Kapitel 18:

Verrat & Vertrauen

 


Für deine Loyalität, ich erwarte dich zum gemeinsamen Abendessen, Calypso

 

Elysas Finger zitterten, als sie das feingliedrige Armband aus der Schachtel nahm. Es war silbern und mit vielen kleinen Diamanten besetzt. Kühl und schwer lag es in ihrer Hand. Der kleine Karton hatte nebst der Botschaft und einer orangefarbenen Rose auf ihrem Kopfkissen gelegen. Auf ihrem Bett. Ein beinahe noch größeres Geschenk für sie.

»Was geht hier eigentlich vor?« Lucie hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Eilig wollte Elysa den Schmuck zurück in das Behältnis schieben, Calypsos Nachricht verbergen. Doch es war zu spät. Lucie musterte bewundernd das von Diamanten besetzte Stück, um dann die Nachricht zu lesen. Elysa sackte in sich zusammen und wappnete sich. Tatsächlich hätte Lucies Blick kaum mehr Kälte ausstrahlen können. »Langsam glaube ich, dass Zidora doch recht hatte.«

»Lucie, das ist wirklich …«

»Du hast dich ihm an den Hals geschmissen, oder? Willst du es jetzt wirklich wissen, ja? Bist du jetzt auch scharf darauf, die Erste zu sein?«

»Nein, wirklich nicht.« Elysa erhob sich und trat in Lucies Richtung, doch die wich zurück.

»Erzähl mir doch nichts! Seit du bei ihm warst, bist du vollkommen verändert! Und jetzt spricht er schon von Loyalität?!«

»Das verstehst du nicht.« Elysa ließ die Schultern hängen. Diese Diskussion konnte sie nur verlieren.

»Nein! Das verstehe ich tatsächlich nicht. Denn weißt du, wie das für mich klingt?« Elysa schwieg. Lucies Gesichtshaut war rot angelaufen. »Es wirkt so, als hättest du mit Calypso irgendeinen Deal laufen. Denn sind wir mal ehrlich, du bist einfach nicht dieser Zidora-Typ. Du schmeißt dich an keine Kerle ran. Du bekommst ja schon Panik, wenn dir jemand die Hand gibt!«

»Es gibt keinen Deal.« Das klang selbst in Elysas Ohren falsch.

Lucie stieß ein freudloses Lachen aus. »Verarsch mich nicht, Elysa. Was springt für dich raus? Das Bett?« Lucie wedelte mit dem Armband herum. »Schicke Brillis? Ich habe nämlich keine Ahnung, wie der Typ dich schwängern sollte? Du wirst doch garantiert schon bei einer Umarmung ohnmächtig.«

Das saß. Elysas Kehle wurde eng, die Magenschmerzen setzten wieder ein. Sie wollte etwas sagen, so viel erzählen, aber ihre Lippen gehorchten nicht.

»Nichts? Ernsthaft?« Wut sprühte aus Lucies Augen. »Ich bin verdammt enttäuscht von dir.« Das Armband landete auf der Bettdecke. Dann fuhr Lucie herum und verließ mit schnellen Schritten das Zimmer.

Elysa sank kraftlos auf das Bett zurück. Finster starrte sie das Schmuckstück an, das ein Beweis für ihren Verrat war. Lucie hatte recht. Als Elysa noch ein Kind gewesen war, hatte ihre Mutter immer zu ihr gesagt, dass man es ihr an der Nasenspitze ansehe, wenn sie log. Als sie älter wurde, hatte sie diesen Worten immer weniger Wert beigemessen. Jetzt, wo es eine Rolle spielte, wie gut sie Geheimnisse für sich behalten konnte, kamen sie ihr jedoch unweigerlich wieder ins Gedächtnis. Elysa schluckte.

»Biene Elysa?« Eine der Dienerinnen spähte durch die halb geöffnete Zimmertür. »Ich soll dich mitnehmen. Du sollst schon mal für das Treffen mit Calypso vorbereitet werden.« Sie senkte ergeben den Kopf.

»Danke.« Elysa erhob sich zögerlich. Bevor sie das Zimmer verließ, warf sie noch einen Blick auf das Armband, das sie herausfordernd von ihrer Tagesdecke anglitzerte. Sie überlegte kurz, danach zu greifen, verwarf den Gedanken allerdings sofort wieder.

