Kapitel 11:

Besuch & Frisuren



»Ehrlich? Ich hätte ihr mehr zugetraut.« Lucie grinste.

»Aber … das …«

»Hör auf rumzustammeln, Elysa. Du solltest dich langsam damit anfreunden, dass es jetzt ernst wird. Das ist noch harmlos, glaub mir. Nichts als eine kleine Boshaftigkeit.«

Elysas Kehle schnürte sich zu. Wieso taten sich die Mädchen das gegenseitig an? Schließlich sollten sie doch dasselbe Ziel haben: die Menschheit vor dem endgültigen Aussterben zu bewahren?

»Was hat es mit diesem Talentwettbewerb auf sich?«, fragte Elysa, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte.

Lucie seufzte. »Schikane. Wir treten vor dem König auf und jede muss ihr Talent vorführen.«

»Welchen Sinn soll das haben?«

Lucie zuckte mit den Schultern. »Soweit ich weiß, hat das mit den Genen zu tun. Je talentierter die Mutter, desto größer ist die Chance, dass das Kind gute Anlagen hat.«

»Das klingt … merkwürdig.«

»Meinst du für normale Verhältnisse oder bezogen auf dieses Irrenhaus hier?« Lucie lachte trocken auf.

»Was willst du aufführen?«

»Ich denke, ich bleibe bei meiner Stepptanznummer.« Sie lächelte Elysa zu. »Wie gut, dass ich immer ein zweites Paar dabei habe.« Lucie erhob sich, ging zu ihrem Kleiderschrank und zog schwarze Steppschuhe aus einem der unteren Fächer. Damit lief sie zurück zu Elysa und verstaute sie augenzwinkernd unter dem Bett. »Ich würde zu gern Zidoras Gesicht sehen, wenn ich in meine Schuhe schlüpfe und einfach drauflos tanze. Danke für die Warnung.«

»Kein Problem.«

»Hier seid ihr!«

Die Tür wurde so plötzlich aufgerissen, dass Elysa ein überraschter Laut entfuhr. Melodys Gesicht war gerötet, ihre Augen weit aufgerissen. »Wo bleibt ihr?«

Lucie ließ sich entspannt auf das Bett fallen. »Wo sollten wir denn sonst sein?«

»Na im Hauptraum! Der König stattet dem Bienenstock einen Besuch ab!« Mit diesen Worten verschwand ihr Kopf wieder aus dem Spalt. Elysa blickte verwirrt zu Lucie, die daraufhin bloß mit den Schultern zuckte und vom Bett rutschte.

Die Bienen standen in einer Reihe, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, das Kinn leicht angehoben. Den meisten stand die Nervosität ins Gesicht geschrieben. Eilig reihten die beiden sich ein. Elysa reckte den Hals und entdeckte Tania an den großen Flügeltüren. Sie redete angeregt auf eine der Dienerinnen ein.

»Endlich! Tania hätte euch die Hölle heiß gemacht«, raunte Carol Elysa zu. Sie stand neben ihr in der Schlange und musterte sie von der Seite. »Was is'n mit deinen Schuhen?«

Elysa blickte auf ihre Füße, bewegte ihre Zehen. Wieder einmal hatte sie die goldenen Dinger in der Eile zurückgelassen. Sie sah hinüber zu Lucie, deren Füße jedoch in den Pumps steckten.

»Haltung annehmen!«, fauchte Tania und die meisten Mädchen drückten unverzüglich das Kreuz durch. Eilig schritt sie die Reihe ab. Bei einigen schnalzte sie mit der Zunge, ordnete mit harschen Handgriffen die jeweilige Frisur und wischte in den Gesichtern der jungen Frauen herum. Nur wenige der Anwesenden schafften es, sie zufriedenzustellen, was sie mit einem zustimmenden Grummeln bekundete. Elysa streckte sich. Tania hatte auf der anderen Seite der Schlange begonnen und arbeitete sich langsam in ihre Richtung vor.

»Das ist nicht dein Ernst?«

Tania war vor Freya stehen geblieben, einem in sich gekehrten Mädchen mit glattem, dunkelblondem Haar, das jetzt nass und strähnig auf ihre Schultern fiel. Offensichtlich war sie gerade erst aus der Dusche gekommen, denn auch frische Schminke hatte sie noch nicht aufgetragen. Freya errötete heftig und senkte den Blick.

»Was soll das denn?« Tania starrte sie entgeistert an, streckte die Hand nach ihr aus und berührte für einen Sekundenbruchteil die feuchten Haarspitzen. Angewidert zuckte ihre Hand zurück. Die Luft knisterte vor Anspannung.

