7. KAPITEL
Fünfundvierzig Minuten später saß Toni in ihrer Wohnung, schlang chinesisches Essen hinunter und kicherte mit Carlos über die Anzeigen in den »Schwarzen Seiten.«
»Sieh dir das an.« Er zeigte mit dem Finger auf eine. »Rüstung für Untote. Schützen sie Ihre Brust gegen diese teuflischen Holzpflöcke.«
Sie verschluckte sich fast an einer Nudel. »Mir gefällt immer noch die Fangzahnfeile am besten. Sorgt dafür, dass die Zähne schön scharf bleiben.«
Carlos lachte. »Weißt du, was gut ist, Menina? Dass du jetzt über Vampire lachen kannst.«
»Glaub mir, dieser furchtbare Angriff macht mir immer noch zu schaffen. Ich werde nur besser darin, die Gedanken zu verdrängen.« Wahrscheinlich würde sie in Tränen ausbrechen, wenn sie sich weiter damit beschäftigte. »Ich habe schon lange gelernt, über Schmerzen zu lachen, statt zu weinen.«
Er tätschelte ihren Arm. »Du machst das gut. Wie lange kannst du heute Abend bleiben? Ich würde gern Dr. Proctors Haus in Westchester auskundschaften. Wir sollten den Grundriss kennen, falls wir Sabrina befreien müssen.«
»Wie bitte?« Manchmal klang Carlos überhaupt nicht wie ein Anthropologiestudent.
»Egal. Ich übernehme den Onkel. Du arbeitest weiter daran, Beweise dafür zu finden, dass es Vampire wirklich gibt.«
Die »Schwarzen Seiten", das war ihnen mittlerweile klar geworden, waren in den Augen anderer wahrscheinlich nur ein Witzbuch. »Ich stehe total auf dem Schlauch. Ich meine, es klingt, als wäre es so einfach, einen Beweis zu finden, aber das ist es nicht. Selbst wenn ich jemanden auf Video aufnehme, der zugibt, ein Vampir zu sein, würden die Leute immer noch glauben, ich hätte nur einen Schauspieler dafür engagiert.«
Carlos starrte einen Augenblick ins Leere, während er nachdachte. »Du musst sie auf frischer Tat ertappen. Beschaff eine Aufnahme davon, wie sie verschwinden oder ihre Zähne ausfahren. Geh irgendwohin, wo viele von ihnen versammelt sind und sie ganz sie selbst sein können.«
»Ein In-Treff für Vampire?«
»Ganz genau.« Er sprang auf und trat ans Küchenfenster. »In meiner Wohnung habe ich etwas, das du gebrauchen kannst.«
»Einen Zopf Knoblauch?« An der Tür klopfte es laut, und sie schreckte zusammen.
Carlos zögerte. »Erwartest du jemanden?«
»Nein.« Sie eilte an die Tür und spähte durch den Spion. »Oh nein!« Mit seinem überlegenen Gehör hatte er wahrscheinlich alles mitbekommen.
»Was ist los?« Carlos drehte sich um und kam zurück ins Wohnzimmer.
»Nichts.« Verdammt! Wie hatte Ian ihre Adresse herausgefunden? Von ihrer Bewerbung natürlich. Wahrscheinlich hatte er sie sich bei Romatech besorgt. Ein zweites Klopfen an der Tür, und sie bewegte sich langsam rückwärts davon weg.
»Soll ich aufmachen?«, fragte Carlos.
»Nein, das mache ich schon", flüsterte sie. »Das ist bloß...
er.«
»Er? Der berühmte er ohne Namen?«
Sie legte einen Finger an ihre Lippen, um Carlos zum Schweigen zu bringen. Kein Zweifel, dass Supervamp ihnen zuhörte.
Carlos Mundwinkel hoben sich. »Der Er, bei dem sich deine Augen zu diesem Blick verklären, der nichts anderes sagt als ›Nimm mich, ich bin dein‹?«
»Das stimmt gar nicht!« Toni zuckte zusammen und warf einen Blick zur Tür. Sie hechtete hinüber zu Carlos und zischte ihn leise an. »Geh zurück in deine Wohnung, sofort. Ehe ich dich umbringe.«
»Machst du Witze?« Carlos hockte sich auf die Lehne des Sessels. »Ich würde ihn um nichts auf der Welt verpassen.«
Sie gab Carlos einen Klaps auf die Schulter, aber er rührte sich nicht. Es nützte nichts. Sie lehnte sich zu ihm, damit sie flüstern konnte. »Sag kein Wort darüber, dass er ein Vampir ist. Du darfst davon gar nichts wissen.«
»Meine Lippen sind versiegelt.« Carlos' Augen funkelten. »Es sei denn, er hat andere Pläne.«
Sie schnaubte. »Wage es nicht, ihn anzumachen.«
»Ah. Wir sind ein bisschen besitzergreifend, findest du nicht?«
Wütend starrte sie in Carlos' unverschämt grinsendes Gesicht.
