Kapitel 12:

Samt & Seide

 


Innerhalb der nächsten Woche ließ Calypso immer wieder Mädchen zu sich kommen, doch keine blieb über Nacht. Jede Einzelne war verzückt von dem König. Je mehr Zeit verstrich, desto nervöser wurde Elysa. In ihrer zweiten Bienenbotschaft hatte sie mit einem falschen Lächeln davon berichtet, wie gut es ihr im Bienenstock inzwischen gefiel. Doch selbst in ihren Ohren klangen die Worte falsch und das musste auch Calypso bemerkt haben. In der Folgenden war es nicht besser gelaufen.

Sie dachte immer häufiger an das Foto, das Darian ihr gezeigt hatte. Ihre Mutter war irgendwo und Elysa konnte nicht sagen, ob sie in Sicherheit war oder in noch größerer Gefahr schwebte. Auf einmal erschien es ihr vollkommen kopflos, Darian zugesagt zu haben. Wie sollte sie Calypso näherkommen, wenn dieser sie gar nicht treffen wollte? Außerdem hatte Darian jetzt länger nichts mehr von sich hören lassen. Was, wenn sein Angebot schon keine Gültigkeit mehr hatte?

»Hast du schon wieder nicht geschlafen?« Lucie musterte Elysa besorgt. Diese hatte die Augen geschlossen, den Kopf auf die Lehne des Sofas gelegt. Sie saßen allein im hinteren Abschnitt des Bienenstocks auf zwei Couchmöbeln. In diesem Bereich befand sich kein Fernseher, was wohl die anderen Mädchen davon abhielt, zu ihnen zu kommen.

»Nein«, murmelte Elysa und spürte dabei bereits, wie sie in einen seligen Schlaf zu gleiten drohte.

»Du weißt, dass wir tagsüber wach bleiben müssen«, mahnte Lucie mit lauter Stimme. »Tania wartet bloß auf eine Gelegenheit.«

Elysa richtete sich auf und streckte sich. »Ich weiß.«

»Meinst du nicht, dass du dich daran gewöhnst?«

Elysa stieß lautstark Luft aus. »Selbst wenn. Die Wachdrohne vor unserer Tür poltert alle halbe Stunde ins Zimmer und leuchtet mir ins Gesicht. Also bin ich spätestens dann wieder wach. Stört dich das nicht?«

Lucie schüttelte den Kopf. »Wenn ich erst mal schlafe, dann könnte vermutlich das Schloss um mich herum explodieren.« Sie kicherte. »Aber mal ehrlich: Mit Tania legt man sich nicht an.« Sie begann erneut mit der Bürste durch ihr blondes Haar zu fahren. Immer und immer wieder, bis es glänzend auf ihren Schultern lag. Noch hatte Calypso seine Drohung nicht wahr gemacht und ihre Frisur seinen Wünschen angepasst.

»Trotzdem musst du irgendwann schlafen. Glaub mir, wenn das so weitergeht, schlummerst du ganz von allein ein. Dann hält dich auch deine merkwürdige Angst nicht mehr davon ab.«

Elysa zuckte mit den Schultern.

»Vielleicht solltest du …«

»Biene Elysa?«

Die beiden Mädchen schauten auf. Eine Dienerin stand vor Elysa und hielt eine goldene Schachtel in den Händen, die mit einer roten Schleife versehen war.

»Ja?«

»Ich habe hier die frische Wäsche, nach der du verlangt hast.«

»Frische Wäsche?« Elysa hatte nichts bestellt. Sie musterte das dunkelhaarige Mädchen eingehend. Die Dienerin lächelte und reichte ihr ohne ein weiteres Wort die Schachtel. Elysa und Lucie tauschten einen irritierten Blick. Doch als Elysa nachhaken wollte, hatte die junge Frau ihnen bereits den Rücken zugekehrt und eilte durch den Saal in Richtung Ausgang.

»Was soll das denn?«, fragte Lucie mit hochgezogenen Augenbrauen. Sie erhob sich von ihrer Couch und stellte sich zu Elysa. Inzwischen hatte sie anscheinend gelernt, wie viel Abstand für Elysa erträglich war. Neugierig reckte Lucie den Hals.

»Keine Ahnung«, antwortete Elysa und löste die rote Schleife. Behutsam öffnete sie die Schachtel. Goldenes Samtpapier verhüllte den Inhalt. Vorsichtig schob Elysa alles auseinander. Ihr stockte der Atem. Lucie kicherte leise. »Du bist mir ja eine. Was hast du vor? Willst du dich mit Zidora messen?«

Elysa schnappte nach Luft. Griff nach dem Zettel, der oben auflag.

Die richtige Kleidung für den passenden Anlass. D.

Eilig barg sie die Botschaft in ihrer Hand. Lucie wrang die Finger ineinander. Elysa ahnte, dass sie nichts lieber täte, als das Kleidungsstück aus dem Päckchen zu ziehen und sich genauer anzuschauen. Stattdessen griff Elysa selbst nach dem Hauch von Nichts. Errötete allein bei der Berührung des feinen Stoffs, der an den meisten Stellen durchsichtig war.

