21. KAPITEL
Ian rannte an den Holzwandschirm, um zu sehen, was unten passierte. Er entdeckte Jedrek Janow, mit einer Pistole in der Hand und einem noch nicht gezogenen Schwert an seinem Gürtel. Jedrek schoss zweimal in die Luft und lachte, als die Frauen durcheinanderrannten und kreischten. Zum Glück hatten die meisten von ihnen genug Verstand gehabt, um sich in Sicherheit zu teleportieren.
»Toni, ruf Dougal und Phineas an, damit sie deine Stimme benutzen können, um sich direkt in diesen Raum zu teleportieren. Und sag ihnen, sie sollen Waffen mitbringen.« Ian hatte sie einfach zum Horny Devils bestellt, aber das war womöglich unklug. Sie sollten sich auf keinen Fall mitten in die Unruhen unten teleportieren. Und er wollte nicht noch eine Nachricht in Gedanken abschicken, die Jedrek mithören könnte.
Toni nahm ihr Handy aus der Hosentasche.
Für Sabrina wurde die Situation fast unerträglich. Sie fing an zu weinen, und Teddy versuchte, sie zu trösten. Vanda und Carlos spähten durch den Wandschirm.
»Sie nehmen Geiseln", sagte Carlos leise.
Auch Ian beobachtete das Geschehen. Etwa zehn der weiblichen Vampire waren vor Angst erstarrt und hatten sich nicht in Sicherheit teleportieren können. Stanislav und Yuri benutzten silberne Seile, um sie wie verängstigte Kälber mit Lassos einzufangen. Es belustigte die Männer, wie das Silber ihre Haut berührte und sie zum Schreien brachte. Die Frauen wurden zusammengetrieben, und ein Malcontent wickelte sie in mehr Silberseil ein, um sie festzuhalten und um zu verhindern, dass sie sich teleportieren konnten.
Phineas und Dougal tauchten neben Toni auf, mit fünf Schwertern und einigen Holzpflöcken.
Ian reichte Carlos eines der Schwerter hinüber. »Wirst du damit umgehen können?«
»Ich kann es lernen.« Carlos legte seine Hand um den Griff. »Warum benutzt ihr keine Schusswaffen?«
»Wir können uns von den meisten Schusswunden erholen, aber ein Schwert durchs Herz ist endgültig.« Ian bot Vanda das letzte übrige Schwert an.
»Nein, danke.« Sie band sich die Peitsche von der Hüfte. »Ich fühle mich hiermit wohler.«
»Kann ich ein Schwert haben?«, fragte Teddy und kam auf ihn zu.
»Teddy, nein!« Sabrina zog ihn zurück. »Wir sollten uns nicht einmischen.«
»Ich will auch ein Held sein.« Teddy war wirklich entschlossen.
Ian gab ihm ein Schwert. »Du wirst die Frauen beschützen.«
»Er kann Bri beschützen.« Toni griff nach den Holzpflöcken. »Ich bleibe nicht hier.«
»Du wirst...« Ian wurde von Jedreks dröhnender Stimme unterbrochen.
»Ian MacPhie! Ich weiß, dass du hier bist. Bring mir die Wachdroge, oder ich fange an, Leute umzubringen.« Jedreks Stimme wurde von den Schreien der Geiseln übertönt.
Ian bedeutete Phineas und Dougal, zu ihm an den Wandschirm zu treten. »Wir teleportieren uns gleichzeitig. Ich übernehme Jedrek.«
Phineas spähte durch den Schirm. »Ich nehme Stan.«
»Dann nehme ich Yuri", sagte Dougal.
»Und ich übernehme die Frau", fügte Toni hinzu.
Ian erstarrte. »Nay. Du bleibst hier.«
»Ich übernehme die Frau.« Vanda starrte Toni wütend an. »Ich kann mich teleportieren. Du nicht.«
Toni starrte zurück. Ihr Blick hielt Vandas stand. »Ich kann die Silberseile anfassen, mit denen sie die Geiseln festhalten. Das kannst du nicht.«
»Du wirst nicht mit uns...« Ian wurde von Jedrek unterbrochen.
