Kapitel 26:

Wut & Trotz

 

 


Elysa beobachtete gespannt, wie Darian einen der schweren Vorhänge beiseiteschob und eine kleine Tür enthüllte. Verborgen hinter dem roten Samtstoff und einem breiten Ohrensessel war sie beinahe unsichtbar. Darian griff nach der zierlichen Klinke und öffnete sie. Als er sich zu Elysa umdrehte, grinste er breit.

»Ich wusste, er muss hier irgendwo sein.«

»Was ist das?«

»Im gesamten Schloss befinden sich Dienstbotengänge. Die meisten werden nur noch selten genutzt.« Wie um seine Aussage zu untermalen, griff er hinein und streifte mit angewidertem Gesichtsausdruck einige Spinnweben an seiner Hose ab.

Elysa nickte. »Ich weiß.« Sie dachte an den Weg, den ihr Calypso gezeigt hatte.

Fragend hob Darian die Augenbrauen, sagte jedoch nichts.

Sie befanden sich in einer kleinen Kammer, die offensichtlich dem Personal gehörte. Es standen zwei schmale Betten in dem Raum, ein spärlicher Holzschrank und der Sessel. Mehr Einrichtung wäre bei den geringen Platzverhältnissen auch kaum möglich.

Darian begann den oberen Rand des Durchgangs abzutasten. »Hier muss doch irgendwo …« In diesem Moment hellte sich seine Miene auf.

Klick.

Flackernd erleuchtete ein Licht den Tunnel.

»Die Leitungen scheinen durch das Erdbeben nicht beschädigt worden zu sein.« Er grinste breit.

»Fantastisch«, murmelte Elysa.

»Höre ich da etwa eine Spur Ironie?«, fragte Darian vergnügt und blickte in das Innere des Ganges.

»Mag sein.« Elysa fühlte sich unbehaglich. »Gibt es keinen anderen Weg?«

»Für jemanden, der gerade über einem schmalen Fenstersims geflohen ist, stellst du dich ganz schön an, meinst du nicht?«

Elysa warf ihm einen finsteren Blick zu.

»Jetzt komm. Wir haben keine Zeit für Anstellerei.« Mit diesen Worten verschwand er in dem Tunnel. Elysa seufzte und folgte ihm.

Man kam nur gebückt voran. In regelmäßigen Abständen waren Leuchtstoffröhren angebracht, die teilweise flackerten. Ständig verfingen sich Spinnweben in Elysas Haaren, kitzelten sie an der Nase. Insgeheim betete sie, dass keiner der achtbeinigen Bewohner den Weg zu ihr fand.

»Bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind?«, flüsterte Elysa. Unbehagen kroch ihren Rücken hinauf und sammelte sich zu einem prickelnden Knoten in ihrem Nacken.

Im selben Moment blieb Darian stehen, drehte sich halb zu ihr um und lächelte. »Jupp.«

Der schmale Gang mündete in einen weiteren. Er war breiter und höher, sodass man aufrecht stehen konnte.

»Siehst du?« Er deutete auf zwei von Schmutz beschmierte Hinweisschilder. Auf dem, das nach rechts deutete, war gerade noch so »Bienenkönig« zu lesen, während man auf dem nach links Gerichteten aus »Kü..e« mit Not das Wort Küche formen konnte.

»Perfekt«, sagte Darian. »Dann wollen wir mal.«

Von hier an war der Weg nicht mehr so beschwerlich und sie kamen gut voran. Immer wieder hallten Schüsse durch das Gemäuer, die dafür sorgten, dass die beiden kurz verharrten oder besorgte Blicke austauschten.

»Was, wenn sie schon längst beim König sind?«, fragte Elysa nach einer Weile.

Darian brauchte einen Moment, bis er antwortete. »Hoffen wir einfach, dass es nicht so ist.« Er klang besorgt, was Elysas eigenes Unwohlsein noch steigerte. Sie beschleunigte ihre Schritte.

