20

Warnruf

Außer sich vor Wut wand er sich in seinem Gefängnis wie eine Schlange. Er wollte ausbrechen, seinen gleißenden Zorn, der jeden Augenblick in Verzweiflung umschlagen konnte, an etwas auslassen. Und wenn das nicht möglich war, dann sollte ihn doch wenigstens der Schlaf überkommen, damit er vergaß! Doch diese Gnade wurde ihm nicht zuteil, sodass er sich mit dem Grund für seine Rage auseinandersetzen musste. Sein Plan war nicht aufgegangen. Nicht nur, dass die Zeichen unvollendet geblieben waren, nun taugten sie nicht einmal mehr dazu, ihm zumindest die dringend benötigte Kraft zuzuführen, indem sie den Schattenkokon um sein Opfer spannen. Sein grandioser Plan, der ihn aus seinem Elend befreien sollte, hatte sich als Sackgasse entpuppt. Der, der ihn aus seinem unendlichen Schlaf hatte holen sollen, hatte gelernt, das Zeichen zu beherrschen, und war ihm entkommen. Er würde sich eingestehen müssen, dass von ihm nicht mehr übrig geblieben war als von der verstümmelten Sphäre: ein schwacher Abklatsch früherer Stärke, nicht mehr als ein Schatten.

Während er sich seinen trüben Gedanken überließ, schlich sich nach und nach eine Empfindung ein, die er schon fast vergessen hatte. Ein Mensch hatte die Sphäre betreten, er spürte den schwachen Geist, dem es nur gerade so gelang, sich seinem Zugriff zu entziehen. Trotzdem erkannte er sie wieder, denn er hatte das Mädchen bereits einmal berührt. Und was man einmal getan hatte, konnte man auch ein zweites Mal tun. Es brauchte nur die richtige Gelegenheit.

Erfüllt von plötzlicher Zufriedenheit überließ er sich dem Sog der Träume. Seine Zeit würde kommen, schon bald.

Sam

Nachdem ich den ganzen Morgen hart an meinem Plan gearbeitet hatte, die Sphäre für Mila zu einem freundlichen Ort werden zu lassen, an dem sie sich gern aufhielt, spürte ich die Erschöpfung in jedem einzelnen Knochen. Trotzdem zog ich Kreise hoch über dem Meer, das im Mittagslicht funkelte.

In meinem Kopf überschlugen sich die Eindrücke der letzten Nacht, mein Herz raste und ich verspürte das Verlangen, irgendetwas Albernes zu tun. Wilde Schreie auszustoßen oder sogar Loopings zu drehen. Zugleich überkam mich wieder das Gefühl, Mila Unrecht angetan zu haben. Was, wenn sie nun an ihrem Verstand zweifelte? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen, sie war überrascht gewesen, aber keineswegs verstört. Auch wenn es mir immer noch unmöglich erschien, so hatte sie doch tatsächlich geahnt, dass ich nicht nur am Leben, sondern auch alles andere als der Junge von nebenan war. Bei niemand anderem hätte ich mit so einer gelassenen Reaktion rechnen können. Ich hatte instinktiv gewusst, dass die Wahrheit ihr keine Angst einjagen würde. Aber wie würden andere Menschen reagieren? Mit einem Schauder dachte ich an meine Schwester Sina. Keine gute Idee. Ihr Leben war vermutlich einfacher, wenn sie mich für tot hielt und mein Vater bis zum Jüngsten Tag hinter Schloss und Riegel saß. Entschlossen schob ich die Grübeleien beiseite, dafür waren die letzten Stunden zu verheißungsvoll gewesen. Jetzt wollte ich bloß den kühlen Wind spüren, seinen Widerstand und das Rauschen, das er in meinen Ohren verursachte.

Ich war so versunken in das gleichmäßige Auf und Ab meiner Schwingen, dass ich den Schatten, der plötzlich auf mich fiel, erst bemerkte, als er bereits direkt über mir war. Blitzartig schoss das Adrenalin durch meinen Körper. Wenn diese Schattenschwinge sich bislang vor mir verborgen hatte und nun ganz dicht über mir flog, dann war das mehr als bedrohlich. Denn so konnte sie verhindern, dass ich meine Schwingen einsetzte. Ich würde abstürzen, wenn sie es darauf anlegte. Eilig drehte ich mich um die eigene Achse. Dazu musste ich die Schwingen kurz einziehen und sackte ein Stück in der Luft ab. Augenblicklich senkte auch die andere Schattenschwinge ihre Flughöhe, sodass sie nur eine Armlänge von mir entfernt war, jederzeit bereit, mich wie ein Adler zu schlagen.