 

»Du trägst es nicht.« Calypso schaute sie über den Rand seines Glases hinweg an.

»Nein«, antwortete sie, ohne von ihrem Teller aufzuschauen. Sie war noch immer wütend auf ihn, und zeitgleich brachten seine bohrenden Augen sie in Verlegenheit.

»Warum nicht? Gefällt es dir nicht?«

Sie schob sich den Löffel zwischen die Lippen. Der feine Eintopf schmeckte nach nichts. »Es ist wunderschön.«

Calypso schnaufte. Erst jetzt wagte es Elysa aufzusehen. Sein Gesicht war zu einem grimmigen Ausdruck verzerrt. Er trug ein weißes Hemd, dessen Ärmel er lässig auf Ellbogenhöhe nach oben gekrempelt hatte. Im stechenden Blau seiner Augen spiegelte sich Ungeduld.

»Erklär mir das«, forderte er und warf seine Serviette auf den Tisch. Sein Teller war nur zur Hälfte geleert. Etwas unwirsch griff er nach dem Kelch mit Ambrosia und nahm einen Schluck.

»Es fühlte sich nicht richtig an«, murmelte Elysa vorsichtig.

»Was?« Calypsos Stimme war schneidend.

Elysa ließ ihren Löffel sinken und legte die Hände in den Schoß. »Du … hast Carol wirklich weggeschickt?«

»Das hatte ich angekündigt.« Calypso stellte das Glas mit Nachdruck wieder auf dem Tisch ab. Die goldgelbe Flüssigkeit schwappte über den Rand.

»Aber … sie …« Elysa verstummte.

»Diese Stammelei strengt mich an. Wenn du etwas zu sagen hast, dann tu es einfach.«

Elysa schloss kurz die Augen, sammelte sich. »Ich möchte nicht dafür belohnt werden«, sagte sie so schnell, dass sich ihre Stimme dabei fast überschlug.

»So? Mein Vertrauen zu gewinnen ist also keine Belohnung wert?« Calypso hob beide Augenbrauen.

Wieder fühlte sich Elysa nackt unter seinen Blicken. Sie schwieg, wusste nicht recht, was sie antworten sollte.

Calypso griff nach der Serviette, wischte sich über den Mund und sah sie mit einem merkwürdigen Funkeln in den Augen an. »Lass das stehen, wir können später weiteressen.« Er deutete auf den halb vollen Teller. »Komm mit.«

Calypso verließ den Speisesaal und Elysa folgte ihm verdutzt. Sie durchliefen den Trakt des Bienenkönigs schweigend. Wieder einmal war Elysa überrascht, wie großzügig die Räumlichkeiten des Königs waren. Der umfassende Bienenstock wirkte winzig dagegen. Ein Raum ging in den nächsten über; eine weitere Bibliothek, ein Wohnzimmer, ein Badezimmer, das Schlafgemach. Alle Zimmer waren über große Durchgänge miteinander verbunden, deren Schiebetüren offen standen. Für Calypso schien Privatsphäre nebensächlich zu sein. Andererseits, wer außer der Dienerschaft hatte hier schon Zutritt?

Calypso wartete nicht auf Elysa, sondern schritt eilig voran. Sie blieben erst stehen, als sie an der ersten verschlossenen Tür ankamen. Sie war komplett vergoldet und in das Holz waren verschlungene Ornamente geschnitzt. Der König drehte sich zu ihr um. Er hatte ein breites Lächeln auf den Lippen.

»Diesen Raum bekommen nur sehr wenige Menschen zu sehen. Du kannst dich also geehrt fühlen.«

Er griff in seinen Ausschnitt und holte eine feingliedrige Kette hervor, an der ein goldener Schlüssel hing. Elysa wusste, dass Tania einen Ähnlichen besaß. Die Halskette war lang genug, um den Schlüssel in das Schloss zu schieben, ohne sie ablegen zu müssen. Es klickte, Calypso drehte den Knauf und die Tür öffnete sich.

