24
Freundschaftsdienste
Mila
Ich konnte nicht aufhören, Shirin anzustarren. Doch anders als bei Sam war es nicht ihr Strahlen, das mich anzog. Ihres war deutlich schwächer als Sams, als hätte es schon vor langer Zeit seine Kraft verloren. Da war zum einen ihr Äußeres, das mich in seiner Exotik schlicht faszinierte. Zum anderen strahlte sie etwas aus, das meine Fantasie beflügelte. Mir jagten Bilder von Räumen durch den Kopf, in denen Seidenbahnen vom Wind aufgebauscht wurden. Eine volle Frauenstimme, die in einer längst vergessenen Sprache sang. Schalen mit Wasser, in denen dunkelrote Blüten schwammen. Je länger ich Shirin heimlich aus den Augenwinkeln betrachtete, desto vielfältiger wurden die Bilder in meinem Kopf, aber sie erzählten alle von einer fernen Vergangenheit und berichteten nichts von der Shirin, die als Schattenschwinge in der Sphäre lebte. Vielleicht lag es daran, dass ihr menschliches Leben, auch wenn es schon sehr lange her war, die stärkeren Spuren hinterlassen hatte.
Zuerst war es mir unangenehm, neben dieser schweigsamen Frau zwischen den Fichten umherzugehen und Hölzer zu sammeln, weil ich trotz größter Anstrengung nicht den Blick von ihr losreißen konnte. Bis mir klar wurde, dass Shirin mich ebenfalls beobachtete, wenn auch um einiges geschickter. Sie war ohne Zweifel neugierig auf das Mädchen, das Sam allen Widerständen zum Trotz mitgebracht hatte. Oder auf das erste Menschenkind seit wer weiß wie lange.
»Ich würde dich gern einmal zeichnen«, setzte ich in der Hoffnung an, einen Weg zu finden, auf dem wir uns annähern konnten.
»Wozu sollte das gut sein?« Shirins Stimme war dunkel und ungewöhnlich tief.
Da musste ich erst einmal drüber nachdenken. Weil ich jemanden wie dich noch nie gesehen habe? Weil du so geheimnisvoll und fremdartig bist? Weil ich dich mag? Nun, all das stimmte, traf es aber noch nicht zu hundert Prozent. »Wenn ich etwas aufzeichne, hilft es mir, es besser zu verstehen. Man sagt doch auch: Sich ein Bild von jemandem machen.«
»Und du willst mich verstehen?« In Shirins Worten schwang eine Mischung aus Vergnügen und Unglauben mit.
»Ja«, sagte ich und bemühte mich, dabei möglichst selbstbewusst zu wirken. Was in Shirins Nähe gar nicht so leicht war. Auch wenn sie das bestimmt nicht wollte, kam ich mir wie die Sechzehnjährige vor, die ich war. Ein bisschen unbedarft und gleichzeitig eifrig darauf bedacht, gleichgestellt zu sein. Sofern das bei einer uralten Schattenschwinge überhaupt möglich war.
»Was hältst du von einem Geschäft? Ich sitze dir Modell für eine Zeichnung, wenn du mir erzählst, wie du mit der Sphäre und mit dem Wissen zurechtkommst, dass Samuel eineSchattenschwinge ist.«
Das klang nach keinem schlechten Deal. »Dass Sam nicht der Junge von nebenan ist, war mir schon immer klar.« Vollkommen offen erzählte ich ihr von meiner ersten Begegnung mit ihm und dem Eindruck, den er bei mir hinterlassen hatte. »Deshalb hat es mich auch nicht um den Verstand gebracht, als er mich in die Sphäre mitgenommen hat. Außerdem ist ein Junge mit Schwingen sehr viel besser als ein toter Junge.«
Plötzlich vergaß ich meine Rede und starrte eine Fichte an, an deren Rinde sich Harz gebildet hatte. Nicht etwa ein Tropfen, um die Wunde des Baumes zu heilen. Es flossen ganze Rinnsale aus dem Stamm. Ein samtig schimmernder Fluss, der mitten in der Bewegung erstarrt war.
