NEUN
Als ich am folgenden Morgen die Schranktür öffnete, hing der Hausmantel noch immer ganz hinten auf dem Bügel, auf den ich ihn gehängt hatte. Es handelte sich um ein reales Kleidungsstück, ein wenig ausgeblichen und an den Rändern ausgefranst vielleicht, aber definitiv dasselbe, das ich getragen hatte, als ich … was für ein Erlebnis das gewesen war, konnte ich nicht sagen.
Ich wusste nur, dass die Ereignisse sich innerhalb allerkürzester Zeit zugetragen haben mussten, das hatte die Uhr auf Onkel Georges Schreibtisch bewiesen. Selbst wenn ich in eine Art Trance verfallen wäre und der Hausmantel sich schon in dem Arbeitszimmer befunden hätte, wäre kaum Zeit genug gewesen, ihn anzuziehen, bevor die Uhr aufhörte zu schlagen.
Was bedeutete, dass die Geschehnisse auf einer anderen Zeitebene passiert sein mussten.
Ich schüttelte den Kopf. Zeitreisen fanden in Büchern oder Filmen statt, nicht in der Wirklichkeit. Trotzdem hielt ich den Hausmantel in Händen. Ich hatte die ganze Nacht über versucht, eine Erklärung zu finden, mit dem einzigen Erfolg, dass die Kopfschmerzen vom Vorabend mich weiter begleiteten.
Ich wäre nicht zum Frühstück hinuntergegangen, wenn es nicht an meiner Tür geklopft hätte.
»Eva?«, hörte ich Susans Stimme.
Ich hängte den Hausmantel hastig zurück in den Schrank, ging zur Tür und öffnete sie.
»Immer noch Kopfweh?«, erkundigte sie sich, als sie mich sah. »Du Arme. Ich bringe dir Tee und Toast. Du musst was essen.« Sie stellte das Tablett auf dem Bett ab. »Brauchst du sonst noch irgendwas?«
»Nein, danke, das hier …« Ich richtete den Blick auf das Tablett. »… ist wunderbar. Ihr dürft mich nicht so verwöhnen.«
»Du bist unser Gast«, sagte Susan. »Außerdem hilfst du uns. Du hast die ganze vergangene Woche damit verbracht, eine Website für uns einzurichten. Wahrscheinlich kommen die Kopfschmerzen daher.«
Ich biss ein Stück von dem Toast ab. »Sie ist übrigens fertig, eure Website.«
»Wirklich? Kann ich sie sehen?«
Besonders wohl war mir nicht bei dem Gedanken, in Onkel Georges Arbeitszimmer zurückzukehren, aber mir fiel keine plausible Ausrede ein. Susan, die mein Zögern bemerkte, sagte: »Wenn du dich nicht gut genug fühlst …«
»Nein, nein, schon in Ordnung.« Ich straffte die Schultern. »Ich zeig sie dir gern.«
Sie bestand darauf, dass ich zuerst den Toast aß. Den Tee nahm ich mit.
Erst als wir die Website und die Presseinfo besprochen hatten und Susan ging, um Informationen über die Gärten zu holen, die wir einfügen wollten, kam mir der Gedanke, dass die geschichtlichen Hintergründe mir vielleicht helfen könnten, meine seltsamen Erlebnisse besser zu verstehen.
Der Ire hatte den Duke of Ormonde erwähnt. Der Name schien echt. Und über echte Herzöge konnte man in Burke’s Peerage, dem Adelslexikon, recherchieren.
Im Internet fand ich Einträge zu zwei Dukes of Ormonde. Da der Ire auch von Queen Anne gesprochen hatte, entschied ich mich für den zweiten Duke, einen Zeitgenossen dieser Königin.