Ein drittes Klopfen hallte laut.
»Er wird da draußen nicht jünger, Liebes", murmelte Carlos. »Lass den armen Mann rein.«
»Ich werde dich wirklich umbringen.« Sie keuchte erschreckt auf, als sie merkte, dass die »Schwarzen Seiten" immer noch mitten auf dem Sofatisch lagen. Sie stopfte sie unter das Kissen ihres Sessels und eilte dann zur Tür. Vanderkitty folgte ihr. Sie drehte das Schloss und öffnete die Tür.
»Wird auch Zeit.« Ian marschierte hinein. Sein Kilt schwang ihm dabei um die Knie. Sein Blick flackerte an Toni vorbei und blieb an Carlos hängen. Mit gehobenem Kinn betrachtete Ian den anderen Mann streng. »Ich glaube, wir haben uns noch nicht kennengelernt. Sind Sie Tonis Verabredung?«
Carlos blieb sitzen und musterte Ian. »Schicker Kilt.«
Van fauchte Ian an und sprang dann auf Carlos' Schoß. »Braves Kätzchen.« Geruhsam streichelte er die Katze.
Ian hob eine Augenbraue. »Wer sind Sie, und warum sind Sie hier?«
Toni stellte sich vor ihn. »Es geht dich nichts an, was ich außerhalb der Dienstzeiten tue.«
Mit gesenkter Stimme widersprach Ian. »Schon, aber zu deinen Dienstzeiten bin ich wenig gesprächig. Du hast gesagt, du würdest dich gern später mit mir unterhalten. Also, hier bin ich. Es ist später.«
»Gerade passt es nicht sehr gut.«
Er warf einen Blick auf die leeren Teller auf dem Sofatisch. »Ihr seid fertig mit dem Abendessen, aye?«
Carlos setzte Van in den Sessel und trat dann mit ausgestreckter Hand vor. »Ich bin Carlos Panterra, Tonis Nachbar.«
Ian schüttelte seine Hand. »Ian MacPhie.«
Carlos blickte von Toni zu Ian und lächelte. »Dann lasse ich euch beide mal allein.«
»Du musst nicht gehen, Carlos.« Toni warf ihm einen eindringlichen Blick zu.
» Menina, ich habe ein kleines Geschenk für dich, weißt du noch? Ich komme gleich wieder.« Er schlenderte in die Küche.
Toni sah Ian mit gerunzelter Stirn an. »Ich dachte, du hättest heute Nacht drei Verabredungen.«
»Keine echten", murmelte Ian. »Ich treffe mich nur mit ihnen in einem Nachtclub.« Er senkte seine Stimme. »Für meine Art.«
»Ein Nachtclub?«, fragte Carlos mit einer Hand auf dem Fensterbrett. »Sie sollten Toni mitnehmen. Sie liebt Musik und Tanzen. Nicht wahr, Menina?«
Was redete Carlos da, dachte Toni verwirrt.
»Das ist kein sehr passender Ort für sie", setzte Ian an.
»Zu wild?«, fragte Carlos. »Keine Sorge. Toni liebt es wild. Nicht war, Kleines?« Er zwinkerte.
»Ich - ich glaube nicht, dass es ihr dort gefallen würde", meinte Ian bestimmt, und Toni wurde klar, dass er ja nicht erklären konnte, dass es ein Nachtclub für Vampire war.
»Toni liebt alle Orte, an denen so richtig viel Action ist.« Carlos warf ihr einen eindringlichen Blick zu, und endlich fiel bei ihr der Groschen.
Ein In-Treff für Vampire! Das könnte der perfekte Ort sein, um die Beweise zu sammeln, die sie brauchte. »Oh ja! Ich würde nur zu gern mitkommen.«
Ian riss die Augen auf. »Wirklich?«
»Natürlich.« Sie schenkte ihm ein betörendes Lächeln. »Du nimmst mich doch mit, ja?«
»Aber du weißt doch, was für Leute dort sein werden", flüsterte er.