»Bernstein. Form gewordene Vergangenheit.« Shirin nahm etwas von der zähen Masse zwischen ihre Finger und verrieb sie. »Wenn es ausgehärtet ist und entsprechend bearbeitet wird, ist es schwerer zu zerbrechen als jedes Metall.«
»Das kann nicht sein«, erwiderte ich schwach, meiner eigenen Stimme nicht trauend. »Es ist doch nur Harz.«
Shirin legte ihr Holzbündel ab und hielt mir ihre Handgelenke hin, um die sich breite Reifen schlangen. Sie glänzten dunkel und unter der spiegelglatten Oberfläche zeichneten sich Schlieren ab. Das Material fühle sich irritierend warm an, ganz anders als Metall. Lebendig, mit einem eigenen Willen. Hastig zog ich die Hand zurück, während sich Unbehagen in mir breitmachte. So schön die Reifen auch aussahen, ich hätte sie um keinen Preis tragen wollen.
»Und ich könnte diesen bearbeiteten Bernstein nicht zerkratzen oder gar aufschneiden?«
Shirin hatte ihre sinnlichen Lippen so fest aufeinandergepresst, bis sie nur noch zwei blasse Striche waren. »Wenn du diese Reifen von meinen Armen bekommen möchtest, musst du mir schon die Hände abhacken.«
»Warum hast du sie dir dann angelegt?«
»Wer sagt denn, dass ich sie mir angelegt habe?«
Die Bitterkeit war nicht zu überhören. Wenn Shirin die Armreifen nicht freiwillig angelegt hatte - und es klang sehr danach -, dann bedeuteten sie bestimmt nichts Gutes. Womit sich ein weiteres dunkles Geheimnis der Sphäre andeutete. Trotzdem konnte ich keine Spur von Verzweiflung in Shirins Zügen entdecken, sondern nur Stolz. Vermutlich hatte sie sich mit diesen Reifen schon vor langer Zeit abgefunden.
Während ich noch darüber nachsann, nutzte Shirin die Gelegenheit und streifte wie beiläufig meine Finger, als wir nach demselben Holzstück griffen. Ein weiches Seufzen kam über ihre Lippen und ihre Aura flammte dunkel auf. Während mir vor Verwunderung die Brauen zusammenrutschten, lächelte Shirin verlegen.
»Tut mir leid. Es ist nur so lange her, dass ich eine Verbindung zur Menschenwelt gespürt habe. Es gab eine Zeit, da habe ich nichts sehnlicher gewünscht, als die andere Seite zu vergessen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich damit so erfolgreich gewesen bin.«
»Sam sagte mir bereits, dass einige Schattenschwingen Menschen gegenüber nicht besonders freundlich eingestellt sind. Auch die Geschichte mit den Körperlosen klang nicht gerade beruhigend. Alles Menschliche würde diese Gestalten anziehen, aber nicht unbedingt auf eine gute Art.«
»Da hat er recht. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es klug von ihm gewesen ist, es dir gegenüber zu erwähnen. Warum dich verängstigen, wenn du nie einem von ihnen begegnen wirst - zumindest wenn Samuel und ich es verhindern können? Außerdem ist die Sphäre in der heutigen Zeit ein harmloser Ort, wenn man ihre Grenzen kennt und niemandes Schlaf stört. Samuel wird dir wohl erzählt haben, dass ich zuerst dagegen gewesen bin, dass er dich mit hierher bringt?«
Ich nickte stumm. Überraschenderweise verletzte es mich nicht, dass Shirin sich so freimütig dazu bekannte, Sam etwas Derartiges abverlangt zu haben. Schließlich hatte sie sich letztendlich anders entschieden und sich damit sogar gegen den Ersten Wächter gestellt.
»Ich möchte dir gern erklären, warum ich Samuel trotzdem unterstütze, obwohl es meiner Aufgabe als Wächterin widerspricht. Ich habe ihn gelehrt, den Bannspruch zu beherrschen. Und ich habe ihm verraten, dass er einen Menschen mit sich in die Sphäre nehmen kann, ohne ihn zu gefährden. Asami und die anderen Wächter sind der Auffassung, dass es unsere Aufgabe ist, junge Schattenschwingen zu schützen - vor der Menschenwelt, aber auch vor sich selbst. Aber Samuel? Nun, er lässt sich ja nichts sagen und schon gar nicht, wenn es um seine Liebe zu dir geht. Mit meinem Schweigen hätte ich ihn mehr gefährdet als Asamis Wut es jemals könnte. Denn Samuel hätte früher oder später auf jeden Fall versucht, zu dir zurückzukehren. Ohne meine Hilfe wäre das bestimmt nicht gut ausgegangen. Und wenn ich ihm nicht in Aussicht gestellt hätte, dass er dich in die Sphäre mitnehmen darf, dann hätten wir ihn verloren.«
Shirin hielt inne und musterte mich eindringlich, sodass ich schlagartig das Bedürfnis verspürte, mich hinter einer Fichte zu verstecken. Sie übte eine solche beeindruckende Wirkung auf mich aus, dass ich vollständig vergaß nachzufragen, warum Sam ihr eigentlich so wichtig war.