»Glaub nicht, dass du mich angreifen kannst, MacPhie!«, rief er von der Bühne. »Wir haben hier eine Geisel, und sie stirbt, wenn jemand mir zu nahe kommt. Nadia, du wirst die Blonde umbringen, um mir eine Freude zu machen.«
»Ja, Meister.« Nadia trug Handschuhe, als sie die blonde Geisel an die Stange auf der Bühne band.
»Oh nein", flüsterte Vanda. »Das ist Cora Lee.«
Die Barkeeperin wand sich in den Fesseln, die sie gefangen hielten und ihre nackte Haut verbrannten. »Lasst mich gehen!«
Jedrek richtete seine Waffe auf sie. »Silberne Kugeln, meine Liebe. Die tun wirklich weh.« Als Cora Lee wimmerte, lächelte er. »Deine Angst macht dich noch schöner.«
»Vanda", flüsterte Toni, »hast du hier so was wie Drahtschneider?«
»Vielleicht. In meinem Büro ist ein Werkzeugkasten.«
»Toni.« Ian sah sie streng an. »Du gehst nicht da runter.« Als sie den Mund öffnete, um ihm zu widersprechen, sprach Ian einfach weiter. »Das ist keine freundliche Bitte. Ich bin dein Vorgesetzter. Du tust, was ich dir sage.«
Ihre Augen funkelten vor Wut.
Ian wendete sich an Carlos. »Ihr bleibt beide hier.«
»Du kannst mir keine Befehle erteilen", knurrte Carlos.
Ian ignorierte ihn und ging zu den anderen Vampiren. »Wir teleportieren uns auf drei.« Er zählte, und sie verschwanden.
Ian tauchte neben Jedrek auf und riss ihm mit dem ersten Hieb seines Schwertes die Waffe aus der Hand.
Jedrek sprang zurück, sah das Blut, das aus seiner verletzten Hand quoll und brüllte. »Bring die Blonde um, Nadia!«
Ian blickte hinüber zu Cora Lee, die sich wand und weinte. Doch Nadia war zu beschäftigt damit, Vandas knallender Peitsche auszuweichen, um den Befehlen ihres Meisters zu folgen.
Ian stürzte sich auf Jedrek, doch der verschwand.
»Verdammt!« Ian wirbelte herum, um zu sehen, wohin der Feigling sich teleportiert hatte.
Dougal und Phineas hatten ihre Gegner angegriffen, und das Klirren der Schwerter vermischte sich mit den panischen Schreien der Geiseln. Jedrek tauchte wieder auf. Er stand auf dem Tresen der Bar. Er zog sein Schwert, und Blut tropfte von seiner Hand.
Gut, hoffentlich wird sein Griff schlüpfrig. Ian sprang von der Bühne und ging auf ihn zu. Hoffentlich wird er durch den Blutverlust geschwächt.
Jedrek behielt den Blick auf Ian gerichtet, als er sich bückte und einige Papierservietten von der Bar nahm, die er gegen die Wunde drückte.
»Erstaunlich, wie sehr so kleine Schnitte manchmal bluten", bemerkte Ian.
Mit einem verächtlichen Blick warf Jedrek die blutigen Servietten zu Boden.
Aus dem Augenwinkel sah Ian, wie Toni aus Vandas Büro schlüpfte. Verdammt, nein! Sie hatte sich Holzpflöcke in den Bund ihrer Hosen gesteckt und hielt einen Drahtschneider in der Hand. Geduckt huschte sie hinter die Geiseln.
Er konnte nicht zulassen, dass Jedrek sie bemerkte. Jedrek hatte ihr den Herzanhänger geschickt. Er wusste, dass sie Ian wichtig war, und das machte sie zu einer idealen Zielscheibe. Bei allen Heiligen, das musste sie doch wissen. Sie hätte auf ihn hören sollen und in ihrem Versteck bleiben.
Ian sauste schnell zur Bar und sprang darauf. Er zwang Jedrek, sich ihm zuzuwenden und Toni den Rücken zuzukehren. Ian stürzte sich auf ihn und hieb sein Schwert mit ganzer Kraft. Jedrek strauchelte am Rand der Theke, verlor die Balance, und verschwand.
»Verdammt!« Ian wirbelte im gleichen Augenblick herum. Wie sollte er gegen diesen feigen Bastard kämpfen, wenn der sich immer wieder an anderer Stellen teleportierte?
