4. KAPITEL
Ian hatte vergessen, wie hübsch sie war - hübsch genug, um seine Gedanken für einen Augenblick durcheinanderzuwirbeln. Aber egal, wie glänzend und golden ihr Haar war oder wie rosig und sanft geschwungen ihr Mund oder wie ihr grüner Pullover genau zu dem lebhaften Grün ihrer Augen passte - man konnte keinem Wachposten vertrauen, der einen schlafenden Vampir mit Graffiti beschmierte.
Phineas warf nur einen Blick auf ihn und prustete sein Frühstück über die ganze Küchenanrichte. Dann begann er dreckig zu lachen. Dougal versuchte wenigstens, sein Lachen zu unterdrücken.
»Iiiihhh.« Toni verzog ihr Gesicht angesichts der blutigen Schweinerei.
»Keine Sorge, Süße, ich mach das sauber.« Phineas schnappte sich einen Schwamm aus der Spüle. »Du hast ihn gut getroffen.«
»Ich würde das nicht gut nennen.« Ian starrte Toni wütend an. Sie hatte seine Frage nicht beantwortet. Sie saß einfach nur am Tisch, zerknüllte ihre Papierserviette, und ein rosiger Hauch legte sich auf ihre Wangen. Der Duft ihres rauschenden Blutes verstärkte seinen Hunger. Sein Zahnfleisch kribbelte. Wütend wendete er sich dem Kühlschrank zu, nahm eine Flasche synthetisches Blut heraus und kippte es kalt herunter.
Sie rümpfte ihre hübsche kleine Nase. »Du trinkst es kalt?«
»Hast du was Warmes anzubieten?«, knurrte er sie an.
Ihre Wangen wurden noch röter. »Nein, natürlich nicht.«
»Was bist du so angepisst, Alter?« Phineas wischte die Anrichte ab. »Ich würde mich freuen, wenn Toni auf mein Shirt schreibt. Echt, sie könnte den ganzen Tag auf mir schreiben.«
»Du trägst zum Schlafen kein Hemd", murmelte Toni.
»Aha!« Phineas grinste sie an. »Du hast meinen Prachtkörper bewundert, während ich geschlafen habe. Die Ladys können Dr. Phang einfach nicht widerstehen.« Er spülte den Schwamm aus und ging ein paar Schritte. »Du solltest deine Liebesbotschaften lieber auf mich schreiben.«
»Es sind keine Liebesbotschaften", protestierte Toni.
»Das ist mal sicher", knurrte Ian. »Ich bin mit Sicherheit nicht an Travis interessiert.«
Phineas schnaufte, dann zielte er und warf den Schwamm in die Spüle. »Zwei Punkte! Okay, ich habe euch schon die ganze Zeit gesagt, ihr müsst mit den Röcken aufhören. Das sendet gemischte Signale aus, wenn ihr versteht, was ich meine.«
Dougal runzelte die Stirn. »Der Kilt ist eine edle und männliche Tradition unter Schotten.«
»Mir gefallen sie irgendwie", räumte Toni ein.
Mochte sie seinen Kilt wirklich? Ian hatte den MacPhie-Tartan immer für einen der besten gehalten. Oder vielleicht hatte ihr gefallen, was sich darunter befand. Er gab sich in Gedanken eine Ohrfeige. Dieses Mädchen lenkte ihn wirklich viel zu leicht ab. »Du hast meine Frage nicht beantwortet.« Er klopfte sich auf die Brust. »Was, verdammt noch mal, soll das?«
Sie hob ihr Kinn. »Ich gebe gerne zu, dass es ein Fehler war, aber ich war verdammt sauer, als ich das geschrieben habe.«
»Sauer?« Ian sah sie ungläubig an. »Was kann ich getan haben, um dich wütend zu machen? Ich war den ganzen Tag tot.«
»Im Internet warst du lebendig. Leute haben dich auf Single in the City gefunden, und das Telefon hat den ganzen Tag geklingelt wie blöd. Ich hatte meine eigenen Probleme, also...«
»Es haben Frauen für mich angerufen?«, unterbrach Ian sie. Er konnte es nicht glauben. Vandas Plan ging auf.
