19. Das Blutopfer

Als Erstes erwachte Leas Geschmackssinn wieder zum Leben: Was auch immer sich in ihrem Mund angesammelt hatte, es schmeckte wie geschmeidige Erde. Mit einer metallischen Note. Langsam füllte es die Mundhöhle aus, drückte die Zunge herab. Die Zunge, die sich viel zu dick anfühlte. Ein aufgedunsener Fremdkörper. Dann kroch die Flüssigkeit den Rachen hinunter, und als sie schon glaubte zu ersticken, erinnerte sich die Muskulatur an ihre Aufgabe und ließ sie schlucken. Sofort sammelte sich erneut eine bittere Lache an. Offensichtlich hatte sie sich kräftig auf die Zunge gebissen.

Mühsam unterdrückte Lea den aufsteigenden Brechreiz und versuchte, den Rest ihres Körpers zu erspüren. Doch unterhalb der Kehle fühlte sich alles taub an. Nun gut, dachte sie, wobei die Gedanken seltsam träge in ihrem Schädel kreisten. Ruhe ich mich halt noch etwas aus. Warum auch nicht?

Ein monotones Summen bohrte sich in die Bewusstlosigkeit und hinterließ Lichter, die sie lockten, erneut aus der Dunkelheit aufzusteigen. Während sie sich selbst zuflüsterte, dass ihr das alles egal sein konnte, dass sie müde und ausgebrannt war, dass sie dringend noch eine Pause brauchte und die Situation außerhalb ihres Körpers sicherlich nichts Erfreuliches zu bieten hatte, machte sich Lea auf den Weg ins Hier und Jetzt.

So wie die samtene Benommenheit abnahm, verlor das Summen rasch an Gleichmäßigkeit und klang stattdessen immer mehr nach einer verfremdeten Stimme, die Kauderwelsch sprach. Es waren Fragmente einer Unterhaltung, die an Leas Ohr drangen. Zwar waren die Bruchstücke kaum zu verstehen, weil sie so verzerrt waren, aber ihr wurde klar, dass sie nicht in aller Abgeschiedenheit dahindämmerte.

Langsam wich die Taubheit aus ihrem Körper, und die wieder erwachten Gliedmaße begrüßten sie mit einem unkontrollierbaren Zittern. Alles an ihr schlotterte und bibberte, als liege sie in einer unter Strom gesetzten Pfütze. Selbst ihre Zähne schlugen ununterbrochen aufeinander. Ganz leicht nur, trotzdem gelang es Lea nicht, sie unter Kontrolle zu bringen. Davon einmal abgesehen, gelang ihr so gut wie nichts: Obwohl die Augenlider wild zuckten, blieben sie geschlossen. Auch die Lippen ließen sich nicht öffnen. Nicht einmal der Gaumen wollte sich anheben lassen, um der wunden Zunge etwas mehr Platz zu machen.

Nach einigen Minuten eiserner Anstrengung gab Lea auf, ließ ihren Körper zittern und konzentrierte sich stattdessen auf das Stimmengewirr. Sie konnte es seitlich von sich lokalisieren und tippte auf mindestens zwei Sprecher, vielleicht auch drei.

»Wo hätte der Austausch denn sonst stattfinden können?«

Die Worte waren gedehnt und hallten nach. Lea brauchte einen Augenblick, um die Laute zu einem wirklichen Satz zusammenzusetzen, so dass ihr die Antwort entging. Die Sprecher mussten dicht beisammenstehen, was ihr das Zuhören nicht unbedingt erleichterte.

