Kapitel 4:

Bienen & Honig

 


»Wo ist meine Mutter?«, fragte Elysa erneut. Und wie auch die Male zuvor antwortete niemand. Der Palast lag im Zentrum des 21. Abschnittes. Er war aus jenem Material geschaffen wie auch die Mauern, die den Staat Beehive und die einzelnen Waben eingrenzten. Fest. Stabil.

Wenn man vor dem riesigen Gebäude stand, blickte man auf die Schlossmauer und zwei massive Türflügel aus Holz. Darüber reckten sich einige gelbe Türme mit goldenen Dächern, der Rest blieb verborgen. Nur ausgewählte Menschen hatten Zutritt zum Hof, und so war es für Elysa das erste Mal, dass sie die wahre Pracht des Palastes zu sehen bekam. Der Innenhof war begrünt, und so weit das Auge reichte, sah man Beete, die mit duftenden Blumen bepflanzt waren. Statuen der einstigen Bienenkönige waren im gesamten Hof aufgestellt und posierten in herrschaftlichen Gesten. Mit gelbem Kies bedeckte Wege führten in Richtung des Schlosses; ein großer, mehrstöckiger Komplex, der aus einem Haupt- und mehreren angrenzenden Nebengebäuden bestand. Verschnörkelte Ornamente waren mit Goldfarbe auf den senfgelben Putz gepinselt worden. Überall sah man die Fahnen mit dem Wappen der vereinten Waben, das Wahrzeichen des Staates Beehive. Eine graue Biene auf gelbem Untergrund. In dem Moment, als Elysas Transportkutsche durch die geöffneten Tore gefahren war, hatte sie kurz vergessen, dass man sie von Theodora weggerissen und hierhergeschafft hatte. Erst jetzt, wo sie in dem kleinen Raum stand, kehrte dieses Bewusstsein zurück.

»Zieh dich aus«, befahl die Frau in dem goldgelben Kostüm. Sie war schlank, vielleicht Anfang vierzig und hatte strenge Gesichtszüge. Anscheinend hatte sie die Aufsicht über die zwei Mädchen, die Elysa nervös anblickten. Dienerinnen, die in kurze Röcke und schlichte Tops gekleidet waren.

Das Zimmer, in dem sie sich aufhielten, war vielleicht fünfzehn Quadratmeter groß, eine Art Waschraum. Die Fliesen waren weiß und mit goldenen Linien versehen, die ein Wabenmuster ergaben. Neben einem Waschbecken und einer Dusche befand sich in dem Raum noch ein Schminktisch.

»Nein! Ich möchte sofort wissen «

»Und auch wenn du noch so penetrant nachhakst, wird dir niemand auf solch eine Frage antworten! Deine Vergangenheit interessiert hier keinen!«, grollte die Frau mit dem verhärmten Gesicht. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt. »Und jetzt tu, was ich dir sage, und zieh diese stinkenden Lumpen aus.«

Elysa ballte die Hände zu Fäusten und spürte abermals, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. »Nein.«

Die Augenbrauen der Frau hoben sich. »Das war keine Bitte.« Sie schnippte mit den Fingern. Sofort setzten sich die beiden Mädchen in Bewegung. Eine packte Elysa grob an den Armen, während sich die andere bereits an ihrer Stoffhose zu schaffen machte und sie über ihre Knie zerrte. Elysa schrie, strampelte und wehrte sich, doch die so zierlich aussehende Dienerin hinter ihr hatte einen derart festen Griff, dass Widerstand aussichtslos war. Sie raubten ihr mitsamt der Kleidung ihren letzten Schutzschild. Hände berührten ihre Haut und lösten einen wahren Sturm an Panik in ihrem Inneren aus.

»Lass mich …«, keuchte sie und trat nach hinten aus. Erfolglos. Sie schluchzte. Als die Mädchen von ihr abließen, zog sich ihr Magen schmerzhaft zusammen, sie atmete zitternd ein. Die Tränen rannen ungehindert über ihr Gesicht. »Bitte nicht anfassen«, wimmerte sie leise.