»Dann sollten wir uns beeilen.«

Das Ende des Tunnels markierte eine weitere Tür, die mit einem kleinen Haken verschlossen war. Darian schob ihn nach oben und drückte dann vorsichtig gegen das Holz. Erst spähte er hinaus, dann schob er sie auf. Sie landeten direkt auf dem goldenen Flur vor den breiten Flügeltüren. Dahinter lag der königliche Trakt.

»Alles ruhig«, flüsterte Darian und Elysa nickte.

»Bedeutet das, wir kommen rechtzeitig?«

»Ich denke schon.«

Sie steuerten sofort den Eingang zum Königstrakt an und Elysa griff, ohne zu zögern, nach der Kordel. Das dumpfe Klingeln schallte durch die Räumlichkeiten dahinter. Nichts geschah. Unruhig blickte sich Elysa um.

»Klingel noch mal«, forderte Darian sie auf. Wieder das Läuten und dann Stille.

»Wir sind zu spät«, flüsterte Elysa. Ihr Unterbewusstsein malte düstere Bilder von Dingen, die Calypso geschehen sein könnten.

»Wer ist da?!«

Elysas Herz rutschte ihr sprichwörtlich in die Magengegend, als die vertraute Stimme durch die Tür drang.

»Calypso, hier ist Elysa!«, rief sie merkwürdig lachend.

»Elysa?«

»Ja! Mach auf!«

Sie schenkte Darian ein erleichtertes Lächeln, das er mit einer merkwürdigen Grimasse erwiderte. Erst geschah nichts, dann begann sich die Tür zu öffnen. Elysa wartete nicht, bis er sie eigenständig aufgeschoben hatte, sondern griff danach und half ihm. Als der Spalt groß genug war, schob sie sich dazwischen und fiel Calypso um den Hals. Er hielt sie fest. »Was machst du hier?«, murmelte er.

»Ich will dir helfen.«

»Mir helfen?« Er schob sie leicht von sich und betrachtete sie fragend.

»Im Palast passiert irgendwas. Männer sind zu dir unterwegs.« Ihre Stimme überschlug sich beinahe.

»Wirklich? Ich habe Anweisung, hierzubleiben und niemanden hereinzulassen. Das gesamte Wachpersonal ist weg.«

Elysa bemerkte im Augenwinkel, wie Darian lautlos zu lachen begann und den Kopf schüttelte. Sie warf ihm einen finsteren Seitenblick zu.

»Wer ist das?« Augenblicklich ließ Calypso sie los und musterte Darian kühl.

»Er ist ein Freund von mir.«

»Was?« Wut zeichnete Calypsos Züge. Er trat noch weiter von ihr zurück.

Darian stöhnte. »Krieg dich ein. Ich habe keinerlei Interesse an Elysa und wir wollen dir tatsächlich nur helfen.« Mit großen Schritten betrat Darian den Königstrakt. Calypsos Gesichtsmuskulatur zuckte, während er Darian dabei beobachtete, wie er die Tür von innen verschloss. Dennoch widersprach er nicht, auch wenn er noch immer wütend aussah.

»Und jetzt?«

»Jetzt sagt ihr mir erst mal, was das alles soll?«, knurrte Calypso. Dabei blickte er Elysa an, die zurückzuckte unter seinem harschen Ton.

»Wo befindet sich dein Fluchtweg?«, fragte Darian, ohne auf ihn einzugehen.

»Ich hätte erst gerne eine Antwort auf meine Frage.« Calypso verschränkte die Arme vor der Brust. Er war ein wenig größer als Darian und hatte eine stabilere Statur.

Darian war so schnell bei ihm, dass Elysa erschrocken zusammenfuhr. Er packte Calypso an seinem feinen Hemd und drückte ihn fest gegen die Wand. Selbst Calypso schien die Kraft des anderen zu überraschen, denn ihm entwich nur ein perplexes Japsen. »Hab ich mich irgendwie unklar ausgedrückt?«

Der König knurrte und stieß Darian so fest von sich, dass er rückwärts taumelte. Gerade als er wieder in Calypsos Richtung stürmen wollte, stellte sich Elysa zwischen die beiden. »Es reicht!«

Wuterfüllt stierten sich die Männer an. Doch keiner von beiden rührte sich.