Dann griff Shirin erneut ihre Rede auf: »Allem Anschein nach war Samuels Entscheidung auch gar nicht verkehrt, denn du hast den Wechsel ja gut verkraftet. Deshalb werde ich euch helfen, wenn ihr euch an ein paar Regeln haltet.«
»Das werden wir, ganz bestimmt. Sam hat es doch auch gar nicht darauf abgesehen, für Unruhe zu sorgen. Dafür liebt er die Sphäre viel zu sehr. Wir wollen einfach nur zusammen sein und niemanden verärgern, wenn es sich vermeiden lässt.«
Trotz meiner Zusicherung sah Shirin alles andere als überzeugt aus. »Das weiß ich, aber Samuel hat ein Talent dafür, sich den Unmut anderer zuzuziehen. Ich habe Asami noch nie so außer sich vor Zorn erlebt. Es war kein Kinderspiel, ihn heute davon abzuhalten, mir nicht die Vormundschaft über Samuel zu entziehen.«
»Aber es ist dir gelungen.« Ich wollte unbedingt noch einmal bestätigt haben, dass es dieser erhabenen Schattenschwinge gelungen war, einem Widerling wie Asami Einhalt zu gebieten.
Shirin senkte langsam den Kopf. »Vorläufig. Wenn Samuel ihn nicht weiter reizt … aber genau das ist ja meine Sorge. Samuel hat seinen eigenen Kopf, was einerseits gut ist, weil es ihm ansonsten nie gelungen wäre, den Bannspruch zu unterdrücken. Andererseits weigert er sich, auch nur vorübergehend auf deine Nähe zu verzichten. Ich weiß, was Liebe bedeutet, aber bei Samuel muss alles ganz schnell gehen, als könnte er es keine Sekunde länger ertragen, sich nicht vollständig zu fühlen. Und offensichtlich braucht er dazu dich.«
Sosehr mich Shirins Worte auch freuten, musste ich doch für Sam einspringen. »Mit seinem übereilten Wechsel ging es Sam doch nicht nur darum, seine eigenen Bedürfnisse zu stillen. Wenn er erst einmal alles in Ruhe bedacht hätte, dann hätte ich ja noch länger auf ihn warten müssen - und ich habe die vier Monate schon kaum überstanden.«
Shirin klaubte noch ein weiteres Stück Holz auf und fügte es ihrem Bündel hinzu. Mehr würde sie kaum tragen können. Während unseres Gesprächs waren wir zurückgegangen und hinter den Fichten zeichnete sich bereits wieder die Ruine ab.
»Einige Schattenschwingen sind der Meinung, dass es für die Neuzugänge am Besten ist, wenn sie vollständig die Verbindung zur Menschenwelt abbrechen«, sagte Shirin, die dunkle Stimme nicht mehr als ein Raunen. »Ein bewusster Abschied, anstatt sich qualvoll mit jedem Tag ein wenig mehr zu verabschieden, weil die Kluft immer größer wird. Wir sind nicht wie ihr Menschen, wir unterscheiden uns in vielerlei Hinsicht von euch.«
Ich wollte etwas erwidern, doch die Worte Abschied und Kluft raubten mir den Atem. Von all den vielen Dingen, über die Shirin gesprochen hatte, schienen mir die letzten Sätze die wichtigsten zu sein, auch wenn ich sie noch nicht begriff.
Kaum hatten wir die gerodete Lichtung vor der Ruine betreten, da erspähte Sam uns schon. Mit einer geschmeidigen Bewegung sprang er über den Rand und breitete dabei nur kurz seine Schwingen aus, um den Fall abzumildern. Die Bewegung war so natürlich und anmutig, als habe er schon sein ganzes Leben auf diese Weise verbracht. Als er mir das Holz abnahm, blickte er mir prüfend ins Gesicht und was er erkannte, gefiel ihm nicht. Offensichtlich war mir meine Beunruhigung anzusehen. Zornig wendete er sich Shirin zu, die unwillkürlich einen Schritt zurücktrat.
