14. Wahre Gechichten
Lea hatte sich schon früh aus dem Verlag ins Wochenende verabschiedet, da sie dringend einen Lesenachmittag einschieben musste. Ausgerüstet mit einer Kanne grünem Tee, Keksen und einer Wolldecke nistete sie sich auf dem Sofa ein. Sofort sprang ihr die Katze auf den Schoß und begann - begleitet von einem beharrlichen Schnurren -, die Decke mit den Tatzen zu bearbeiten. Als sie versehentlich eine Kralle in Leas Oberschenkel bohrte und diese aufjaulte, warf Minou ihr einen Blick zu, der wohl bedeuten sollte: »Nun stell dich mal nicht so an, Baby!« Eingeschüchtert steckte Lea ihre Nase wieder in eine sorgfältig gebundene Leseprobe.
Der Autor versuchte sich an einer modernen Version von Joris-Karl Huysmans Gegen den Strich, wie sie nach einigen Seiten feststellte. Huysmans Held, der das Künstliche feiert und alles Natürliche und Menschliche zutiefst verabscheut, hatte schon immer eine seltsameAnziehungskraft auf sie ausgeübt. Das Versinken in eine Welt der Dinge, ihre absolute Überhöhung, diese Verlockung schillerte in dunklen Farben. Aber genau aus diesem Grund hatte Lea Gegen den Strich vor einigen Jahren beiseitegelegt, nachdem sie gerade mal die Hälfte des Buches gelesen hatte. Der Grund dafür waren feine Alarmsignale gewesen, dass dieses Buch von etwas erzählte, mit dem sie lieber nichts zu tun haben wollte.
Auch diese Leseprobe, die den Versuch unternahm, Huysmans Geschichte in die Gegenwart zu überführen, blätterte Lea mit spitzen Fingern durch. Auf den eng bedruckten Seiten driftete der verkümmernde Held wie in einem Rausch durch virtuelle Welten, die von Frankenstein-Kreaturen belebt wurden. Ein wildes Kaleidoskop, bei dem sie schon bald die Übersicht verlor, da alles mit rasender Geschwindigkeit durcheinandergewirbelt wurde.
Obwohl die Leseprobe sicherlich nicht die Kraft von Gegen den Strich besaß, so fühlte sie sich trotzdem unsittlich berührt. Es kam ihr vor, als schlichen sich die Gedanken und Ideen des Romans bei ihr ein, um an unbekannten Orten zu nisten. Lea fürchtete sich vor dieser Brut, die dann - eines schönen Tages - ganz plötzlich schlüpfen könnte. Sie hatte in ihrem Leben schon genug Grauenhaftes und Fantastisches erlebt, sie wollte gar nicht erst darüber nachdenken müssen, was sonst noch alles vorstellbar war.
Außerdem wurde die Gefahr, dass sie diesen exzentrischen Autor zu guter Letzt annahm, mit jeder Seite, die sie las, größer. Dabei hatte sie längst eine stolze Sammlung von eigenwilligen Poetenseelen beisammen. Deshalb spielte sie mit dem Gedanken, den Text kurzerhand einer Kollegin ins Fach zu legen. Dabei kam ihr der Verdacht, dass ihr selbst die Leseprobe untergeschoben worden war. Wieder so ein Verrückter, der auf dem Boden aus der Hand isst? Dann ab damit zu Lea.
Das Klingeln an der Tür verhinderte, dass Lea eine Liste potenziell schuldiger Kollegen zusammenstellen konnte, denen sie bei Gelegenheit einmal auf den Zahn fühlen würde. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass Nadine ihr gleich die Leviten lesen würde, weil sie anstelle eines schicken Partykleidchens in Trainingshose und Kapuzenpulli steckte. Mit einem raschen Griff verschwanden die verräterischen Manuskriptseiten unter dem Sofa, und Lea verwuschelte sich auf dem Weg zur Tür noch rasch die Haare.
Gähnend öffnete sie Nadine die Tür, die sie sofort einer genauen Musterung unterzog. Dann drängte sie sich mit strenger Miene an Lea vorbei in die Wohnung.