Lucie stieß einen leisen Pfiff aus. »So hätte ich dich nicht eingeschätzt …« Sie grinste.

»Ich …« Elysa schwieg. Ihre Gesichtshaut glühte.

»Also wenn du das Ding heute Nacht anziehst und dich geschickt vor den Kameras rekelst, bist du schneller bei Calypso, als du Eure Majestät sagen kannst«, flüsterte Lucie und kicherte.

Eilig schloss Elysa die Schachtel. Sie hatte begriffen. Darians Botschaft hätte nicht deutlicher sein können. Plumpsend ließ Lucie sich wieder auf der gegenüberliegenden Couch nieder. »Da hätte ich ja auch mal drauf kommen können. Vielleicht lässt er mir dann meine Haare.«

Neben Elysa gehörte Lucie zu den wenigen Bienen, die Calypso seit seinem Besuch noch nicht wieder zu Gesicht bekommen hatten. Auch wenn das Mädchen mit dem hellen Haar immer so unbeteiligt tat, merkte man ihr allmählich doch an, wie sehr sie das störte. Elysa schwieg. Drückte sich die goldene Schachtel gegen die Brust und versuchte damit das Zittern ihrer Finger zu verbergen.

»Ey! Ihr müsst euch unbedingt anhörn, was Melody gesagt hat!«, platzte Carol dazwischen. Elysa hatte nicht einmal bemerkt, dass sie sich zu ihnen gesellt hatte. »Was hast du denn da?« Sie musterte Elysa mit gerunzelter Stirn.

»Nichts.«

»Aber …«

»Was hat Melody gesagt?«, warf Lucie schnell ein und zwinkerte Elysa zu.

»Der König will sich bald eine aussuchen! Also die Erste! Echt verdammt schnell, der Typ.«

»Was?«, zischte Lucie gereizt. »Aber er hat doch gerade erst angefangen. Der Talentwettbewerb steht noch bevor, der Ball und … er kann sich noch nicht entscheiden!«

»Du warst immer noch nicht bei ihm, oder?«, fragte Lauren, die sich nun auf der Armlehne des Sofas niederließ. Lucie warf ihr einen finsteren Blick zu, der dafür sorgte, dass das Mädchen tiefrot anlief. »Es ist mir ja scheißegal, ob ich die Auserwählte werde. Aber wenn Zidora diejenige sein soll, die den Bienenstock leitet, dann geh ich freiwillig ins Exil!«

Lauren schnappte nach Luft. »Sag so was nicht.«

»Was meinst du? Das mit Zidora oder das mit dem Exil?« Carol begann zu lachen, als hätte sie einen besonders lustigen Witz gemacht.

»Beides«, murmelte Lauren und blickte sich verunsichert um.

Lucie schnaubte. »Ich lasse mir hier von niemandem sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Weder von Zidora noch vom König höchstpersönlich.«

Lauren starrte Lucie mit knallrotem Kopf an. Ihre Augen traten leicht hervor.

»Wenn er mich nicht will, dann soll er's einfach sagen.« Carol verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn er erst mal eine von den Mädels ausgewählt hat, sind die übrigen doch eh abgeschrieben.« Auch sie war von Calypso bisher noch nicht eingeladen worden.

»Wie meinst du das?«, fragte Elysa.

»Wenn er sagt, wen er haben will, dann ist die doch nur noch bei ihm, bis sie dick wird.« Carol schnitt eine Grimasse. Elysas Kehle schnürte sich zu. Wie viel Zeit hatte ihre Mutter noch?

»Und keine andere darf dann zu ihm?«

Die Bienen tauschten eindringliche Blicke.

Carol lachte auf. »Nee, die probieren es so lange, bis es klappt, und das brauch schon ein paar … Versuche.« Den letzten Satz sprach sie so aus, als würde sie mit einem kleinen Kind reden, gefolgt von einem Lachen. Elysa errötete.

In diesem Moment erhob sich Lucie. Sie sah ernst aus, hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Ihr Blick war nach oben gerichtet, als würde sie die Decke nach etwas Bestimmtem absuchen. »Was können wir für den werten König denn tun, damit er sich von uns besuchen lässt?!« Sie sagte es lauter und sehr deutlich. »Sollen wir vielleicht nackt durch den Bienenstock tanzen?!«

Es wurde still in dem großen Raum.

»Lucie …«, mahnte Elysa flüsternd.

»Was?!« Sie lachte auf. »Man wird ja wohl mal fragen dürfen, oder?! Ich meine, wir laufen hier ja zu seiner Belustigung rum, da kann er uns wenigstens mitteilen, was der königlichen Herrschaft so gefällt! Vielleicht sollte ich mir eine Glatze rasieren?!«

Elysa schüttelte langsam den Kopf. Irgendwo im Raum kicherten ein paar Mädchen. Eine Weile stand Lucie so da, blickte sich schmollend um.