»Albernes Getue. So was hab ich ja noch nie erlebt«, sagte die Frau mit der griesgrämigen Miene ruhig, als Elysa nackt vor ihr stand. Ängstlich hatte sie die Arme um ihren Körper gelegt, versuchte das zu verbergen, was die Ältere nun so unverhohlen musterte. Ihre Mundwinkel zeigten weiterhin nach unten, als sie die rechte Hand ausstreckte und Elysa in den Oberarm kniff.

»Au!«

»Mager«, sagte sie abschätzig, als wäre Elysa lediglich ein Stück Fleisch.

Missmutig wischte Elysa sich die Tränen aus dem Gesicht und starrte ihre Peinigerin finster an.

»Mein Name ist Tania, ich habe im Bienenstock das Sagen.«

»Bienenstock?« Elysas Augen weiteten sich. Sie war auf all das hier nicht vorbereitet.

»Das ist der Ort, wo die Frauen des Herrschers von Wabe 21 leben. Unser Teil des Palastes. Dein neues Zuhause.«

Elysa schluckte hart. »Das … ich …«

»Hör auf zu stammeln, verdammt. Da bekommt man ja Kopfschmerzen«, knurrte Tania und schloss kurz die Augen. »Du stellst dich jetzt unter den Duschkopf und wäschst dir den Schmutz vom Körper. Wenn ich eines bei meinen Frauen nicht akzeptieren kann, dann ist es Unsauberkeit.« Sie deutete auf die geräumige Glaskabine in der linken Ecke des Zimmers. »Du wirst ab sofort jeden Tag einmal duschen und dich gründlich säubern, verstanden?«

Elysa blickte sie erstaunt an. In der Fügungseinrichtung galt tägliches Waschen als Verschwendung der Wasserressourcen und wurde streng geahndet.

»Wird’s bald?!«

Resigniert folgte Elysa der Anweisung und trat unter die Dusche. Warmes Wasser prasselte wie durch ein stummes Signal auf sie nieder. Elysa schloss die Augen, versuchte ihre Gedanken zu sortieren, die Trauer aus ihrem Herzen zu vertreiben. Ließ es zu, dass das Nass die imaginären Fingerabdrücke fortspülte.

»Benutz das!«, drang Tanias verärgerte Stimme durch das Rauschen des Wassers. Blinzelnd trat Elysa unter dem Strahl hervor und nahm ein Glasfläschchen mit einer gelbgoldenen Flüssigkeit entgegen. Die Seife roch angenehm nach Honig und der Schaum fühlte sich weich auf der Haut an. Tania beobachtete sämtliche Handgriffe.

»Nein. Jede Stelle.«

Elysa warf Tania flüchtige Blicke zu, während sie weiter ihren Körper einrieb. Erst jetzt fiel ihr auf, wie knapp das Kostüm der älteren Frau war. Der Bauch wurde lediglich von einem durchsichtigen Stoff verhüllt, das goldene Oberteil darüber bedeckte gerade einmal das Nötigste. Unten herum sah es nicht besser aus; golden glitzernder Schleier über einem eng anliegenden Rock, der kaum bis zur Mitte des Oberschenkels reichte. Ihre Haare waren blond, bereits von einigen grauen Strähnen durchsetzt und hochgesteckt. Der schwarze Schleier bedeckte das halbe Gesicht und war ein Markenzeichen der Bienen. Eines der Dinge, die Elysa aus den Programmheften des Komposiums und dem Newsletter kannte. Außerdem war sie geschminkt.

»Nun mach schon und wasch dir das Zeug ab«, knurrte Tania ungeduldig.