Toni warf ihm einen genervten Blick zu. »Hast du die Nachrichten nicht gesehen, die ich dir oben hingelegt habe? Auf den Nachttisch?«
»Nein, ich war zu abgelenkt.« Er legte eine Hand auf die Brust. Seine Wut verrauchte bei dem Gedanken daran, dass sich die Frauen tatsächlich für ihn interessierten, allmählich.
»Es haben Frauen für mich angerufen?«
Toni stöhnte und brachte dann ihren Teller zur Spüle. »Ja, Mr. Superego. Dreiundvierzig Frauen und zwei Männer, um genau zu sein. Und das war vor zehn Uhr.«
»Zwei Männer?« Phineas lachte dreckig.
Ian murmelte einige gälische Worte, die Dougal zum Lachen brachten. Seine erste Aufregung war abgeflaut, weil ihm klar wurde, dass die Frauen, die tagsüber angerufen hatten, sterblich sein mussten. Keine von ihnen war gut für ihn.
Das Telefon klingelte, und Phineas griff danach.
»Mach dir keine Mühe.« Toni kehrte an den Tisch zurück, wo sie einige Kleidungsstücke auf der Stuhllehne gelassen hatte. Sie schlang sich einen grünen Schal um den Hals. »Wahrscheinlich noch eine verzweifelte Frau. Der Anrufbeantworter fertigt sie seit heute morgen ab.«
»Aber vielleicht ist sie heiß!« Phineas hob den Hörer ab. »Hallo", sagte er in einer tiefen, sexy Stimme. »Sie sind verbunden mit dem luxuriösen Unterschlupf von Dr. Phang, dem Liebesdoktor. Sag mir, wo es wehtut, Baby.«
»Toni", sagte Dougal leise. »Du solltest den Anrufbeantworter tagsüber nicht anstellen. Wir wollen nicht, dass jemand glaubt, das Haus wäre leer.«
»Ich weiß.« Sie schlüpfte mit den Armen in ihre Jacke. »Aber...«
»Nein, Travis, kein Interesse.« Phineas knallte den Hörer auf. »Mist.«
Toni schnaufte. »Verstehst du, was ich meine? Deshalb hat Howard gesagt, ich darf den Anrufbeantworter einschalten.« Sie schwang ihre Handtasche über ihre Schulter. »Bis später, Jungs.«
»Wohin gehst du?«, wollte Ian wissen.
Als hätte sie nichts gehört, schlenderte sie seelenruhig aus der Küche. Die Tür schwang hinter ihr zu.
»Verdammter Mist", knurrte Ian. Er schluckte den Rest seines kalten Frühstücks und stellte die Flasche dann auf dem Weg zur Küchentür in die Spüle.
»Ian.« Dougal hielt ihn auf. »Verjag sie nicht. Wir brauchen dringend mehr sterbliche Wachen, denen wir vertrauen können.«
Er zeigte auf sein T-Shirt. »Wie kommst du darauf, dass wir ihr vertrauen können?«
»Sie ist eine gute Kämpferin, und sie hat einen guten Grund, die Malcontents zu hassen", antwortete Dougal.
»Und sie hat uns nicht im Schlaf umgebracht", fügte Phineas hinzu. »Noch nicht.«
»Wie beruhigend.« Ian folgte ihr ins Foyer und fand Toni an der Eingangstür, wo sie gerade den Sicherheitscode in das Nummernfeld eingab. »Du kannst nicht gehen.«
»Und warum nicht? Ich habe keinen Dienst.« Der Code war eingegeben und sie fasste nach dem Türgriff.
