Kapitel 22:

Fühlen & Leiden

 


Ihr Zimmer in Calypsos Gemächern war beinahe doppelt so groß wie das im Bienenstock. Das Himmelbett war mit goldenen Vorhängen geschmückt. Goldglänzende Kordeln hielten die Stoffe an den hochragenden Bettpfosten zusammen. Der Teppich fühlte sich durch ihre dünnen Schuhe samtig an und die Tapeten waren weiß und mit goldenen Ornamenten verziert. Der Raum hatte keine Fenster, doch die zahlreichen Wandlampen spendeten genügend Licht. Ihr Koffer war bereits ausgepackt und die Kostüme im Schrank verstaut. Dieser war so groß, dass die wenigen Kleidungsstücke verloren darin wirkten. Genau so fühlte sich auch Elysa in diesem riesigen Zimmer.

Sie hatte ihr eigenes Bad. Auch hier herrschten die Farben Gold, Gelb und Weiß vor. Alles war edel und so rein, dass Elysa sich beinahe scheute, die Armaturen zu berühren. Schließlich wagte sie es doch und nahm eine schnelle Dusche, die den klebrigen Honigtee wegspülte. Es tat gut, frische Kleidung anzuziehen. Inzwischen hatte sie sich an das knappe Outfit gewöhnt.

Als es klopfte, erschrak sie.

»Herein«, brachte sie hervor und schlüpfte eilig in die Schuhe.

Ein junger Diener stand in der offenen Tür und sah sie überrascht an. »Oh, du bist bereits eingekleidet?«

»Ja.«

»Ich wurde geschickt, um dir zu helfen«, sagte er und trat durch die Tür.

»Ich … bin gut zurechtgekommen.«

»Natürlich. Wenn ich dir nun beim Schminken behilflich sein könnte? Der König erwartet dich im Wohnbereich, sobald du fertig bist.«

»Ähm … ja.« Es gefiel ihr nicht, dass der junge Mann sie schminken sollte, doch auch wenn sie schon ein Weilchen im Bienenstock lebte, konnte sie noch immer nicht mit den zahlreichen Farbtöpfen und Pinseln umgehen. Und welche Wahl hatte sie, wenn sie daran dachte, dass innerhalb der königlichen Gemächer keinerlei weibliches Personal erlaubt war? Abgesehen von den recht maskulinen Wachdrohnen.

Als der junge Mann begann, fiel Elysa auf, dass er sie so wenig wie möglich berührte. Er griff immer wieder zu Pinseln, Quasten und Bürstchen, die es ihm ermöglichten, direkten Hautkontakt zu vermeiden. Das gelang ihm derart gut, dass Elysa sich nach und nach entspannte und überrascht zusammenfuhr, als er verkündete, er sei fertig. Sie dankte ihm freundlich und folgte dem Diener schließlich hinaus, wo er sich hastig von ihr verabschiedete. Es dauerte einen Augenblick, bis sie sich orientiert hatte und schließlich den Weg in das große Wohnzimmer fand. Zu ihrer Überraschung war Calypso nicht allein. Neben ihm auf der Couch saß eine Frau mittleren Alters. Ihre dunklen Haare waren grau meliert und zu einer eleganten Hochsteckfrisur geformt. Sie trug eine goldene Tunika, die weit über ihren sonst schmalen Körper fiel. Ihre Gesichtszüge hatten etwas Gütiges und die kleinen Fältchen um ihren Mund zeugten davon, dass sie ein Mensch war, der gern lachte. Sie und Calypso waren in ein leises Gespräch vertieft, das sofort unterbrochen wurde, als Elysa durch den breiten Durchgang trat. Sogleich hafteten die hellbraunen Augen der Älteren an ihr, die Lippen formten ein leichtes Lächeln.

»Elysa!«, stieß Calypso hervor und erhob sich von der Couch. Er wirkte entspannter und hatte etwas mehr Gesichtsfarbe als vorhin. Verunsichert trat Elysa vor das Sofa. Unter den Blicken der Frau wusste sie nicht recht, was sie sagen sollte.