Ein merkwürdiges Gackern erschallte, das sie schließlich als Lachen identifizierte. »Und dann hätte ich sie in meinem Kofferraum verstaut und im Alleingang hierher gebracht? Was für eine absurde Idee: Während ich in aller Abgeschiedenheit auf die Ergebnisse warte, hat der bissige Freund dieser Frau wahrscheinlich schon meine Spur aufgenommen. Braucht nur einen günstigen Moment abzuwarten und springt mich dann von hinten an. Nein, ich denke, es ist besser, gemeinsam auf das Ergebnis zu warten. Ihre Anwesenheit, mein Guter, gewährleistet immerhin, dass Ihre Leute motiviert genug sind, mich zu schützen.«

Schweigen breitete sich aus und ermöglichte es Lea, das Gehörte auszuwerten. Gerade als sie das Rätsel als unlösbar abhaken wollte, kehrte die Erinnerung zurück. Sie war plötzlich erleichtert darüber, dass sie bereits am ganzen Leib zitterte. Es brauchte nicht viel, um sich auszumalen, zu wem Macavity sie verschleppt hatte: Der Genetiker KizuAkinora hatteseinen Judasschilling erhalten, und Pi würde endlich das Geheimnis lüften, das ihm solches Kopfzerbrechen bereitete. Sie lag - vollkommen ausgeliefert - ein paar Schritte von ihm entfernt, außerstande, auch nur den geringsten Widerstand zu leisten.

Vor Schreck hätte sie fast ihre Augen aufgerissen, die jedoch nicht reagierten. Bestimmt war es besser, weiterhin die bewusstlose Beute zu spielen. Denn was konnte sie mit diesem betäubten Körper schon anfangen? Protest oder gar Flucht waren in diesem Zustand ausgeschlossen. Deshalb würde sie einfach weiterhin zuhören und sich ein Bild von der Lage machen.Vielleicht reichte Akinora ja eine einzige Probe ihres Blutes, sprach sie sich Mut zu. Schließlich beabsichtigte er, auf höchst wissenschaftlichem Niveau ihrem Blut ein paar Informationen zu entlocken. Sicherlich würde man sie später betäubt auf einer Parkbank zurücklassen. Natürlich unversehrt, damit Akinora sich gegebenenfalls Nachschub besorgen konnte. Aber sicher doch!, höhnte die Zynikerstimme in Lea. Bestimmt bietet Akinora dir nach der Blutspende noch ein Portion Erbsensuppe an, damit du wieder auf die Beine kommst.

Die Situation war hoffnungslos. Lea rechnete fest damit, vor Panik gleich zu hyperventilieren, aber ihre Brust hob und senkte sich weiterhin so regelmäßig, als liege sie zu Hause in ihrem Bett, während Minou dicht neben ihr schnurrte. Erstaunt registrierte sie, dass ihr Körper offensichtlich von ihren Gefühlen losgelöst war. Er atmete, schluckte und zitterte mit einer roboterhaften Gleichmäßigkeit, ohne auf den Zustand des Geistes Rücksicht zu nehmen.

»Ich begreife immer noch nicht ganz, warum Sie sich so sehr für meinen Sponsor interessieren.Von seiner Seite droht Ihnen doch keinerlei Gefahr«, sprach Akinora wieder. »Wenn ein Interesse bestehen würde, wäre er sicherlich schon an Sie herangetreten -schließlich sind Sie unter Ihresgleichen bekannt wie ein bunter Hund, wenn Sie mir den Vergleich verzeihen.«

»Reine Prävention. Wenn jemand in unserer Welt solch hohe Wellen schlägt, ist es besser, gründlich informiert zu sein.«

Obwohl die Stimmen weiterhin verzerrt an Leas Ohr drangen, wusste sie doch sofort, wem diese eine gehörte. Weich und kühl zugleich. Pi hatte also beschlossen, die Beute höchstpersönlich zu schlagen, auf die Adam verzichtet hatte.

Wie wunderbar sich der Kreis für die alte Spinne nun schloss: Nadine würde sich nach ihrer Nacht mit Macavity gründlich überlegen, ob ihr Ego die Gefahr eines erneuten Zusammentreffens mit diesem Sadisten wert war. Lea befand sich dort, wo der Schlachtplan sie ursprünglich vorgesehen hatte - in den Forscherhänden Akinoras. Pi erhielt die Informationen über den geheimnisvollen Unbekannten, und Adam würde denken, dass sie sich erneut von ihm abgewandt hatte, nachdem sie, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, verschwunden war. Es stand zu befürchten, dass er tief verletzt war und gar nicht erst auf die Idee kam, nach ihr zu suchen.