»Man sollte meinen, ihr kennt die Regeln der Bienen …«, rief Tania laut. »Eine Biene ist immer perfekt für ihren König!« Sie ließ die Worte wirken, starrte das Mädchen finster an.

»Ist diese Regel irgendwie unverständlich für dich?«, brüllte Tania weiter.

Freya erzitterte und ließ die Schultern hängen, ihre Augen waren starr auf einen Punkt am Boden gerichtet.

»Geh in dein Zimmer und komm erst wieder raus, wenn ich dich hole. Du bist eine Zumutung für meine Augen. Solange ich hier arbeite, wird Calypso niemals so etwas wie dich vorgesetzt bekommen«, knurrte Tania und deutete in Richtung der Schlafräume. Freya schluchzte und durchquerte rennend den Bienenstock.

»Damals, als ich noch Biene war, hätte man noch ganz andere Sachen mit dir gemacht!«, brüllte sie ihr hinterher und schüttelte den Kopf.

Als sie ihren Weg fortsetzte, bildete sich ein schmerzhafter Klumpen in Elysas Brust. Ohne ihre Schuhe erwartete sie sicherlich ein ähnliches Theater. Und irgendwie hatte sie keine Lust, ein weiteres Mal Tanias Unmut auf sich zu ziehen. Schweiß stand ihr auf der Stirn. Zum ersten Mal seit Langem war die körperliche Nähe zu Lucie und Carol, der sie gerade ausgesetzt war, nicht das schlimmste Gefühl. Tania näherte sich unerbittlich. Immer wieder blieb sie stehen, schimpfte leise oder verdrehte die Augen. Gerade als sie bei Carol ankam und sie mit ihren Augen maß, öffneten sich die goldenen Flügeltüren.

»Der König von Wabe 21! Calypso!«, rief eine der Dienerinnen laut. Tania fuhr herum, fluchte leise und eilte zum Eingang. Elysas Mund entwich die angehaltene Luft.

Calypso betrat in lässigem Schritt den Bienenstock. Er trug ein weißes Hemd und eine beigefarbene Stoffhose. Auf seinen Lippen ruhte ein wissendes Lächeln.

»Calypso!«, rief Tania aus. »Wir freuen uns so über deinen Besuch!«

Elysa wurde schlecht bei dem schmeichelnden Ton, den die Ältere aufgelegt hatte. Calypso nickte langsam, sagte jedoch nichts. Er näherte sich den Bienen. Sein Blick ruhte dabei so unverhohlen auf den knapp bekleideten Mädchen, dass Elysa spürte, wie ihr die Röte in die Wangen schoss. Diese Begebenheit schien jedoch nur Elysa übel aufzustoßen. Einige der Frauen, allen voran Zidora, sonnten sich förmlich in seinen Blicken. Sie war auch die Erste, vor der er stehen blieb. Calypso streckte der Rothaarigen seine Finger entgegen, der Handrücken war nach oben gerichtet. Sie griff danach und hauchte einen Kuss darauf.

»Biene Zidora, es freut mich sehr.«

»Mich ebenso«, entgegnete sie mit rauchiger Stimme. Auf dem Bienenstock lag eine erdrückende Stille. »Ich hoffe, meine Botschaft hat dir zugesagt?«

Calypsos breites Grinsen enthüllte eine perfekte Reihe weißer Zähne. »In der Tat.« Er verharrte noch einen Augenblick und schritt dann weiter die Reihe ab, genau wie Tania es vor wenigen Minuten noch getan hatte. Seine Augen schienen jedoch mit anderem Maß zu messen. Elysas Gesichtshaut glühte. Nun fiel ihr auch wieder die merkwürdige Bienenbotschaft ein, die sie aufgezeichnet hatte. Was er jetzt wohl über sie dachte?

Bei einigen der Mädchen verharrte Calypso, tauschte ein paar oberflächliche Worte mit ihnen und ging dann weiter. Anderen schenkte er nur einen flüchtigen Blick. Nur wenige bekamen die Ehre, mit einem Handkuss bedacht zu werden. Er machte keinen Hehl daraus, dass die meisten Mädchen seine Aufmerksamkeit nicht wert waren.

Elysas Herz schlug fest gegen ihre Rippenbögen. Calypso hatte Carol schneller erreicht, als ihr lieb war, und dieses Mal würde es keinen glücklichen Zufall geben, der sie vor einer unangenehmen Situation bewahrte. Er musterte Carol unverhohlen, beinahe als würde er durch das enge Kostüm hindurchschauen. Einen Moment zu lange ruhte sein Blick auf der ausladenden Oberweite.

»Carol.«

Sie errötete und senkte verlegen den Kopf. »König Calypso.«

»Auch deine Nachricht war sehr … eingängig.«

Elysa sah deutlich, wie ihre Freundin zu zittern begonnen hatte. Eine Tatsache, die so gar nicht zu ihrer Freundin passte.