Calypso räusperte sich. »Darf ich dir Melinda vorstellen?« Er deutete fast andächtig auf die Tunikaträgerin. »Meine Begleiterin.«

Elysa stockte der Atem, erschrocken blickte sie die Ältere an. Begleiterinnen waren jene Frauen, die die zukünftigen Könige großzogen und ausbildeten. Ihr Ansehen war noch höher als das der Bienen. Obwohl sie zumeist kaum in der Öffentlichkeit auftauchten, ehrten die Bewohner von Beehive sie wie kaum jemand anderen. Insgeheim nannte man sie »die Macht im Schatten«, weil sie den König auf seinem langen Weg begleiteten und stets wertvolle Ratgeber waren. Elysa hatte nur von ihnen gehört, niemals eine getroffen. Die Einzigen, zu denen sie regelmäßig Kontakt hegten, waren ihre Schützlinge.

»Sie ist hübsch, aber etwas still«, sagte Melinda schmunzelnd. Aufmerksam lagen ihre braunen Augen auf der jungen Biene. Der amüsierte Funken darin trieb Elysa wieder einmal die Röte in die Wangen.

»Eigentlich spricht sie schon«, sagte Calypso und verkniff sich ein Grinsen.

»Ich …« Elysa schwieg, als ihre Stimme versagte. Es war ein Krächzen, weniger ein Wort und ein Satz schon gar nicht.

Melinda lachte melodisch und warm. Sie erhob sich und trat einen Schritt in Elysas Richtung. Als sie die Hand nach ihr ausstreckte, pochte Elysas Herzschlag durch ihren gesamten Körper. »Es freut mich, dich kennenzulernen, Elysa.«

Mit zitternden Fingern griff Elysa kurz nach der Hand. Sie berührten sich kaum, und dennoch genügte es, um Elysa unverzüglich gefährlich nah an eine emotionale Klippe zu befördern. »Es freut mich … ebenso.« Der Satz kam stockend.

Calypso sah belustigt aus, als er auf die Couchgarnitur deutete. »Vielleicht setzen wir uns?«

Dankbar kam Elysa dem Vorschlag nach, da sie fürchtete, ihre Beine würden jeden Moment unter ihr nachgeben. Etwas plumpsend ließ sie sich auf dem goldenen Stoff nieder. Ihr Blick hing dabei unentwegt an Melinda.

»Wenn du mich weiter so anschaust, bin ich gleich diejenige, die rot anläuft«, sagte diese und bescherte Elysa einen weiteren Schwall Hitze. Verlegen schaute sie auf ihre Füße. »Verzeihung.«

»Herrje Kind, entschuldige dich nicht«, sagte Melinda lachend.

»Nun.« Calyos räusperte sich. »Es tut mir leid, dass wir dich so überrumpeln.«

»Das sollte es«, sagte Elysa schnell. Sie fühlte sich unvorbereitet. Vermutlich hätte eine Vorwarnung nichts daran geändert, doch für den Moment war es gut, dass Zorn an die Stelle von Verlegenheit trat.

Calypso lächelte wissend. »Gut, dann habe ich dich wohl ebenso überrascht wie du mich, als du meine Eltern zum Thema gemacht hast.« Er klang dabei nicht verärgert, eher ein wenig vergnügt. Ganz im Gegenteil zu seiner ersten Reaktion damals. »Doch genau deswegen ist es mir wichtig, dass du eben den Menschen kennenlernst, der für mich wohl denselben Status hat wie deine Mutter für dich.«

Melinda lächelte, Rührung stand in ihren Augen. Kurz legte sie eine Hand auf seinen Oberschenkel, zog sie jedoch schnell wieder zurück.

»Es ist mir eine Ehre«, flüsterte Elysa. Es beschämte sie ein wenig, dass Calypso seine Begleiterin mit ihrer Mutter verglich. Wenn man nach der staatlichen Rangordnung ging, waren die beiden so weit voneinander entfernt wie herkömmlicher Sand von feinstem Gold. Melinda nickte ihr lächelnd zu.