Von der Theke aus konnte Ian den größten Teil des Raumes überblicken. Die Gruppe der Geiseln hatte sich bereits von zehn auf sechs verringert. Noch eine verschwand, blieben noch fünf. Toni befreite sie offensichtlich, so schnell sie konnte. Aber ihr Erfolg würde ihr eigener Untergang sein, denn wenn alle Geiseln verschwunden waren, konnte sie sich hinter nichts mehr verstecken.
Jedrek erschien auf der Bühne. »Die hier wird sterben, MacPhie!« Er stürzte sich auf Cora Lee.
»Nein!« Vanda schlug mit ihrer Peitsche nach ihm. Sie wickelte sich um seinen Schwertarm.
»Du Schlampe!« Er griff nach der Peitsche und zog Vanda auf sich zu. Sie ließ los, damit sie nicht auf sein Schwert gezogen wurde. »Ich hätte dich in Polen umbringen sollen. Du hast dich immer wie eine Ratte in Höhlen versteckt.«
Vanda stolperte rückwärts.
»Es würde mir eine Freude machen, Nadia, wenn du die Blonde jetzt endlich tötest.«
»Ja, Meister.« Nadia ging auf Cora Lee zu.
»Und dich bringe ich selber um, Vanda.« Jedrek hob sein Schwert.
Im selben Moment teleportierte Ian sich auf die Bühne und stellte sich Jedrek in den Weg.
»Hilf mir!«, schrie Cora Lee, als Nadia sich ihr näherte.
Mit einem wütenden Kreischen sprang Vanda auf Nadias Rücken. Die zwei Frauen fielen auf der Bühne hin und balgten sich um das Schwert, das Nadia fallen gelassen hatte. Ian wollte helfen, aber er musste Jedreks Angriff abwehren.
Hinter Jedrek entdeckte er Toni, die sich auf die Bühne schlich. Oh, verdammt, nein. Er kämpfte verbissen und versuchte, Jedrek von allem anderen abzulenken. Toni rannte an ihnen vorbei und durchtrennte das Silberseil, mit dem Cora Lee an die Stange gebunden war. Weinend stolperte sie aus Nadias Reichweite davon. In der Zwischenzeit hatte Nadia ihr Schwert zurückerobert und stakste auf die unbewaffnete Vanda zu.
Toni griff sich das Seil, mit dem Cora Lee gefesselt gewesen war, stürzte sich vor und schlug mit den Enden gegen Nadias Hinterkopf. Nadia schrie vor Schmerz auf. Die Luft roch nach verbrannten Haaren.
Ian sprang zurück, als Jedreks Schwert nur knapp an seinem Bauch vorbeischrammte. Er musste besser aufpassen. Er stürzte sich auf Jedrek, aber der Bastard verschwand schon wieder.
»Verdammter Mist!« Ian wirbelte herum und suchte nach seinem Gegner.
Jedrek tauchte neben Toni auf.
»Nein!« Ian sauste auf ihn zu, doch Jedrek verschwand sofort wieder. Toni nahm er mit sich. »Nein!« Angst legte sich wie eine eisige Faust um seine Kehle.
Doch die beiden tauchten auf dem Tresen wieder auf. Wenigstens hatte der Bastard sie nicht an einen geheimen Ort mitgenommen, um sie zu foltern und zu töten. Ian sprang von der Bühne und rannte auf sie zu.
Seine Erleichterung war von kurzer Dauer. Jedrek riss Toni an sich und presste ihr das Schwert gegen den Hals. Ian erstarrte.
»Genossen, zu mir!«, rief Jedrek, und die anderen drei Russen teleportierten sich zur Bar. »Wie du siehst, MacPhie, brauchen wir nur eine Geisel, wenn es die richtige ist.« Mit einem Zischen ließ er seine Fangzähne hervorspringen.
Er rieb seinen Mund an Tonis Wange. Seine Fangzähne gruben sich in ihre Haut und hinterließen rosa Kratzer. Sie schloss fest ihre Augen. »Ich kann ihre Angst riechen, MacPhie. Kein Wunder, dass du sie so sehr magst. Sie schmeckt köstlich.«
Riesige Verzweiflung stieg in ihm auf und drohte, seine Gedanken völlig lahmzulegen. Er musste Toni retten, aber Gott steh ihm bei, er wusste nicht, wie. Sobald er angriff, würde Jedrek ihr den Hals aufschlitzen.