Als ich die Schattenschwinge erkannte, wusste ich, dass meine Instinkte richtig angeschlagen hatten: Es handelte sich um eine Drohgeste. Oder vielmehr um eine Machtdemonstration.

»Asami«, sagte ich. Obwohl es ein Gruß sein sollte, kam mir der Name eher wie ein Fluch über die Lippen.

Im nächsten Moment glitt Asami zur Seite und ich nutzte den Moment, um mich in die Höhe zu schrauben. Kaum, dass ich mich im Aufwind befand, steuerte ich die Küste an und ließ meinen Flug langsam ausgleiten. Asami folgte mir dicht genug, um mich zu beunruhigen.

Ich landete auf der Steilküste, allerdings ein ganzes Stück von der Stelle entfernt, wo ich das erste Mal in die Sphäre gewechselt war. Denn von diesem Ort wollte ich Asami lieber fernhalten, vor allem nach dem, was ich dort heute Morgen getan hatte. Obwohl ich mich in seiner Nähe mit ausgebreiteten Schwingen sicherer gefühlt hätte, zog ich sie ein, und widerstand auch dem Bedürfnis, mich umzudrehen. Ich würde einen Teufel tun und Schwäche zeigen. Darauf lauerte Asami, seit ich ihm das erste Mal begegnet war.

»Keine besonders schlaue Idee, sich mitten im Flug auf den Rücken zu legen. Es sei denn, man möchte überwältigt werden«, klang seine teilnahmslose Stimme hinter mir auf. Doch ich wusste es besser. Asami trug zwar stets eine gleichgültige Maske zur Schau, aber man musste kein Genie sein, um zu erkennen, dass es darunter mächtig brodelte. Er war wütend. Wütend auf mich. Wenn ich ihn besänftigen wollte, würde ich geschickt vorgehen müssen, auch wenn er mit seinem autoritären Auftreten noch so sehr meinen Widerspruchsgeist reizte.

»Wäre es dir etwa lieber gewesen, wenn ich versucht hätte, dich abzuwehren? Als ob du eine Gelegenheit, mir meine Unterlegenheit vorzuführen, ungenutzt hättest verstreichen lassen. Vermutlich würde ich jetzt im Wasser treiben und nicht wissen, ob noch alles an mir dran ist.« So viel zu meinem Plan, Asami zu besänftigen.

»Samuel, legst du es wirklich derart darauf an, deine Aufsässigkeit unter Beweis zu stellen? Wenn du meine Überlegenheit tatsächlich anerkennen würdest, wäre ich nicht gezwungen, dir deine Position als Neuling in der Sphäre mit solchen Lehrstunden vor Augen zu führen. Dich ständig ermahnen zu müssen, gefällt mir genauso wenig wie dir.«

Langsam schwenkte ich um, bis wir von Angesicht zu Angesicht standen, höchstens eine Armlänge voneinander entfernt. »Da bin ich mir gar nicht so sicher.«

Ungerührt erwiderte Asami meinen Blick mit seinen kohlrabenschwarzen Augen, doch seine kurz ausschlagenden Schwingen verrieten, dass er in Wirklichkeit nicht halb so gelassen war, wie er sich gab. Trotzdem war ich es, der als Erster den Blick niederschlug. Asami war mir überlegen und zwar in so mancherlei Hinsicht. Er war nicht nur der Erste Wächter unter den Schattenschwingen und eine halbe Ewigkeit alt, sondern auch eine wahre Kriegernatur, die alles in Stark und Schwach einteilte. Ich war schwach, weil ich nach wie vor noch wenig über meine Fähigkeiten als Schattenschwinge wusste und mich außerdem menschlich benahm. Beides war für Asami ungefähr gleich unerträglich.

Verärgert über meine Unfähigkeit, mich ihm als ebenbürtig zu erweisen, ging ich bis zur Abbruchstelle der hoch über dem Meer aufragenden Felsenwand. Unter meinen bloßen Fußsohlen bröckelte das Gestein. Nachdem ich Milas Jacke von meinem Unterarm abgewickelt hatte, schlüpfte ich hinein. Mir war zwar trotz der rauen Brise nicht kalt, aber es fühlte sich gut an, etwas auf der Haut zu tragen, das so vertraut nach Mila duftete. Während ich meine Hände in den Taschen vergrub, stieg eine Wärme in mir auf, die mich Asamis Nähe vergessen ließ.