»Wir haben noch immer ein … sehr gutes Verhältnis.« Er tauschte mit seiner Begleiterin einen vertrauten Blick. »Und dennoch ist es bald an der Zeit.«

»Was?«, fragte Elysa und schämte sich zugleich. Sie war mit den Vorgängen in den oberen Schichten nicht vertraut. Auch das war nicht Teil ihrer Kurse gewesen. Doch zu ihrer Überraschung stand in Melindas Gesicht keine Spur von Vorwurf, als sie zu sprechen begann.

»Irgendwann ist es für jede Begleiterin an der Zeit, ihren Schützling ziehen zu lassen.« Sie lächelte traurig. »Meine Aufgabe endet, wenn Calypso die Erste Biene gekürt hat.«

Calypso nickte. »Ab diesem Zeitpunkt ist jeder König auf sich allein gestellt.« Er wirkte ernst und eine Spur wehmütig. »Auch wenn ich den Rat von Melinda durchaus vermissen werde, weiß ich, dass ich so weit bin, meine Aufgabe eigenständig zu erfüllen. Sie ist dann ein Teil meiner Vergangenheit und ich muss mich meiner Zukunft stellen.«

Elysa gab einen zustimmenden Laut von sich, dennoch verstand sie nicht, warum Calypso ihr das alles erzählte.

Er schien die unausgesprochene Frage von ihrem Gesicht abzulesen. »Du sollst wissen, dass ich dich verstehe.« Sein Ausdruck war ernst. »Du vermisst deine Mutter. Das ist verständlich. Aber du musst erwachsen werden und verstehen, dass das Leben weitergeht.«

Neben Verlegenheit spürte Elysa wieder Wut durch ihr Innerstes pochen. Sie presste die Lippen aufeinander. »Das weiß ich durchaus.«

Calypsos linke Augenbraue hob sich. »Ach?«

»Vielleicht kann ich meine Gefühle nicht so leicht kontrollieren wie deinesgleichen.« Für einen Moment vergaß sie alles. Die Gegenwart der Begleiterin, Calypsos Status und auch ihre eigene Befangenheit. In diesem Augenblick war da bloß noch Wut.

»Meinesgleichen?«

»Du bist einfach kühler als …« Sie brach ab. Ein Blitzen in seinen Augen erinnerte sie daran, dass sie abermals zu weit gegangen war. Ergeben senkte Elysa den Blick und biss sich fest, beinahe strafend, auf die Zunge. Ein leises Lachen riss sie aus ihrer Starre.

Melindas Augen leuchteten vergnügt auf, während sie Elysa musterte. »Jetzt weiß ich, was du an ihr findest. Sie ist tatsächlich anders als die Damen, die sich so herrlich für dich verbiegen.« Die Begleiterin klang zufrieden, was jedoch nicht verhinderte, dass Elysa die letzten Minuten am liebsten rückgängig gemacht hätte.

»Vielleicht verbringt ihr den Nachmittag einfach zusammen?«, schlug Calypso vor.

Elysa wollte schon den Kopf schütteln, als Melinda zustimmend nickte.

»Ich denke, das wäre eine erfrischende Abwechslung.«

Elysas Kehle schnürte sich zu. Betroffen beobachtete sie Calypso dabei, wie er sich erhob. Er zwinkerte Elysa zu, tauschte einen kurzen Blick mit Melinda und durchschritt dann beschwingt das große Wohnzimmer. Elysa schaute ihm noch hinterher, als er schon lange aus ihrem Blickfeld verschwunden war.

»Also.« Melinda stand auf und klatschte einmal vergnügt in die Hände. Wie ein Peitschenknall, dachte Elysa unwillkürlich. Sie kannte das Geräusch aus einem der Western, die Carol so gerne geschaut hatte.

Carol.

Das Exil.

Mechanisch erhob auch Elysa sich und lächelte der Begleiterin zu. Die braunen Augen ruhten forschend auf ihr. Irgendetwas sagte Elysa, dass dies hier ihre erste Prüfung wäre.

 

»Calypso ist ein besonderer Mensch«, sagte Melinda und schaute sie über den Rand ihrer Karten hinweg an.