Wäre doch meine Mutter da gewesen, die leidenschaftliche Historikerin! Unter den gegebenen Umständen musste ich bei den Eckdaten anfangen: 1714, der Zeitpunkt des Todes von Queen Anne und der Auseinandersetzungen darüber, wer ihr auf den Thron nachfolgen sollte – ihr Halbbruder James Stuart, der Katholik war und im französischen Exil lebte, oder der protestantische deutsche Prinz Georg Ludwig, ein entfernter Verwandter. Ich las Berichte darüber, wie wenig Einigkeit in der damaligen Politik herrschte; die Tories, die sich für den jungen James engagierten, kreuzten die Klingen mit den Whigs, die Prinz Georg unterstützten. Und auf die Krönung von Georg zum König von ganz Großbritannien folgten Unruhen.
Das führte mich ins Frühjahr 1715, in dem die Jakobiten, die Anhänger von James, einen bewaffneten Aufstand planten, um ihn auf den Thron zu bringen.
Die meisten Bewohner von Cornwall hatten offen mit den Tories und James Stuart sympathisiert, weshalb das von den Whigs kontrollierte Parlament King Georges sich rasch daranmachte, die schwelenden Unruhen im Keim zu ersticken.
Der Duke of Ormonde, ein Volksheld, hatte sich im Zentrum des Geschehens befunden. Drei Jahre zuvor, als der mächtige Duke of Marlborough in Ungnade gefallen war, hatte der flotte Ormonde ihn als Befehlshaber der auf dem Kontinent kämpfenden britischen Truppen ersetzt und durch seine Heldentaten eine Popularität erlangt, die die Whigs verunsicherte. Als Ormonde sich dann auf die Seite der Jakobiten schlug, gingen die Whigs gegen ihn vor. Er und ein anderer führender Tory namens Lord Bolingbroke wurden des Hochverrats beschuldigt. Obwohl es beiden durch Landesflucht gelang, der Verhaftung und Einkerkerung zu entgehen, verurteilte das Parlament sie in Abwesenheit, enthob sie ihrer Rechte und ihres Status und machte sie zu Gesetzlosen.
So weit war ich mit meinen Recherchen, als Susan zurückkam.
»Wer ist das?«, fragte sie.
»James Butler, der zweite Duke of Ormonde.« Ein Mann, von dem ich am Vortag das erste Mal gehört hatte und der vielleicht genauso real war wie der rote Hausmantel.
»Und wer soll das sein?«
Ich fasste seine Lebensgeschichte kurz für Susan zusammen und fügte hinzu: »Er hat eine wichtige Rolle bei den Jakobiten-Aufständen in Cornwall gespielt. Vielleicht hatte er Verbindungen zu Trelowarth. Man kann nie wissen.«
Susan runzelte die Stirn. »Ich dachte, die Jakobiten waren Schotten.«
»Ich auch. Aber anscheinend gab es viele von ihnen in ganz England.«
Susan sah sich das Porträt genauer an. »Hübsche Perücke.«
»Ja, so eine trugen damals die meisten Männer.« Ich suchte nach einer Ähnlichkeit des Duke mit dem Mann in Braun, der gesagt hatte, er sei ihm durch das gemeinsame Blut verpflichtet, konnte jedoch keine erkennen. Das Gesicht des Duke of Ormonde war weich und rund, die Nase lang und groß, der Blick stolz und herablassend.
»In welchem Jahr fanden diese Unruhen statt?«, erkundigte sich Susan.
»1715.«
»Also bevor die Halletts hierherkamen. Aber wie du schon sagst: Man kann nie wissen. Es wäre schön, wenn wir eine Geschichte für die Touristen fänden, und die Jakobiten-Rebellion ist gut.«
Nicht für die Jakobiten, dachte ich. Für sie waren die Dinge nie sonderlich gut gelaufen. Zumindest der Ire Fergal schien geahnt zu haben, dass dieser Kampf sich nicht lohnte, und ich fragte mich, ob es ihm gelungen war, den Mann in Braun von seiner Sichtweise zu überzeugen. Vielleicht würde ich das nie herausfinden.