Als Elysa unter den heißen Strahl trat, wallte abermals der süße Duft des Waschgels auf, sodass sie sich ganz benommen fühlte. Das Wasser versiegte wieder wie von selbst und sofort begann Elysa zu frieren.

»Abtrocknen«, befahl Tania barsch und reichte ihr das Frotteehandtuch. Es fühlte sich ungewöhnlich weich an auf der Haut.

»Und stillhalten.«

Eine der Dienerinnen entriss Elysa das Handtuch, während die andere bereits begann, eine Salbe auf ihrem Körper zu verteilen. Elysas Gesichtshaut glühte vor Hitze. Wieder Hände, die sie abtasteten. »Ich … bitte …«

»Halt still! Auch daran kannst du dich schon mal gewöhnen.«

Der süßliche Duft verstärkte sich noch und Elysa spürte Übelkeit in sich aufsteigen.

»Was ist das?«, flüsterte sie.

»Honigbalsam. Der junge König liebt diesen Geruch.«

»Hm.« Elysa versuchte angestrengt ihren krampfenden Magen und die Benommenheit zu ignorieren.

»Zieh das an.« Auf den nächsten knappen Befehl folgte das, was Elysa bereits befürchtet hatte. Man reichte ihr jene eng anliegende Kleidung, die auch Tania trug. Stück für Stück zog sie sich an und fühlte sich, selbst als sie in die Schleier gehüllt war, noch immer nackt. Das Bustier füllte sie nur teilweise aus, was jedoch gut von dem glitzernden Tüllstoff verborgen wurde. Bei dem Rock hatte Elysa bei jeder Bewegung das Gefühl, er würde hochrutschen; die knappe Unterwäsche und zu viel Haut enthüllen.

»Jetzt hör auf, an dir rumzuzupfen!«

»Es ist zu kurz«, murmelte Elysa.

Tania runzelte die Stirn, drapierte die Schleier und schüttelte schließlich den Kopf. »Den Umständen entsprechend perfekt.« Sie streckte ihre Hand fordernd in Richtung der Dienerinnen aus, ohne sie dabei anzublicken. »Schuhe?«

»Oh.« Der Laut, den eine der beiden ausstieß, ließ Tania herumfahren.

»Was oh?«, zischte sie.

Das Gesicht des Mädchens lief rot an, ihre Augen traten etwas hervor. »Schuhe … ich glaube …« Sie brach ab und begann mit zitternden Fingern die Täschchen und Köfferchen zu durchwühlen, in denen sie ihre Ausrüstung verstaut hatten.

Tania stemmte die Hände in die Hüften, beobachtete sie aus schmalen Augen und schwieg. Es dauerte, bis das Mädchen schließlich aufgab und Tania flehend anschaute. Tränen schwammen in ihren Augen.

»Ich … habe sie vergessen.«

»Du hast was?!« Die Worte schallten durch den kleinen Raum und waren so beängstigend, dass selbst Elysa einen Schritt zurückwich.

»Es tut … mir … unendlich … leid …« Das Schluchzen der Dienerin durchbrach ihre eigenen Worte.

»Raus hier«, zischte Tania ganz leise. Am ganzen Körper zitternd, stolperte das Mädchen rückwärts. »Über deine Strafe reden wir, wenn ich mit der hier fertig bin.«

Ein kalter Schauer jagte über Elysas Rücken. In der Haut der Dienerin wollte sie auf keinen Fall stecken. Die Tür fiel hinter der jungen Frau ins Schloss und ließ das Wimmern verstummten.

Als Tania sich ihr wieder zuwandte, war ihre Miene ernst. »Dann wirst du eben ohne Schuhe rüberlaufen müssen. Du findest alles in deinem Zimmer – das hoffe ich zumindest.«

Elysa schluckte, sammelte all ihren Mut. »Wann kann ich mit jemandem sprechen, der hier etwas zu sagen hat?«

»Was?« Tanias Augenbrauen hoben sich.