»Was?! Keine Antwort?!« Sie lachte laut auf, es klang freudlos und aggressiv.

»Dreht sie jetzt durch?«, flüsterte Lauren und zuckte zusammen, als Lucie ihr einen feurigen Blick zuwarf.

»Ich sitze hier seit Wochen und warte. Jetzt geht es endlich los und der werte König lässt sich nicht mal dazu herab, mich einzuladen, ist sich aber nicht zu schade, an meinen Haaren herumzumäkeln. Da wird man doch wohl mal sauer werden dürfen?! Außerdem hört er mich doch eh nicht, oder?!« Sie trat fest gegen den kleinen Couchtisch, der daraufhin quietschend über den glatten Boden schlitterte.

Lauren antwortete nicht, machte ein verkniffenes Gesicht.

Jemand auf der anderen Seite des Raumes begann zu klatschen. Langsam und laut. »Wahnsinn, dafür wirst du Calypso sicherlich kennenlernen«, sagte Zidora und grinste höhnisch.

»Halt die Klappe, du …!«

»Lucie!«

In dem Moment, als Lucie gerade dazu ansetzte, in Zidoras Richtung zu stürmen, donnerte Tanias Stimme durch den Saal. Die Mädchen fuhren zusammen. Die Ältere stand in der geöffneten Tür, ihre Wangen waren leicht gerötet, die Miene wutverzerrt.

»Jetzt gibt's Stress«, flüsterte Carol und fing dafür einen feindseligen Blick auf.

»Mitkommen!«

Lucie presste die Lippen fest aufeinander, ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Sie setzte sich steif in Bewegung. Als sie Tanja erreichte, deutete die nur auf die geöffnete Tür. Krachend landete der schwere Flügel hinter ihnen im Schloss.

»Scheiße«, zischte Carol. »Das gibt Ärger.«

Elysa nickte, biss sich auf die Unterlippe. Wenn das nicht ein mehr als deutlicher Beweis dafür war, dass sie sehr wohl belauscht wurden.

 

Niemand wusste, wo sich Lucie befand. Nach dem Abendessen war sie nicht aufgetaucht und auch als es Zeit war, ins Bett zu gehen, blieb sie verschwunden. Und so lag Elysa allein in dem großen Himmelbett. Die Wachdrohne hatte gerade wieder das Zimmer verlassen, was bedeutete, dass ihr eine halbe Stunde blieb. Das Licht der Nachttischlampe hatte sie noch nicht gelöscht. Sie versuchte ihre Gedanken zu sortieren. Neben ihr am Boden lag die goldene Schachtel. Sie schwang die Beine aus dem Bett, atmete tief durch. Ihr Blick wanderte suchend in Richtung der Zimmerdecke. Elysa beugte sich hinunter, öffnete den Deckel und griff nach dem weichen Stoff des halb transparenten Nachtzeugs und der dazu passenden Unterwäsche. Sie schlüpfte unter ihr Bettzeug, zog sich darunter aus und begann sich umständlich das Kleidungsstück überzustreifen. Als sie der Meinung war, dass alles da saß, wo es hingehörte, schlug sie die Bettdecke zurück und erhob sich. Sie fror. Der durchsichtige Fetzen verhüllte nur mit Not BH und den knappen Slip. Ihre Gesichtshaut glühte. Peinlich berührt stand sie neben dem Bett und wusste nicht, was sie tun sollte. Die Unterwäsche war strahlend gelb und mit kleinen glitzernden Steinchen verziert, wohingegen das Überkleidchen schwarz war. Elysa lief einige Schritte durch den halbdunklen Raum, blieb vor dem Spiegel stehen. Trotz des Unwohlseins musste sie zugeben, dass ihr das Teil ziemlich gut stand. Sie griff sich ins Haar und löste das Band darin. Braune Locken fielen auf ihre Schultern. Sie hatte bewusst nicht alle Schminke vom Gesicht entfernt, sodass ihre Lippen noch leicht rot waren und ein schmaler Kajalstrich ihre Augen betonte. Mit einem gewissen Schamgefühl betrachtete sie ihre Weiblichkeit, schluckte hart. Sie wartete und wusste dabei nicht einmal, worauf. Als sie es schließlich nicht mehr aushielt, eilte sie zum Bett und schlüpfte unter die Decke. Bis zur Nase verbarg sie sich darunter. Was, wenn Calypso ihre kleine Showeinlage albern fand oder es vielleicht gar nicht gesehen hatte? Egal. Hastig tastete sie nach dem Schalter ihrer Nachttischlampe und löschte das Licht. Elysa genoss die Anonymität in der Dunkelheit. Ihr Herzschlag beruhigte sich langsam wieder. An ihrer linken Hand spürte sie den Stoff des wesentlich züchtigeren Nachthemdes. Doch aus irgendeinem Grund wagte sie es nicht, sich zu bewegen. Sie schloss die Augen und wurde vom Schlaf übermannt.

Katharina Groth - Beehive Band 1 - Calypsos Herz
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