Elysa folgte ihm in das Innere. Die Statuen zeigten Beehives Stolz in eleganten Posen; die Könige und ihre Ersten Bienen. Sie glänzten golden. Elysa hatte gehört, dass die gesamten Gebilde ausschließlich aus Gold gefertigt waren. Ein Material, dessen Wert die Zeit und die Kriege überdauert hatte. Noch immer zeugte es vom Wohlstand des Palastes.

Es waren insgesamt drei Frauen auf der rechten und drei Männer auf der linken Seite des Raumes. Sie alle repräsentierten Wabe 21. Calypso trat an die leere Stelle in der Reihe der Männer. »Nicht mehr lange, dann wird hier mein Abbild zu finden sein.« Er drehte sich zu Elysa um und deutete auf die gegenüberliegende Seite. Neben dem leeren Platz, auf den Calypso zeigte, erkannte Elysa eine jüngere Version von Tania. »Und dort wird meine Königin stehen. Jene Biene, die Beehive das erste Kind schenkt. Ich werde zu keiner anderen eine so enge Bindung aufbauen wie zu ihr, das Volk wird ihr auf ewig dankbar sein.«

Elysa spürte, wie ihre Kehle eng wurde. Sie fühlte sich unwohl in dem kleinen Zimmer.

Calypso schien es nicht zu bemerken, denn sein Lächeln geriet nicht eine Sekunde ins Wanken. »Und jetzt beantworte mir die Frage: Lohnt es sich, mein Vertrauen zu erlangen?«

Elysa räusperte sich und musterte Tanias Abbild. Sie wusste natürlich, was für eine Ehre es war, an diesem Platz zu stehen. Bei der Enthüllung des Kunstwerkes gab es eine große Feier, zu der auch die Könige der benachbarten Waben geladen wurden. Wenn jene Erste Biene dann auch noch einen Jungen gebar, wurde sie vom Volk beinahe so euphorisch gefeiert wie der König selbst.

»Nun?« Calypso warf ihr einen ungeduldigen Blick zu.

»Natürlich ist es eine Ehre«, sagte Elysa schnell und vertrieb die Gedanken an die leblosen Körper.

Calypso musterte sie eingehend. »Aber?«

Sie atmete mehrmals tief durch, bevor sie sich eine Antwort erlaubte. Und die stand im krassen Widerspruch zu dem, was eigentlich aus ihrem Mund kommen sollte. »Ich glaube nicht, dass ich für das Leben im Palast gemacht bin.«

Calypso runzelte die Stirn und durchlief schlendernd den Raum. »Tatsächlich?«

»Ja«, entgegnete Elysa knapp. Dass er sich ihr näherte, machte sie unruhig. Kurz vor ihr blieb er stehen. Entgegen Elysas Erwartungen sah er nicht verärgert aus, sondern amüsiert.

»Was?«, fragte sie leise und errötete einmal mehr unter seinen Blicken.

»Irgendwie ist es charmant.«

»Ich …« Sie brach ab. Calypso stand nun so nah vor ihr, dass ihr wieder einmal bewusst wurde, wie groß er war. Sie musste nach oben schauen. Calypso streckte eine Hand aus und berührte sie an der Wange. Die Bewegung kam so unvermittelt, dass Elysa erstarrte, statt zurückzuweichen. Seine Finger fuhren sanft über ihre Haut, kitzelten leicht. Calypsos Augen musterten Elysa so eingehend, als wollte er sich jeden einzelnen Abschnitt ihres Gesichtes genau einprägen. Angespannt lauschte Elysa in ihr Innerstes, wartete auf die nahende Panik. Ganz leicht zerrte sie an ihren Nerven, doch sie war nichts im Vergleich zu der ungewohnten Aufregung, die sie verspürte. Calypso schob ihr eine Strähne hinter das Ohr. Seine Mundwinkel zuckten.

»Ausgesprochen charmant …«, flüsterte er.

Elysas Herz polterte ungestüm gegen ihre Rippenbögen. Sie schluckte. Die neuen Empfindungen machten ihr Angst, und dennoch entfachten sie ihre Neugierde. Irgendwas in seinem Gesicht hatte sich verändert, war sanfter als sonst. Elysa konnte sich nicht daran erinnern, wann ihr das letzte Mal jemand so nah gewesen war.