»Ich muss mit dir reden.«
»Ich will aber nicht.« Sie deutete auf den Anrufbeantworter. »Da drauf sind mehrere Hundert Frauen, die wollen.«
»Du übertreibst.«
Warum war dieser Mann nur so ungläubig? Sie drückte auf einen Knopf des Anrufbeantworters, und eine elektronische Männerstimme ertönte.
»Sie haben dreihundertundvierzehn Nachrichten.«
Ian stand der Mund offen.
Mit einem spöttischen Lächeln schickte sie sich an, endlich das Haus zu verlassen. »Du solltest dich an die Arbeit machen. Es wird Stunden dauern, bis du sie alle zurückgerufen hast.«
»Ich werde sie einfach löschen.«
Sie drehte sich langsam zu ihm um. »Du wirst sie nicht beantworten?«
»Sie haben tagsüber angerufen, also müssen es allesamt Sterbliche sein.«
»Lieber Gott, du bist so ein arroganter Snob!«
Er versteifte sich. »Das hat nichts mit Arroganz zu tun. Es ist die Realität.«
»Deine Realität! Du denkst, du bist zu gut für einfache Sterbliche.«
»Bilde dir nicht ein, zu wissen, was ich denke.«
»Gut. Bleiben wir bei den Fakten. Das sind echte Menschen, die angerufen haben, mit echten Gefühlen. Nur ein aufgeblasener Affe würde nicht so höflich sein, ihnen wenigstens zu antworten.«
Er machte einen Schritt auf sie zu. »Erteil mir keine Lektionen in Höflichkeit, solange du so einen Mist auf mich schreibst, während ich schlafe.«
»Ich war wütend!« Sie ging ebenfalls auf ihn zu. Ihre Wangen waren schon wieder gerötet. »Ich musste mir stundenlang von Leuten ›Ooh, Ian ist so heiß‹ vorstöhnen lassen. Du kannst froh sein, dass ich nur auf dein T-Shirt geschrieben habe. Fast hätte ich mich darauf übergeben!«
Es fiel ihm schwer, sich auf ihre Worte zu konzentrieren, weil ihr rasendes Blut ihm in die Nase stieg und ihr pochendes Herz in seinen Gedanken trommelte. Allein der Blick in die grünen Tiefen ihrer Augen betäubte ihn schon. Der Duft ihres Blutes vermischte sich mit dem ihrer Haare und ihrer Haut, und er hatte noch nie eine so süße Luft eingeatmet.
Sie trat einen Schritt zurück. »Alles in Ordnung? Deine Augen sehen irgendwie komisch aus.«
Es war höchste Zeit, wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Warum hatten die ganzen Anrufe sie wütend gemacht? Dann kam ihm plötzlich eine Idee. »Du warst eifersüchtig.«
»Was?«, prustete sie. »Mach dich nicht lächerlich.«
Er zeigte auf die Worte auf seiner Brust. »Dir hat nicht gefallen, dass andere Frauen mich als Hengst bezeichnet haben.«
»Die haben dich nie als...« Sie zuckte zusammen. »Ich muss gehen.« Sie drehte sich zur Tür.
Er folgte ihr. »Dann war der Hengst deine Idee?«
»Es war nicht als Kompliment gemeint", murmelte sie.
»Aber es ist schon deine ehrliche Meinung, oder?«
Sie griff nach dem Türknauf. »Ich habe Dinge zu erledigen und Orte zu besuchen.«
Damit sie nicht gleich rausstürmen konnte, legte er eine Hand an die Tür. »Zum Beispiel?«
»Geht dich nichts an.«
Sein Lächeln verblasste. »Du hast mir nie deinen vollen Namen verraten. Oder warum du uns beschützt.«
»Ich habe doch gesagt, gute Bezahlung und freie Kost und Logis.«
»Und ich habe gesagt, dass ich dir nicht vertraue. Du hast etwas zu verbergen.«
In ihren Augen funkelte Wut. »Ich habe einen Schwur abgelegt, um deine egoistische Haut zu bewahren.«
»Warum willst du uns beschützen, obwohl du uns nicht leiden kannst?«
Sie hob eine Augenbraue. »Vielleicht kann ich nur dich nicht leiden.«
Sein Blick wanderte über ihr Gesicht, dann hinab zu ihrer hüftlangen Jacke und den engen Jeans. »Ich merke, wenn du lügst, Kleine. Ich kann hören, wie dein Herz rast, und das Blut riechen, das dir ins Gesicht schießt.«
Röte überzog augenblicklich ihre Wangen. »Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.«
»In Ordnung. Dann bleibt mir keine andere Wahl, als eine Untersuchung für dich anzusetzen.« Das Telefon klingelte und lenkte ihn ab. »Geh noch nicht", warnte er sie, ehe er sich dem Telefon zuwendete.