»Ich würde wirklich gerne mitkommen.« Toni ging sicher, dass Carlos durch das Küchenfenster verschwunden war. »Ich fühle mich immer noch nicht ganz wohl im Umgang mit Vampiren. Aber wenn ich mit dir in den Club komme, kann ich das vielleicht überwinden. Ich könnte euch alle in einem anderen Licht sehen.«
Ian nickte. »Connor hat mir gesagt, wie schlimm der Angriff war. Es tut mir wirklich sehr leid.«
»Oh.« Machte er sich darüber wirklich Gedanken? »Es - es geht mir gut.«
Echte Besorgnis war in seinen Augen zu lesen. »Es ist erst ein paar Nächte her. Du hattest noch nicht genug Zeit, dich zu erholen.«
»Na ja...« Sie strich sich eine lose Haarsträhne aus der Stirn.
»Connor hat gesagt, du hast mutig gekämpft. Er war sehr beeindruckt.«
Nein, verdammt, sie war noch nicht darüber hinweg. Das ganze Gespräch ging ihr langsam auf die Nerven. Und die Bissspuren auf ihrer Brust und ihrem Oberkörper begannen zu jucken. »Ich weiß nicht, wie ich überlebt hätte, wenn Connor nicht gerade zur rechten Zeit gekommen wäre.«
»Jetzt verstehe ich, wieso du Gedankenkontrolle so sehr hasst. Connor hat mir erzählt, wie sie dich dazu gezwungen haben, zu...«
»Bitte hör auf!« Sie wollte jetzt gerade nicht von den Erinnerungen heimgesucht werden.
»Toni.« Er berührte ihre Schulter, und sie zuckte zusammen. »Och, Mädchen, ich würde dir nie wehtun.«
Jetzt bloß nicht losheulen. Das würde nie funktionieren. Mit einem sturen misstrauischen Ian konnte sie umgehen, aber mit einem lieben mitfühlenden? Er riss alle ihre Schutzwälle ein.
Sie wich zurück und verschränkte ihre Arme vor der mit Bissspuren übersäten Brust. »Und, wie laufen die Untersuchungen? Hast du dich schon entschieden, ob man mir vertrauen kann oder nicht?«
»Ich kenne immer noch nicht deinen vollständigen Namen. Aber dass du nicht mit mir sprechen willst, ist nach dem Angriff mehr als verständlich.«
»Stimmt.« Oder vielleicht weigerte sie sich, mit ihm zu reden, um sich nicht noch mehr zu dem Kerl hingezogen zu fühlen. Nicht, dass sie das jemals zugeben würde.
»Ich verstehe immer noch nicht, warum du dir nicht einfach von Connor das Gedächtnis hast löschen lassen. Du leidest darunter, Mädchen.«
»Wenn ich mir alle meine schlechten Erinnerungen löschen lasse, bleibt nicht viel übrig.«
Ian runzelte die Stirn. »Das kann doch nicht stimmen.«
Nein, es hatte auch gute Zeiten gegeben. Schöne Erinnerungen an ihre Großmutter, lustige Erinnerungen an Sabrina. Stolz, wenn sie in der Schule gute Leistungen erbracht hatte.
»Meine Mutter wollte mich nicht.« Sie presste erschreckt die Hand gegen ihren Mund. Verdammt. Wieso hatte sie das herausgeplappert?
Erstaunt sah Ian sie an »Wie ist das möglich?«
»Ich bin... unehelich.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich dachte, heutzutage macht das nichts mehr aus.«
»Meiner Großmutter hat es nichts ausgemacht. Sie hat mich gern aufgezogen. Aber meiner Mutter war ihr großer Fehler immer peinlich. Ich...« Toni machte eine abwehrende Geste.
»Das ist nicht wichtig. Ich weiß nicht, wieso ich es überhaupt erwähnt habe.«
»Weil es dir wehtut. Die Schmerzen, die wir ertragen, machen uns stark. Es ist sehr mutig von dir, nicht davor wegzurennen.«
Der Blick dieses Mannes fesselte sie immer mehr, und sie spürte, wie ihr Puls sich beschleunigte. Ihre Haut kribbelte, so sehr war sie sich seiner Anwesenheit bewusst. Ihre Lippen wurden trocken. Ihre Gedanken vernebelten sich, bis sie nur noch daran denken konnte, näher an ihn heranzutreten. Als er auf sie zutrat, fragte sie sich, ob er den gleichen Zwang verspürte.