Ich schob den Gedanken beiseite und machte mich daran, mit Susan die Presseinfo zu erarbeiten, wie ich es mit anderen Kunden Hunderte von Malen getan hatte. Susan trug ein paar gute Ideen bei.
»Die Worte ›romantisch‹ und ›verschwunden‹ sollten in dem Text vorkommen«, meinte sie. »Das schafft eine gewisse Atmosphäre. Das Spannende an Trelowarth ist meiner Meinung nach, dass es hier so viele Rosenarten gibt, die ohne unsere Gärten ausgestorben und vergessen wären. Durch sie wird Trelowarth zu einer Art … Zeitmaschine. Hier fühlt sich der Besucher hundert Jahre zurückversetzt.« Sie strahlte. »Das ist doch ein prima Slogan, findest du nicht? ›Reisen Sie in die Vergangenheit – besuchen Sie die alten Rosen von Trelowarth.‹«
Ich gab ihren Vorschlag in den Computer ein. »Ja, klingt gut.«
Reisen Sie in die Vergangenheit. Der Satz ging mir nicht aus dem Kopf, nicht einmal, als Susan schon längst wieder im Gewächshaus war.
Ich versuchte es mit einem neuen Ansatz für meine Recherchen und gab »Zeitreise« ein.
Keine Ahnung, was ich erwartet hatte, vermutlich merkwürdiges Zeug, aber ich wurde überrascht: Ich stellte fest, dass Physiker – sogar berühmte – völlig sachlich über das Thema diskutierten und sogar Experimente an Universitäten durchführten.
Von der Debatte begriff ich nur, dass keiner der Wissenschaftler behauptete, Zeitreisen seien grundsätzlich unmöglich. Sogar eine Vorlesung des großen Stephen Hawking wurde zitiert, in der es hieß, nach unserem gegenwärtigen Verständnis der physikalischen Gesetze seien Reisen in die Vergangenheit vorstellbar.
Offenbar hing alles mit Einsteins Relativitätstheorie zusammen, mit der er bewiesen hatte, dass Zeit und Raum nicht fix und absolut sind, wie Isaac Newton behauptete.
Ich fand ein Porträt von Sir Isaac Newton als alter Mann, gemalt um 1710. Sein Gesicht erschien mir sympathisch, doch seine Kleidung interessierte mich mehr: Er trug einen Hausmantel ähnlich dem, der in meinem Schrank hing. Und ihn vor mir zu sehen, überzeugte mich mehr als Stephen Hawkings Worte davon, dass ich, so unglaublich es auch sein mochte, tatsächlich in die Vergangenheit gereist war.
Einen Arztbesuch konnte ich mir damit wohl sparen.
Aus dem Nachbarzimmer waren Stimmen zu hören.
Als ich die Augen aufschlug, war es dunkel, und es dauerte eine Weile, bis ich mich an das fahle Licht des Mondes gewöhnte. Um diese Zeit herrschte im Haus eine Atmosphäre der Einsamkeit. Als Kind hatte ich es gehasst, mitten in der Nacht, umgeben von Schatten, aufzuwachen. Nun war ich froh, dass sich alles an seinem Platz befand – die Betten, der Stuhl, der Schrank. Ich war also, wo ich sein sollte.
Seit meiner letzten Zeitreise drei Tage zuvor hatte sich nichts Ungewöhnliches ereignet, sodass ich inzwischen sicher alles für Einbildung gehalten hätte – wenn da nicht der Hausmantel gewesen wäre.
Die Stimmen im Nachbarzimmer sprachen weiter. Die des Mannes in Braun kannte ich inzwischen; sein Gesprächspartner war vermutlich der Ire. Er klang lebhaft, als wolle er den anderen von etwas überzeugen.
Ich zwang mich, aufzustehen und zum Bad zu gehen.
Auch auf dem Flur war es dunkel, aber ich kannte den Weg und hätte ihn mit verbundenen Augen gefunden. Im Bad musterte ich mein Gesicht im Spiegel. »Feigling«, rügte ich mich. Trotzdem ließ ich mir eine gute Viertelstunde Zeit, ehe ich in mein Zimmer zurückkehrte.