Toni schluckte frustriert. Mit einer ungeduldigen Handbewegung zog sie ihre Haare aus dem Schal, der sie bisher umfangen hatte. Die goldenen Strähnen ergossen sich förmlich um ihre Schultern. Irgendwie gelang es ihr, diese einfache Bewegung anmutig und schön aussehen zu lassen.
Der Anrufbeantworter sprang an, und eine Frauenstimme schallte durch das Foyer. »Ian, ich habe gerade dein Profil gelesen, und ich würde mich gerne mit dir treffen. Bist du da? Geh ran!«
Er griff nach dem Hörer, dann zögerte er.
»Was ist los?«, fragte Toni.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Wie wäre es mit ›Hallo‹?«
Die Anruferin hinterließ Namen und Telefonnummer.
»So einfach ist das nicht.« Ian konnte nicht sagen, ob die Frau ein Vampir war, und das war auch nichts, was man einfach so fragen konnte. Mist. Er musste tatsächlich alle Frauen treffen, die nach Einbruch der Dunkelheit anriefen. Sobald er sie sah, würde er wissen, ob sie lebendig waren oder untot. Aber was, wenn es Hunderte von ihnen waren?
Die Frau legte auf, und das Telefon klingelte erneut.
Hilflos fuhr er sich mit der Hand durch die Haare. »Das geht zu weit. Ich hätte Vanda das nie tun lassen dürfen.«
»Vanda?«, fragte Toni. »Noch eine Geliebte?«
»Eine Freundin. Sie hat mein Profil geschrieben und mich auf dieser Dating-Seite eingetragen. Sie wollte nur helfen, aber...«
»Was?« Toni kam auf ihn zu. »Du hast dein Profil nicht selbst geschrieben?«
Noch eine Frauenstimme erklang auf dem Anrufbeantworter.
Ian drehte den Ton leise, um zu hören, was Toni sagte. »Ich habe es Vanda schreiben lassen. Sie hat gesagt, sie weiß, was Frauen hören wollen. Ich nehme an, das tut sie wirklich, so viele, wie anrufen.«
Toni rümpfte ihre Nase. »Da steht nichts, was ich gerne hören würde. Ich habe im ganzen Leben noch nicht so einen Mist gelesen.«
»Du hast mein Profil gelesen?«
Sie strich sich ihr Haar hinter ein Ohr. »Ich war neugierig. Ich meine, Hunderte von Frauen haben hier angerufen. Ich wollte wissen, was die so angetörnt hat.«
»Und du findest, es ist Mist?«
»Natürlich. ›Meine wahre Liebe wird wie eine strahlende, sternengekrönte Prinzessin in meinem verzauberten Highlandschloss leben. Und ich bin ihr ergebener Liebessklave, der jeden ihrer Wünsche erfüllt, bis sie von Wellen der sinnlichen Lust überflutet wird.‹ Oh, welch Entzücken! Oh, welch Ekstase! Oh, mir wird schlecht!« Toni zeigte auf ihren Mund, als wolle sie sich zum Erbrechen bringen.