»Du weißt, was ich will, MacPhie. Bring mir die Droge.«
Sollte er mitspielen, um Zeit zu schinden? Er konnte es nicht ertragen, sie zu verlieren. Er konnte es nicht ertragen, sie im Stich zu lassen. Er ließ sein Schwert fallen. Es klirrte auf dem Zementboden.
Jedrek lächelte. »Du hast fünf Minuten.«
Uber ihnen krachte es laut. Alle sahen nach oben, als splitterige Holzstücke auf sie herabregneten. Und durch die zerborstene Öffnung des hölzernen Wandschirms sprang ein riesiger schwarzer Panther in die Luft. Er brüllte, und das Geräusch hallte in der erstarrten Stille des Nachtclubs wieder.
Jedrek war abgelenkt, sodass Ian sein Schwert wieder aufnehmen konnte. Schnell schlich er auf ihn zu. Dass der Panther direkt auf ihn zuhielt, entging Jedrek nicht. Er wirbelte auf der Stelle herum und zerrte Toni mit sich, damit sie die ganze Kraft des Angriffs abbekam. Dann streckte er sein Schwert aus. Offensichtlich hoffte er, den Panther bei seiner Landung aufzuspießen.
Ian nutzte aus, dass Jedrek ihm den Rücken zugedreht hatte, sauste vor und hieb sein Schwert in die rechte Schulter des Malcontents. Jedrek schrie auf und ließ sein Schwert fallen. Sein Griff um Toni lockerte sich genug, dass sie in der Lage war, sich zu ducken, gerade als der Panther auf sie aufprallte. Seine riesigen Klauen erwischten Jedrek an der Schulter und warfen ihn und Toni von der Bar. Ian sprang nach rechts, als der Panther vor ihm auf dem Boden aufschlug und sich auf die Füße rollte. Toni war auf Jedrek gelandet. Sie warf sich gerade rechtzeitig nach links, ehe der Panther angriff. Jedrek kreischte, als rasiermesserscharfe Klauen sich durch sein Hemd bohrten und blutige Striemen auf seiner Haut hinterließen.
Schreiend rutschte Toni auf dem Hintern aus dem Weg. Der Panther sah sie an und wendete sich dann der Bar zu. Seine bernsteinfarbenen Augen fokussierten sich auf die drei Malcontents, die sich genauso teleportierten wie Jedrek. Als die Katze merkte, dass ihre Beute entkommen war, brüllte sie vor Wut.
Dougal und Phineas näherten sich ihr langsam, die Schwerter auf die Bestie gerichtet.
»Sollen wir die Bestie umbringen?«, fragte Dougal.
»Nay!«, rief Ian. »Lasst ihn in Ruhe.«
Der Panther wirbelte zu ihm herum, dann richteten sich die Bernsteinaugen auf Toni. Als er den Kopf drehte, entdeckte Ian das Leuchten von zwei goldenen Knöpfen in den spitzen Ohren. Natürlich. Er hätte es wissen müssen. Aber auf einen Panther wäre er nie gekommen.
Die riesige Katze stolzierte auf Toni zu.
»Nein.« Sie krabbelte rückwärts und versuchte aufzustehen, aber ihre Beine zitterten zu sehr.
Ian warf sich vor sie. »Carlos, nein.«
Der Panther knurrte tief in seiner Kehle.
»Carlos?«, flüsterte Toni.
Ian hörte einen dumpfen Aufprall und drehte sich um. Toni lag ohnmächtig auf dem Boden ausgestreckt. »Oh, Kleines.« Er hockte sich neben sie und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. »Das ist Carlos?« Phineas senkte sein Schwert und pfiff leise. »Hallo, Kätzchen.«
Der Panther tapste auf riesigen Pfoten zu Toni. Ian war erleichtert zu sehen, dass die Krallen eingezogen waren, aber seine Zähne waren furchtbar scharf. Ein Biss, und Toni würde ihr ganzes Leben lang ein Werpanther sein. War es das, war Carlos wollte?
Die Katze senkte den Kopf, um an ihr zu schnüffeln.
»Bei allen Heiligen, beiß sie nicht", flüsterte Ian.