»Ich weiß, dass die Erinnerung dir Schmerzen bereitet, aber ich bin froh, dass du sie behalten hast.«
»Du willst, dass ich leide?«
»Nay. Aber wenn du deine Erinnerung nicht behalten hättest, wäre ich dir nie begegnet.«
»Oh.« Ihre Gedanken drehten sich, und ihr fiel nichts ein, was sie sagen konnte. Sie leckte sich die Lippen und merkte dann, wie sein Blick auf ihren Mund fiel. Oh Gott.
»Ich bin wieder da!«, verkündete Carlos vom Küchenfenster aus.
Toni kam wieder zu Sinnen. Liebe Güte, wie lange hatten sie und Ian einander angestarrt? Er trat zurück und verschränkte seine Arme vor der Brust.
Carlos schlenderte ins Wohnzimmer und keuchte erschreckt auf. »Was machst du denn, Mädchen? Du hast dich noch nicht umgezogen!«
»Wie bitte?«
»So kannst du in keinen Nachtclub.« Carlos schnaubte empört. »Komm, wir machen dich zurecht.« Er packte ihren Arm und schleifte sie ins Schlafzimmer. »Mach es dir bequem, Ian. Wir brauchen nur einen Augenblick.«
Ian sah verwirrt aus. »Du... ziehst sie an?«
»Keine Angst. Ich sorge dafür, dass sie zum Anbeißen aussieht.« Carlos schob sie durch die Schlafzimmertür und schloss sie hinter ihnen. Dann eilte er zu ihrem Schrank. »Du musst Haut zeigen. Wie wäre es damit?« Er zog einen kurzen Jeansrock hervor.
»Damit friere ich mir den Hintern ab.«
»Du ziehst ihn an.« Carlos warf ihr den Rock zu und wendete sich dann wieder dem Schrank zu. »Du musst dringend diese Weste anziehen. Ich liebe sie einfach.« Er ließ die schwarze Lederweste aufs Bett fallen.
»Ich brauche noch ein Shirt für darunter.«
»Brauchst du?« Carlos stöhnte. »Wenn du meinst.« Er griff nach einem ärmellosen weißen Rollkragenoberteil. »Jetzt brauchst du nur noch schwarze Stiefel, mehr Make-up, und Gott steh dir bei, wenn du es wagst, diesen Pferdeschwanz zu tragen.«
»Glaubst du, der Club bringt was?«, flüsterte sie.
»Ja, und ich habe etwas für dich.« Carlos zog etwas Schwarzes, Metallisches aus seiner Hosentasche. Er steckte es ihr an die Weste »Das sendet die Bilder direkt an mich.«
Es sah wie eine Spionagekamera aus. »Bist du sicher, dass du Anthropologie studierst?«
Er lachte leise. »Einige der Urwaldvölker, denen ich begegnet bin, mögen die großen Kameras nicht. Sie werden nervös, wenn sie sich selbst geschrumpft in einer kleinen Schachtel sehen. Ich habe gelernt, dass es besser ist, sie hiermit aufzunehmen.«
»Ach so.« Wahrscheinlich ergab das einen Sinn.
»Du bist fertig.« Carlos klopfte ihr auf die Schulter. »Viel Glück.«
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Ian hörte zu, während er im Sessel saß und wartete, aber wenn sie flüsterten, bekam er immer nur ein oder zwei Worte mit. Etwas über nervöse Urwaldvölker? Was zum Henker redete Carlos da? Und warum durfte der Toni beim Anziehen zusehen? Wie nahe genau stand er Toni? Er hatte sich bloß als Nachbar vorgestellt.
Ein leises Geräusch lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich. Carlos hatte Tonis Zimmer verlassen und die Tür mit einem Klicken geschlossen. Er beugte sich vor, schloss die Augen und legte die Stirn in Falten. Ian öffnete seinen Mund, um zu fragen, was nicht stimmte, als Carlos sich plötzlich aufrichtete.
Er legte eine Hand auf seine Brust. »Ich schwöre, bei allem, was mir heilig ist, wenn ich noch ein einziges Zopfgummi in dieser Wohnung finde, zerhacke ich es mit einem Fleischbeil in Stücke.«
Ian war sich nicht sicher, was ein Zopfgummi sein sollte, aber es klang verdächtig. »Alles in Ordnung mit Toni?«
»Ja. Gott sei Dank war ich hier, um sie zu retten. Du wirst das Outfit, das ich ihr ausgesucht habe, einfach lieben. Und die Haare habe ich ihr auch gemacht.«
Zu was gemacht? Ian war verwirrt.