Wo es jetzt still war; ich hörte keine Stimmen mehr, nur das Wispern der nächtlichen Brise durch die ein wenig geöffneten Fenster. Und den Atem von jemandem auf meinem Bett.
Ich erstarrte.
War es noch mein Bett? Das Mondlicht fiel auf Pfosten und Vorhänge und die Gestalt eines Mannes, der auf dem Bett lag, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, bekleidet mit der Hose und dem weißen Hemd, worin ich ihn schon gesehen hatte. Er atmete so regelmäßig, dass ich dachte, er schlafe.
Bis seine Stimme aus den Schatten erklang.
»Leider habe ich Ihren Namen vergessen.«
»Sie haben mich nicht danach gefragt.«
Im fahlen Mondlicht konnte ich weder seine Augen noch seinen Gesichtsausdruck sehen.
»Haben Sie denn einen?«
Fast wäre mir mein Name nicht mehr eingefallen. »Eva.«
»Eva. Ist das alles?«
»Eva Ellen Ward.«
»Ein guter Name.« Ich spürte seinen Blick. »Fast hatte ich gefürchtet, dass Ihnen seit unserer letzten Begegnung etwas passiert ist, Eva Ward.«
»Danke, es geht mir gut.«
»Das sehe ich und bin froh darüber, denn Ihr Befinden hat mir Kopfzerbrechen bereitet.«
»Warum?«
»Weil ich nicht daran gedacht hatte, Sie vor dem Verlassen des Hauses zu warnen«, antwortete er. »Diese Gegend ist nicht sicher für eine Frau, und auf den Straßen hier sollte man sich mit Bedacht bewegen.«
»Ich war nicht auf der Straße.«
»Nein?«
»Nein. Ich habe das Haus nicht verlassen.«
»Wieso habe ich Sie dann nicht mehr gesehen? Ach so, Sie sind zurückgekehrt.«
»Ja.« Ich überlegte, wie ich dieses Problem angehen sollte. Bei unserer letzten Begegnung hatte ich zu ihm gesagt, er sei nicht real, er solle verschwinden. Wahrscheinlich hielt er mich für verrückt. »Gehe ich recht in der Annahme, dass ich in die Vergangenheit gereist bin?«
Erst nach einer ganzen Weile antwortete er: »Das hängt davon ab, aus welcher Perspektive Sie es betrachten.«
Das klang logisch. Ich erklärte ihm, aus welchem Jahr ich kam. Falls er überrascht war, ließ er es sich nicht anmerken. »Ja«, sagte er. »Dann sind Sie in der Tat in die Vergangenheit gereist. Etwa drei Jahrhunderte.«
»Es ist das Jahr 1715?«
»Ja«, bestätigte er erstaunt. »Woher wissen Sie das?«
»Ich habe mich informiert.«
»Sie können lesen? Eine stolze Leistung für eine Frau, selbst für eine, die durch die Zeit reist.«
»Sie glauben mir nicht?«
»Ich glaube nicht an Geister, weshalb ich Ihre Geschichte mit Erleichterung höre.« Er schwieg kurz. »Können Sie diese magischen Reisen durch Ihren Willen beeinflussen?«
»Denken Sie, dann wäre ich so hier aufgetaucht?«
»Sie meinen, in meinem Zimmer und mitten in der Nacht?« Wahrscheinlich lächelte er.
»Das ist Ihr Zimmer?«
»Weil ich es dafür halte, habe ich beschlossen, mich darin zur Ruhe zu begeben.«
»Aber als ich das letzte Mal hier war …«
»Als Sie mir sagten, ich solle verschwinden?«, fragte er belustigt.
