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Onkel Dev hatte Elliott Wallace von Macks Nachricht in der Kollekte erzählt, und am Montag trafen wir uns mit Elliott zum Abendessen. Eine Spur von Besorgtheit zeigte sich in seinem sonst immer gelassen und unerschütterlich wirkenden Äußeren. Elliott war Vorstandsvorsitzender von Wallace and Madison, der Investmentfirma an der Wall Street, die sich um die finanziellen Belange unserer Familie kümmert. Er war einer der besten Freunde meines Vaters, und für Mack und mich war er immer so etwas wie ein Nennonkel gewesen. Er war seit Jahren geschieden, und ich wusste, dass meine Mutter seine große Liebe war. Doch stieß sein Werben in den Jahren seit Dads Tod nur auf wenig Widerhall bei ihr, und auch das war meiner Meinung nach eine weitere Folge von Macks Verschwinden.
Sobald wir an Elliotts Lieblingstisch im Le Cirque saßen, zeigte ich ihm den Zettel mit Macks Nachricht und sagte ihm, dass ich nunmehr entschlossener denn je sei, ihn zu finden.
Ich hatte wirklich gehofft, dass Elliott mich in meinem Vorhaben bestärken würde, doch er enttäuschte mich. »Carolyn«, sagte er langsam, während er den Zettel mit der Nachricht hin und her wendete, »ich glaube nicht, dass du dich Mack gegenüber fair verhältst. Er ruft einmal im Jahr an, um euch mitzuteilen, dass es ihm gut geht. Du hast mir selbst gesagt, dass er zuversichtlich, ja, sogar glücklich und zufrieden klingt. Er reagiert sofort auf dein Versprechen – oder deine Drohung –, ihn aufzuspüren. Mit dem direktesten Mittel, das ihm zur Verfügung steht, beschwört er dich, ihn in Ruhe zu lassen. Warum hältst du dich nicht an seinen Wunsch, und, was noch viel wichtiger ist, warum lässt du zu, dass Mack immer noch einen so beherrschenden Platz in deinem Leben einnimmt?«
Eine solche Frage hatte ich kaum aus dem Mund von Elliott erwartet, und ich sah ihm an, wie viel Mühe sie ihn kostete. Seine Augen waren getrübt, und tiefe Furchen zeichneten sich auf seiner Stirn ab, als er den Blick von mir abwandte und auf meine Mutter richtete, deren Miene undurchdringlich geworden war. Ich war froh, dass wir an einem etwas abseits gelegenen Tisch saßen, wo niemand uns beobachten konnte. Ich befürchtete, dass sie Elliott auch so scharf angehen könnte, wie sie mich nach Macks Anruf angegangen war, oder, schlimmer noch, dass sie in unkontrolliertes Weinen ausbrechen könnte.
Als sie stumm blieb, sagte Elliott mit großem Nachdruck: »Olivia, du musst Mack seine Freiheit lassen. Gib dich damit zufrieden, dass er am Leben ist, fasse es als tröstlichen Umstand auf, dass er anscheinend sogar in der Nähe ist. Ich bin mir ganz sicher, dass Charley dir genau dasselbe sagen würde, wenn er hier am Tisch säße.«
Meine Mutter überrascht mich immer wieder. Sie nahm eine Gabel in die Hand und zeichnete geistesabwesend mit den Zinken etwas auf die Tischdecke. Ich hätte wetten mögen, dass es Macks Name war.
Als sie schließlich zu einer Erwiderung ansetzte, fiel ihre Reaktion auf Macks Nachricht völlig anders aus, als ich erwartet hatte.
»Seit Dev uns gestern Abend diese Nachricht von Mack gezeigt hat, denke ich allmählich ein bisschen in dieselbe Richtung, Elliott«, sagte sie. Der Schmerz war deutlich aus ihrer Stimme herauszuhören, aber es gab keine Anzeichen von Tränen. »Ich bin gestern sehr heftig gegen Carolyn gewesen, weil sie Mack so beschimpft hat. Das war nicht richtig von mir. Ich weiß, dass sich Carolyn ständig Sorgen um mich macht. Nun haben wir von Mack eine Antwort bekommen. Es war zwar nicht die Antwort, die ich erhofft hatte, aber so ist es nun mal.«
An dieser Stelle versuchte Mom zu lächeln. »Ab jetzt werde ich versuchen, ihn als jemanden zu betrachten, der sich ›unerlaubt von der Truppe entfernt hat‹, wie es beim Militär heißt. Vielleicht lebt er irgendwo in der Nähe. Wie du gesagt hast: Er hat sofort reagiert, und wenn er uns nicht sehen will, werden Carolyn und ich seinen Wunsch respektieren.« Sie machte eine Pause, dann fügte sie mit fester Stimme hinzu: »Daran will ich mich halten.«
»Olivia, ich kann nur hoffen, dass du bei dieser Einstellung bleibst«, sagte Elliott nachdrücklich.