Ein schneller und harter Schwanzschlag des Panthers warf Ian auf die Knie. Dann trottete er auf Vandas Büro zu. Toni hatte die Tür ein Stück offen stehen lassen, und die Katze quetschte sich hindurch.
»Ich hatte schon das Gefühl, dass er nach Formwandler riecht", meinte Dougal, »aber ich dachte, er wäre ein schwarzer Wolf.«
»Ich auch.« Wahrscheinlich war Carlos auf dem Weg zurück in den Haremsraum, um sich zurückzuverwandeln und anzuziehen. Als Sabrina aufschrie, wusste er, dass der Panther oben angekommen war.
»Gott, ich hasse diese Gestaltwandler.« Vanda hatte ihre Peitsche gefunden und schlang sie sich wieder um die Hüfte.
»Du weißt von ihnen?«, fragte Ian erstaunt.
Vanda zuckte mit den Schultern. »Lange Geschichte. Schaff die Katze einfach hier raus, okay?«
»Er hat Toni das Leben gerettet", erinnerte Phineas sie.
»Sie hätte nicht gerettet werden müssen, wenn sie ihre Befehle befolgt hätte", fuhr Vanda ihn an. »Du solltest sie rauswerfen, Ian.«
»Nein!« Cora Lee schritt auf Vanda zu. »Toni hat mich losgeschnitten. Sie hat alle Geiseln befreit. Und sie hat diese furchtbare Nadia davon abgehalten, dich umzubringen, Vanda. Heiliger Strohsack, ich habe noch nie eine so mutige Sterbliche kennengelernt.«
»Okay, okay, dann ist sie eben mutig.« Vanda zurrte ihre Peitsche fest. »Aber sie ist ungehorsam und das kann ihr nun mal das Leben kosten.«
Ja, sie hatte sich einem direkten Befehl widersetzt. Ian unterdrückte die Wut, die in ihm aufstieg. Sie hatte ihm nicht gehorcht und war dem Tod verdammt nahe gewesen. Und er hatte ihr nicht helfen können. Wenn Carlos nicht gewesen wäre... Seine Wut kochte hoch. Verdammt. Es machte ihn rasend. Carlos hatte sie gerettet. Nicht er selbst.
Endlich erklang ein leises Stöhnen. Er klopfte ihr auf die Wange, und ihre Lider flatterten. »Toni, wach auf.«
Sie blinzelte ihn benommen an. »Was ist passiert?«
»Du bist in Ohnmacht gefallen.«
Mühsam rappelte sie sich auf. »Das ist doch verrückt. Ich falle nie in Ohnmacht.« Sie sah sich um. »Was ist mit den Malcontents?«
»Haben sich mal wieder teleportiert", erklärte Ian ihr. »Ich bezweifle, dass wir sie heute Nacht noch einmal zu sehen bekommen. Jedrek ist in schlechter Verfassung.«
Toni sah sich wieder um. »Carlos? Er ist ein...«
»Werpanther.« Ian half ihr beim Aufstehen. »Das ist recht ungewöhnlich.«
»Was du nicht sagst.« Sie sah zum zersplitterten Holzschirm hinauf. »Ich wusste nicht, dass es solche Kreaturen wirklich gibt.«
»Ich habe noch keinen anderen getroffen, der sich in eine Katze verwandelt.« Ian bemerkte Hugo, der in den Nachtclub gestolpert kam. Seine Hände waren mit einem silbernen Seil hinter seinem Rücken gefesselt, und Blut quoll aus einer Schusswunde in seinem Schenkel.
»Oh mein Gott!« Vanda rannte zu ihm.
»Wir nehmen ihn mit zu Romatech", bot Ian ihr an. »Laszlo kann die Kugel entfernen.«
»Ich nehme ihn.« Dougal fasste Hugo am Arm, und beide verschwanden.