»Wenn er uns nicht sagt, wo der Ausgang ist, haben wir keine Chance«, brachte Darian gepresst hervor. »Es kann nicht mehr lange dauern, bis sie hier sind.«

»Wer?«, grollte Calypso.

Elysa seufzte. »So kommen wir nicht weiter.« Sie blickte Calypso flehend an. »Jemand ist in den Palast eingedrungen, wir wissen nicht, wer, doch er hat die Bienen gefangen genommen. Es liegt nahe, dass sie auch zu dir wollen, also müssen wir dich hier rausschaffen.«

»Ich kann mir ganz gut selbst helfen, danke«, knurrte Calypso mit düsterer Miene.

»Ach, der große König möchte unsere Hilfe also nicht«, frotzelte Darian, was dazu führte, dass Calypso nun versuchte, in seine Richtung zu stürmen.

»Aufhören!«, rief Elysa. Dann blickte sie Darian an. »Welchen Ausgang meinst du?«

»Es gibt einen, der unter der Erde aus dem Schloss führt. Er ist einzig über diese Räumlichkeiten zu erreichen und man kann ihn von innen her verriegeln, sodass uns keiner folgen kann.«

Erwartungsvoll blickte sie Calypso an, der noch immer nicht danach aussah, als wollte er mit ihnen flüchten. »Weißt du, wo der ist?« Es schmerzte, dass die Wärme aus seinen Augen verschwunden war.

»Natürlich.«

»Und sagst du es uns?«, fragte Darian genervt.

»Du bist einer von meinen Dienern«, sagte der und musterte Darian noch eine Spur abfälliger. Statt einer Antwort tippte sich Darian mit zwei Fingern gegen die Stirn und vollführte dabei einen angedeuteten Knicks. Diese Bewegung hatte so viel Spott inne, dass Elysa augenblicklich übel wurde.

»Darian!«, fauchte sie. Er blickte sie überrascht an. »Es reicht jetzt!«

Calypso hob die Augenbrauen und schüttelte den Kopf. In diesem Moment war Elysa froh, dass er nicht ein weiteres Mal versuchte auf Darian loszugehen. Sie hätte es ihm nicht einmal übel nehmen können.

»Calypso, bitte, wir …«

Jemand stieß fest gegen die mächtigen Flügeltüren. Sie zitterten, doch der massive hölzerne Riegel hielt problemlos stand.

»Wir haben keine Zeit.« Darian ging zurück zu der Tür und schaute Calypso herausfordernd an. Seine Arme verschränkte er stur vor der Brust. »Wenn du uns jetzt nicht sagst, wo dein Fluchtweg ist, dann mache ich auf und überlasse es den Männern, was sie mit dir anstellen.«

»Dann bist du selbst genauso aufgeschmissen wie ich.«

»Das bin ich anscheinend so oder so.« Darian umfasste den Riegel.

Elysas Herzschlag geriet ins Stocken. »Calypso! Bitte!« Sie sah ihn flehend an, trat näher zu ihm und legte ihre Hände auf seinen Brustkorb.

»Vertraust du ihm?«

»Ja.«

Calypso seufzte. »Kommt mit!«

Sie liefen durch den Speisesaal und betraten durch eine weitere Tür eine kleine Küche. Offensichtlich war sie lediglich mit dem Nötigsten ausgestattet, diente wohl nur dem Warmhalten der Speisen. Doch sie verharrten hier kaum, sondern liefen in ein weiteres Zimmer, welches mit einem kleinen Bett und einem Nachttisch versehen war, mehr nicht. Elysa blickte sich fragend um.

»Für den Nachtbuttler«, erklärte Calypso, als er ihren Blick bemerkte.