»Tu mir den Gefallen und spiel mir nicht vor, du wärst eingeschlafen. Ich weiß genau, wer die Verantwortung dafür trägt, dass du wie eine Pennerin aussiehst.Wenn du also noch einmal gähnst und mir dabei deine Mandeln zeigst, werde ich das verdammte Buch finden, wegen dem du Zeit und Raum vergessen hast, und es vor deinen Augen in Brand setzen. Und das hier ...«, dabei wedelte Nadine mit einem elfenbeinfarbenen Kuvert vor Leas Nase herum, »... werde ich ebenfalls den Flammen überlassen.«
»Wo hast du das her?«, fragte Lea, die sich nicht traute, nach Nadines Beute zu greifen. Schließlich konnte ihre Freundin die Krallen noch schneller ausfahren als Minou.
»Steckte im Türrahmen und riecht nach Mann, wenn du mich fragst.« Mit diesen Worten überreichte Nadine ihr den Umschlag und schälte sich aus ihrem perfekt auf Taille geschnittenen Mantel.
Normalerweise hätte Lea zuerst einmal Nadines Outfit bewundert, denn ihre Freundin verfügte über einen Geschmack, der Normalsterbliche beeindruckt nach Luft schnappen ließ. Aber der helle Umschlag duftete auf eine Art, die dafür sorgte, dass alles andere unwichtig erschien. Eine kaum wahrnehmbare Spur nach Schnee und Blut. Aber auch wenn es nicht dieser Duft gewesen wäre, so hätte Lea an der eleganten Handschrift den Absender erkannt. In dunklem Blau stand dort einzig der Name Lea. Unschlüssig rieb sie mit dem Daumen über die feine Struktur des Papiers.
Das Klicken eines Feuerzeugs riss sie aus ihrer Verzauberung. Nadine hatte den Vorhang beiseitegezogen und blies einen Rauchschwall durchs geöffnete Fenster in die Kälte hinaus.Weiter unten lärmte der Feierabendverkehr.
»Ich dachte, du hättest das Rauchen aufgegeben«, sagte Lea. Ohne den Brief beiseitezulegen, stellte sie sich neben die Freundin.
Den einen Arm vor den Bauch gelegt, den anderen elegant auf den Hüftknochen aufgestützt, stand Nadine da. Die Zigarette brannte zwischen ihren schlanken Fingern, die auf derselben Höhe mit ihrem Mund waren. Ihr Gesicht wirkte abgespannt, und ihre Mundwinkel bebten leicht.
»Ich werde nur rückfällig, wenn ich genervt bin«, erwiderte sie schließlich. »Ehrlich gesagt, bin ich zur Zeit ziemlich genervt. Und dieser Umschlag, den du da anbetest, als enthielte er die Antwort auf alle deine Wünsche, macht das Ganze nicht gerade besser.«
Lea stöhnte theatralisch auf. »Du hast mir hoch und heilig versprochen, dass Adam heute Abend kein Thema sein würde! >Mädchenabend unter Alkoholeinfluss< - das Motto hast du selbst vorgegeben! Jetzt fängst du schon wieder damit an, mir Löcher in den Bauch zu fragen.«
Nadine winkte versöhnlich ab. »Alkohol ist das richtige Stichwort zur richtigen Zeit. Ich schlage dir einen Deal vor: Da du aussiehst wie ich morgens früh um fünf nach ein paar lustigen Martinis und unzähligen Zigaretten, bleiben wir heute Abend hier bei dir. Dafür, dass ich dich nicht in die Welt dort draußen zerre, lässt du mich ohne Murren und Unterbrechungen Bericht erstatten, einverstanden?«
»Bericht erstatten? Worüber?«
»Schatz«, sagte Nadine und schaute Lea dabei an, als rede sie mit einem begriffsstutzigen Kind. »Ich bin die persönliche Referentin des Managers der bedeutendsten Bank im Umkreis von zigtausend Kilometern. Wenn mich jemand interessiert, brauche ich nur die Fühler auszustrecken, und - schwupps - kann ich dir sagen, welche Sorte von Unterhosen die Person bevorzugt.«
»Du hast in Adams Kreditkartenabrechnung herumgeschnüffelt?«
Ehe Lea genug Luft für eine Standpauke in ihre Lungen ziehen konnte, sagte Nadine rasch: »Bevor du anfängst, hier die Ehre deines Geliebten zu verteidigen, hol lieber erst einmal zwei Gläser und eine Flasche Wein. Außerdem ist es nicht Adam, der mich so nervös macht, wenn du es genau wissen willst«, fügte Nadine beschwichtigend hinzu.
Erst da setzte Lea sich in Bewegung.