»Ich habe außerdem darauf bestanden, dass sie mehr Make-up nimmt.« Carlos fuchtelte mit einer Hand, um seine Worte zu unterstreichen. »Aber sie ist so eine natürliche Schönheit, dass sie kaum welches braucht. Ist das nicht einfach furchtbar?«
Sprachen sie die gleiche Sprache? »Sie ist sehr hübsch.«
»Sie ist ein nettes Mädchen.« Carlos' Miene wurde ernst. »Es würde mich sehr ärgern, wenn du ihr wehtust.«
Das konnte er verstehen. »Ich würde ihr nie schaden.« Ian beugte sich vor und setzte seine Ellenbogen auf seine Knie. »Wie lange kennst du sie schon?«
»Zwei Jahre. Sie und Sabrina sind wie Schwestern für mich.«
»Wer ist Sabrina?«
»Oh, du liebe Zeit, ich habe eine Quesadilla im Ofen gelassen. Bis später, Ian.« Carlos eilte in die Küche, sprang durch das Küchenfenster und schloss es dann hinter sich.
An dem Mann war irgendetwas seltsam. Sein Geruch stimmte nicht, und sein Verhalten war widersprüchlich. Dann hörte Ian das Klacken von hohen Schuhen auf Holzfußboden, und seine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Schlafzimmertür.
»Ich bin fertig", verkündete Toni.
Es verschlug ihm die Sprache. Sein Gehirn nahm kurz nacheinander sinnlich rot bemalte Lippen auf, offenes seidiges Haar, ein eng anliegendes Stricktop, einen winzigen Rock, feste goldene Schenkel und hochhackige schwarze Stiefel. Er blinzelte. Sie war immer noch da und immer noch atemberaubend.
Anmutig kam sie auf ihn zu und ihre Hüften wiegten sich gerade genug, um ihn zu hypnotisieren. »Ist das in Ordnung für deinen Club?«
»Aye", krächzte er. Gott sei Dank gab es im Horny Devils fast nur Frauen. Aber selbst ein weiblicher Vampir konnte sich von Toni verlocken lassen. »Du solltest immer in meiner Nähe bleiben.«
»Wie soll ich das machen?« Sie beugte sich über den Sofatisch, um ihre Besitztümer einzusammeln, und ihr Stricktop schmiegte sich eng gegen ihre Brüste. »Hast du nicht drei Verabredungen?«
»Aye.« Ihr BH musste zu klein sein, denn sie füllte ihn bis zum Überlaufen aus. »Das ist prächtig anzusehen.«
Sie zog ihre Jacke an. »Du meinst, sie sind schön?«
Sein Blick fiel auf ihre langen, schlanken Schenkel. »Aye, schlank und golden, von der Sonne geküsst.«
»Die sind braun? Wie haben sie das angestellt? Hallo?«
Er zwang sich, ihr in die Augen zu sehen. »Ja?«
Genervt blickte sie ihn an. »Lass mich dir noch einen Ratschlag fürs Verabreden geben: Schau der Frau ins Gesicht, wenn du dich mit ihr unterhältst, nicht auf den Rock.«
»Dein Rock zieht die Aufmerksamkeit eines Mannes nun mal auf sich. Ich habe schon Taschentücher gesehen, die größer waren.«
Sie schwang ihre Handtasche über die Schulter. »Wenigstens trage ich Unterwäsche unter meinem Rock.«
»Ich hoffe, es ist hübsche, denn so ziemlich jeder wird sie zu sehen bekommen.«
In ihren Augen glitzerte die Herausforderung. »Nicht jeder.«
Er lächelte langsam. »Das werden wir sehen.«
Mit geröteten Wangen wendete sie sich zur Tür. »Wir sollten deine Verabredungen nicht warten lassen.«
Ian sprang auf und eilte an ihr vorbei, um ihr die Tür zu öffnen.