Doch so einfach konnte man Asami nicht loswerden.

Erneut stellte er sich viel zu dicht in meine Nähe, sodass ich fast zwangsläufig den Wunsch verspürte, ihn mit einem Griff über den Grat zu befördern, bloß um Abstand zwischen uns zu bringen. Asami hatte die Kunst, Grenzen auszureizen, wirklich perfektioniert. Genervt musterte ich ihn vom Kopf bis zu den Füßen. Er war fast auf Augenhöhe mit mir, das schwarz glänzende Haar im Nacken zusammengebunden und mit einem Körperbau, dessen schmale Gliedmaßen einen leicht über seine Kraft und Schnelligkeit hinwegtäuschen konnten. Er neigte dazu, still zu verharren, doch ich hatte beobachtet, wie sich kräftige Muskeln und Sehnen unter seiner weißen Haut abzeichneten, wenn er sich bewegte. Je länger ich ihn kannte, desto mehr erinnerte er mich an eine Raubkatze. Auch seine Lust an Dominanzspielchen passte da bestens ins Bild.

»Ich wollte dich gestern Abend aufsuchen, aber du warst nirgends zu finden«, sagte er auf seine kontrollierte Art, die sämtliche Emotionen verdeckte. »Wenn es selbst mir unmöglich ist, dich zu erreichen, dann gibt es dafür eigentlich nur eine Erklärung: Du bist in die Menschenwelt gewechselt. Und das, obwohl dir ausgiebig erklärt worden ist, warum wir Schattenschwingen dieser Kunst nicht nachgehen.«

Ich unterdrückte das Bedürfnis, reumütig den Kopf hängen zu lassen, weil ich ertappt worden war. Asami hatte mich ohnehin schon zu sehr in die Ecke gedrängt, und das nagte aller Vernunft zum Trotz an mir. »Ich habe auch genau zugehört, als es mir erklärt worden ist. Und ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich allem Anschein nach nicht um ein Gesetz, sondern bloß um eine Art Richtlinie handelt.«

»Eine Richtlinie? Selbst wenn das so sein sollte, ist dir nichts Besseres eingefallen, als sie sofort zu missachten, kaum dass sich dir zum ersten Mal die Chance dazu geboten hat?«

Mir lag die Ausrede auf der Zunge, dass der Wechsel nicht mehr als ein Experiment gewesen sei, mit dem ich herausfinden wollte, ob ich den Bannspruch auch wirklich beherrschte. Doch ganz gleich, wie überlegen Asami mir auch sein mochte, ich verspürte nicht das geringste Verlangen, ihm zuliebe zu lügen. Außerdem hätte es mir auch nicht wirklich geholfen, ihn dieses eine Mal zu beruhigen. Denn ich würde weiterhin wechseln, genau gesagt, in ein paar Stunden bereits wieder.

»Ich bin nicht gewechselt, um meine Verachtung für euch Wächter und eure Spielregeln unter Beweis zu stellen, sondern, weil es für mich persönlich wichtig ist. Wenn es für mich nicht von solcher Bedeutung wäre, würde ich liebend gern darauf verzichten, deinen Zorn auf mich zu ziehen.«

Asami verschränkte die Arme vor der nackten Brust und musterte mich eingehend. Ich wusste, dass es dumm von mir war, gerade jetzt an meinem Wunsch zu wechseln, festzuhalten. Aber ich konnte nicht anders. Seit ich die Sphäre betreten hatte, fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben eins mit mir. Und besonders jetzt, da ich auch noch Mila an meiner Seite wusste, wollte ich mir das auf keinen Fall von jemandem wie Asami nehmen lassen, der sich keinen Deut für meine Beweggründe interessierte.