In der Küche starrte sie zunächst einmal hin- und hergerissen den elfenbeinfarbenen Umschlag an. Sollte sie mit dem Lesen warten, bis Nadine wieder fort war? Nein, sie würde bestimmt wie auf heißen Kohlen sitzen und die ganze Zeit darüber nachdenken, was Adam ihr wohl geschrieben hatte. Eine solche Unaufmerksamkeit hatte ihre Freundin nicht verdient.
Ein Brief - dieser alte Romantiker. Doch das ironische Schmunzeln auf Leas Gesicht verwandelte sich innerhalb von Sekunden in ein seliges Lächeln. Hastig öffnete sie den Umschlag mit dem Korkenzieher und zog einen gefalteten Papierbogen hervor.
Bin in ein paar Tagen zurück - lass uns dann da weitermachen, wo wir aufgehört haben.
Adam
Zwei Zeilen. Das war nicht sein Ernst! Seit sie ihn vor die Tür gesetzt hatte, wartete sie auf ein Zeichen von ihm. Offensichtlich war diesem elenden Kerl gar nicht bewusst, dass sie wie ein Fisch an seinem Haken zappelte und um Erlösung flehte! Diese Kaltschnäuzigkeit würde sie ihm heimzahlen. Wenn er das nächste Mal vor ihr stünde, würde er nicht so glimpflich davonkommen, das schwor sie sich.
Nachdem die erste Wut verraucht war, begann sie über die Worte »da weitermachen« nachzugrübeln.Wo weitermachen? Beim Streiten oder beim Ausziehen? So, wie Adam sie angeschaut hatte, bevor sie ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte, hoffte sie auf Letzteres.
Das nervöse Klacken von Pfennigabsätzen auf den Dielen brachte Lea in die Gegenwart zurück. Nadine brauchte wirklich ein Glas Wein. Rasch legte sie den Brief in den Umschlag zurück, ehe Nadine in der Küchentür auftauchte, um zu sehen, wo sie blieb.
Als Lea wenig später mit Wein, einer Käseplatte und Crackern beladen ins Wohnzimmer zurückkehrte, hatte Nadine ihre hohen Stiefel ausgezogen und es sich mit angezogenen Beinen auf dem Sofa gemütlich gemacht. Leas organisch geformte Teetasse - ein Erbstück ihrer in Keramik vernarrten Mutter - war kurzerhand zum Aschenbecher umfunktioniert worden. Eine halb aufgerauchte Zigarette erlosch gerade mit einem Zischen in einer Lache Tee. Hastig begann Nadine, den Wein einzuschenken, wobei ihre Hände leicht zitterten.
Eine schnurrende Minou unternahm den Versuch, ihre Krallen an Nadines edel schimmerndem Rock zu schärfen, und wurde kurzerhand vom Sofa manövriert. Nadine ließ sich nicht gern ärgern.
Geschieht dir ganz recht, du kleines Miststück, dachte sich Lea und bedachte die Katze mit einem Grinsen. Die frischen Striemen auf ihrem Oberschenkel brannten nämlich immer noch. Es sind halt nicht alle so dumm, sich von dir kratzen zu lassen, Minou. Aber als die Katze ihr einen eingeschnappten Blick zuwarf und mit erhobenem Schwanz das Zimmer verließ, suchte sie sofort das schlechte Gewissen heim. »Eigentlich dulde ich in meiner Wohnung weder Schnüffler noch Tierquäler«, sagte sie halb im Ernst.
»Na, da habe ich ja Glück, dass ich als deine einzige Freundin einen Sonderstatus genieße.«
»Jetzt schieß endlich los!«
»Ja, doch!« Nadine rutschte unbehaglich auf dem Sofa hin und her, als ob es sich plötzlich in eine Holzpritsche verwandelt hätte. »Um es vorweg zu sagen - aber denk bitte an unseren Deal, dass du erst einmal den Mund hältst -, ich bin tatsächlich Adams Spur gefolgt. Ehrlich gesagt, bin ich selbst überrascht, wie viel detektivisches Potenzial in mir schlummert.«
Nadine legte theatralisch eine Hand auf ihren Busen und ließ den Kiefer nach unten klappen. Aber Lea winkte nur gereizt ab, für solche Spielereien mangelte es ihr an Geduld. Nadine schnitt eine Grimasse, dann fuhr sie in geschäftsmäßigem Ton fort.