Ian zuckte zusammen. Vandas Worte klang etwas übertrieben, aber Tonis Reaktion darauf schien ihm genauso übertrieben. »Es ist sehr interessant, dass du dich noch an den genauen Wortlaut erinnerst. Ich bin geschmeichelt, anscheinend hast du den Text auswendig gelernt.«
Völlig perplex sperrte sie ihren Mund auf und schloss ihn dann mit einem Schnappen. »Du hättest Vanda einiges zusammenstreichen lassen sollen. So, wie es jetzt klingt, ist es nicht sehr... männlich.«
Er hob eine Augenbraue. Wollte sie ihn schon wieder ärgern? »Ich sehe es mir heute Abend an.«
»Hast du es noch nicht gelesen?«
»Nay.« Er zuckte mit einer Schulter. »Ich bin mir sicher, Vanda hat bessere Arbeit geleistet, als ich es je könnte.«
Toni sah ihn misstrauisch an. »Die Bescheidenheit sieht dir nicht ähnlich.« Plötzlich weiteten sich ihre Augen. »Oh du meine Güte, hast du etwa Angst davor, dich zu verabreden?«
Das war ja das Problem. Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. »Es ist... schwer zu erklären.«
»Wie kannst du deswegen nervös sein? Verführst du die Frauen nicht schon seit Jahrhunderten auf der Jagd nach ihrem... Blut?«
»Das war etwas anderes. Jetzt bin ich auf der Suche nach meiner wahren Liebe, nach der Frau, die ich heiraten und mit der ich den Rest meines Lebens verbringen werde. Ich bin mir nicht sicher, wie ich das anstellen soll oder wie ich die richtige finde. Die Auswahl ist schon jetzt etwas unübersichtlich.«
»Ja, die Dating-Szene ist hart.« Sie sah ihn mitfühlend an. »Aber du solltest dir keine Sorgen machen. Du schaffst das. Du brauchst nur ein wenig Übung. Letzte Nacht, als du mit mir geflirtet hast, war das richtig gut.«
»Hat es dir gefallen?«
Ihr Blick wurde undurchdringlich. »Das würde ich so nicht sagen.«
Ian legte den Kopf zur Seite. »Du bist eine Frau.«
»Brillant, Sherlock. Du musst ein professioneller Detektiv sein.«
»Das bin ich wirklich. Das ist mein Spezialgebiet.« Er bemerkte den misstrauischen Blick, der ihr plötzlich in die Augen trat. Machte sie sich Sorgen, dass er etwas über sie herausfinden könnte? »Du hast gesagt, ich brauche mehr Übung. Könntest du mein Versuchsobjekt sein?«
Hastig blickte sie zur Tür. »Ich wollte gerade weg.«
»Es dauert nur ein paar Minuten.« Er deutete auf die Empfangshalle. »Ich würde es wirklich zu schätzen wissen.«
Wie sich jetzt die Zahnräder hinter ihren hübschen grünen Augen bewegten, konnte er regelrecht sehen. Vielleicht vergaß er es, wenn sie nett zu ihm war und ihm den Gefallen tat, Nachforschungen über sie anzustellen? Pustekuchen. Sie war viel zu interessant.
»Ein paar Minuten kann ich wohl erübrigen.« Sie schlenderte langsam auf das Empfangszimmer zu.
»Danke.« Er wartete, während sie ihre Handtasche auf der Couch ablegte und dann ihre Jacke auszog. Als sie sich auf den Rand des Sofas niedergelassen hatte, setzte er sich neben sie.
Misstrauisch sah sie ihn an. »Ich bin mir nicht sicher, ob das hier nötig ist. Letzte Nacht hast du wie ein Profi geflirtet.«
»Ich habe nicht gemerkt, was ich gemacht habe, bis du es mir gesagt hast. Ich muss von all den anderen Gefühlen abgelenkt gewesen sein.« Wie Argwohn. Und Lust.
