ZWEIUNDZWANZIG

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Die Antwort gab nicht Jack Butler, sondern der Constable, der sein Pferd gleich hinter Daniel angehalten hatte. »Es handelt sich um eine Festnahme. Und es wird noch eine geben, wenn Sie die Zügel nicht loslassen.«

Daniel ignorierte seine Drohung. »Was wird meinem Bruder vorgeworfen?«

»Dieser Händler hier« – der Constable nickte in Richtung des rundlichen, kleinen Mannes – »wurde vor einigen Tagen auf der Straße ausgeraubt und hat dabei eine Börse voll Silber sowie einen Hammelbraten an Ihren Bruder verloren.«

Der Hammelbraten. Ich erinnerte mich an Jacks fröhliches Prahlen, wie er ihn gestohlen hatte. Mir sank der Mut, als ich die entrüstete, anklagende Miene des Händlers sah. Er war ein Mann mittleren Alters mit runden Wangen, und seine Weste spannte sich über seinem Bauch.

Jack hielt den Blick gesenkt. Warum gab er seinem Pferd nicht einfach die Sporen und floh? Draufgängerisch genug wäre er gewesen.

Der Constable genoss das Gefühl, seine Feinde in die Enge getrieben zu haben, sichtlich. Er lenkte das Pferd so nahe an Daniel heran, dass seine Stiefelspitze fast dessen Schulter berührte, und fragte ihn gespielt mitleidig: »Werden Sie zur Hinrichtung Ihres Bruders kommen?«

Ich wagte kaum zu atmen, während Daniel den Blick des Constable mit tödlicher Ruhe erwiderte.

Erst nach einer Weile löste Daniel die Spannung.

»Wo ist der Haftbefehl?«, erkundigte er sich.

Plötzlich verschob sich das Kräfteverhältnis, das merkte ich am kurzen Zögern des Constable und an den Gesichtern seiner Begleiter.

»Sie haben doch sicher einen Haftbefehl?«

»Wir sind gerade unterwegs, um einen beim Friedensrichter zu erwirken«, versicherte der Constable. »Wenn Sie nun freundlicherweise beiseitetreten würden.«

Daniel wandte sich an den Händler. »Sagen Sie, Sir, wo hat dieser höchst bedauerliche Überfall sich denn ereignet, und wann?«

Der Händler nannte Ort und Zeit und fügte hinzu: »Es war früh am Morgen, die Sonne kaum aufgegangen; ich war die ganze Nacht in Gesellschaft dieses Mannes gereist.« Er deutete auf Jack. »Er hatte mir angeboten, mich ein Stück zu begleiten, weil er sich in der Gegend auskenne und um die Gefahren dieser Straßen wisse, und so ließ ich ihn neben meinem Fuhrwerk her reiten. Als ich über Müdigkeit klagte, versicherte er mir, ich könne beruhigt schlafen, wir hätten den gefährlichsten Teil der Strecke hinter uns, und ich benötige seine Hilfe nicht mehr.«

Daniel nickte. »Und so haben Sie geschlafen?«

»Ja, Sir. Als ich aufwachte, musste ich feststellen, dass er mein Vertrauen missbraucht und sich mit einem schönen Hammelbraten und meiner Börse davongemacht hatte, Sir.«

»Ein wahrhaft dreister Diebstahl«, pflichtete Daniel ihm bei. »Umso dreister, als er am Morgen geschah, wenn der Mann Sie doch in der Nacht viel leichter und ohne Angst vor Zeugen hätte überwältigen können. Wie hat er das angestellt?«

Der Händler runzelte die Stirn. »Wie bitte?«

»Als Sie aufgewacht sind und gemerkt haben, dass er Ihre Sachen stiehlt, haben Sie doch sicher alles in Ihrer Macht Stehende getan, um ihn aufzuhalten. Hat er Sie geschlagen? Er sieht aus, als könnte er gewalttätig werden.«

Jack schaute seinen Bruder an, als hätte er den Verstand verloren.

