Epilog in Blau:
Und dann kam Bleu, Cher
New York, Oktober 2012 – Museum of Modern Art
Es war ein Wochentag und im Museum nicht viel los, was ungewöhnlich war. Eine atemberaubende, hellhäutige Brünette, das Haar mit Stäbchen hochgesteckt, in einem eleganten Kostüm aus ultramarinblauer Wolle und abenteuerlich hohen Schuhen, stand vor der Sternennacht und starrte die weißen und gelben Wirbel am Nachthimmel aus Sacré Bleu an. Sie hatte sich direkt vor dem Bild platziert, etwa einen Meter entfernt, sodass die anderen Museumsbesucher um sie herumspähen mussten oder eben nur im Vorübergehen einen kurzen Blick auf das Bild warfen. Man hielt sie für ein selbstverliebtes Model, denn davon gab es in dieser Gegend viele, und ihr Rock war um den Hintern herum gewagt geschnitten. Sie trug eine Kette mit einem Anhänger um den Hals und rieb daran, während sie das Bild betrachtete.
»Das ist übrigens meins«, sagte sie. »Ich würde es nie mitnehmen, aber auch wenn ich es hierlasse, bleibt es doch meins.«
Der junge Mann, der auf einer Bank in der Nähe saß, seufzte amüsiert. Er war um die dreißig, mit dunklen Augen und einem Schopf von dunklem Haar, der ihm in die Stirn fiel.
Sie sagte: »Er hat es nachts gemalt und ließ es Theo im Dunkeln aufbewahren. Deshalb konnte Stinkfurz es nicht finden.«
»Das hast du mir schon mal erzählt«, sagte Lucien. »Solltest du nicht eigentlich eine andere sein?«
Das stimmte. Es gab da einen Jungen in der Bronx, der U-Bahn-Waggons mit Sprühdosen bemalte und eine Latina mit leuchtend blauen Augen liebte. Sie würde zu ihm gehen, ihn verzaubern, ihn inspirieren und die Juliette-Puppe zu Hause bei Lucien lassen. Und wenn der Junge seine Arbeit beendet hatte, würde sie mit Lucien in einen Tunnel oder ein Bahndepot gehen, wo sie ganz allein waren, und Lucien würde die Feuer entzünden, die seltsamen Worte singen und sie in Trance versetzen, dann würde er das Sacré Bleu von ihrem Körper schaben, wie er es nun schon seit über hundert Jahren tat, während das Gemälde auf den Waggons verblasste.
»Ja, das stimmt«, sagte sie. »Wollen wir?«
Im Gehen rieb sie immer weiter an ihrem Anhänger, der wie ein Stück abgewetztes Leder aussah.
»Ich wünschte, du würdest dieses Ding wegwerfen.«
»Es ist ein Andenken. Er hat es mir geschenkt.«
»Es ist ein vertrocknetes, altes Ohr.«
»Ach, Lucien. Ich würde auch dein Ohr tragen, wenn du es mir schenken würdest. Bitte, sei nicht eifersüchtig.«
»Niemals, chère. Niemals«, sagte er. Er nahm ihre Hand und küsste ihre Fingerspitzen.
Hand in Hand trat das hübsche, junge Paar, der Maler mit seiner Muse, aus dem Museum of Modern Art in einen milden New Yorker Herbsttag hinaus.