»Ich bin hier nicht richtig.« Sie versuchte dabei nicht wütend zu klingen, sondern bittend. »Meine Mutter hat Krebs im Endstadium. Sie braucht mich. Meine Werte müssen falsch sein, ich kann hier nicht hergehören.«

»Und du möchtest jetzt gerne nach Hause?« Tania spitzte die Lippen.

»Nein … ja … also ich möchte zu meiner Mutter.«

Der süßliche Tonfall der Älteren ließ Schlimmes vermuten. Und tatsächlich: Tanias Wangen röteten sich, aus ihren Augen sprühte Wut. Es knallte laut, als Tanias Handfläche mit ihrer Wange kollidierte. Elysa stöhnte, rieb sich die schmerzende Stelle. »Man hat mich bereits davor gewarnt, dass die letzte Biene mit ihrem Ergebnis nicht einverstanden sei. Bis jetzt konnte ich das nicht glauben.« Tanias Gesicht war ihr nun ganz nahe. Zu nah. »Selten ist mir ein so undankbares Ding wie du untergekommen. Es ist eine Ehre, Beehive als Biene zu dienen. Mir ist scheißegal, was mit deiner Mutter ist. Die Vergangenheit spielt ab dem heutigen Tag keine Rolle mehr. Das Einzige, was zählt, ist deine Aufgabe. Nur wenige haben das Glück, die Kinder des Bienenkönigs zu empfangen, einem der letzten fruchtbaren Männer auf der gesamten Erde. Und du hast ernsthaft den Schneid, mir zu sagen, dass du nach Hause möchtest?« Tanias Gesicht war tiefrot angelaufen.

»Ich … bin nicht die Richtige dafür.«

Bei der zweiten Backpfeife wurde Elysas Kopf zur Seite geschleudert, Schmerz explodierte an ihrer Wange. »Jetzt halt deine verdammte Klappe! Wenn ich noch mal so etwas von dir zu hören bekomme, sorge ich persönlich dafür, dass man dich ins Exil schickt.«

Elysa schluckte. Das Exil. Außerhalb von Beehive gab es nichts als verbrannte Erde. Das Land war verseucht, ein Überleben quasi nicht möglich. Sie presste die Lippen fest aufeinander.

»Ach? Jetzt überlegst du es dir wohl anders, was? Sehr gut. Setz dich auf den Stuhl.« Tania deutete in Richtung Schminktisch. Mit weichen Knien tat Elysa, was von ihr verlangt wurde, starrte in ihr Spiegelbild. Ihre Augen wurden glasig und die aufkeimenden Tränen ließen sich nur durch mehrmaliges Blinzeln zurückhalten. Die Hand von Tania hatte rote Spuren auf ihrer Wange zurückgelassen, die schmerzhaft pochten. Gebannt betrachtete Elysa den schwarzen Schleier, der auf dem Tisch zwischen zahlreichen Töpfchen und Tiegelchen lag. Elysa atmete tief durch. Ihr Schicksal war besiegelt.

 

»Das ist euer Hauptraum«, sagte Tania. Ihre Stimme wurde von den hohen Decken des Saals zurückgeworfen. Weißer Mamorboden, der sich kalt an ihren Füßen anfühlte, goldene Säulen und große Fenster, die einen Blick in den Innenhof des Palastes erlaubten. Außerdem gab es im Bienenstock mehrere Fernseher, einen Schrank, der bis oben hin mit Brettspielen aus der alten Zeit gefüllt war, und sogar einen Flipper, der tatsächlich funktionierte. All diese Überbleibsel sammelten sich hier, als wären sie eine Selbstverständlichkeit.

Elysa wurde aus neugierigen Augen gemustert. Die Mädchen trugen dieselbe knappe Kleidung wie sie, saßen auf den bereitgestellten Couchgarnituren, sahen Fernsehen über einen riesigen Flachbildschirm oder standen in einer kleinen Gruppe am blinkenden Flipperautomaten.