Der Gesichtsausdruck des Händlers veränderte sich. »Nein, das war nicht der Fall … Das heißt, ich schlief noch …«

»Aha.« Wieder nickte Daniel. »Wie konnten Sie dann beobachten, dass er das Hammelfleisch und die Börse nahm?«

Der Constable, der ahnte, worauf Daniel hinauswollte, sagte gereizt: »Man muss den Dieb nicht auf frischer Tat ertappen, um zu wissen, dass er gestohlen hat.«

»Nein?«, fragte Daniel mit ruhiger Stimme. »Dann verzeihen Sie meine Mutmaßungen. Es scheint mir nur so, dass dieser gute Mann im Schlaf durchaus von irgendeinem Gauner überfallen worden sein kann, denn in dieser Gegend gibt es davon nicht wenige. Da stimmen Sie mir doch zu, oder?«

»Den ein oder anderen schon«, pflichtete ihm der Constable bei.

»Da ich diesen Händler für einen aufrichtigen Mann halte, versuche ich, seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, damit er am Ende nicht den Falschen beschuldigt.«

»Den Falschen?«, wiederholte der Constable entrüstet.

Daniel sah Jack an. »Du gibst zu, dass du während der Nacht neben dem Wagen des Händlers her geritten bist und ihm deinen Schutz angeboten hast?«

»Aye, das tue ich«, antwortete Jack argwöhnisch.

»Und er schlief, als eure Wege sich trennten?«

»Ja.« Allmählich schien Jack Daniels Argumentation zu durchschauen. »Ich war sicher, dass wir alle Stellen passiert hatten, an denen Gefahr drohte, und da ich so bald wie möglich nach Hause wollte, hielt ich es für richtig, mich zu entfernen.«

Daniel wandte sich wieder an den Händler. »Sir, Sie sollten die Sache auf jeden Fall dem Friedensrichter vortragen, wenn Sie davon überzeugt sind, dass dieser Mann Sie beraubt hat, obwohl Sie es nicht mit eigenen Augen gesehen haben und keinen Eid darauf schwören könnten.«

Fast tat mir der Händler leid, wie er mit seinem Gewissen rang.

Daniel schob seinen Dolch mit einer kaum merklichen Bewegung in den Gürtel und nahm einen kleinen Beutel aus seiner Jacke. »Egal, wie Ihre Entscheidung ausfällt, Sir: Ich bedaure Ihren Verlust und möchte nicht, dass Sie uns in der Überzeugung verlassen, alle Menschen in Polgelly seien Diebe.« Er hielt ihm den Beutel hin, in dem sich offensichtlich Münzen befanden. »Vermutlich wiegt das nicht auf, was man Ihnen gestohlen hat, aber vielleicht gibt es Ihnen den Glauben an uns zurück.«

Der Händler nahm den Beutel und schaute hinein. Offenbar war mehr Geld darin, als man ihm gestohlen hatte, denn er schloss ihn hastig wieder und steckte ihn in seinen Mantel.

»Vorsicht, Butler«, warnte der Constable Daniel. »Mischen Sie sich nicht ein.«

»Ich bemühe mich nur, christliche Nächstenliebe zu beweisen.«

»Indem Sie ihn mit den Erlösen Ihrer ungesetzlichen Machenschaften abspeisen.«

»Meine Herren«, meldete sich der Händler zu Wort. »Ich möchte nicht Grund eines Streits zwischen Ihnen sein.« Er klopfte auf die Vorderseite seines Mantels und musterte Jack. »Offen gestanden, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob dieser Mann der Schuldige ist.«

Den Begleitern des Constable, die dieser zu seiner Unterstützung zusammengetrommelt hatte, war die Erleichterung anzusehen. Daraus schloss ich, dass keiner von ihnen erpicht darauf war, Jack zum Friedensrichter zu bringen.

Über die Gesetze dieser Zeit wusste ich nur wenig. Ich erinnerte mich jedoch vage, dass Kinder in der viktorianischen Ära schon zum Tod durch den Strang verurteilt wurden, wenn sie einen Laib Brot stahlen, und das war über hundert Jahre später gewesen.

