29. Abschied

Am Tisch vor dem Kamin, in dem eine neue Glühbirne brannte, saßen Etienne Carriere und sein Peiniger Adalbert in trauter Zweisamkeit.Vor ihnen waren die leeren Teetassen adrett angeordnet. Eine von ihnen hatte einen Sprung, genau wie das Brillenglas auf Professor Carrieres Nase.

»Sieh, mein guter Adalbert: Es kommt Blut zu Besuch«, verkündete Professor Carriere hocherfreut. Geschmeidig erhob er sich aus dem Sessel und kam mit weit ausgestreckten Armen auf sie zu. »Meine lieben Freunde, wie schön, dass ihr gekommen seid!« Adam gab er Küsse auf die Wangen, was dieser regungslos geschehen ließ. Dann schnappte er sich galant Leas freie Hand und verabreichte ihr einen formvollendeten Handkuss.

Adam starrte seinen Freund wortlos an. Ohne Zweifel stürzte Carrieres bizarre Überschwänglichkeit ihn in eine Verwirrung, die er nicht so ohne Weiteres abschütteln konnte. Nervös beobachtete Lea seine eingefrorenen Gesichtszüge, und sie ahnte, dass Adam außerstande war, die Brisanz der Situation zu begreifen.Vielleicht hätte sie ihn doch etwas genauer über den Zustand des Professors aufklären sollen.

Während Carriere sie mit einem Schwall von Nichtigkeiten überschüttete, löste sich Adams Erstarrung: Mit einem zögerlichen Blick musterte er die Zelle, doch was er sah, schien ihn noch mehr zu verstören.Als wolle er nicht länger allein leiden, streckte er den Arm aus und zerrte Maiberg aus der Schleuse in den Raum. Der schmale Mann wand sich im hellen Licht der Neonröhren und ließ seinen Blick sehnsüchtig zur der offen stehenden Metalltür gleiten.

Unterdessen blieb Adalbert im Sessel sitzen, die Knie dicht an dicht, ganz der wohlerzogene Besucher einer Teerunde. Nur die Lippen waren vor Zorn und Verwirrung so fest zusammengepresst, dass sie jegliche Farbe verloren hatten. Schließlich nötigte ihm der Anblick seines Gehilfen eine Reaktion ab. »Maiberg, du Wurm«, zischte es aus dem Strichmund. »Ich werde dich eliminieren.«

Bei dieser Bemerkung ließ Professor Carriere ein Lachen vernehmen, als hätte jemand einen guten Witz gemacht. Dann hakte er sich bei Lea unter und führte sie zum Bücherregal. »Kennen Sie schon meine Sammlung, meine Gute?«, zwitscherte er und deutete auf die Reihen von Liebesromanen.

Qualvoll wand Lea sich, nicht sicher, ob seine körperliche Nähe oder seine Worte ihr mehr Schauer über den Rücken jagten.

Währenddessen pendelte Adalberts hasserfüllter Blick zwischen Adam und Maiberg hin und her. Maibergs Murmelaugen waren hinter den flatternden Lidern kaum noch zu erkennen, und das Neonlicht verlieh seinem verschwitzten Gesicht einen kranken Ausdruck. Zwar machte er halbherzige Anstalten, auf Adalbert zuzugehen, zugleich übte die dunkle Schleuse eine magische Anziehungskraft aus. Gefangen zwischen diesen beiden Polen, wankte er hin und her.

»Nun«, sagte Adalbert, wobei er sich langsam aus dem Sessel erhob. »Maiberg und ich werden uns jetzt zurückziehen. Ihr drei habt sicherlich einiges zu besprechen.« Als er auf Armlänge vor Adam getreten war, zückte er unvermittelt einen Elektroschocker.

Mit einem leisen Schrei fuhr Lea zusammen, und Professor Carriere schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. »Eine besonders seltene Ausgabe, ich weiß«, erklärte er, wobei seine Finger zärtlich über den zerlesenen Buchrücken streichelten.

Adam starrte den Elektroschocker an. In diesem Moment versuchte Adalbert, den Arm auszustrecken, doch Adams Reaktion war schneller: Er verpasste dem angreifenden Mann einen Schlag gegen das Handgelenk. Lea hörte das Knistern des sich ins Leere entladenden Stroms und sah Adalbert einige Schritte zurücktaumeln, die Waffe immer noch in der Hand.