Elysas Finger verkrampften sich um die Rechtecke aus Pappe, auf denen Zahlen und Buchstaben standen. Kleine Bienen verzierten die edel geschwungenen Lettern. Es war wirklich wundervoll anzuschauen. Mehr wusste Elysa nicht damit anzufangen. Melinda hatte ihr die Regeln des Spiels Bee langsam und geduldig erklärt, doch Elysa war mit der Situation noch immer so überfordert, dass keine einzige Sinn ergeben wollte.

»Das ist er«, gab Elysa erstickt zurück und griff wahllos nach einer Sieben, auf deren unteren Rand der Buchstabe A stand, und legte sie auf den offenen Stapel zwischen ihnen.

Die Begleiterin runzelte die Stirn und deutete auf die Karte. »Bist du dir sicher?«

»Ich … äh … ja.« Elysa biss sich auf die Unterlippe. Sie hob die gefächerten Karten noch ein wenig höher, als könnte sie sich so dahinter verbergen.

»Dann tut es mir leid«, sagte Melinda mit einem schelmischen Lächeln. Sie legte eine weitere Sieben darauf, an deren unteren Rand der Buchstabe C zu finden war, und zog den gesamten Stapel auf ihre Seite des Tisches.

»Diese Punkte gehen an mich.« Sie grinste.

Widerwillig nickte Elysa. Sie wollte die Begleiterin nicht vor den Kopf stoßen.

Die nächste Runde eröffnete Melinda mit einer 1B und lächelte Elysa wohlwollend an. Verbissen kramte diese in ihrem Gedächtnis nach dem nächsten Spielzug, aber die seltsamen Karten wollten einfach keinen Sinn machen. Erst recht nicht, wenn das hier eine Prüfung sein sollte. Wer wusste schon, was Melinda Calypso erzählte? Vielleicht wollte er kein Mädchen haben, das zu dumm war, um ein simples Kartenspiel zu verstehen. Zögerlich legte sie eine 2B auf den Stapel. Anscheinend war der Zug weder gut noch schlecht, denn Melindas Reaktion blieb gleichgültig.

»Erzählst du mir von Calypso?«, fragte Elysa stattdessen in der Hoffnung, dass ihr Gegenüber einen Augenblick das Spiel vergaß.

Melindas Gesicht nahm einen versonnenen Ausdruck an. »Was möchtest du denn wissen? Ich kann natürlich nur im Rahmen meiner Möglichkeiten berichten.«

»Was macht ihn in deinen Augen so besonders?«

Melinda legte eine 3A und richtete das übrige Blatt. Ohne groß darüber nachzudenken, zog Elysa die 4C hervor und legte sie auf die Karte der Begleiterin.

»Er ist gütiger als so viele vor ihm. Schon als er klein war, hat er mich gefragt, was er tun kann, damit es den Menschen innerhalb der Wabe besser geht. Da war er gerade einmal sieben Jahre alt.«

»Das ist beeindruckend«, sagte Elysa, während Melinda ihre nächste Karte ablegte. Eine 5C. Eindeutig ging es darum, die nächsthöhere Karte zu legen, auch wenn Elysa noch nicht ganz klar war, wann jemand gewann oder Punkte bekam. Mutig zog sie eine 6C und legte sie ab. Melinda seufzte und musterte angespannt ihre Karten. Anscheinend lief es gut für Elysa.

»Ja, in der Tat, und dennoch sind die Worte eines Kindes nichts gegen das, was er jetzt leistet. Seit er regiert, ist die Krankenversorgung der Arbeiterinnen um einiges besser geworden. Und dabei ist er gerade einmal wenige Wochen an der Macht.«

Elysa musterte die Begleiterin ungläubig. Der Zustand von Theodora widersprach eindeutig dem, was Melinda sagte. Lächelnd legte diese eine 8B.