Jack wirkte genauso erleichtert wie die Begleiter des Constable, obwohl er sich eine spöttische angedeutete Verbeugung dem Händler gegenüber nicht verkneifen konnte. »Ich stehe in Ihrer Schuld, Sir.«

»Aber nein«, widersprach der. »Die Schuld liegt bei mir.«

»Es handelt sich bestimmt um ein Missverständnis«, meinte Daniel. »Würden Sie uns die Freude machen, bei uns zu essen?«

»Bei Ihnen zu essen?«, wiederholte der Händler ungläubig.

»Aye, als Zeichen unserer Dankbarkeit. Mein Haus ist nicht weit entfernt.«

Nach kurzem Überlegen nickte der Händler. »Ja, Sir. Danke.«

Der Constable schnaubte verächtlich. »Sie Narr. Diese Männer führen Sie an der Nase herum. Die Börse, die Sie bekommen haben, wird noch vor Einbruch der Nacht wieder in ihren Händen landen, da können Sie sicher sein.«

Was bedeutete, dass er die Butlers unverhohlen Diebe und Gauner nannte.

»Dann kommen Sie doch mit und schützen Sie ihn«, sagte Jack wütend.

Der Constable hatte Mühe, seinen Zorn zu unterdrücken und den Vorteil des Arrangements zu erkennen. »Gut. Dann nehme ich Ihre freundliche Einladung an.«

Daniels Miene blieb ausdruckslos.

»Es tut mir leid, dass wir nicht genug Platz für euch alle haben«, entschuldigte er sich bei den anderen Männern. »Aber wenn ihr gleich jetzt nach Trelowarth House reitet und Fergal sagt, ich hätte euch geschickt, gibt er euch bestimmt einen Krug Ale und tränkt eure Pferde.«

Einer der Männer blieb kurz neben Daniel stehen.

»Danke, Danny.« Er neigte das Haupt, und Daniel antwortete mit einem Nicken.

»Peter.«

»Wir konnten nichts machen«, erklärte er verlegen und schloss sich den anderen an, die bereits in Richtung Wald davonritten.

Die Stille, die sie hinterließen, hatte etwas Gefährliches.

Der Händler, der sich nun mir zuwandte, schien das nicht zu bemerken. »Mrs Butler«, sagte er mit einer Verbeugung. »Ich hoffe, Sie vergeben mir.«

»Das ist nicht Mrs Butler«, fiel der Constable ihm ins Wort. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, in welcher Beziehung er zu Ann Butler gestanden hatte.

Daniel, der nicht auf seinen Einwand einging, stellte mich dem Händler vor.

»Sie sind nicht mehr im Bett«, stellte Jack überrascht fest, der mich erst jetzt wahrzunehmen schien.

Als der Händler die Stirn runzelte, rettete Daniel meinen Ruf, indem er erklärte: »Sie ist die letzten Tage krank gewesen.«

»Jetzt sieht sie wieder ganz gesund aus«, sagte der Constable nach eingehender Musterung.

Jack war offensichtlich nicht seiner Meinung. Er sprang aus dem Sattel und landete trotz der gefesselten Hände geschickt auf den Füßen. »Eva soll mein Pferd nehmen. Es ist ein ganzes Stück Weg bis zum Haus, und sie ermüdet sicher schnell.«

Er streckte Daniel die Hände hin, der den Dolch aus dem Gürtel zog und die Fesseln mit einem schnellen Schnitt durchtrennte.

Da war sie wieder, die Spannung zwischen den Brüdern, die ich im Stall gespürt hatte. Jack, der Daniels Blick auswich, forderte mich auf: »Kommen Sie, Eva, ich helfe Ihnen in den Sattel.«

Doch es war Daniel, der mich seitlich auf den Sattel setzte, was ich schrecklich unbequem fand. Ich hielt mich fest, so gut ich konnte, als Daniel die Zügel in die Hand nahm.

»Was ist das Ziel Ihrer Reise, Sir?«, fragte er den Händler.