»Ich …« Sie verstummte.

Calypso stieß ein leises Lachen aus, das irgenwie missgünstig klang.

Und dann stand er plötzlich vor ihr. Elysa errötete noch heftiger. Calypsos Lippen kräuselten sich. Vermutlich erinnerte er sich gerade an ihre gestammelte Nachricht. Insgeheim bat sie darum, dass sich der Boden auftun und sie in einem Loch verschwinden würde. Doch auch das passierte nicht. Stattdessen traf sie sein Blick aus den hellblauen Augen so tiefschürfend, dass ihre Kehle eng wurde. Er schaffte es, das, was andere nur mit körperlicher Nähe vollbrachten, einzig mit seiner Anwesenheit in ihr auszulösen. Sie spürte die Panik unaufhaltsam über sich hereinbrechen.

»Biene Elysa, immer wieder fällst du aus der Reihe.« Es klang amüsiert, weniger strafend.

»Ich … verstehe nicht«, stammelte sie. Schweiß lief ihr den Rücken hinab und ihre Knie zitterten leicht.

Calypso runzelte die Stirn, er deutete hinunter auf ihre nackten Füße. »Keine Schuhe?«

Sie errötete, vernahm deutlich das missbilligende Grummeln von Tania.

»Ich … wollte mich beeilen«, brachte sie mühsam hervor.

Die Mundwinkel von Calypso hoben sich leicht. Er nickte langsam, ließ noch einmal den Blick über sie wandern und trat dann vor Lucie. Elysa atmete leise aus und versuchte Tanias stechenden Blick zu ignorieren.

»Lucie, richtig?«

»Ja«, gab diese zurück. Sie lächelte nicht und erwiderte den Blick des Königs mit einer ähnlichen Intensität.

»Deine Haare … sind sehr blond«, brachte er hevor.

Lucies Wangen färbten sich dunkler. »Ja, das stimmt ebenfalls.«

Calypso zog eine Grimasse und wandte sich dann an Tania. »Haben wir schon etwas geplant deswegen?«

Die Ältere überlegte kurz und schüttelte schließlich den Kopf. »Nein … bisher noch nicht …«

»Dann trag es bitte ein«, tadelte Calypso. »Es wundert mich, dass das nicht längst geschehen ist.«

»Entschuldige. Natürlich«, brachte Tania verlegen hervor und notierte sich hastig etwas.

»Aber ich mag meine Haare.«

Calypsos Blick zuckte herum. »Wie bitte?«

Lucie ballte die Hände zu Fäusten. »Ich sagte, ich mag meine Haarfarbe sehr gerne, so wie sie ist.«

Elysa biss sich auf die Zunge.

Calypso lachte kühl auf. »Und wen interessiert das?«

Lucies Augen weiteten sich. »Mich …«

»Dann ist das ja nicht weiter von Interesse.« Calypso blickte Lucie an, als wäre sie geistig verwirrt.

»Aber …«

Elysa packte ihre Freundin am Handgelenk, ignorierte das Kribbeln der Berührung und das Ekelgefühl. Lucie verstummte.

»Ja?« Calypso hob die Augenbrauen. Registrierte kurz Elysas Berührung und grinste.

»Nichts.« Lucie senkte den Blick und Elysa ließ ihren Arm los.

Calypso schmunzelte, nickte und dann zwinkerte er Elysa zu. Dachte er, dass sie das ihm zuliebe getan hätte?

Dann lief er, gefolgt von Tania, in die Mitte des Raumes und drehte sich zu den Mädchen um.

»Ich bin hier, um zu verkünden, dass ab jetzt regelmäßig Mädchen zu mir kommen werden. In wenigen Wochen wird die Entscheidung fallen, welche Biene mir die Liebste ist und den Bienenstock leitet. Natürlich setzt das voraus, dass sie mein Erstgeborenes erfolgreich austrägt.« Calypso lächelte in die Runde. »Ab jetzt erwarte ich von euch allen einen gewissen Kampfgeist, denn ich werde diesen Titel nicht wahllos verschenken. Ihr braucht Führungsqualitäten und Durchsetzungskraft, ansonsten werdet ihr euer restliches Leben nichts weiter als eine gewöhnliche Biene sein. Wenn euch das ausreicht, steht natürlich auch dieser Weg frei. Die meisten von euch taugen ohnehin nicht einmal äußerlich für den Posten der Oberen Biene.«

Er ließ das Gesagte einen Moment wirken und lächelte in die Runde. »Damit ist alles gesagt, meine Lieben. Ich wünsche euch viel Freude und Erfolg.«

Katharina Groth - Beehive Band 1 - Calypsos Herz
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