»Als ich dich neulich morgens besucht habe, ist mir der außergewöhnlich gut instand gesetzte Jaguar vor deiner Haustür aufgefallen. Ich meine, den einzigen Luxuswagen, den diese armselige Straße jemals zu Gesicht bekommen hat, ist meiner. War nicht schwierig, den Wagen und damit seinen Inhaber herauszubekommen. Und zack, schon hatte ich Adams Kreditkartenabrechnung vor mir liegen. Ganz interessant zu sehen, wohin es diesen Kerl so treibt.Aber darauf komme ich später noch zu sprechen. Was viel spannender war als die vonAdam eingeschlagenen Wege, war die Karte selbst: No limit, zur Verfügung gestellt von seinem Auftraggeber.«
»Du meinst Pi«, warf Lea wenig überrascht ein.
Eine von Nadines Brauen fuhr ruckartig in die Höhe. »Du kennst Pi?«
»Ich bin ihm auf einer Feier in seinem Haus vonAdam vorgestellt worden. Ein seltsames Zwitterwesen, mit dem nicht gut Kirschen essen ist, wenn du mich fragst.«
»Okay, das ist interessant«, sagte Nadine mit tonloser Stimme. »Hast du eigentlich eine Ahnung, wem du da vorgestellt worden bist?«
Lea zuckte lässig mit der Schulter, obwohl es ihr bei dem Gedanken an Pis unheimliches Lächeln kalt den Rücken runterlief. »Sicherlich bin ich nicht so gut unterrichtet wie du, denn ich schnüffle ja auch nicht in fremder Leute Bankangelegenheiten herum. Aber ich habe sein Haus und seine Gäste gesehen, deshalb kann ich mir denken, dass er in Geld schwimmt.«
Nachdenklich schnappte sich Nadine eine weitere Zigarette aus der Schachtel und eilte mit ihr erneut zum Fenster. Bis sie die Zigarette aufgeraucht hatte, schwieg sie beharrlich. Den Blick hielt sie aus dem Fenster gerichtet, so dass Lea ihr Gesicht nicht sehen konnte. Da ihr bewusst war, dass ihre Freundin unter großer Anspannung stand, bedrängte sie sie auch nicht.
Schließlich schnipste Nadine die noch glühende Kippe aus dem Fenster, drehte sich um und fixierte Lea. »Hast du eigentlich eine Idee, was der Name Pi bedeutet? Da es sich um eine mathematische Größe handelt, gehe ich einfach mal davon aus, dass du keine Ahnung hast. Womit du etwas mit den Mathematikern dieser Welt gemeinsam hast: Niemand weiß so richtig, was Pi ist, aber es taucht überall auf - in der Natur, in den Wissenschaften, in der Religion, selbst in der Geschäftswelt. Die Beschreibung passt doch perfekt, nicht wahr?«
Lea starrte Nadine sprachlos an. Ja, es passte perfekt, aber es machte ihr Angst, wie gut ihre Freundin es auf den Punkt gebracht hatte. So nah sollte sie auf gar keinen Fall an Adams seltsamem Auftraggeber dran sein.
»Wer auch immer diese Person namens Pi ist, er hinterlässt jede Menge Spuren in unserem Banksystem«, fuhr Nadine unterdessen fort. »Nicht alle konnte ich verfolgen, ehrlich gesagt, sogar eine ganze Menge nicht. Du kannst mir glauben, dass das ungewöhnlich ist. Denn normalerweise gehört es ja zu meinen Aufgaben, meinen Vorgesetzten regelmäßig über unsere besten Kunden zu briefen.« Nadine hielt inne, bis Lea mit einem Nicken zeigte, dass sie auch wirklich begriff, wie seltsam das war.
