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Jede Erschöpfung war verflogen, als Larry Ahearn der versammelten Truppe die Aufzeichnung von Leeseys Hilferuf vorspielte. »Der Anruf kam um elf Uhr dreißig, genau vor einer Stunde«, sagte er. »Und er kam mitten aus Manhattan. Natürlich besteht die Möglichkeit, dass der Entführer ihre Stimme vorher aufgenommen hat und die Aufnahme von einem anderen Ort aus abgespielt hat.«
»Und wenn das der Fall ist, könnte er sie bereits umgebracht haben«, sagte Barrott.
»Wir gehen auf jeden Fall von der Annahme aus, dass sie noch am Leben ist«, entgegnete Ahearn. »Es besteht kein Zweifel daran, dass ihr Entführer ein starkes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit hat. Ich habe mit unserem Profiler, Dr. Lowe, gesprochen. Er ist der Ansicht, dass dieser Kerl geradezu süchtig nach Schlagzeilen ist, und er liebt die Art, wie in den einschlägigen Fernsehshows von Greta Van Susteren und Nancy Grace über den Fall berichtet wird. Vermutlich freut er sich schon auf den Wirbel, den es in der Öffentlichkeit geben wird, wenn wir die Nachricht herausgeben, dass Leesey ihren Vater erneut angerufen und um Hilfe gefleht hat.«
Zu unruhig, um noch länger sitzen zu können, stand er auf und klopfte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Eigentlich möchte ich nicht mal daran denken, aber wir müssen uns Folgendes klarmachen. In fünf bis sieben Tagen wird die Tatsache, dass Leesey angerufen hat, zwar immer noch in den Nachrichten präsent sein, doch ohne neue Informationen wird sie nicht mehr auf den Titelseiten stehen.«
Sämtliche verfügbaren Detectives aus dem Dezernat waren zur Besprechung in Ahearns Büro gerufen worden und standen dicht gedrängt um seinen Schreibtisch. Ihre Mienen verfinsterten sich zusehends, als sie Ahearns Gedankengang folgten. »Leesey ist in der Nacht von Montag auf Dienstag in diesem Club gewesen und danach verschwunden. Ihr Anruf, bei dem sie versprach, sich an Muttertag wieder zu melden, kam am folgenden Sonntag, sechs Tage danach. Eine Woche später kam jetzt dieser neue Anruf. Dr. Lowe ist der Ansicht, dass unser Mann vielleicht nicht noch einmal eine Woche abwarten wird, um wieder in die Schlagzeilen zu kommen.«
»MacKenzie ist derjenige, den wir suchen«, sagte Roy Barrott mit Nachdruck. »Ihr hättet seine Mutter erleben sollen, als ich sie gestern in der Wohnung ihres Freundes aufgesucht habe.«
»Ihr Freund?«, rief Ahearn überrascht.
»Elliott Wallace, der Investmentbanker. Aaron Klein, der Sohn der Schauspiellehrerin, arbeitet seit vierzehn Jahren für ihn. Klein hat mir erzählt, dass sich die Beziehung zu seinem Chef vertieft habe, als seine Mutter ermordet wurde. Wallace sei immer noch äußerst betroffen von MacKenzies Verschwinden im Jahr zuvor gewesen, und das habe ein starkes Band zwischen ihnen geschaffen. Mack MacKenzies Vater ist mit Wallace zusammen in Vietnam gewesen, das hat ihre lebenslange Freundschaft begründet. Klein ist der Ansicht, dass Wallace schon immer in Olivia MacKenzie verliebt war.«
»Lebt sie mit ihm zusammen?«, fragte Ahearn.
»So würde ich es nicht nennen. Wegen des ganzen Medienrummels in Sutton Place ist sie einstweilen zu ihm gezogen. Andererseits hat Klein gesagt, es würde ihn nicht wundern, wenn die beiden eines Tages heiraten würden. Jedenfalls hat Wallace ziemlich schnell reagiert und sie in eine psychiatrische Privatanstalt gesteckt, damit sie uns nicht weiter erzählen kann, ihr Sohn sei geisteskrank.«
»Könnte es möglich sein, dass sie in Kontakt mit ihrem Sohn steht?«
Barrott zuckte die Achseln. »Sollte Mack wirklich mit einem Mitglied seiner Familie in Kontakt stehen, dann eher mit seiner Schwester, würde ich sagen.«
»Schön.« Ahearn wandte sich wieder den versammelten Anwesenden zu. »Ich halte immer noch dagegen, dass auch DeMarco hinter der ganzen Sache stehen könnte. Ich möchte, dass er rund um die Uhr beschattet wird. Dasselbe gilt für Carolyn MacKenzie. Wir werden die Abhörerlaubnis für sämtliche Telefone einholen, die noch nicht abgehört werden: Das gilt für MacKenzie in ihrer Wohnung in der Thompson Street, in Sutton Place und für ihr Handy; für DeMarco, wo immer er arbeitet oder übernachtet.«
»Larry, ich möchte noch etwas anderes vorschlagen«, sagte Bob Gaylor. »Zach Winters mag zwar ein Säufer sein, aber ich glaube, er hat tatsächlich etwas gesehen in jener Nacht. Er pflegt in irgendwelchen Hauseingängen zu kauern. Dass die Musiker und die Kellner vom Woodshed ihn nicht auf der Straße gesehen haben, beweist überhaupt nichts, und ich könnte schwören, dass er uns irgendetwas verheimlicht.«
»Dann sprich noch mal mit ihm«, sagte Ahearn. »Er wohnt in dieser Unterkunft in der Mott Street, nicht wahr?«
»Manchmal, aber wenn das Wetter gut ist, fährt er seine sieben Sachen in einem Einkaufswagen herum und schläft draußen.«
Ahearn nickte. »Schön. Wir arbeiten mit dem FBI zusammen, aber eines möchte ich hiermit klipp und klar feststellen. Ich kenne Leesey, seit sie sechs Jahre alt ist. Ich will sie lebend wieder zurückhaben, und ich will, dass wir diejenigen sind, die sie finden!«