander und sie lehnte sich zurück und genoss die Fahrt.

Schließlich hielt er an und stellte den Motor ab. Sie saß da, wartete darauf, dass er die Beifahrertür öffnete. Erwartung schmerzte süß in ihrer Brust, zitterte in ihrem Atem.

Er half ihr aus dem Wagen. Sie spürte seine Hände an dem Knoten des Halstuchs. Als er ihn gelöst hatte, hielt er es fest und beugte sich näher zu ihr, flüsterte ihr ins Ohr: »Willkommen im Jahre 1978.«

Er nahm ihr die Augenbinde ab und sie mochte nicht glauben, was sie sah. Sie waren im Carrington Park, doch der war zu einem Jahrmarkt verwandelt, in ein grelles, dramatisches Lichtermeer in der samtenen Dunkelheit der Nacht. Sterne waren überall, sprühten herab, wurden in den blitzenden gelben und rosa und roten Lichtern des Mittelwegs gefangen. Ein gewaltiges Riesenrad stand, einem mechanischen König gleich, in der Mitte von all dem und drehte sich langsam auf seinem wohl beleuchteten Weg.

Sie konnte spüren, wie der Zauber des Jahrmarktes sie umfing, sie in die Vergangenheit zurückzog, bis sie wieder ein junges Mädchen war, mit dem Jungen ihrer Träume am Rand der Ewigkeit stand. Es war so sehr wie damals. Es roch nach Popcorn und Schmiere und Möglichkeiten. Die Geräusche von lärmenden Marktschreiern und mechanischer Musik schwebten in der stillen Nachtluft.

Sie wandte sich scheu zu ihm. »Woher wusstest du, dass das hier sein würde?«

Er lächelte und steckte eine widerspenstige Haarsträhne hinter ihr Ohr. »Ich habe es hergebracht. Für dich... für mich.«

Sie schüttelte den Kopf. »Heißt das, du ...«

»Meine frühere Ärztin ist eine Tyrannin. Ich wusste, dass sie mich nicht in die Öffentlichkeit gehen lassen würde. Also habe ich diese Jungs engagiert. Ich verspreche, dass ich in Gegenwart Fremder meine Maske tragen und sie nur für dich abnehmen werde.«

»Du brauchst jetzt wirklich keine Maske mehr. Du weißt...«

»Willst du jetzt hier stehen bleiben und eine Analyse unseres Rendezvous machen oder willst du es genießen?«

Sie blickte auf den bunt erleuchteten Hauptweg. Sie schloss die Augen und sog alles in sich ein. Vergangenheit und Gegenwart verschmolzen in ihren Gedanken miteinander, bis es kein Damals und kein Heute mehr gab, nur noch sie und Angel und den Zauber des Jahrmarktes. »Ich will es genießen.«

»Gott sei Dank.« Er nahm ihre Hand und zog sie mit sich, auf die Lichter zu. Lachend folgte sie ihm, umklammerte fest seine Hand, während er sie zu dem Ort zurückführte, wo alles begann.