»Du willst dich also weiterhin über meine Einwände hinwegsetzen. Glaubst du, dass ich das ohne Weiteres akzeptieren werde?«

Natürlich entging mir der drohende Unterton nicht. Ich schloss die Augen und zählte innerlich bis zehn. Was konnte Asami mir schon Schlimmes antun? Er konnte schließlich nicht Stunde um Stunde an meiner Seite bleiben und mich notfalls gewaltsam vom Wechseln abhalten. Als Erster unter den Wächtern war er zwar eine Leitfigur, aber kein Herrscher. Denn streng genommen waren die wenigen Schattenschwingen, die es gab, ein eher verstreuter Haufen aus Einzelgängern. Soweit ich seit meiner Begegnung mit Kastor gesehen hatte, hatten die meisten sich in ihrem Alleinsein eingerichtet, in einem Zustand, der dem Schlaf sehr nahe war. Ich wollte aber nicht vor mich hindämmern, sondern mein Leben als Schattenschwinge in vollen Zügen genießen.

»Hör zu, ich bin ja bereit, mich mit deinen Einwänden auseinanderzusetzen. Aber wenn du mir lediglich deinen Willen aufzwingen willst, dann hast du ein Problem mit mir. Also, versuchen wir es noch einmal ganz in Ruhe: Du willst nicht, dass ich wechsle. Warum?«

Unter dem Blick, mit dem Asami mich bedachte, kam ich mir vor wie ein begriffsstutziges Kind. Dann schnalzte er abfällig mit der Zunge. »Wir sind Schattenschwingen, uns gehört die Sphäre, so wie den Menschen die Welt gehört. Das zu vermischen, ist falsch.«

»Und genau dieser Punkt leuchtet mir nicht ein. Ein Teil von uns Schattenschwingen ist unübersehbar menschlich. Unser Leben beginnt in ihrer Welt. In welchem Land bist du eigentlich geboren worden? In Japan, nehme ich an.«

Asami sah aus, als hätte ich ihm mit dieser harmlosen Frage eine Beleidigung an den Kopf geworfen. Auf seiner ansonsten makellosen Haut breiteten sich rote Flecken aus und seine ohnehin schon schmalen Lippen verwandelten sich in einen geraden Strich. Mit einer solchen Reaktion hatte ich nicht gerechnet, obwohl ich bereits herausgefunden hatte, dass die meisten Schattenschwingen nur ungern über ihre menschliche Vergangenheit sprachen. Vermutlich, weil sie dort noch viel schrecklichere Erfahrungen gemacht hatten als ich. Doch nun war es zu spät, um zurückzurudern.

»Habe ich gerade gegen die Regel verstoßen, dass man nicht über seine Herkunft spricht?« Da Asami immer noch nicht wieder in der Lage war, seinen verkanteten Kiefer zu entspannen, fuhr ich mit meinen Überlegungen fort. »Wie auch immer. Mir kam es jedenfalls keineswegs unnatürlich vor, als ich vorhin in der Menschenwelt gewesen bin. Oder sagen wir es so: Es hat sich nichts verändert. Ich fühle mich zwar nach wie vor wie ein Fremdkörper, aber damit kann ich umgehen. Außerdem bereitet mir das Wechseln selbst auch keine Probleme, wenn man einmal von dem Bannspruch absieht. Ich kann also ohne Schwierigkeiten in der Sphäre sein oder auch drüben in der Menschenwelt. Mir scheint es, als wäre die Sphäre so ähnlich gestrickt wie wir Schattenschwingen selbst: Ein Teil von ihr ist weltlich, so wie ein Teil von uns menschlich ist.«

»Du solltest nur für dich sprechen, Samuel«, brachte Asami gepresst hervor. »Wir Schattenschwingen brauchen keine Erklärungen, wir sind da, wo wir hingehören. Alles andere sorgt nur für Durcheinander.«

Ich ignorierte seinen Einwurf, denn der Faden, den ich aufgegriffen hatte, erwies sich als äußerst spannend. Vielleicht würde es mir tatsächlich gelingen, Asami zu überzeugen, dass am Wechseln nichts Schlechtes dran war. »Schauen wir mal, was ich hier habe: Arme, Beine - eindeutig menschlich. Schwingen …« Übermütig griff ich nach den faserigen Ausläufern von Asamis’ Schwinge, die er, im Gegensatz zu mir, nicht eingezogen hatte. »Eindeutig nicht irdischen Ursprungs. In der Sphäre ist so manches beheimatet, das alles andere als weltlichen Ursprungs ist. Das gilt vermutlich auch für dieses seltsame Leuchten, das in der Dämmerung zwischen den Fichten herumtanzt, und die eingefrorene Stelle, die ich draußen auf dem Meer entdeckt habe. Gut und gern sieben Meter Durchmesser und keine einzige Welle, die versucht drüberzuschwappen. Wir Schattenschwingen sind halbe-halbe, aber das ist noch lange kein Grund, warum ich mich nicht auch in der Menschenwelt bewegen dürfte. Offensichtlich sind die Menschen ja auch in der Sphäre willkommen.«