Calypso lächelte. »Du bist irgendwie anders.«

Seine Worte weckten sie aus ihrer Bewegungslosigkeit und erinnerten sie daran, was gerade geschah. Ein wenig plötzlich wich sie zurück. Calypso erstarrte einen Moment, doch dann kehrte der altbekannte kühle Ausdruck in sein Gesicht zurück. Eine Tatsache, die auf merkwürdige Weise schmerzte.

»Ich … es ist nicht so …«

Calypsos Augenbraue hob sich fragend. »Was ist nicht so?«

»Es …« Sie fühlte sich ungewohnt atemlos, ihre Gesichtshaut glühte. Verkrampft suchte sie nach den richtigen Worten, doch die wollten ihr nicht einfallen. Calypsos Gesicht nahm einen zunehmend verschlossenen Ausdruck an. Elysa verspürte ihm gegenüber eine tiefgreifende Scham, was ihre Ängste anbetraf. Aus ihr noch unerklärlichen Gründen war es ihr wichtig, was er von ihr hielt.

»Wieder einmal erheiterst du mich.« Doch er klang dabei nicht belustigt.

»Ja?« Ihre Stimme zitterte. Eigentlich war Elysa immer der Annahme gewesen, dass sie ihn die meiste Zeit eher wütend machte. Sie hob den Blick, fixierte einen Punkt auf seiner Stirn, um ihm nicht in die Augen schauen zu müssen.

Calypso verschränkte die Arme vor der Brust. »Welches Mädchen würde auf dieses Leben hier verzichten wollen?« Er vollführte eine allumfassende Geste und stieß ein kurzes Lachen aus.

Elysa entschied sich abermals für die Wahrheit. »Ich gehöre hier nicht her.«

»Sondern zu deiner Mutter?«

Ihr gefiel es nicht, wie er das letzte Wort aussprach. So voll Abscheu und Verbitterung, dass sich in Elysas Inneren ein schmerzhafter Knoten bildete. Wut löste Angst ab. »Nur weil dir deine Eltern nicht …« Elysa brach ab, die Worte erstarben in ihrer Kehle. »Es tut mir leid, ich wollte das so nicht sagen … ich meinte natürlich …«

Calypsos Miene war undurchdringlich. »Nein, nein, beende deinen Satz.«

»Aber es war wirklich nicht … ich entschuldige mich …« Sie wich noch weiter vor ihm zurück.

»Ich verstehe natürlich deine Scham. Schließlich weiß jeder innerhalb der Waben, dass über die Eltern des Königs nicht gesprochen wird. Dennoch bestehe ich darauf, dass du das zu Ende führst, was du angefangen hast. Was wolltest du sagen?« Sein Tonfall war ebenso eisig wie sein Ausdruck.

»Bitte … es war wirklich …«

»Hör auf mit dem Gestammel!«

Elysa fuhr zusammen, als seine Worte durch den kleinen Raum hallten. Calypso hatte recht. Niemand sprach über die Eltern des Königs. Es standen hohe Strafen darauf, sie überhaupt zu erwähnen.

»Ich denke, damit ist unser Treffen für heute beendet.« Er wandte ihr den Rücken zu und verließ den Raum mit großen Schritten. Verunsichert folgte ihm Elysa. Er verschloss die Tür nachdrücklich, als sie nach draußen getreten war.

»Wenn du jemandem hiervon erzählst, schicke ich dich sofort ins Exil.« Sein Ausdruck war finster, aus seinen Augen sprach offene Abneigung.

Elysa schluckte trocken, verspürte das dringende Bedürfnis, sich zu entschuldigen. »Calypso, ich …«

Doch der König hatte ihr bereits den Rücken zugewandt und ließ sie vor dem goldenen Raum stehen. Sie schalt sich still für ihre eigene Dummheit. Was war das Vertrauen des Königs wert? Unendlich viel, wenn es bedeutete, dass Theodora am Leben blieb. Doch in Calypsos Nähe war sie außerstande, die Rolle zu spielen, die Darian und seine Leute für sie vorgesehen hatten. Elysa hatte noch nie gern gelogen, doch in seiner Gegenwart schien es ein Ding der Unmöglichkeit.

Katharina Groth - Beehive Band 1 - Calypsos Herz
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