Adam wollte ihm nachstürmen, aber er hatte die Rechnung ohne Maiberg gemacht, der seine Chance witterte. Mit einem Satz sprang er gegen seinen Rücken, schlang ihm die Arme um den Nacken und stieß dabei einen Triumphschrei aus. Adam fluchte, als er nach vorn stolperte. Dabei nutzte er die gebückte Haltung, griff Maiberg am Nacken und zog ihn über die Schulter. Maibergs magere Gestalt überschlug sich genau in dem Moment, als Adalbert zu einer weiteren Stromattacke ansetzte. Nur dass er Maibergs Stirn berührte, als dieser unsanft mit den Füßen auf dem Boden auftraf. Maibergs Murmelaugen traten endgültig aus ihren Höhlen, genau wie die aufgedunsen wirkende Zunge.

Dann kippte er stocksteif zur Seite. Ein widerwärtiger Gestank von verbrannter Haut breitete sich rasant aus.

Adam machte einen Sprung zurück, als hätte ihn eine Druckwelle erwischt. Die Augen unnatürlich weit aufgerissen, sank er auf die Knie und schüttelte manisch beide Hände aus. Einen Moment lang starrte Adalbert missmutig auf das Ergebnis seines Angriffs, dann wandte er sich in Leas Richtung.

»Immer derselbe Trick«, murmelte Lea und brachte sich hinter einem verdutzt dreinschauenden Professor in Sicherheit. Wenn man es nicht mit Adam aufnehmen kann, hält man sich einfach an seine bessere - sterbliche - Hälfte.

Adalbert machte Anstalten, sie um Carriere herumzuscheuchen, doch sofort legte sich eine schmale Hand mit der Kraft eines Schraubstocks um seinen Hals.

»Meins«, fauchte Professor Carriere und schlug ihm den Elektroschocker aus der Hand. »Wie kannst du es wagen, Sklave!«

Adalbert allerdings auch seine bullige Statur nichts - der asketische Carriere hielt ihn fest im Griff. Gebannt beobachtete Lea, wie der Professor seinen Mund auf Adalberts schreckensverzerrte Lippen presste. Doch der Kuss brach Adalberts Widerstand, ließ ihn in die Knie sinken.

Was Lea sah, war eine Flut, die sich ausbreitete, und auf ihren Kämmen tanzte der Dämon. Ein wildes Rauschen drohte die Wände des Kerkers zum Bersten zu bringen, als Carriere sich zurückbeugte, die Venen seines eigenen Handgelenks zerbiss und die Wunde an Adalberts Mund presste.

Lea spürte, wie Adams Arme sie umfingen, sie fortzuziehen versuchten. »Schau nicht hin«, bat er sie sanft. Sie schüttelte ihn jedoch ab, unfähig, den Blick zu lösen. Da nahm Adam sie zärtlich in die Arme und ließ ihr ihren Willen, während er selbst sein Gesicht an ihrem Hals vergrub.

»Unwürdiger Sklave«, sagte Carriere mitleidslos, während Adalbert das tödliche Geschenk annahm. Mit einer Bewegung, die vor Macht strotzte, richtete Carriere sich auf und ließ den benommenen Adalbert in sich zusammensacken.

Obwohl es einer Todesstrafe gleichkam, war Adalberts Gesicht voller Verzückung. Sein alter Herr, der ihm während ihrer gemeinsamen Zeit die Verwandlung verweigert und ihn zudem auch noch verstoßen hatte, erfüllte ihm nun endlich den sehnlichsten seiner Wünsche: Etienne Carrieres Dämon ging auf ihn über. Und Adalbert war mehr als bereit, dieses Schicksal anzunehmen, selbst wenn es die eigene Vernichtung bedeutete.

Augenblicklich warf Adalbert den Kopf in den Nacken, die untere Gesichtshälfte mit Blut beschmiert.Wie Säure begann sich das giftige Rot aus Carrieres Adern in die Haut zu fressen und vereinte sich für einen bizarren Moment lang mit dem Narbengeflecht, mit dem Adalberts Gesicht überzogen war. Dann versengte es das Gewebe, legte Zähne und Kiefer frei. Wie eine Feuerschneise kroch die Vernichtung die Kehle hinunter, steckte den Brustkorb in Brand, während gierige Zungen in alle Richtungen hin ausschlugen und zerstörten, was ihnen im Weg war.