»Du bist die Letzte.« Ein mahnender Unterton schwang in ihren Worten mit. »Ich werde dir jetzt erklären, wie es hier läuft, und ich möchte, dass du mir gut zuhörst, klar? Ich mach das hier nur einmal.«

Elysa nickte. Ihre Augen brannten von dem aufgetragenen Kajalstift, die zahlreichen Farbschichten verklebten ihre Gesichtshaut.

»Innerhalb des Palastes genießt du gewisse Annehmlichkeiten. Eine der Auffälligsten ist wohl, dass dir diese verdammten Erdbeben erspart bleiben. Das gesamte Schloss ist auf Platten erbaut, die jede Bewegung des Bodens ausgleichen. Sehr fortgeschrittene Technik. Mehr als höchstens ein leises Grummeln, das von den umliegenden Waben herrührt, wirst du also nicht mitbekommen. Eure Schlafzimmer befinden sich dort.« Tanja zeigte auf einen breiten Durchgang, hinter dem ein dunkler Flur lag. »Da ihr in diesem Zyklus die doppelte Anzahl an Mädchen seid, waren wir gezwungen, euch in Zweibettzimmern unterzubringen. Deines ist das Letzte auf der linken Seite, deine Mitbewohnerin heißt Lucie.«

»Okay«, sagte Elysa, als die Ältere eine Pause machte.

»Der Tagesablauf sieht wie folgt aus: Schlafen von zweiundzwanzig bis sechs Uhr, sieben Uhr Frühstück, acht Uhr ärztliche Untersuchung und anschließend Freizeit bis achtzehn Uhr. Mittagessen entfällt, damit ihr hier drinnen nicht fett werdet. Wenn das Wetter gut ist, könnt ihr auch in den Palastgarten. Um achtzehn Uhr gibt es Abendessen. Verstanden?«

»Ich … ja.«

»Gut. So viel zum Zeitplan, kommen wir nun zu den grundsätzlichen Dingen. Das Essen innerhalb dieser Mauern ist streng nach den Empfehlungen deiner Ärzte festgelegt. Keine Alternativen, kein Meckern und kein Das-mag-ich-nicht. Deine Familie ist nicht mehr existent, generell spielt deine Vergangenheit keine Rolle mehr. Jede Erwähnung, die mir zu Ohren kommt, wird bestraft.« Sie sah Elysa aus schmalen Augen an. »Ich betone bei dir noch einmal: Meine Strafen sind dafür bekannt, sich besonders tief ins Gedächtnis einzubrennen. Ich empfehle dir also, diese Erfahrung nicht zu machen.«

Elysa schluckte trocken, zog es vor zu schweigen.

»Der nächste Punkt betrifft den Bienenkönig. Ihr könnt Calypso weder sprechen, wann ihr es wollt, noch habt ihr Einfluss auf die Treffen mit ihm. Der gesamte Bienenstock ist kameraüberwacht. Wenn Calypso eine von euch Mädchen sehen will, dann bekommt er das auch. Sei es mitten in der Nacht oder während des Essens. Der König und seine Wünsche haben immer Priorität.«

Ein ungutes Gefühl manifestierte sich in Elysas Nacken. »Jeder Raum ist kameraüberwacht?«

»Alle bis auf den Bereich der Nasszelle. Natürlich wird eure Privatsphäre geschützt.«

»Und die Schlafkammern?« Elysas Augen weiteten sich.

»Ich sagte doch, überall, abgesehen von den Waschräumen.«

»Aber …«

Tania hob mahnend die rechte Hand. »Ich hoffe, du möchtest mir jetzt nicht widersprechen, Elysa. Das kann ich genauso wenig leiden, wie wenn jemand dusselige Fragen stellt.«

Elysa seufzte, schlang die Arme um ihren Körper, versuchte die entblößten Hautpartien zu verdecken.