Mit einem Seufzen fuhr Vanda mit den Händen durch ihr kurzes strubbeliges Haar. »Es ist niemand mehr hier, also schließe ich für heute ab. Ich hoffe nur, die Kunden kommen zurück, und wir sind nicht ruiniert.«
»Heiliger Strohsack, mach dir deswegen keine Sorgen", sagte Cora Lee. »Wir werden berüchtigt. Die rennen uns die Bude ein.«
»Ich hoffe es.« Vanda stellte einen umgefallenen Stuhl hin. »Lass uns aufräumen.«
Cora Lee betrachtete den Raum und legte die Stirn in Falten. »Lady Pamela hat sich genau die richtige Nacht ausgesucht, um freizunehmen.«
Ohne einen weiteren Kommentar schnappte Ian sich Toni und teleportierte sie in den VIP-Raum. Phineas kam kurz nach ihnen an. Sabrina keuchte erschrocken auf, als sie so plötzlich erschienen, und zog sich ans andere Ende des Zimmers zurück.
Carlos hatte wieder menschliche Gestalt angenommen und sah sie nervös an, während er sein Hemd zuknöpfte.
Toni ging langsam auf ihn zu. »Du hast mir das Leben gerettet.«
»Ich wollte dir schon von meinem... Zustand erzählen, aber...« Er blickte zu Sabrina, die ihn voller Angst anstarrte. »Ich wollte eure Freundschaft nicht verlieren.«
»Carlos.« Toni schlang ihre Arme um ihn. »Du wirst immer mein Freund sein.«
Er umarmte sie zurück. »Danke, Menina. Du weißt, ich würde alles für dich tun.«
Sie sah ihn mit einem liebevollen Grinsen an. »Ich könnte schwören, ich habe gerade eine Miezekatze gesehen.«
»Hast du, hast du.«
Sie lachten beide. Ians Gefühle waren gemischt - plötzliche stechende Eifersucht und eine Woge Stolz. Toni war so großzügig und akzeptierte einfach jeden. Sie hatte ihr Leben riskiert, um Vampire zu retten, die sie nicht einmal kannte, und sie war ihren Freunden treu, egal, was geschah.
»Das ist nicht lustig", murmelte Sabrina auf der anderen Seite des Raumes. »Ich habe gesehen, wie er sich verwandelt hat. Es war schrecklich.«
»Es war großartig, Alter.« Teddy wurde rot. »Aber es war ein bisschen komisch, als du angefangen hast, dich auszuziehen.«
»Das war doch gar nichts", widersprach Sabrina, »was ist mit dem schwarzen Fell, das auf einmal überall gewachsen ist, und den Klauen und dem Geräusch, als die ganzen Knochen gebrochen sind und sich verschoben haben?« Sie schüttelte sich.
»Ja, das war echt cool.« Teddys Gesicht leuchtete vor Aufregung. »Hast du einen Namen, Alter? So wie Panther-Man?«
»Nein.« Carlos setzte sich auf einen niedrigen Tisch und zog seine Socken und Schuhe wieder an.
»Ach, komm schon.« Teddy setzte sich neben ihn. »Ihr Superhelden habt echt keine Ahnung, wie man sich zu verhalten hat. Wie wollt ihr ohne coole Namen berühmt werden?«
»Wir wollen keinen Ruhm.« Ian baute sich vor Teddy auf. »Hör mir zu. Du darfst nie von uns sprechen. Niemals. Wenn die Welt da draußen erfährt, dass es uns gibt, bringen sie uns alle um.«
»Das stimmt.« Carlos schlüpfte in seine Schuhe. »Meine Art wurde von einem Landerschließungsunternehmer im Amazonas entdeckt. Er hat Jäger ausgeschickt, um uns alle zu vernichten. Sie spüren meine Leute auf und bringen sie um.«
Toni presste eine Hand auf ihre Brust. »Carlos, das tut mir so leid. Wie furchtbar.«
»Es ist mir gelungen, einige der Kinder zu retten. Ihre Eltern wurden abgeschlachtet.«
»Das sind die Waisen, um die du dich kümmerst?«, fragte Toni.
Carlos nickte. »Fünf von ihnen. Wir werden schnell immer weniger. Ich habe ganz Malaysia abgesucht, weil es Panther im Dschungel gibt, und man in den Dörfern merkwürdige Geschichten erzählt. Ich hatte gehofft, mehr von meiner Art zu finden.«
»Ich sage es Angus", sagte Ian. »Er wird deine Nachforschungen auf jeden Fall unterstützen. Seine Firma war immer schon großzügig gegenüber Gestaltwandlern.«
Carlos bernsteinfarbene Augen leuchteten. »Das wäre großartig, danke.«
»Was gibt es sonst noch für Wandler?«, fragte Teddy.