Darian lachte höhnisch auf, was ihm einen weiteren verärgerten Blick von Calypso einbrachte. Der zog gerade einen Teppich beiseite, der am Boden lag, und enthüllte eine viereckige Luke. Sie war golden oder zumindest war das Metall vergoldet. Das Wappentier, die Biene, war eingraviert und darunter befand sich ein kleines Loch, das wohl für einen Schlüssel vorgesehen war.

»Das ist es?«, fragte Elysa und Calypso nickte. Noch immer dröhnten die Geräusche der Eindringlinge, durch den Königstrakt.

Mit grimmiger Miene ging Calypso in die Knie und beförderte den kleinen goldenen Schlüssel zum Vorschein, der an einer Kette befestigt war. Ohne zu zögern, schob er ihn in das kleine Schlüsselloch und drehte ihn. Es klickte mehrmals, dann sprang die Luke ein Stück auf. Sie protestierte quietschend, als Calypso sie öffnete. Eine Leiter führte in absolute Dunkelheit.

»Gibt es kein Licht?«, fragte Elysa skeptisch.

»Unten befindet sich ein Schalter«, sagte Calypso, der genauso unwillig aussah, wie Elysa sich fühlte.

»Dann wollen wir mal, oder?«, sagte Darian unbeeindruckt. »Eure Majestät.« Er deutete auf den Abstieg.

Calypso ballte die Hände zu Fäusten. »Du zuerst.«

»Möchtest du jetzt ernsthaft mit mir streiten?«

»Wenn es sein muss.«

Elysa stieß einen entnervten Laut aus. »Ich gehe als Erste!«

Die beiden jungen Männer tauschten finstere Blicke. Dann nickte Darian Elysa zu. »Wir haben nicht mehr viel Zeit«, drängte er.

Kaum war sie am Ende der Leiter angekommen, ertastete sie an der Wand den erwähnten Lichtschalter. Flackernd wurde der Raum erhellt, Calypso folgte. Bevor Darian hinabstieg, schloss er die Luke über einen Drehmechanismus, der sich zunächst nur schwergängig bewegen ließ. Schließlich stieg er hinab und lächelte zufrieden. »Jetzt kann uns keiner folgen.«

»Ob das gut ist, weiß ich noch nicht«, knurrte Calypso und warf Darian einen feindseligen Blick zu.

»Alles wird gut«, sagte Elysa, erntete jedoch nur einen Blick unter hochgezogenen Augenbrauen.

Darian seufzte. »Sei froh, dass wir dich da weggeholt haben.«

»Dafür hätte ich euch nicht gebraucht. Du kannst vielmehr froh sein, dass ich dich nicht da oben gelassen habe.«

»Kaum zu fassen«, stöhnte Darian und schüttelte den Kopf.

Elysa keuchte. »Wenn ihr nicht endlich aufhört, steige ich da freiwillig wieder rauf.«

Calypso lachte freudlos auf, Darian schwieg.

»Wohin jetzt?«, fragte Elysa. »Dort entlang?«

Vor ihnen lag ein Tunnel, der mit weißen Fliesen belegt war. Grelle Neonröhren sorgten für Helligkeit.

»Ich würde behaupten, es mangelt an Alternativen«, knurrte Calypso.

 

Der Gang verlief gerade. Mit jedem Meter, den sie zurücklegten, wurde es ein wenig kälter. Sie redeten nicht miteinander. Liefen nur immer weiter geradeaus. Wie lange waren sie schon unterwegs? Eine halbe Stunde? Eine Stunde? Elysa hatte jedes Zeitgefühl verloren. Sicherlich hatten sie das Schlossgelände längst verlassen und mussten sich unterhalb der Wabe befinden. Immer wieder blickte Elysa zu Calypso, der jedoch stur einen Punkt in der Ferne fixierte. Der Versuch, nach seiner Hand zu greifen, scheiterte, als er sie zurückzog. Er war sauer auf sie. Doch in Darians Gegenwart wagte sie es nicht, ihn darauf anzusprechen.