»Ich werde es auf jeden Fall versuchen. Als ersten Schritt werde ich eine Reise unternehmen. Meine Freunde, die Clarences, wollen an diesem Freitag mit ihrer Jacht zu einer Kreuzfahrt um die griechischen Inseln aufbrechen. Sie wollen mich schon eine ganze Weile dazu überreden, sie zu begleiten. Und ich habe gerade beschlossen, dass ich das tun werde.« Als ob sie die Endgültigkeit ihres Entschlusses unterstreichen wollte, legte sie ihre Gabel wieder auf dem Tisch ab.
Ich lehnte mich zurück und dachte über diese unerwartete Wendung der Dinge nach. Ich hatte vorgehabt, Elliott von meiner Verabredung mit dem Hausmeisterehepaar Kramer am Mittwoch zu berichten, was ich jetzt natürlich unterließ. Es war schon merkwürdig: Nun endlich war Mom bereit, sich mit Macks Situation abzufinden; etwas, wozu ich sie seit Jahren gedrängt hatte, wogegen ich mich jetzt allerdings wehrte. Mit jeder Stunde, die verging, war ich mehr davon überzeugt, dass sich Mack in einer äußerst schwierigen Lage befand und ganz auf sich allein gestellt war. Ich wollte bereits diese Möglichkeit zur Sprache bringen, doch dann presste ich die Lippen zusammen. Wenn Mom verreist war, müsste ich meine Nachforschungen nach Mack nicht vor ihr verbergen oder sie gar deswegen anlügen.
»Wie lange dauert die Kreuzfahrt, Mom?«, fragte ich.
»Mindestens drei Wochen.«
»Ich glaube, das ist eine großartige Idee«, sagte ich aufrichtig.
»Das glaube ich auch«, pflichtete Elliott bei. »Und nun zu dir, Carolyn. Immer noch daran interessiert, Assistentin bei der Staatsanwaltschaft zu werden?«
»Absolut«, antwortete ich. »Aber ich werde noch einen oder zwei Monate warten, bevor ich mich bewerbe. Sollte ich das Glück haben und sofort genommen werden, werde ich für eine geraume Weile keine Freizeit mehr haben.«
Der Rest des Abends verlief in angenehmer Stimmung. Mom, die blendend aussah in ihrer hellblauen Seidenbluse mit dazu passenden Hosen, lebte auf und lächelte viel. So hatte ich sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Ihre Entscheidung, die Situation zu akzeptieren, schien ihr ihren Seelenfrieden zurückgegeben zu haben.
Auch Elliotts Stimmung hellte sich auf, während er sie dabei beobachtete. Als Kind habe ich mich manchmal gefragt, ob Elliott auch im Bett Hemd und Krawatte trug. Er achtete immer penibel auf äußere Formen, doch wenn meine Mutter ihren Charme versprühte, schmolz er sofort dahin. Er war ein paar Jahre älter als Mom, weshalb ich mir zuweilen die Frage stellte, ob er sich seine vollen schwarzen Haare tönen ließ. Er hielt sich stets tadellos aufrecht wie ein Berufsoffizier. Sein Gesichtsausdruck war normalerweise zurückhaltend, sogar abweisend, es sei denn, er lächelte oder lachte, dann nämlich klärte sich seine gesamte Erscheinung auf, und man erhielt einen kurzen Einblick auf eine spontanere Persönlichkeit, die sich hinter der Fassade unerschütterlicher Förmlichkeit verbarg.
Scherzend pflegte er über sich zu sagen: »Mein Vater Franklin Delano Wallace wurde nach Präsident Franklin Delano Roosevelt benannt, einem entfernten Cousin, der für Vater immer der große Held geblieben ist. Was meint ihr, weshalb ich den Namen Elliott trage? Nun, das war der Name, den der Präsident einem seiner Söhne gab. Man darf nicht vergessen, dass Roosevelt trotz allem, was er für die einfachen Menschen getan hat, in erster Linie ein Aristokrat war, wie er im Buche steht. Und ich fürchte, mein Vater war nicht nur ein Aristokrat, sondern auch ein ausgesprochener Snob. Wenn ich euch also manchmal übertrieben förmlich vorkomme, dann ist daran einzig und allein der Steifkragen schuld, der mich großgezogen hat.«
Als wir beim abschließenden Kaffee angekommen waren, war ich mittlerweile überzeugt, es sei besser, wenn ich Elliott gegenüber nicht einmal andeutete, dass ich weiterhin aktiv nach Mack suchen wollte. Ich erbot mich, während Moms Abwesenheit in ihrer Wohnung zu bleiben, und sie nahm dieses Angebot freudig an. Die kleine Wohnung in Greenwich Village, die ich im letzten September zu Beginn meiner Assistenzzeit bei Richter Huot bezogen hatte, war nicht so ganz nach ihrem Geschmack. Jedenfalls ahnte sie bestimmt nicht, dass ich hauptsächlich deswegen in Sutton Place blieb, weil ich erreichbar sein wollte, falls Mack von meiner Suche nach ihm erfuhr und Kontakt zu mir aufnehmen wollte.
Vor dem Restaurant winkte ich mir ein Taxi heran. Elliott und Mom zogen es vor, zu Fuß bis Sutton Place zu gehen. Als sich das Taxi entfernte, sah ich mit gemischten Gefühlen, wie Elliott Moms Arm nahm und sie einträchtig Seite an Seite die Straße hinuntergingen.