»Shirin, was zum Henker …«, setzte er an, kam aber nicht weiter, weil ich ihn lauthals unterbrach.
»Wusstest du, dass der hiesige Bernstein schwerer zu zerstören ist als jedes Metall?« Mein Ablenkungsversuch war lahm, aber er funktionierte. Besonders als ich mich an Sam drängte und ihm meine Arme um den Nacken legte. Ein Angebot, mich mithilfe seiner Schwingen auf die Terrasse der Ruine zu befördern.
»Bernstein …«, wiederholte Sam irritiert, während Shirin zusah, dass sie wegkam.
Ich musste grinsen. Er sah aus wie ein Jagdhund, der eine Erfolg versprechende Fährte zugunsten eines Kraulens hinterm Ohr aufgegeben hatte und nun überlegte, ob das ein Fehler gewesen war. Bestimmt würde er Shirin auf den Zahn fühlen, sobald er mich sicher in heimischen Gefilden abgeliefert hatte. Mit einem Grummeln schlang er seine Arme um mich und einen Augenblick später standen wir oben auf der Plattform.
Shirin hatte sich dort bereits mit in die Hüfte gestemmten Armen aufgebaut. In ihrem Schatten stand ein Junge mit zu Berge stehendem Haar und Drecksprengseln im Gesicht, die vermutlich Sommersprossen waren. Er trug lediglich eine Lederhose und hatte einen schmalen, jedoch muskulösen Oberkörper. Dass Shirin vor Empörung vibrierte, schüchterte ihn ein, aber nicht genug, um ihn zurückweichen zu lassen. Trotzig schob er das Kinn vor und verschränkte die Arme vor der Brust. Als er mich sah, vergaß er jedoch schlagartig die wütende Frau und begann zu grinsen. Von einem Ohr zum anderen. Er wollte mit ausgestreckten Armen auf mich zustürmen, doch Shirin packte ihn bereits am Nacken.
»Wag es ja nicht«, fauchte sie ihn an.
Dabei hätte der Junge es sowieso nicht bis zu mir geschafft, denn Sam hatte sich umgehend vor mich geschoben.
»Schon gut.« Der Junge entwand sich dem Griff und schnaufte beleidigt. »Hab mich voll im Griff. Wollte ja bloß anständig willkommen sagen.«
»Das glaube ich dir sofort«, knurrte Sam und legte den Arm um meine Schultern.
Eine süße Art, seinen Revieranspruch geltend zu machen, aber diesen Gedanken behielt ich lieber für mich. Dafür zwickte ich ihn in die Seite. »Nun entspann dich doch mal.« Dann winkte ich dem Jungen zu, der ungefähr in meinem Alter war. »Ich bin Mila.«
»Ranuken.« Er trat ein paar Mal auf der Stelle, als wolle er den Drang loswerden voranzustürmen. »Welche Augenfarbe habe ich?«, platzte es aus ihm heraus.
Verblüfft wechselte ich einen Blick mit Sam, der mit den Schultern zuckte. »Er weiß es nicht.«
»Nein, weiß er nicht. Also?« Der Junge war so knapp wie möglich vor mir stehen geblieben, ohne dass es Sams Widerstand weckte, und starrte mich erwartungsvoll an.