»Die meisten, die ich kenne, sind Wölfe.« Ian ging an den Tisch mit den Erfrischungen, um sich ein Blier einzuschenken. »Howard natürlich nicht.«
»Was?« Toni sah verwirrt aus. »Howard ist ein Gestaltwandler?«
Carlos nahm sich ein Sandwich vom Tisch. »Du hast es selbst gesagt, Toni. Er ist ein Teddybär.«
Ian schnaubte. »Nicht ganz so plüschig wie ein Teddybär, sobald er sich verwandelt hat, glaubt mir.«
Tonis Mund stand offen. »Mein Vorgesetzter ist ein Bär?«
»Aye. Howard Barr.« Ian leerte sein Glas.
»Das ist so unglaublich cool", flüsterte Teddy.
»Nein, ist es nicht!«, schrie Sabrina. »Ich ertrage das nicht. Panther und Vampire und Bären...«
»Oh je!«, witzelte Phineas.
»Ihr seid alle Monster!« Sabrina stolperte zur Haupttreppe. »Ich verschwinde von hier!«
»Bri, warte!« Toni rannte ihr nach. »Du kannst nicht gehen. Du hast kein Geld. Keinen Ausweis.«
»Und die Polizei sucht nach dir", fügte Carlos hinzu.
»Als wäre das meine Schuld?« Sabrina starrte sie wütend an. »Ihr habt mich aus meinem Zimmer geholt.«
»Wir haben dich gerettet.« Toni war über Bris Reaktion entrüstet.
»Ihr habt mich zu einem mittellosen Flüchtling gemacht.« Sabrina hob ihr Kinn. »Ich fahre jetzt in meine Wohnung, um mir die Schlüssel zu meinem Bankschließfach zu holen. Da drin habe ich einen Ausweis und jede Menge Bargeld, dann muss ich mich nicht mehr mit Monstern abgeben!«
Carlos ging auf sie zu. »Du kannst nicht zu deiner Wohnung, Bri. Die Polizei ist dort auf der Suche nach dir. Und es dauert noch etwa zehn Stunden, bis die Bank aufmacht.«
»Ich verbringe die Nacht nicht mit Vampiren!«
»Beruhige dich, Menina.« Carlos hob seine Hände. »Ich bringe dich heute Nacht woanders in Sicherheit. In ein anderes Hotel.«
»Ich gehe mit dir nirgendwohin.« Tränen liefen Sabrinas Gesicht hinab. »Du bist eine Bestie.«
Carlos erstarrte und sah sie dann wütend an. »Deshalb habe ich dir mein Geheimnis nie verraten. Vanderkitty hat auch gemeint, du kannst die Wahrheit nicht ertragen.«
Sabrina keuchte auf. »Du - du hast mit meiner Katze gesprochen?«
Ian verlor rasch die Geduld. Er würde Sabrina auf keinen Fall mit dem Wissen, das sie jetzt besaß, entkommen lassen.
Sabrina starrte Carlos wütend an. »Du hast gesagt, du hast Waisen für unser Kinderheim, aber das sind Monster, genau wie du.«
Carlos wurde rot vor Wut. »Sie sind Kinder und brauchen ein Heim und eine Ausbildung. Und Mitgefühl.«
Sabrina wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Ich kann sie auf keinen Fall mit den normalen Kindern zusammenstecken. Sie könnten sie beißen oder... auffressen.«
»Genug!« Ian ging auf Toni zu und sendete in Gedanken eine Nachricht an Phineas, damit er Sabrina abholte. »Miss Vanderwerth, Ihre Angst ist ein bedauernswertes Ergebnis Ihrer Ignoranz.«
Sie keuchte auf. »Wie kannst du es wagen!«
Ian legte einen Arm um Toni. »Du und deine Freundin kommt mit zurück zu Romatech. Keine Einwände. Kein Ungehorsam.« Sein Befehlston brachte ihm einen wütenden Blick von Toni ein. Dann richtete er sich an Carlos. »Du kannst mitkommen, wenn du willst.«
»Ich komme morgen", sagte Carlos. »Und ich bringe Teddy mit.«
Sabrina schrie, als Phineas sie ergriff. Ian verschwand und nahm Toni mit sich.