»Doch das ist erst der Anfang. Seine Pläne sind noch weitaus größer. Er möchte nur Gutes für die Menschen.«

So recht wollte dieses Bild nicht zu dem ersten Eindruck passen, den sie von Calypso gehabt hatte. Natürlich hatte sich nach den letzten Treffen ihr Bild von ihm gewandelt, doch dass er Carol ins Exil verbannt hatte, nur weil sie seine Vorstellungen nicht erfüllte, wollte ihr noch immer nicht aus dem Kopf gehen. All das sprach vielmehr für ein verwöhntes Königskind und nicht für den gütigen Menschen, den Melinda ihr gerade verkaufen wollte.

Statt etwas dazu zu sagen, starrte Elysa auf ihr übriges Blatt. Sie hatte eine 1B und eine 3C. Ansonsten waren nur hohe Karten übrig. Eine 10B, eine 12A und sogar eine 13C. Rein von der Logik her schloss Elysa daraus, dass es sich um eine besonders gute Karte handelte. Sie zog also die 10B und legte sie auf den wachsenden Stapel. Melinda runzelte die Stirn, musterte erst Elysa und dann die Karte. Elysa errötete. Hatte sie etwas falsch gemacht?

»Natürlich ist es wichtig, dass er sein Ansehen beim Volk nicht verliert«, sagte Melinda.

»Das wäre furchtbar«, stimmte Elysa zu und rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her.

Ein wenig verkrampft legte Melinda eine 11C auf den Stapel. Ihre Mundwinkel zuckten, als sie aufsah. »Ja, in der Tat. Ich habe gehört, du hast gleich zu Beginn einen Fluchtversuch unternommen?«

Elysas Kehle wurde eng. Sie starrte gebannt auf ihre Karten und wagte es nicht, die Begleiterin anzuschauen. Rein intuitiv griff sie nach der 12A. Melinda seufzte, musterte abermals ihre Karten. Nun hatte Elysa bloß noch die 13C, neben den niedrigen Nummern, die nun wohl nicht mehr in Frage kamen.

»Ich war … meine Mutter ist schwer krank«, gab sie zurück. Der Satz kam ihr nur stockend über die Lippen.

»Und du hast dich gesorgt«, sagte Melinda und klang dabei nur bedingt verständnisvoll.

»Ja.«

Die Begleiterin schüttelte den Kopf und blickte Elysa tadelnd an. »Aber dein Vertrauen in den König sollte weiter reichen. Die Bürger müssen unter seiner Obhut niemals Leid erfahren.«

Das klang so weltfremd, dass Elysa sich zusammenreißen musste, um nicht mit dem Kopf zu schütteln. Dieser Grundsatz war ihr von klein auf geprädigt worden, doch irgendwie hatte er durch die Sicht auf das Arbeiterviertel immer einen gewissen ironischen Beigeschmack gehabt. Melinda klang so, als würde sie tatsächlich daran glauben, und das war nicht einmal ihren Lehrern gelungen.

»Nun, sicher hätte ich das tun sollen.«

»Du hast vermutlich nicht nachgedacht in diesem Moment?«, fragte Melinda und zwinkerte ihr zu.

Augenblicklich kam Elysa sich wie ein kleines Kind vor, dem man die richtigen Worte in den Mund zu legen versuchte. Melinda zog eine 13A und grinste siegessicher.

»Das wird es sein«, murmelte Elysa und legte eilig ihre 13C auf den Stapel. Kurz verdüsterte sich das Gesicht der Begleiterin. Sie hatte nur noch eine Karte auf der Hand.

»Aber da du ja jetzt weißt, dass es falsch ist, unbedacht zu handeln, muss man sich über weitere Fauxpas dieser Art keine Sorgen mehr machen, oder?« Melinda blickte sie abwartend an.

»Ich werde mich bemühen … immer mit Bedacht zu handeln.«

Melinda runzelte die Stirn und legte eine weitere Karte auf den Stapel. 3B. »Du hast gewonnen. Ich passe.« Sie sah unzufrieden aus. Ob das vom Verlauf des Spieles herrührte oder sie mit Elysas Antwort nicht zufrieden war, ließ sich in diesem Moment noch nicht sagen.

»Doch wer sich bloß bemüht, ist nicht gut genug für den König. Das weißt du sicherlich?« Ihr Tonfall war warm und schneidend zugleich. Eine Kombination, die Elysa eine Gänsehaut auf die Unterarme trieb. Neben Unbehagen keimte Wut in ihr auf. Hatte Melinda ihr gerade gesagt, dass Calypso etwas Besseres als sie verdient hatte?