»Du musst doch wissen, wie du in die Sphäre gekommen bist.«
»Natürlich.« Ranuken klatschte ungeduldig in die Hände, was dazu führte, dass Sam sämtliche Muskeln in den Armen anspannte. »Es war mitten in einem Wald, verstehst du? Grünzeug und Steine. Ich war komplett besoffen und musste dringend mal pinkeln«, fügte Ranuken vergnügt hinzu. »Also bin ich vom Lager weg und als ich im nächsten Moment in der Sphäre auftauchte, war ich ein wenig verwirrt. Völlig normal. Wer achtet in so einer Situation schon auf Pforten? Wusste zu dem Zeitpunkt ja nicht einmal, was das ist. Hatte gerade ganz andere Sorgen, wusste kaum, was überhaupt passierte. Verfluchter Schnaps. Bislang fand ich es ja auch nicht wild, dass ich keine Ahnung habe, was mich wechseln ließ. Normalerweise wechselt hier kein Schwein. Aber jetzt will ich es wissen.«
Shirin, die bereits das Holz aufgestapelt und entzündet hatte, blickte über eine ihrer angewinkelten Schwingen hinweg. »Du wüsstest doch gar nicht, was du dort drüben mit dir anfangen sollst, Ranuken. Die Welt ist schon lange nicht mehr die, aus der du gewechselt bist.«
»Genau deshalb will ich ja dahin. Es klingt spaßig. Und warum sollte Sam etwas dürfen und ich nicht? Welche Augenfarbe? Sag’s mir, bitte, bitte.«
Ich sah Shirin an, die zwar etwas genervt blickte, aber nicht so, als wäre es verkehrt, dem Jungen seine Augenfarbe zu nennen. »Grau mit sommergrünen Sprenkeln.«
»Das ist alles?«
Unschlüssig hob ich die Hände hoch. »Vielleicht ein Baum? Könnte eine Birke sein, deren Rinde ist genauso silbergrau wie deine Iris.«
Ranuken sah begeistert aus. »Gibt es hier in der Nähe Birken?«
»Wir schauen später mal nach«, mischte Sam sich ein. »Aber jetzt gibst du bitte Ruhe. Ich muss Mila zurückbringen, sobald es dunkel wird, und wir wollen noch ein wenig beisammensitzen. Ganz normal und gesittet.«
Wir setzten uns in der Nähe des Feuers auf Steinquader, über die Sam eine bestickte Decke ausgebreitet hatte, und Shirin holte aus ihrem Beutel einen Trinkschlauch und ein Tuch, in das gelbliche Wurzeln eingeschlagen waren. Sie spießte die Wurzel auf einen Stock und röstete sie im Feuer. Nach kurzem Zögern taten wir es ihr nach.
»Gefällt mir, dass du etwas aus diesem alten Steinhaufen machen willst«, sagte Ranuken, der seinen Stock so tief über die Glut hielt, dass er in Flammen aufzugehen drohte. »Ich weiß zwar nicht, wofür es gut sein soll, aber ein wenig Abwechslung schadet auf jeden Fall nicht. Falls du Hilfe brauchst …«
Mit einem Grinsen nahm Sam das Angebot an. »Du stammst nicht zufällig aus einer Glasbläserfamilie? Nein, wäre ja auch zu schön gewesen, wir brauchen nämlich Fensterglas.«
Nachdenklich schnupperte Shirin an ihrer gerösteten Wurzel. »Es ist Ewigkeiten her, dass ich das letzte Mal etwas gegessen habe.« Sie stieß ein Lachen aus. »Aber warum nicht.« Dann biss sie beherzt ein Stück ab.
Die Wurzeln schmeckten bitter, aber trotzdem gut. Vor allem zusammen mit dem Met, der in dem Trinkschlauch drin war. Vom Meer her frischte der Wind auf und die Dämmerung brach langsam herein. Die Tage waren zwar immer noch lang, aber in weniger als einer Stunde würde es dunkel sein. Sam schien dasselbe zu denken, denn er warf seinen Stock ins Feuer und machte Anstalten aufzustehen. Shirin hielt ihn zurück.
»Warte, ich habe noch ein Geschenk für dich. Lorson hat es heute fertiggestellt.« Sie reichte Sam den Beutel und er brachte einen Gegenstand zu Tage, der aussah wie ein sehr breites Lederarmband. »Eine Armschiene«, erklärte Shirin. »Wenn du sie trägst, brauchst du dir ums Wechseln keine Gedanken mehr zu machen. Das ist doch sehr viel besser als diese Stofffetzen, die du dir ansonsten umwickelst. Die könnten eines Tages verrutschen und wer weiß, was dann passiert. Vor allem, wenn du Mila mit dabeihast.«
Sams Augen leuchteten vor Dankbarkeit auf, aber er sagte nichts. Stattdessen legte er die Schiene um und ich half ihm, die Bänder festzuziehen und zu verknoten.
»Du solltest die Schiene einfach dranlassen, mit der linken Hand schaffst du das nicht allein.« Unwillkürlich betrachtete ich Sams versehrte Finger. »Außerdem sieht diese Schiene um den Unterarm ziemlich gut aus, das hat was.«
»Na dann«, sagte Sam. »Sollen wir beiden jetzt ausprobieren, ob sie auch funktioniert?«