Sie trat auf den Flur hinaus und kramte die Schlüssel aus ihrer Handtasche. »Wo ist dieser Club?«
»Hell's Kitchen.«
»Wie passend.« Sie schloss ab. »Schlägst du deine Hacken zusammen und zauberst uns rüber?«
»Nein, ich fahre.« Er begleitete sie zur Treppe. Es würde schneller gehen, sie direkt in den Club zu teleportieren, aber sie zu fahren, bedeutete eine längere Unterhaltungszeit. »Ich habe in der Nähe einen Wagen geparkt.«
Gemeinsam gingen sie nach unten. »Du kannst fahren?«
»Ich fahre seit 1913.«
»Liebe Güte. Ich hoffe, du hast mittlerweile ein neueres Modell.«
Er grinste. »Ich habe mein erstes Auto wirklich noch, einen 1913er Rolls-Royce. Über die Jahre habe ich meine Lieblinge behalten - einen 38er Bentley, einen 59er Morgan, einen 69er MGB Roadster. Meine letzte Errungenschaft ist ein 2005er Aston Martin.«
Sie blieb auf halbem Weg die Treppe hinunter mit erstaunter Miene stehen. »Sammelst du wirklich teure Autos? Sag mir nicht, das andere Zeug in deinem Profil stimmt auch.«
»Welches andere Zeug?«
Sie marschierte weiter. »Zeug wie dein verzaubertes Schloss im schottischen Hochland.«
Ian kicherte. »Verzaubert würde ich es nicht nennen, es sei denn, der Ausblick auf Schimmel an den Wänden zieht dich in seinen Bann.«
»Dann hast du echt ein Schloss?«
»Es ist lange nicht so groß wie das von Angus. Ich würde es eher als großes Herrenhaus bezeichnen.«
»Oh. Wie... gemütlich.« Mit einem verärgerten Blick durchschritt sie das Foyer bis zur Eingangstür. Ihre hohen Absätze klickten auf dem Marmorfußboden. »Da du dein Profil nicht einmal selbst geschrieben hast, bin ich mir sicher, die ganzen kitschigen Versprechen sind gelogen.«
Er erreichte die Tür als Erster. »Welche Versprechen?«
Sie schnaubte. »Du hast es immer noch nicht gelesen, oder?«
»Ich hatte damit zu tun, Hunderte von Anrufen zu beantworten. Und Nachforschungen über dich anzustellen. Welche Versprechen?«
Sie zuckte die Schultern, als wäre es ihr eigentlich egal. »Das eine darüber, dass du deiner Frau auf ewig treu sein wirst. Als ginge das überhaupt.«
»Das würde ich.«
Zweifelnd fragte sie weiter. »Und dann das Versprechen, dass du deine strahlende sternengekrönte Prinzessin auf ewig in orgasmische Ekstase versetzen wirst.« Sie verdrehte die Augen. »Wie gesagt, als ginge das.«
Seine Mundwinkel zuckten. »Ich könnte es jedenfalls versuchen. Ich möchte, dass meine Frau sich immer befriedigt fühlt.«
Sie biss sich auf die Lippe und senkte ihren Blick. »Dann willst du wirklich heiraten?«
»Ja.« Er öffnete die Tür, und ein Schwall kalter Luft ließ sie einen Schritt zurücktreten.
Sie zog sich ihren Schal über Ohren und Mund, sodass ihre Stimme gedämpft klang. »Gott, ich werde mir echt den Hintern abfrieren.«
Und so einen hübschen Hintern. Er trat vor sie, um den Wind abzuschirmen. »Hier entlang. Es ist nicht weit.« Ian führte sie die Straße hinab und warf den zwei Männern, die an ihnen vorbeigingen und Tonis nackte Beine anstarrten, einen wütenden Blick zu.
»Wie kann jemand in deiner Situation ein Ehegelöbnis ernst nehmen?«, murmelte sie unter ihrem Schal hervor. »Du kannst doch nicht ernsthaft behaupten, du würdest über Jahrhunderte treu bleiben.«
»Wirf mir nicht vor, unehrlich zu sein.«
»Entschuldigung, aber einiges in deinem Profil ergibt für mich einfach keinen Sinn.«
Auch an ihr gab es vieles, das keinen Sinn ergab. Und er kannte immer noch nicht ihren vollständigen Namen. Ian kramte in seinem Sporran nach den Wagenschlüsseln. Er hatte eines von Romans Autos ausgeliehen, einen schwarzen Lexus.