»Wohin führt der Weg eigentlich?«, fragte sie vorsichtig und unbestimmt an beide gerichtet.

»Man weiß es nicht genau. Die Aufzeichnungen sind aus Sicherheitsgründen sehr vage. Er müsste aber rein vom Logischen her in der Nähe der Mauer enden«, brachte Calypso zähneknirschend hervor.

Elysa nickte und blickte zu Darian. »Was machen wir, wenn wir am Ausgang ankommen?«

Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, das überlege ich mir dann.« Eine Antwort, die ein ungutes Gefühl in ihrem Inneren weckte.

Elysa wandte den Blick von Darian ab und ließ ihn in die Ferne schweifen. Sie kniff die Augen zusammen. »Seht ihr das?«

»Wie es aussieht, haben wir es fast geschafft«, sagte Darian und nickte zustimmend. In einiger Entfernung vor ihnen schien der Gang zu enden. Elysa atmete erleichtert aus. Sie war froh, den beklemmenden Tunnel endlich hinter sich zu lassen.


Das grelle Licht blendete sie, als sie durch die massive Metalltür ins Freie traten. Tatsächlich befand sich der Ausgang direkt an der Mauer, die Wabe 21 vom Exil abteilte. Um sie herum wuchsen einige Büsche und Sträucher. Bäume ragten in die Höhe. An dieser Stelle herrschte absoluter Wildwuchs. Erst in der Parkanlage, die direkt hinter diesem Abschnitt lag, ging es geordneter zu. Sie hatten durch den langen Tunnel tatsächlich die gesamte Stadt umgangen.

Schützend legte sich Elysa die Hand über die Augen, um sie vor der Sonne zu schützen. Sie inhalierte die frische Luft.

»Geschafft«, murmelte sie und drehte sich zu den beiden um. Calypso stand mit verschränkten Armen neben ihr, während Darian noch damit beschäftigt war, die Tür wieder zu verriegeln.

»Was hätte auch passieren sollen?«, knurrte Calypso.

»Oh Eure Hoheit! Hier draußen kann einem einiges passieren. Wir haben euch schon erwartet.«

Elysa fuhr herum. Es waren insgesamt vier der rotgepanzerten Männer, die aus dem Gebüsch traten, ihre Waffen im Anschlag.

»Nein«, wisperte Elysa. Sie wich zurück.

Einer der Männer grinste. In ihren Anzügen waren sie kaum voneinander zu unterscheiden. »Ihr habt ganz schön lange gebraucht.«

»Ich weiß. Es gab … Verzögerungen.«

Elysas Herz stockte, als Darian vortrat und dem Mann antwortete. Fassungslos blickte sie ihn an. »Du …«

Doch Darian reagierte nicht. »Wie sieht es aus?«, fragte er stattdessen einen der Männer.

»Ich habe es gewusst«, knurrte Calypso und zog Elysa schützend an sich. Fassungslos starrte sie zu Darian.

»Noch können wir das Loch in der Wand offen halten, aber wir wissen nicht, bis wann. Sie sind verdammt stark.«

»Dann müssen wir uns beeilen«, entgegnete Darian und nickte ernst.

»Du …«, wiederholte Elysa und starrte ihn ungläubig an.

Im selben Moment stürzte Calypso los, riss sie mit sich. Elysa entfuhr ein spitzer Schrei, als ein Schuss erklang. Wie in Zeitlupe erstarrte Calypsos Körper im Lauf und landete schlaff neben ihr am Boden. Elysas Herz stolperte, ihr Atem stockte. Fassungslos starrte sie auf den zusammengekrümmten Körper am Boden. Er bewegte sich nicht mehr. Sie fiel auf die Knie, tastete nach seinem Gesicht. »Nein«, keuchte Elysa. »Nein!«

Sie legte ihren Kopf auf seine Brust, lauschte verzweifelt nach seinem Herzschlag, doch ihr eigener dröhnte so laut durch ihre Ohren, dass sie nichts wahrnahm. Erst spät bemerkte sie, dass einer der Rotgepanzerten neben sie getreten war. Sie starrte ihn wuterfüllt an, wich jedoch nicht von Calypsos Seite. Tränen liefen über ihre Wangen. Der Mann beugte sich hinab, packte den König.