»Natürlich bin ich im Lauf der letzten Jahre, wie jeder andere hier in der Stadt, über Pi gestolpert.« Nadine sprach den Namen aus, als rede sie von einer Märchenfigur -Rumpelstilzchen etwa. »Ein Mythos mit einem Finanzfluss, der verästelter ist als der Stammbaum der englischen Königsfamilie. Was ich gefunden habe, hat mir jedenfalls den Eindruck vermittelt, dass Adams Chef so ziemlich überall seine Finger im Spiel hat. Mit >überall< meine ich wirklich überall. Die graue Eminenz im Hintergrund, wenn du verstehst.Wenn man ein wenig Pi ist Mitfinanzier öffentlicher Bauprojekte, Förderer der schönen Künste, aber auch Miethai und Spekulant. Da fließen Gelder ins Milieu genau wie in eine atemberaubende Sammlung von Luxuswagen. Ich könnte monatelang meine Abende damit verbringen, verworrene Transaktionen aufzuschlüsseln, und es wäre trotzdem nur die Spitze des Eisbergs.«
Lea hing stumm an Nadines Lippen. Sie versuchte sich ein Bild von dem zu machen, was Nadine gerade vor ihr ausbreitete, aber es gelang ihr nur unzureichend.Wenn es um Finanzen ging, stieß sie sofort an geistige Grenzen. In dem befremdlichen Universum der Zahlen hatte sie von Kind an Hausverbot gehabt. Trotzdem beschlich sie der Verdacht, dass es sich um außergewöhnliche Ausmaße handeln musste, wenn sie Nadine derartig aus der Fassung brachten.
»Aber weißt du, was mich noch mehr irritiert als die Vielzahl der unterschiedlichen Sujets?«, fuhr Nadine fort. »Die Zeitspanne, seit der Pi schon aktiv ist. Ich würde mal so behaupten, er ist unser ältester Kunde. Quasi seit der ersten Stunde mit von der Partie. Und das bei einer Bank, die wahnsinnig stolz auf ihre 450-jährige Geschichte ist. Wahrscheinlich gehört der Großteil des Ladens sogar Pi!«
Nadine lächelte humorlos. In diesem Moment wünschte sich Lea, ebenfalls zu rauchen. Dann könnte sie die Anspannung jetzt einfach überspielen, indem sie sich eine Zigarette anzündete. Das wäre auf jeden Fall besser gewesen, als sich den halben Inhalt des Weinglases auf den Schoß zu kippen.
Während sie an ihrer nassen Hose herumwischte, beobachtete Nadine sie eindringlich. Offensichtlich entsprach die Reaktion nicht ganz ihren Erwartungen. »Hast du mich eigentlich verstanden, Lea?«, hakte sie mit gereiztem Tonfall nach.
Lea rieb sich mit beiden Händen die Augen, bis die Haut zu schmerzen begann. »Du sagst, dein Zugriff auf Pis Daten ist eingeschränkt. Vielleicht ist dir da etwas durcheinandergeraten ...«
»Du kannst mich mal! Mir ist nichts durcheinandergeraten. Es ist mir auch scheißegal, was mit diesem Pi los ist, denn ich werde mir sicherlich nicht weiter die Finger an ihm verbrennen. Falls ich das nicht schon getan habe, denn mein Boss hat mich heute ziemlich übel angepflaumt: Warum ich an Files herumspielen würde, für die mir der Zugang gesperrt ist.Wahrscheinlich hockt er gerade mit verbissener Miene vor meinem Rechner und versucht zu rekonstruieren, was ich so treibe, während er die Assistentin auf der Ledercouch im Besucherraum durchnimmt.« Nadine schnappte aufgebracht nach Luft, dann entspannte sie sich wieder und sagte ruhig: »Was mich wirklich interessiert, ist, was deinAdam eigentlich so imAuftrag dieses Kind gebliebenen Methusalems treibt. Kennst du seine Aufgabe?«
»So vage«, versuchte Lea sich herauszureden.
»Ja, sicher doch.« Nadine schnaufte verächtlich und nahm einen kräftigen Schluck vom Wein. »Aber keine Sorge, ich verrate es dir. Er bastelt sich mithilfe von Pis Geld und Bekannten ein eigenes Netz von Verbindungen. Allerdings läuft bei ihm alles in eine bestimmte Richtung.«
»In welche?«, fragte Lea. Dabei konnte sie die Anspannung in ihrer Stimme nicht länger überspielen.
Nadine blickte sie lange prüfend an, dann sprach sie weiter: »Sieht ganz so aus, als interessiere dein Adam sich brennend für die Arbeit des PhöniX-Gentechnikzentrums. Streng geheime Kiste, zu einem Großteil aus Privatvermögen finanziert. Der gute Adam ist in den letzten Wochen sehr eifrig darauf bedacht gewesen, seinen Weg in die Kreise zu finden, die dem Vorstand von PhöniX nahestehen. Diese Clique um den großkotzigen van Weinhuus ... Was hat das Ganze wohl zu bedeuten? Will Pi sich klonen lassen und weitere Imperien in anderen Städten aufbauen?«
Lea schüttelte erschöpft den Kopf. »Ich weiß es nicht.«