Unvermittelt setzte Asami einen Schritt zurück und wäre fast über den Klippenrand gestürzt, so sehr brachte ihn meine Andeutung aus dem Gleichgewicht. Doch ein weiteres Zeichen seines Entsetzens alarmierte mich viel mehr: Seine sonst schon schwärzliche Aura verdichtete sich derart, dass sie ihn wie einen Schleier umfing, der die Helligkeit des Tages bannte.

»Du hast einen Menschen mit in die Sphäre gebracht?«

»Ja, aber das war kein Problem. Sie hat die Grenze genau so mühelos passiert wie ich.«

Allerdings schien das Asami keineswegs zu beruhigen. Er presste sich die Hand vor den Mund, als würde er mir ansonsten vor Entsetzen vor die Füße spucken. »Wie konntest du das tun?«, fragte er mit heiserer Stimme, sobald er sich etwas beruhigt hatte.

Nun, da es ohnehin zu spät war umzukehren, ging ich den einmal eingeschlagenen Weg zu Ende. »Es ist doch nur natürlich, Menschen in die Sphäre einzuladen. Schließlich beginnt unser Leben in der Menschenwelt, wo wir von Familien und Freunden umgeben sind. Man kann doch nicht einfach auf jemanden verzichten, den man liebt. Nur wegen irgendwelcher Richtlinien, die ihr euch willkürlich ausgedacht habt!«

Mittlerweile hatte Asami seine Fassung wiedergefunden. Seine eben noch bebenden Schultern waren wieder gespannt und seine Gesichtszüge glichen einer ausdruckslosen Maske. »Du bist erst seit einigen Wochen in der Sphäre und siehst deshalb nicht mehr in ihr als einen leicht verzauberten Abklatsch der Welt. Und wir Schattenschwingen mögen für dich nur Menschen mit Flügeln sein. So viel Ignoranz kannst du dir leisten, weil du jung bist und erst wenig über unsere Geschichte erfahren hast. Trotzdem - wenn du dich weiterhin so arrogant verhalten solltest, werde ich dich maßregeln.«

»Du bist nicht mein Wächter, Asami.«

Anstelle einer Antwort, schlug Asami mir mit seiner Handkante ins Gesicht. Der Angriff kam so überraschend, dass ich es erst begriff, als er die Arme bereits wieder vor der Brust verschränkt hatte. Unter meinem Wangenknochen breitete sich zuerst ein taubes Gefühl aus, dann begann die getroffene Stelle zu pochen. Doch der Schmerz war nichts im Vergleich zu meinem verletzten Stolz. Asami hatte mich gemaßregelt wie einen ungezogenen Bengel, von dem er keine Gegenwehr befürchtete. Zu Recht, wie ich mir widerwillig eingestehen musste.

»Du wirst nicht wieder wechseln«, stellte er bestimmt fest. »Und wenn doch, wirst du dich den Konsequenzen stellen müssen.«

Ohne mich weiter zu beachten, spannte Asami seine Schwingen auf und trat über den Klippenrand. Ich sah zu, wie sich seine imposante Silhouette in einen fernen Flecken am Morgenhimmel verwandelte. Selbst als er bereits lange verschwunden war, stand ich noch da. Sollte ich mir von Asami mein Leben diktieren lassen, Regeln akzeptieren, die aus meiner Sicht keinen Sinn ergaben? Die Sphäre hatte Mila eingelassen, also stand es ihr auch zu, als mein Gast hier zu sein. Nein, Asami wollte einfach nur seinen Willen durchsetzen. Er mochte Gründe dafür haben, aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr kam mir der Verdacht, dass etwas Persönliches hinter seiner Kompromisslosigkeit steckte. Er hatte von der Geschichte der Schattenschwingen gesprochen, vielleicht hatte er jedoch viel mehr seine eigene Geschichte gemeint. Wenn Mila mit mir zusammen sein wollte, dann würde ich mir das nicht nehmen lassen. Nicht von ihm und auch von niemand anderem.

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