BUCHREPORT: Manuel Bonik, Andreas Schaale: Achtung Parasiten
Erst die gute Nachricht? (Ihnen dämmert schon die schlechte
Nachricht? Sie ahnen, dass Sie dieser Text nicht heiter
zurücklassen wird?) Also: Man kann mit E-Books Geld verdienen. Ein
neues Geschäftsmodell verbreitet sich gerade kräftig im Internet –
nennen wir es Flatrate-Shop.
Es funktioniert so: Der Subskribent hat für eine Monatsgebühr
(ca. 10 bis 40 Euro, je nach Anbieter) unbegrenzten Zugriff auf
einen Pool von hunderttausenden Büchern, zumeist aktuelle und teure
Fachliteratur. Da kann er/sie dann „saugen“, was die Leitung
hergibt, DRM- und werbefrei. Nie war es günstiger, sich eine
umfangreiche digitale Bibliothek zuzulegen. Wer’s einmal gemacht
hat, muss womöglich jahrelang keine Bücher mehr kaufen. Und für die
Shop-Betreiber lohnt es sich offensichtlich auch, sonst würde es
zur Stunde nicht mindestens 400 Kopien dieser Flatrate-Shops geben
und würden nicht täglich neue hinzukommen. Es sieht ganz so aus,
als würde das leidige Thema E-Books, das Verlage und Buchhändler so
quält (wegen Piraterie und so), endlich alle Beteiligten glücklich
machen. Wäre da nicht die schlechte Nachricht (Sie waren gewarnt!):
Natürlich sind die Flatrate-Shops, von denen hier die Rede ist,
illegal. Ihre Betreiber haben keinen Vertrag mit den Autoren oder
Verlagen, deren Bücher sie „vertreiben“. Der Wirt macht die
Rechnung ohne die Lieferanten – ohne Einkaufskosten kann sein Laden
gar nichts anderes tun als prosperieren. Autoren, Verlage,
Buchhändler haben freilich nichts davon (übrigens auch nicht,
wenn’s irgendjemanden tröstet, Amazon). Verdienen tun hier
ausschließlich Piraten oder – das Wort trifft’s vielleicht besser –
Parasiten.
Die Sache ist insofern nicht ohne Geschmäckle, als das Thema
Flatrate inzwischen auch in der Buchbranche zur Zeit kräftig
diskutiert wird, z. B. hier. Die Musikbranche hat’s u. a. mit
Simfy, Spotify oder last.fm vorgemacht. Diese Musik-Flatrates sind
die Konsequenz der plausiblen Überlegung, dass ihr, der
Musikbranche, gegen Piraterie letztlich nur ein einfaches und
attraktives legales Nutzungsmodell hilft (natürlich ohne DRM).
Ähnliche Maßnahmen der Buchbranche gibt es noch nicht, u. a. weil
hier die Oligopolisierung noch nicht ganz so weit vorangeschritten
ist und ein paar wenige Firmen nicht mal einfach „mehr als 20 Mio.
Songs“ (Simfy-Eigenwerbung) bündeln können. Ziemlich doof ist für
die Buchbranche auch, dass das Flatrate-Modell für den User/Kunden
tatsächlich ziemlich attraktiv ist. Und allerdings die Frage, ob es
nun legal ist oder nicht, ziemlich verwirrend. Wenn eine Seite wie
Simfy anscheinend legal ist und kräftig beworben wird, warum sollte
es ein (technisch gut funktionierender und, nach Bezahlung, auch
den Subskribenten nicht mehr durch Werbung belästigender und im
übrigen unverdächtiger und durch ein tolles Angebot glänzender – u.
a. auch rund 20.000 Hörbuch-Titel) Flatrate-Shop nicht sein?
Gut, die Angebote sind sehr kostengünstig, aber da die
Bezahlung über einen regulären (in der EU ansässigen) Payment
Provider erfolgt, dürften Nutzer nur sehr geringe Zweifel an der
Legalität derartiger Angebote haben. Kann man wirklich verlangen,
dass der geneigte Medienkonsument, der ja hier vor der Benutzung
auch tatsächlich Geld hinlegt, all die feinen Verästelungen des
Urheberrechts kennt, nach Branchen aufgeschlüsselt? Übrigens ist
das Urheber- gar nicht das einzige Recht, das von den
Flatrate-Shops gebrochen wird. Eine neue Qualität von Piraterie
(nach P2P-Tauschbörsen und Filehoster-Piraterie) ist auch, dass
diese Shops nicht nur auf ihren eigenen Domains betrieben werden.