Die ganze Zeit über war Adalberts Blick voller Sehnsucht auf Carriere gerichtet. Bis auch diese Augen, die immer voller Rachsucht und einer irren Gier gewesen waren, in tiefem Rot versanken.

Erneut versuchte Adam, Lea mit sich fortzuziehen. Da drehte sich Carriere um, und sein überirdischer Blick traf sie. Leicht wiegte er verneinend den Kopf, während sein Zeigefinger wie ein Pendel hin- und herschwang. Seine filigranen Lippen waren zu einem grausamen Lächeln verzogen. »Das Blut gehört mir«, sagte er, als erkläre er einem kleinen Kind die Regeln.

»Etienne ...«, setzte Adam tonlos an, während er sich langsam vor Lea schob. »Erinnere dich, bitte.«

Doch in dem ebenmäßigen Antlitz war nicht eine Spur von Etienne Carriere zu entdecken. Sie atmete tief ein, sog Adams Duft in sich auf und konzentrierte sich ganz auf ihn. Nur von ihm würde sie sich locken lassen.

Mit einem grazilen Sprung war Carriere bei ihnen, hob den Arm und schlug Adam, ohne zu zögern, ins Gesicht. Ein gezielter, harter Hieb, dennoch mehr eine Zurechtweisung als eine Kampfhandlung. Adams Kopf zuckte ein Stück zur Seite, und Lea hörte ein leises Aufstöhnen. Bevor Adam sich aufrichten konnte, hatte Carriere die Hand erneut erhoben. Allerdings hielt er inne, als wartete er, bis Adam bereit für eine weitere Züchtigung war.

Aber Adam richtete sich nicht wieder auf. Er verharrte in seiner Haltung, wie auch Carriere es tat. Dann drehte er den Kopf leicht zur Seite und blickte seinen Freund durch wirre Haarsträhnen hindurch an. Einen Augenblick maßen sich die beiden, dann prallten sie aufeinander. Sie hatten ihre Entscheidung getroffen.

Entsetzt beobachtete Lea das Ringen der beiden Männer. Sie fürchtete, dass Adam trotz seiner überlegenen Kraft und Erfahrung dem feingliedrigen Etienne Carriere auf Dauer unterliegen würde. Zu hell loderte der Dämon in dessen Körper, befeuert von dem Wunsch, sich endlich Untertan zu machen, was ihm seit je zustand.

Wie ein Tänzer entglitt Carriere Adams Versuchen, seiner habhaft zu werden. Immer war er einen Tick schneller und entschlossener. Er nutzte jede sich bietende Gelegenheit, Adam einen seiner harten Schläge zu verpassen. Adam hingegen war vollends damit beschäftigt, ebendiese abzuwehren, während er gleichzeitig versuchte, Carriere zu umrunden. Im Gegensatz zu seinem Freund teilte er keine Schläge aus, und Lea kam der Verdacht, dass Adam trotz der außer Kontrolle geratenen Situation versuchte, den Professor in den Griff zu bekommen, ohne ihn zu attackieren. All dies geschah mit atemberaubender Schnelligkeit. Es war ein verwirrender, gewalttätiger Tanz. Und offensichtlich gelang es Adam nicht, die Führung zu übernehmen.

»Geh zur Schleuse!«, schrie Adam atemlos.

Lea dachte gar nicht daran. Während sie die beiden Kämpfenden im Auge behielt, suchte sie den Boden ab. Wo war es? Dann schnappte sie erschrocken nach Luft. Es war Carriere gelungen, Adam mit einem brachialen Schlag gegen Schläfe und Ohr ins Wanken zu bringen. Adam taumelte einige Schritte zurück und wäre beinahe über Maibergs Kadaver gestolpert. Er presste die Hand aufs Ohr und ließ den Kiefer aufklappen, als könne er so den Druck ausgleichen.

Diesen Moment nutzte Carriere, um auf Lea zuzuhechten. In seinen Augen blitzte es siegessicher. Doch schon in der nächsten Sekunde warensie erfüllt von Überraschung, gefolgt von Schmerz. Carrieres Körper bebte, seine zitternden Hände nur einen Hauch von Leas Gesicht entfernt, als hätte er es soeben zärtlich umfassen wollen. Dann wurde er von einer unsichtbaren Hand zu Boden geschleudert.