Ich konnte nur hoffen, dass die Dunkelheit in dem Raum meine Verlegenheit kaschierte. »Sie haben mir nicht gesagt, dass das Ihr Zimmer ist.«
»Ein Versäumnis meinerseits, das muss ich zugeben. Vielleicht hat sich der Schock darüber, so spät im Leben herauszufinden, dass ich gar nicht existiere, schädlich auf meine Manieren ausgewirkt.«
Ich errötete. »Tut mir leid, ich war unhöflich. Ich dachte, ich bilde mir alles nur ein.«
»Ich nehme es Ihnen nicht übel. Es hat mir beim letzten Mal genauso wenig ausgemacht, mein Zimmer mit Ihnen zu teilen, wie jetzt.« Er richtete sich auf und schwang die langen Beine über die Bettkante. Sein weißes Hemd schimmerte geisterhaft im Licht des Mondes. Nach kurzem Schweigen bemerkte er, als fiele es ihm gerade erst auf: »Sie haben sich umgezogen.«
Mit einem Blick auf mein schlichtes T-Shirt und die Pyjamahose erklärte ich: »Auch ich war im Bett.«
Er schien zu überlegen. »Wenn Sie am Morgen noch immer hier sind, brauchen Sie angemessene Kleidung.«
Daran hatte ich nicht gedacht.
Er stand auf. »Warten Sie hier.«
Als er in das kleine Zimmer nebenan ging, fiel mir erneut auf, wie groß er war. Wenig später kehrte er mit einem Kleidungsstück zurück, das er mir in die Hand drückte. »Tragen Sie das, wenn es Ihnen passt.«
»Danke.«
Er nickte. »Schlafen Sie gut, Eva Ward.« Dann trat er zurück und schloss die Tür hinter sich.
An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken. Ich schaute vom Bett aus durch das Fenster auf den fernen Horizont, an dem die dunkle See und der Himmel zusammentrafen, und wartete auf den Sonnenaufgang.
Die ersten Strahlen drangen durch die beiden Fenster neben dem Kamin, die auf die Straße gingen. Sie vertrieben die Schatten aus den Winkeln und krochen über die Bodendielen und den Schreibtisch zu dem Kleidungsstück, das ich nach wie vor in den Armen hielt. Jetzt sah ich, dass es sich um ein Kleid handelte, genauer gesagt, um ein Oberteil mit langem Rock und einer Art Nachthemd darunter, dazu hatte er ein Paar Schuhe gelegt, die auf den Boden fielen, als ich aufstand und die Sachen auf dem Bett ausbreitete, um sie genauer zu betrachten.
Das Gewand war schlicht, aber wunderschön. Das Oberteil hatte einen tiefen runden Ausschnitt sowie gerade, dreiviertellange Ärmel und war an den Nähten mit geschmeidigen Stützen, einer Art Korsett, verstärkt. Auch der weite Rock gefiel mir. Der Stoff glitt wie Seide durch meine Finger, und seine Farbe changierte im Licht blaugrau.
Wie merkwürdig, solche Kleidung zu tragen, dachte ich. Andererseits konnte ich, falls ich wirklich in der Vergangenheit gefangen war, schlecht im Pyjama herumlaufen.
Am Ende fiel es mir leichter, die Kleidungsstücke anzuziehen, als ich befürchtet hatte. Zuerst schlüpfte ich in das schlichte Unterkleid mit dem runden Ausschnitt und den Ärmeln, die bis zu den Ellbogen eng geschnitten waren und in mehreren Schichten Spitze endeten. Die Spitze lugte unter den dreiviertellangen Ärmeln des Oberteils hervor und ließ es weicher erscheinen. Dann zog ich den Rock an, band ihn an der Taille fest und strich das Mieder darüber glatt, sodass das Ganze wie ein Einteiler aussah.