Nein, sie sparen sich auch noch die Provider- und Serverkosten und
hacken fremde Server; das Buchangebot wird auf Seiten (im Prinzip
beliebiger) Dritter „exportiert“. Die Betreiber der gehackten
Seiten, die sich offenbar wenig um ihre Server kümmern (kleiner
Tipp: die Probleme treten meist durch schlecht gesicherte
WordPress-Installationen auf), bemerken dies in den seltensten
Fällen. 85 Prozent der Flatrate-Shops laufen auf Fremdseiten, wobei
etwa österreichische Hotelseiten (neben u. a. Floristen, Friseuren,
Grundschulen, Sportseiten, Immobilienhändlern, Nachtclubs aus
Quebec und indischen Umzugsunternehmen und, natürlich,
Autoren-Websites) sehr beliebt sind.
Ob Wirtsfamilie Huber im Obergailtal (Anm. d. Red.: Name und
Ort geändert) überhaupt mitkriegt, dass sie seit einiger Zeit
erhöhten Online-Traffic hat und dass das aber seltsamerweise
überhaupt keine Auswirkungen auf ihre Gästezahlen hat? Gerne
gekapert werden auch die Websites von amerikanischen Anwälten,
darunter sogar solche von Spezialisten für Internetrecht.
Copyright-Anwälte! (Sie mögen verzeihen, dass auch wir technischen
Antipiraterie-Dienstleister manchmal auf Phänomene stoßen, die uns
tagelang lachen machen.) – Sind Sie sicher, dass nicht auch schon
Ihre Website von E-Book-Hehlern gekapert wurde? Mit dieser Methode
sparen die Betreiber der Flatrate-Shops nach den Kosten für
Lieferanten auch die für Internet-Betriebskosten. Und sie
verschafft ihnen hohe Reichweite. Für einen einzelnen dieser Shops
ist sie nicht weiter auffallend (“große” Piraten erkennt man sonst
oft z. B. anhand ihres Alexa-Ranks; der hilft hier nichts), aber in
Summe (wie gesagt: es handelt sich um nicht weniger als 400 Shops
zur Stunde) kommt doch Einiges zusammen. Und die Summe gibt es, die
meisten dieser Shops hängen personell und technisch zusammen: Die
größte „Flatrate-Shop-Kette“ wird aus Osteuropa betrieben. Im
Umfeld dieser Shops lassen sich auch Beziehungen zu illegalen
Musikshops (in der Art von allofmp3) finden. Die Server selbst
stehen in Russland. Andere (kleinere) Shops kommen aus Österreich,
Exoten stehen auf kenianischen Domains.
Um mal wieder eine gute Nachricht einzustreuen: Ja, man kann,
wenn man will, diese Shops auch abstellen. Wie? – Wir haben uns z.
B. mal testweise kürzlich an den österreichischen Fachverband
Hotellerie gewandt, auf dass er seine Mitglieder darauf hinweist,
was da für kriminelle Aktivitäten auf ihren Websites laufen. Die
meisten (immer noch nicht alle) österreichischen Hotelseiten haben
auch reagiert. Nicht, dass diverse dieser Hoteliers (die, ganz im
Ernst, selber Opfer sind) die Ski-Saison statt auf der Hütt‘n im
Knast verbringen müssen. Im übrigen bleiben noch diverse hundert
Shops übrig, um die sich irgendjemand mal so allmählich, im
Interesse der Buchbranche, kümmern sollte. Das Problem betrifft u.
a. ca. fünfzig namhafte deutsche Verlage. So sehr dieser Text bei
allen schlechten Nachrichten, die er zu überbringen hatte, um
Heiterkeit bemüht war, zuletzt noch ein völlig unscherzhaftes Wort:
Die Diskussion um legale (!) Flatrate-Shops ist eine wichtige. Für
die Musikindustrie ist sowas wie Simfy der aktuell letzte Notnagel,
keineswegs ein freiwilliger, nachdem sie feststellen musste, dass
ihr das Thema Piraterie völlig entglitten ist.
Der Buchbranche droht Ähnliches – womöglich. Aber während sie,
in ihrer buchbranchenhaften Art, noch die Diskussion über die
Flatrate-Frage betreibt, haben die Piraten nicht auf deren Ergebnis
gewartet und einmal mehr Fakten geschaffen. Die illegalen
Flatrate-Shops, jenseits aller pekuniären Ersatzraten-Fragen,
sorgen für eine Inflation des Buchs im Allgemeinen. Wer für den
Preis eines Fachbuchs deren tausende kriegt, wird in Zukunft ein
sehr schwieriger Kunde sein.
Manuel Bonik und Andreas Schaale von der auf die
Bekämpfung von Piraterie spezialisierten Agentur Lisheennageeha
Consulting