»Was glaubst du eigentlich?«, schrie Lea den bewusstlosen Professor an, während sie anklagend mit dem Elektroschocker auf ihn deutete. »Dass ich hier bloß dumm herumstehe, damit du mich in Schwierigkeiten bringen kannst? Ich bin kein leichtes Opfer, verdammt!«

Benommen torkelte Adam auf sie zu und tippte den seltsam verrenkt daliegenden Carriere mit dem Fuß an. Als dieser sich nicht rührte, wollte Adam sich neben ihm in die Hocke niederlassen, kippte aber stattdessen nach hinten. Angeschlagen rieb er sich die Augen, ehe er sich wieder auf die Füße zu stemmen bemühte. Doch die Erschöpfung übermannte ihn, und er sank erneut kraftlos auf den Boden.

Lea wollte ihm helfen, doch ein plötzlicher Tremor kostete sie fast das Gleichgewicht: Ein erneutes Erdbeben erschütterte den Raum. Entsetzt blickte sie sich um, während ihre Hände nach Halt suchten. Der Fußboden geriet ins Rutschen, das Bücherregal wurde von einem Felsbrocken verrückt, der sich durch die Betonwand schob. Ein Riss durchzog innerhalb von Sekunden die Decke, brachte die eine Hälfte zum Einsturz und begrub die Sitzgruppe samt Maibergs Leichnam und Schleuse unter sich. Die einzige noch funktionierende Leuchtröhre baumelte an einem Kabel und beleuchtete die Decke, deren Betonquader kaum noch von den wenigen Querträgern zusammengehalten wurden. Darüber klaffte Dunkelheit, ein Hohlraum, der sich zwischen Beton und Höhlendecke erstreckte.

Ungläubig sah Lea sich um, während sich aufwirbelnder Staub in ihre Augen stahl. Splitterstücke von Beton hatten sich in ihrem Haar verfangen und die bloße Haut ihres Gesichts verletzt.

Dort, wo der Fels die Wand durchbrochen hatte, schössen zu beiden Seiten Fontänen hervor. Zunächst versickerte das Wasser noch in den frischen Bodenspalten, doch dann, während Lea sich des Ausmaßes des Schadens bewusst wurde, bildeten sich rasch ausbreitende Pfützen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis das Wasser die durchtrennten Stromkabel erreichen würde, die mit der einen Hälfte der Decke heruntergestürzt waren.

»Wie sollen wir jetzt nur zu dieser Garage kommen?«, fragte Lea tonlos. »Falls es sie überhaupt noch gibt.«

»Wir klettern hoch und suchen uns den Weg durch das Labyrinth«, antwortete Adam, der den leblosen Körper von Etienne Carriere soeben schulterte.

Sie beobachtete einen Augenblick lang, wie er versuchte, mit seiner Last aus der Hocke in den Stand zu wechseln. Obgleich ihr klar war, dass sie keine andere Möglichkeit hatte, hasste sie sich für die folgenden Worte: »Du wirst ihn zurücklassen müssen.«

»Blödsinn.« Adam hielt den Kopf gesenkt, seine Knie zitterten vor Anspannung. Dennoch wollte es ihm einfach nicht gelingen, sich aufzurichten. Das sich ausbreitende Wasser berührte seine nackten Füße.

»Adam, du bist zu erschöpft, und uns läuft die Zeit davon. Diese ganze verfluchte Höhlenflucht bricht zusammen, alles wird geflutet ...«

Adam unterbrach sie unwirsch: »Er ist das Risiko wert!« Ohne sie anzuschauen, ließ er Carriere wieder auf den Boden sinken, umfasste seine Handgelenke und zog ihn Ruck für Ruck in Richtung der abgesenkten Deckenhälfte. Als Lea sich anschickte, ihm dabei zu helfen, verpasste er ihr einen Stoß. Nicht grob, aber deutlich genug, dass sie zurückwich.