»Wenn es zu einem nächtlichen Treffen mit dem König kommt, wird das mit den Ärzten vorher abgesprochen und genau terminiert. Auch hier geht die Initiative ausschließlich von Calypso aus.«

Elysa verkrampfte sich. Das alles war surreal und vollkommen unverständlich. Jegliche Intimitäten waren in der Fügungseinrichtung verboten und auch beinahe unmöglich gewesen und es gab kaum Männer, die im Zentrum angestellt waren. Die meisten zukünftigen Bienen lernten, was sie wissen mussten, in speziellen Fortpflanzungskursen. Bei ihr hatte dies keiner getan, weil es niemals zur Debatte gestanden hatte. Sie war immer davon ausgegangen, dass sie – genau wie ihre Eltern – einmal Arbeiterin sein würde. Bei einigen Frauen war es nach der Ausbildung so, dass sie einem unfruchtbaren Mann aus Wabe 21 zugewiesen wurden und gemeinsam mit ihm Pflegekinder großzogen. Eben diese hatten dann dieselben genetischen Voraussetzungen wie man selbst und lernten in der Familie die passenden Umgangsformen und Bräuche für ihren zukünftigen Stand. Punkt. Mehr gab es nicht zu wissen. Bis zum heutigen Tag war Elysa genau von solch einem Leben ausgegangen und nicht davon, dem König Kinder zu schenken. Sie verstand nicht einmal, was genau sie dazu beitragen sollte, kam sich endlos dumm vor. Seit der Fügung war ihre einzige Sorge ihre Mutter gewesen. Erst jetzt wurde Elysa bewusst, dass sie hier im Palast mit noch ganz anderen Problemen zu rechnen hatte.

»Hast du mir überhaupt zugehört?«

Elysa zuckte zusammen, errötete. »Ähm … nein … entschuldige bitte.«

Tania stöhnte, schloss die Augen und massierte sich die Stirn. Als sie die Lider wieder öffnete, schoss ihre rechte Hand blitzschnell nach vorne und packte Elysa am Ohrläppchen. Elysa schrie auf, als ihr Kopf zur Seite gerissen wurde. Die spitzen Fingernägel gruben sich in die weiche Haut. Gespräche verstummten, die Aufmerksamkeit der tuschelnden Mädchen ruhte allein auf Elysa in Tanias Klammergriff.

»Ich habe doch gesagt, du sollst aufpassen, weil ich die Dinge nur einmal sage, oder?«

»Lass mich …«, keuchte Elysa und versuchte sich von Tania loszumachen, kämpfte mit der aufkeimenden Panik. Sofort wurden ihre Atemwege eng und erlaubten nur noch ein japsendes Luftholen. Sterne tanzten vor ihren Augen. Doch je mehr sie sich gegen den Griff stemmte, desto stechender wurde der Schmerz. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit ließ Tania von ihr ab. Elysa wich zurück, hielt sich das schmerzende Ohr. Sie zitterte heftig.

»Lektion Nummer 1: Wenn du nicht machst, was ich dir sage, bekommst du auch keine zweite Chance.« Mit diesen Worten blickte Tania sie ein letztes Mal strafend an und wandte ihr den Rücken zu. Die Bienen kicherten und tuschelten leise.

»Herzlich willkommen im Bienenstock«, rief eines der Mädchen mit höhnischem Grinsen. Sie war hochgewachsen, schlank und schien endlose Beine zu haben. Ihre Haare waren rot, die perfekt geschminkten Gesichtszüge verliehen ihr etwas Königliches. Die Frauen, die sich um sie scharten, lachten bösartig. Elysas Wangen glühten. Statt zu antworten, stürzte sie in die Richtung, in der ihr Schlafzimmer liegen musste. Das hämische Gekicher der Bienen folgte ihr noch bis in den Flur zu den Privaträumen.

Katharina Groth - Beehive Band 1 - Calypsos Herz
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