»Dann ist wahrscheinlich alles in Ordnung, solange du dir nur nicht zu viele Gedanken machst.«
»Vielleicht. Oder es ist bei dir einfacher, weil es egal ist.«
Was sollte das jetzt schon wieder? »Weil ich eine Sterbliche bin und unter deiner Würde?«
»Nay!« Warum war sie, was das anging, bloß so empfindlich? Hatte jemand in der Vergangenheit ihr Selbstbewusstsein zerstört? »Toni, ich kenne dich kaum, aber ich kann an dir absolut nichts Unwürdiges erkennen. Jeder Mann wäre gesegnet und geehrt, von dir geliebt zu werden.«
Sie riss die Augen weit auf.
»Ich meinte nur, dass wir uns keine Gedanken darüber machen müssen, wie wir füreinander fühlen. Es ist egal, weil wir keine Beziehung eingehen können. Das wäre gegen die Regeln.«
»Richtig.« Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Okay. Da es mich ja auf keinen Fall beeinflussen kann, zeig, was du kannst. Versuch es mit deinem besten Mojo.«
Mojo? Was zur Hölle sollte das sein?
Sie wendete sich ihm zu. »Du siehst mich in einer Bar. Ich bin eine sexy Vampirlady mit einem prächtigen Paar... Zähne. Also mach deinen ersten Schritt...« Sie sah ihn erwartungsvoll an.
Geschmeidig und charmant. So hatte es bei Jean-Luc funktioniert. »Guten Abend, Miss. Sie sehen heute Abend wirklich bezaubernd aus.«
»Danke.« Sie kniff die Augen zusammen. »Schönes Wetter heute.«
»In der Tat. Vielleicht etwas kühl.«
»Ja wirklich, Mr. Darcy. Ich fürchte, die Schafe auf dem Moor werden ins Zittern kommen.« Sie schnitt ihm eine Grimasse. »Aus welchem Jahrhundert kommst du?«
»Aus dem sechzehnten, aber ich habe mich über die Zeit angepasst.«
Sie schnaufte ungläubig. »Nicht genug. Du bist immer noch ungefähr zweihundert Jahre zu spät.«
»Ich habe versucht, charmant zu klingen.«
»Niemand will mehr einen Märchenprinzen. Hast du nie Shrek gesehen?«
Er hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. »Ich dachte, Charme kommt nie aus der Mode. Bei Jean-Luc hat es funktioniert.«
»Ich kenne ihn nicht. Okay, du musst einfach moderner klingen. Hipper. Versuch es noch einmal.«
Er suchte nach den richtigen Worten. »Yo, Hot Mama, wie wär's mit uns?«
Sie platzte fast vor Lachen. »Jetzt klingst du wie Phineas, nur, dass du auch noch schottisch sprichst. Oh Gott, dein Akzent ist so lustig.«
»Danke.« Er sah sie verlegen an. »Vielleicht kann ich mir durch falsche Betonung die Zuneigung einer Frau erschleichen.«
Toni grinste. »Du klingst immer noch altmodisch.«
»Ist das so schlimm?«
Sie legte den Kopf zur Seite und dachte darüber nach. »Ich nehme an, das kommt auf das Mädchen an. Einige Mädchen mögen es, wenn der Mann ihnen die Tür aufhält. Aber viele moderne Frauen finden dieses höfliche Benehmen eher frech. Wir können die blöden Türen selber aufmachen. Halte uns niemals für das schwächere Geschlecht.«
»Dann missverstehst du meine Absichten. Ich würde die Tür aus Respekt aufhalten, nicht aus Verachtung.«
»Aber hast du wirklich Respekt vor Frauen? Sind wir nicht jahrhundertelang dein Abendessen gewesen?«
»Ich würde es so sagen: Ihr wart meine Rettung. Ich hätte ohne euch nie überleben können.«
Erstaunt starrte sie ihn an. »Wir sehen die Dinge so was von unterschiedlich.«