»Ich denke, Calypso wird die richtige Entscheidung treffen«, gab sie zurück.

Melindas Lippen kräuselten sich. »Elysa, kannst du ein Geheimnis bewahren?« Melinda beugte sich leicht über den Tisch. Aus ihren Augen sprach eine stumme Drohung. Elysa würde das folgende Geheimnis für sich behalten. Auf einmal strahlte die vorher noch so freundliche Frau eine beinahe unheimliche Macht aus. Elysa nickte knapp. Ihre Kehle war zu trocken, um klar zu antworten.

»Nun, Calypso neigt mitunter zu recht emotionalen Entscheidungen. Ich liebe ihn wie mein eigenes Kind, und obwohl er erwachsen ist, ist er dennoch naiv genug zu glauben, er könne Menschen verändern. Doch jeder, der ein wenig Lebenserfahrung hat, weiß, dass es nicht die Menschen sind, die sich ändern, sondern lediglich die Lebenssituationen, in die sie geraten.«

Elysa sagte nichts. Die Karten in ihrer Hand knickten sich unter ihrem Klammergriff.

»Sag mir, Elysa, hat sich dein Leben verändert seit deinem Fluchtversuch?« Melinda lehnte sich zurück.

Elysa überlegte lange, bevor sie etwas entgegnete. Aus irgendeinem Grund wusste sie, dass diese Antwort ebenso allesentscheidend wie der letzte Spielzug in der Partie Bee war.

Als sie zu sprechen begann, brachte sie bloß ein zerknittertes Lächeln zustande. »Seit ich hier bin, ist mein Leben jeden Tag im Wandel. Ich denke, dass sich die Umstände mit jeder Stunde, jedem Tag mehr und mehr verändern.«

Melinda erhob sich ruckartig. Auf ihren Lippen ruhte ein Grinsen, das ihre Augen nicht erreichte. »Ich bin beeindruckt von deinem Spiel. Vor wenigen Minuten glaubte ich noch, du hättest nicht einmal verstanden, wie die Regeln lauten. Und jetzt gewinnst du, als hättest du in deinem Leben nichts anderes getan.« Sie lachte freudlos auf. »Du hast mich überrascht.«

»Vielen Dank«, sagte Elysa. Ihre Haut kribbelte. Einerseits freute sie sich, andererseits fürchtete sie sich vor der wankelmütigen Frau.

»Ich denke, du hast verstanden, worauf ich hinauswill bei unserem Gespräch?« Melinda trat rückwärts von dem Tisch zurück.

»Du hast dich sehr klar ausgedrückt«, murmelte Elysa. Sie wagte es nicht, sich zu erheben.

»Gut. Denn solange ich Calypso betreue, werde ich auch dafür sorgen, dass er seinen rechtmäßigen Platz bekommt. Man soll sich an ihn als König erinnern und nicht an seine Erste Biene, die ihr eigenes Wohl vor das von Beehive stellte.«

»Das ist auch nicht in meinem Sinne.«

Melindas Gesichtsmuskulatur krampfte. »Wir werden sehen. Ich will bloß, dass du das auch nicht vergisst.«

»Natürlich nicht.« Elysas Stimme war sehr leise, aber dennoch war sie dankbar, dass sie noch in der Lage war, einen klar verständlichen Satz zu formulieren. Das gütige Lächeln kehrte in das Gesicht der Begleiterin zurück.

»Na dann. Ich danke dir für die wundervolle Partie, Elysa. Und ich hoffe natürlich, wir können dies noch einmal wiederholen?« Ihr Lächeln war so falsch wie die Worte.

»Das wäre schön.«

Die ältere Frau nickte, drehte Elysa den Rücken zu und eilte aus dem Zimmer.

Spiel, Satz und Sieg.

Und das, obwohl Elysa in dem Kartenspiel als Siegerin hervorgegangen war.

Katharina Groth - Beehive Band 1 - Calypsos Herz
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