»Zum Beispiel", fuhr sie fort, »behauptest du, du willst deine Prinzessin mit tonnenweise Geld überschütten. Wenn du so reich bist, wieso arbeitest du dann für einen Sicherheitsdienst?«
»Ich habe mich auf Nachforschungen spezialisiert. Zweimal bin ich im NASA-Institut in Langley eingebrochen, ohne bemerkt zu werden.«
»Du bist ein ganz gewitzter Schleicher, was?«
Er grinste. »Und was das Geld angeht, ich habe nicht einmal annähernd so viel wie Roman oder Angus. Die haben Milliarden.« Mit der Fernbedienung betätigte er den Türöffner. »Ich habe nur ein paar Millionen.«
Ihr Blick wurde jetzt gewollt strafend. »Du solltest dich was schämen. Was hast du die ganzen Jahrhunderte über gemacht - rumgealbert?«
Mit einem Lachen zeigte er auf die offene Tür. »Ist dir nicht kalt?«
»Ich bin verwirrt. Warum arbeitest du überhaupt? Warum bleibst du nicht in Schottland und fährst die ganze Nacht mit deinen schicken Wagen umher?« Es bedurfte einiger Akrobatik, um ins Auto zu steigen, ohne sich völlig zu entblößen.
»Das habe ich ein paar Jahrzehnte lang gemacht, aber es wurde langweilig.« Er erfreute sich an dem Anblick, den ihre geöffneten Beine boten, als sie sich in den Vordersitz setzte. Ihr winziger Rock rutschte gefährlich weit hoch. »Ich wollte mehr Aufregung im Leben.«
»Die bekommst du wahrscheinlich.« Sie runzelte die Stirn, als sie an ihrem Rocksaum zog.
»Aye, die bekomme ich.« Er lächelte, als er die Tür schloss. Dann ging er um das Fahrzeug herum und setzte sich hinter das Lenkrad.
Er fuhr zum West Side Highway, dann nach Norden und auf Hell's Kitchen zu. Immer wenn er nach rechts blickte, wanderte sein Blick auf ihre Beine. Schlank und muskulös. Sie konnten sich fest um die Hüfte eines Mannes schlingen. Er atmete tief ein, als sie sich mit den Händen an den Schenkeln auf und ab fuhr.
»Macht es dir etwas aus, wenn ich die Heizung einschalte? Es ist etwas kühl hier drinnen.«
Um nicht die Kontrolle zu verlieren, hielt er das Lenkrad mit einem festen Griff umklammert. »Mir scheint es ziemlich warm, aber mach ruhig.«
»Danke.« Sie beugte sich zur Mitte des Wagens und drehte am Temperaturregler.
Unglücklicherweise blies ihm die Lüftung ihren süßen Duft direkt ins Gesicht. Eine Welle des Verlangens strömte durch seine Nase bis hinab in seinen Schoß. Zeit allein mit ihr zu verbringen war keine sehr gute Idee gewesen. Statt Antworten bekam er bloß eine Erektion. »Wie heißt du mit vollem Namen, Toni?«
Sie fuchtelte mit einer Hand, wie um die Frage abzuwinken. »Ich habe Roman letzten Montag getroffen. Er hat mir erzählt, seine Frau Shanna ist sterblich, und dass noch so ein Typ auch eine sterbliche Frau hat.«
»Jean-Luc, aye. Ich war im September auf seiner Hochzeit.«
»Wenn diese anderen Vampire Sterbliche heiraten, wieso bist du dann zu voreingenommen, um dich auch nur mit einer zu verabreden?«
»Ich bin nicht voreingenommen.« Sein Blick wanderte zu der nackten, goldenen Haut ihrer sinnlichen Schenkel. »Ich finde einige sterbliche Frauen sehr attraktiv.« Heilige Mutter Gottes, jetzt schlug sie die Beine übereinander.