Ehe das Wasser den Boden vollständig flutete und die Stromkabel zuckend im Dunkel verschwanden, hatten die drei sich auf die heruntergestürzte Decke gerettet. Obwohl der Untergrund beunruhigend nachgiebig und brüchig war, verharrte Lea neben Adam und dem weiterhin bewusstlosen Carriere. Immer mehr Mauerwerk brach aus der gegenüberliegenden Wand, und die Fontänen verwandelten sich in Sturzbäche. Lea konnte zusehen, wie die Wassermarke stieg. Gern hätte sie Adam vorangetrieben. Doch sie spürte, dass er diese Entscheidung allein fällen musste. Dabei sah er so elend aus, dass es ihr fast das Herz brach.

»Ich kann ihn nicht noch einmal zurücklassen«, sagte Adam leise.

»Dann nehmen wir ihn halt mit.« Energisch packte sie Carriere unter der einen Achsel und begann zu ziehen. Die Bewegung erzeugte ein tiefes Grollen in der Decke. Lea zerrte trotzdem an ihm weiter, bis Adam ihr Handgelenk umfasste und fortzog.

»Nicht«, sagte er sanft.

Am liebsten hätte sie ihn angeschrien, beschimpft oder einfach nur geweint. Seine Traurigkeit setzte ihr unendlich mehr zu als jede aggressive oder arrogante Haltung, die er ihr gegenüber jemals an den Tag gelegt hatte.

»Klettere bitte nach oben.« Adam kniete sich neben Carrieres Kopf und umfasste sein Gesicht mit beiden Händen. »Ich komme gleich nach.«

Verzweifelt presste Lea die Lippen aufeinander, um den Wortschwall zu verhindern, der mit Gewalt nach draußen drängen wollte. Alles in ihr wollte anAdams Seite ausharren, dennoch kam sie seinem Wunsch nach. Jeder Schritt löste eine kleine Steinlawine aus, und als sie schließlich den unbeschädigten Teil der Decke erreichte, war sie schweißüberströmt. Gierig sog sie die Luft ein, was sie jedoch sofortbereute: Über der Decke war die Luft kühl und auf eine unangenehme Art verdichtet - sie verkleisterte ihr förmlich die Lungen.

Sie streckte vorsichtig einen Arm nach oben und berührte die massive Höhlendecke. So nah! Was, wenn sie sich dort irgendwo in der Dunkelheit so tief absenkte, dass es kein Durchkommen gab? Leas Gedanken wanderten unwillkürlich zu dem rasch ansteigenden Wasser in der Zelle unter ihr.Wenn noch mehr Fels wegbrach, sehr viel mehr Felsen ...

Automatisch schaute sie zu Adam hinunter, der immer noch neben dem Professor kauerte. »Adam«, sagte sie - mehr zu sich selbst, als an ihn gerichtet. Doch er sah zu ihr herauf, und sie konnte am Zucken seiner Schultern erkennen, dass es ihn drängte, ihr zu folgen.

Als hätte er ihren unwillentlichen Lockruf ebenfalls gehört, schlug Carriere die Augen auf. Ganz langsam, als hebe sich ein Bühnenvorhang. Selbst auf die Entfernung und im Dämmerlicht erkannte Lea sofort, wer dort immer noch auf der Bühne stand.

»Wag es ja nicht!«, fauchte der Dämon ihn an, und es klang wie ein uralter, stets erfolgreicher Befehl.

Um Adams Mund zuckte es, und seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Er senkte das eine Knie auf Carrieres Schulter und presste sie gegen den Stein. Dann verstärkte er den Griff um seinen Kopf und drehte ihn mit einer einzigen Kraftanstrengung zur Seite.

Lea presste sich den Handrücken auf den Mund, als sie das Brechen des Genicks hörte. Ihre Zähne schlugen gegen die Lippen, und im nächstenAugenblick schmeckte sie Blut.

Ohne zu zögern, stieß Adam Etienne Carrieres Körper ins Wasser. Dort trieb er kopfunter auf der Oberfläche und drehte sich langsam um die eigene Achse wie ein Blatt im See. Während Adam die Reste der Decke erklomm, die sich unter ihm in Staub auflöste, schluckte Lea hart und spannte ihren Kiefer an, bis er schmerzte. Als Adam geduckt an ihr vorbeikroch, streifte er sie leicht - es reichte aus, um sie aus ihrer Erstarrung zu befreien.