»Das macht es für mich nur noch faszinierender.« Er sah ihr in die Augen und fand dort eine Mischung aus Gefühlen, die miteinander rangen. Sie war so schön. So entschlossen, stark zu sein und ihre Wunden zu verbergen. Würde es ihr Angst machen, wenn sie wüsste, wie stark er sich zu ihr hingezogen fühlte? »Ich würde dir nie schaden, Mädchen. Ich hoffe, das weißt du.«
Sie setzte sich plötzlich ein Stück zurück und wendete ihren Blick ab. »Hast du Gedankenkontrolle bei mir benutzt?«
»Nein.«
»Warum bin ich dann...« Sie sah ihn misstrauisch an. »Egal.«
Spürte sie es auch? Diese seltsame Anziehung zwischen ihnen. Er streckte einen Arm auf der Sofalehne aus. »Erzähl mir, Toni, wenn man mit einem modernen Mädchen ausgeht, ist es dann in Ordnung, sie bei der ersten Verabredung zu küssen?«
Sie zog ihre Handtasche auf ihren Schoß. »Ein Kuss auf die Wange wäre in Ordnung. Oder ein schneller Abschiedskuss.«
»Was, wenn ich mehr will?«
Ihre Wangen röteten sich. »Wenn du gleich mit ihr ins Bett willst, musst du das selber wissen.«
»Ich meinte nur einen längeren intensiveren Kuss. Aber wenn du mich unbedingt sofort ins Bett schleifen willst...«
»Ich glaube, du hattest genug Übung.« Sie sprang auf und zog ihre Jacke an.
Er stand ebenfalls auf. »Danke. Das war sehr lehrreich.«
»Klar.« Sie schwang ihre Handtasche über die Schulter. »Glaub mir, du wirst keine Probleme beim Verabreden haben.« Sie hielt auf die Eingangstür zu.
»Das ist gut. Ich habe heute Abend zwei Verabredungen.«
Schnell fuhr sie herum. »Zwei?«
War sie eifersüchtig? »Die Nächte sind lang. Wir sehen uns morgen früh vor Sonnenaufgang. Wir müssen immer noch reden.«
Sie schüttelte den Kopf und griff nach dem Türknauf. »Es gibt nichts zu reden.«
»Ich habe Fragen, auf die ich eine Antwort brauche.«
»Du bist zu neugierig.«
»Wenn du nicht mit mir reden willst, muss ich eigene Nachforschungen anstellen.«
In ihren Augen blitzte Wut. »Warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?« Sie verließ das Haus und knallte die Tür hinter sich zu.
Das war eine gute Frage. Er hatte heute Nacht zwei Verabredungen und jede Menge Anrufe zu beantworten. Aber aus irgendeinem Grund konnte er Toni nicht in Ruhe lassen. Sie füllte seine Gedanken. Er begehrte sie, aber es war mehr als nur Lust. Sie war ein Rätsel. Ein schönes kluges Rätsel. Und es machte verdammt viel Spaß, mit ihr zu flirten.
Er teleportierte sich in den obersten Stock, um zu duschen und sich umzuziehen. Zuerst würde er Romatech einen Besuch abstatten, um sich mit Connor zu treffen und seine Nachforschungen zu beginnen. Er hatte noch einige Stunden totzuschlagen, ehe er seine Verabredungen im Horny Devils hatte.
Im Badezimmer zog er sich das T-Shirt über den Kopf und starrte die Worte an, die Toni dort geschrieben hatte. Konnte sie wirklich eifersüchtig sein, weil so viele Frauen ihn begehrten? Oder wollte er nur, dass sie eifersüchtig war? Eines war jedenfalls sicher. Dieser schöne weibliche Wachposten hatte ihn vollkommen in seinen Bann gezogen.
Angus MacKays oberste Regel spulte sich in seinem Hinterkopf ab. Ein Wachposten darf sich nie mit seinen Schützlingen einlassen. Sie war verboten. Sie war sterblich.
»Verdammt noch mal.« Er warf das T-Shirt in den Müll.