»Neiiin …«

Sie klammerte sich an ihm fest, doch es nützte nichts. Mit einer beängstigenden Leichtigkeit entriss der Mann ihr Calypsos Körper. Leblos wie eine Puppe baumelte er in den Armen des Fremden. Elysa sackte in sich zusammen, schluchzte hemmungslos.

»Was ist mit ihr

Elyas Körper fühlte sich taub an, nur am Rande ihres Bewusstseins registrierte sie, wie die Männer sie anblickten.

»Sie kommt mit uns, Phil«, sagte Darian. »Das habe ich alles schon mit Vater besprochen.«

Der Mann musterte sie eingehend. »Die dreht ja vollkommen durch. Alles in Ordnung mit ihr?«

»Ich denke, sie steht unter Schock«, sagte Darian und trat näher. »Hey, Elysa.« Seine Stimme klang sanft. Als er eine Hand nach ihr ausstreckte, schaffte sie es endlich, ihren Körper aus der Starre zu reißen. Elysa wich zurück, blickte ihn panikerfüllt an. »Ihr … du … Calypso ist tot.«

»Ruhig. Du musst jetzt mit uns kommen, verstehst du?«

»Nein!« Elysa keuchte, wich noch weiter zurück, bis sie schließlich mit dem Rücken an der schweren Metalltür stand.

»Ist sie gechipt?«, rief einer der Männer.

»Nein, sie ist vollkommen clean. Keine der Bienen wird gechipt«, stieß Darian hervor. Langsam ging er in Elysas Richtung, hatte dabei beschwichtigend beide Hände erhoben. »Ganz ruhig, wir wollen dir nichts tun.«

Das Schluchzen, das über ihre Lippen kam, klang fremdartig. Ebenso wie das Zittern hatte es ganz von allein eingesetzt.

Darian war ein Verräter. Er gehörte zu jenen Menschen, die vor einigen Stunden begonnen hatten den Palast zu attackieren. Panik wallte in ihr auf. Sie japste nach Luft, doch ihr Brustkorb schien mit jedem Atemzug enger und enger zu werden.

»Ich bringe dich zu deiner Mutter, ja?«, sagte Darian vorsichtig.

Lügner!

Elysa presste sich gegen das kühle Metall in ihrem Rücken. Sie selbst hatte Darian zum König geführt. Damit war sie des Hochverrats schuldig. Und Calypso war tot. Ihr Herz schmerzte so sehr, dass sie glaubte, es würde gleich in zwei Teile reißen. Sie schrie auf, als Darian nach ihr greifen wollte. Alles in ihrem Inneren rotierte vor Panik. Klare Gedanken waren kaum noch möglich.

»Elysa!«, mahnte Darian. Abermals versuchte er ihren Arm zu packen, aber sie schlug nach ihm. Mit gerunzelter Stirn sah er sie an. »Jetzt reiß sich zusammen!«

»Das ist doch absoluter Schwachsinn«, vernahm sie dumpf am Rande ihrer Wahrnehmung. Und dann erklang ein Schuss. Die Welt verlief in Zeitlupe. Darian fuhr mit überraschter Miene herum. Elysa erkannte, wie einer der Männer die Mündung der Waffe auf sie gerichtet hatte. Etwas traf sie mitten auf den Brustkorb und ihr Körper wurde gegen die Tür gedrückt. Dann sackte sie haltlos in sich zusammen. Die Welt verschwamm und sie bekam gerade noch mit, wie Darian die Hand nach ihr ausstreckte. Dann versank sie in undurchdringlichem Schwarz.

Katharina Groth - Beehive Band 1 - Calypsos Herz
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