»Lostwithiel.« Er erklärte, dass er eigentlich schon dort sein wollte, der Diebstahl ihn jedoch gezwungen habe, in St. Non’s Waren zu verkaufen, um Lebensmittel erwerben zu können. Während der Händler seine Geschichte erzählte, warf Daniel seinem Bruder einen vorwurfsvollen Blick zu. Jack ignorierte ihn.

»Zum Glück«, schloss der Händler, »ist der Wirt des Cross Oak wie Sie ein verständnisvoller, mitfühlender Mensch und hat mich auf das bloße Versprechen hin, ihm später Geld zu geben, ein Zimmer beziehen lassen. Dass ich dieses Versprechen jetzt einlösen kann, habe ich Ihnen zu verdanken.«

Er tätschelte seinen Mantel, unter dem sich die prall gefüllte Börse befand. Der Constable wirkte alles andere als beeindruckt.

»Sie täten gut daran aufzupassen, wohin Sie sich begeben«, warnte der Constable den Händler. »Es sind gefährliche Zeiten hier in Cornwall.«

»Nicht nur hier, Sir«, meinte der Händler. »Auf dem Land riecht es nach Rebellion, und die Städte sind in Aufruhr. In den letzten Monaten habe ich immer wieder von Invasionsplänen des jungen Prätendenten gehört.«

»Und wie ist die allgemeine Stimmung in dieser Sache Ihrer Ansicht nach?«, fragte der Constable.

Der Händler zuckte mit den Schultern. »Das kümmert mich nicht, Sir, denn ich bin weder Whig noch Tory und mische mich nicht in die Politik ein.«

»Hier gibt es Etliche, die sich zu sehr einmischen«, stellte der Constable, den Blick auf Daniel gerichtet, fest.

»Mir würde so mancher einfallen, dem ein in England geborener und der englischen Sprache mächtiger König recht wäre«, bemerkte Daniel.

Die Augen des Constable verengten sich. »Solche Äußerungen klingen sehr nach Verrat.«

»Tatsächlich?«

»Aye. Ich an Ihrer Stelle würde meine Zunge hüten. Ihr Verwandter muss sich bereits eines solchen Vergehens wegen vor den Lords verantworten.«

Der Händler sah zuerst ihn, dann Daniel an. »Ihr Verwandter? Sie sind mit dem Duke of Ormonde verwandt?«

Daniel nickte. »Entfernt.«

Das schien den Händler zu beeindrucken. »Ein großer Mann, der Duke of Ormonde. Ich kenne einige, die auf dem Kontinent unter ihm dienten und das Gleiche denken. Er hat uns Frieden gebracht.«

Der Constable hüstelte belustigt. »Einen Frieden, der eher seinen eigenen Bedürfnissen entsprach als den unseren oder denen von Queen Anne. Er verdient keine Verehrung.«

»Mit Verlaub«, wandte der Händler ein, »die Anschuldigungen …«

»… kommen von Männern höheren Ranges, als Sie oder ich es sind«, erinnerte der Constable ihn. »Von Männern, die die Wahrheit besser kennen als wir.«

»Ist die Wahrheit das Vorrecht jener geworden, die sie sich leisten können?«, fragte Daniel.

Der Constable musterte Daniel mit herausforderndem Blick. »Wähnen Sie sich den Mitgliedern des Oberhauses ebenbürtig?«

»Allen zusammen? Nein, natürlich nicht. Aber einzeln? Das kommt auf den Lord an«, antwortete Daniel.

Der Constable verzog den Mund. »Möglicherweise werden Sie früher Gelegenheit haben, sich mit ihnen zu messen, als Sie glauben.«

Der Händler, der diese Äußerung für einen Scherz hielt, lachte. »Ich sehe schon, dass wir uns beim Essen lebhaft unterhalten werden, meine Herren. Ich freue mich darauf.«

»Wollen wir hoffen, dass O’Clearys Kochkünste ausreichen, uns alle zu sättigen«, meinte der Constable.

»Machen Sie sich darüber keine Gedanken«, sagte Daniel. »Als ich das Haus verlassen habe, war Fergal dabei, ein Essen zu kochen, das selbst einen Seemann satt machen würde.«