»Ich verstehe einfach nicht, warum du dich weigerst, mit Sterblichen auszugehen.«
»Weil ich ehrlich sein will. Eine Vampirfrau muss ich nicht belügen, wenn es darum geht, wer oder was ich bin. Ich will eine Beziehung, die auf vollkommener Ehrlichkeit aufgebaut ist.«
Sie senkte ihren Blick auf die ineinandergeschlungenen Hände in ihrem Schoß. »Keine... Geheimnisse also?«
»Nay. Und keine vorschnellen Urteile. Eine Sterbliche hätte Schwierigkeiten, meine Vergangenheit zu akzeptieren, aber ein Vampir versteht es, und wird nichts Schlimmes an den Dingen finden, die ich tun musste, um zu überleben.«
Ihr Blick war vernichtend. »Du meinst, Frauen für Sex und als Nahrung zu missbrauchen?«
Er knirschte mit den Zähnen. »Genau die Art von vorschnellem Urteil meine ich. Ich gebe zu, dass ich Blut genommen habe, wenn ich es brauchte, aber ich habe mich nie einer Frau aufgezwungen.«
»Wie kannst du dir da sicher sein? Hast du nicht Gedankenkontrolle benutzt?«
»Ich bin kein Ver gewaltiger.« Er bog auf die Vierunddreißigste West ein. Wenigstens hatten ihre Anklagen die Wirkung, sein sinnliches Verlangen zu ersticken. »Ich mache dir keine Vorwürfe, weil du mich ausfragst. Du bist immerhin erst vor ein paar Nächten angegriffen worden. Es ist ganz normal, dass du so empfindlich bist.«
»Ich bin nicht empfindlich. Ich bin angepisst.«
»Halte mich nicht für einen Malcontent. Wenn ich in die Gedanken einer Lady eindringe, kann ich sie hören, und ich bleibe nie dort, wo ich nicht willkommen bin.«
»Du hast nie eine Frau dazu gebracht, sich dir zu ergeben?«
»Nay. In meinem Fall habe ich die Gedankenkontrolle benutzt, damit mich die Frauen für älter hielten, als ich aussah.«
»Also hast du sie sehr wohl hereingelegt.«
»Mein verdammtes Gesicht war die Falle, Toni, und daraus gab es keinen Ausweg. Die Leute haben mich für fünfzehn gehalten, obwohl ich innerlich längst ein erwachsener Mann war. Und ich musste die Frauen hereinlegen, damit sie mich so sehen konnten, wie ich sein wollte. Ich bin nicht stolz auf diese ganzen Betrügereien. Deshalb ist es jetzt so wichtig, dass ich ehrlich bin. Ein Vampir würde das verstehen.«
»Du könntest auch einer Sterblichen die Wahrheit sagen.«
»Ich könnte wohl kaum auf eine Sterbliche zugehen und sagen: ›Hallo, ich bin ein Vampir. Würden Sie gern mit mir ausgehen?‹ Am Anfang müsste ich sie belügen, und ich weigere mich, das zu tun.«
»Es gibt jede Menge Frauen, die mit dir ausgehen würden, gerade weil du ein Vampir bist.«
Er hielt an einer roten Ampel an und drehte sich zu ihr um. »Ich will nicht nur geliebt werden, weil ich untot bin. Genau wie du nicht abgelehnt werden willst, nur weil du sterblich bist.«
Sie wendete sich ab. »Ich — ich bin wohl zu... streng mit dir gewesen.«
»Mädchen, du hast jeden Grund, misstrauisch zu sein. Du bist vor ein paar Nächten fast ermordet worden. Aber die Vampire, die dich angegriffen haben, waren wahrscheinlich schon grausam und böse, ehe sie verwandelt wurden. Der Tod kann das Herz eines Mannes nicht verändern.«
»Dann warst du ein guter Mann", flüsterte sie.
Alles Verlangen stürzte von ein auf den anderen Moment wieder auf ihn ein. »Ich versuche es.«
Ihr Blick begegnete seinem. »Was willst du mehr als alles andere?«
In diesem Augenblick kam es ihm vor, als könnte er gut ein oder zwei Jahrhunderte nur damit verbringen, ihr in die grünen Augen zu sehen.
Sie waren unglaublich, wie sie vor Wut aufloderten, gewitzt funkelten oder weich wurden vor Mitleid. »Ich will geliebt werden, ehrlich und wahrhaftig geliebt, so wie ich bin. Und ich will eine Frau von ganzem Herzen und mein ganzes Leben lang lieben. Ich will mich nach ihrem Verstand, nach ihrem Körper, nach ihrer Gesellschaft verzehren.«
Der Duft ihres heißen rauschenden Blutes erfüllte den ganzen Wagen, und seine Nervenenden stimmten ein. Er fragte sich, ob sie nur die geringste Ahnung hatte, was sie ihm antat. Konnte sie spüren, wie Wellen des Verlangens von ihm ausgingen?
Ja, er würde schwören, dass sie es konnte. Ihr Herz schlug schnell. Ihr Atem war unregelmäßig. Er beugte sich näher.
»Deine - deine Augen", flüsterte sie.
Er wusste, dass sie rot wurden, denn sein Blickfeld hatte sich mit einer Spur rosa überzogen. Er legte eine Hand in ihren Nacken.
Ohne zurückzuweichen, ließ sie sich ein, ihr Blick fiel auf seinen Mund, und er konnte nicht länger widerstehen. Er küsste sie.