Sowohl das Gewand als auch die Schuhe passten zu meiner Überraschung genau. Der Rock berührte den Boden knapp, und das Oberteil lag am Körper an, ohne mich zu beengen. Es zu schließen, gestaltete sich allerdings als Herausforderung, weil es nicht mit Knöpfen, sondern mit Nadeln versehen war, an denen ich mich mehrere Male stach. Ich schob gerade laut fluchend die letzte Nadel durch den Stoff, als die Zimmertür aufgerissen wurde und ein Mann wütend fragte: »Wer zum Teufel sind Sie?«
Die Stimme des Iren erkannte ich sofort, doch sein Äußeres erstaunte mich. Er war nicht groß und kräftig wie erwartet, sondern von durchschnittlicher Größe und hatte schwarze Haare.
»Wer zum Teufel sind Sie?«, wiederholte er.
»Ich heiße Eva.« Das klang selbst in meinen Ohren lächerlich. Er runzelte die Stirn.
»Eva.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Woher kommen Sie? Und wie sind Sie in dieses Haus gelangt?«
Keine seiner Fragen ließ sich ohne Schwierigkeiten beantworten. Ich versuchte, die Wogen zu glätten, indem ich ihn mit seinem Namen ansprach. »Fergal, so heißen Sie doch, oder?«
»Woher wissen Sie das?«
»Von ihm.«
»Von wem?« Er trat ins Zimmer.
O je, dachte ich. Ich hatte keine Ahnung, wie der andere hieß. »Von dem Mann …«
»Von welchem Mann?«
»Von dem Mann, der hier wohnt.«
Er machte einen Schritt auf mich zu und hob belustigt die schwarzen Augenbrauen. »Er hat Ihnen meinen Namen gesagt?«
»Ja.«
»Finden Sie es nicht merkwürdig, dass er Ihnen meinen Namen, nicht aber den seinen genannt hat?«
Ich schwieg.
»Er hat Ihnen also meinen Namen gesagt. Und dieses Kleid hat er Ihnen bestimmt auch gegeben.«
»Ja.«
»Sie lügen«, zischte er.
Trotz meiner Angst hob ich trotzig das Kinn. »Das ist keine Lüge.«
Mein Widerspruch schien ihn zu überraschen. Er stutzte.
»Fragen Sie ihn doch selbst, woher ich dieses Gewand habe. Er wird es Ihnen sagen.«
»Tatsächlich?« Er klang nach wie vor angriffslustig, aber nicht mehr so selbstgerecht und legte nachdenklich den Kopf ein wenig schräg. Nach einer Weile meinte er: »Na schön, wenn Sie den Teufel herausfordern wollen, fragen wir ihn, gemeinsam.« Er packte meinen Arm.
»Gut.«
Auf dem Weg nach unten murmelte er vor sich hin: »Ich kenne ihn zwanzig lange Jahre, und nie hat er etwas getan, ohne mich einzuweihen. Dieses Gewand würde er eher eigenhändig verbrennen, als es einer anderen Frau zu geben, da bin ich mir sicher …«
Er brummte die ganze Zeit vor sich hin, während er mich durch den Flur in die Küche zerrte. Offenbar erwartete er, dass ich Angst hatte, als Lügnerin entlarvt zu werden, doch ich wurde von Sekunde zu Sekunde ruhiger. Das verbesserte seine Laune nicht gerade.
»Na schön«, wiederholte er, als wir den hinteren Korridor und die Tür nach draußen erreichten. »Gleich werden wir sehen, wer hier Geschichten erzählt.«
Er schob mich vor sich her. Als ich unvermittelt auf der Schwelle haltmachte, blieb ihm nichts anderes übrig, als ebenfalls zu stoppen. Fluchend versuchte er, das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
Vor uns stand der Mann in Braun, der aussah, als wäre er gerade aus den Stallungen jenseits des Hofs gekommen. An seinen Stiefeln klebte Schmutz, und an einem Ärmel hing Stroh. Er begrüßte Fergal mit einem warnenden Blick.
In seiner Begleitung befand sich, wieder in Schwarz wie das letzte Mal, der Constable, der mich nicht aus den Augen ließ.
»Ach nein«, sagte er mit aalglatter Stimme. »Wen haben wir denn da?«