Akinora ließ erneut sein gackerndes Lachen hören. »Hohe Wellen? Ich bitte Sie! Wenn dieser Bluthund nicht so versessen an seiner Fährte festgehalten hätte, wären Sie doch niemals auf meinen Sponsor aufmerksam geworden. Ein paar Gerüchte hier und da - wer hätte da schon ein Muster erkannt, wo Ihresgleichen doch so unnachahmlich mit sich selbst beschäftigt ist. Das ganze Ausmaß wäre Ihnen doch erst bewusst geworden, wenn Sie selbst Gegenstand seines Interesses geworden wären. Und dann wäre es zu spät gewesen.Wenn Sie Ihren Vorgarten sauber halten wollen, solltenSie einfach diesenAdam beseitigen. Scheint mir ein wenig außer Kontrolle geraten zu sein, der Gute.«

»Sehr freundlich, dass Sie sich meinen Kopf zerbrechen.« Pis Stimme gewann zunehmend an Kontur, und Lea glaubte eine gewisse Schärfe herauszuhören. Ein Warnschuss. »Aber wie Sie schon sagten: Adam ist ein Bluthund. Aufseiner Suche nach dieser Frau wird er zuerst die naheliegendsten Orte absuchen - zum Beispiel Ihr Institut. Deshalb ist es im Augenblick gar nicht so schlecht, dass wir uns beide an einem Ort befinden, auf den er erst über Umwege stoßen wird. Bis dahin haben ihn meine Leute längst eingefangen, und wir beide haben eine Sorge weniger.«

»Sie sollten seiner habhaft werden, bevor er in meinem Umfeld Unruhe stiften kann. In Ihrem eigenen Interesse!« Akinoras Anspannung ließ sich nicht länger überspielen, zu sehr trieb Pi ihn in die Ecke. »Mein Sponsor lässt sich nur ungern in die Karten blicken. Wenn jemand auf die Idee kommt, zu viele Fragen zu stellen, würde seine Reaktion bestimmt auf eine Tabula-rasa-Lösung hinauslaufen. Und Ihre Verbindung zu diesem Adam haben Sie naiverweise ja geradezu zur Schau gestellt.«

Eine Pause entstand, in der Lea erneut versuchte, ihre Augen aufzureißen. Die gefährliche Spannung, die sich inzwischen aufgebaut hatte, bereitete ihr Unbehagen.

»Herr Akinora, dass Sie ständig auf die Allmacht Ihres Sponsors hinweisen, lässt mich allmählich an seinem angeblichen Einfluss zweifeln.Also hören Sie damit auf, sich hier aufzuplustern! Sorgen Sie lieber dafür, dass dieser Kasten endlich das Ergebnis ausspuckt, damit Sie Ihren Teil des Pakts erfüllen können. Ich verspüre nur wenig Lust, länger an diesem verstaubten Ort zu bleiben.«

»Wenn wir diesen wild gewordenen Köter nicht auf unserer Spur hätten, könnten wir jetzt die Rechner in meinem Labor benutzen. Glauben Sie, ich arbeite gern mit diesen vorsintflutlichenApparaten?«

Erneut trat Schweigen ein. Nur das eintönige Summen arbeitender Prozessoren und das Knacken von Neonröhren drangen an Leas Ohr.

Also gingen diese beiden Verschwörer davon aus, dass Adam sich auf die Suche nach ihr machen würde. Wahrscheinlich war die Jagd sogar schon eröffnet, und es war lediglich eine Frage der Zeit, bis Adam sie fand. Bei diesem Gedanken entspannte Lea sich ein wenig. Wenn Adam wirklich so gut war, wie die beiden befürchteten, würde er sie vielleicht finden, ehe Akinora sie im Dienste der Wissenschaft ausgeweidet hatte.

Da ertönte das Schnurren eines Druckers, gefolgt vom Klacken mehrerer Paar Schuhe. Lea nutzte die Gelegenheit und zwang mit Gewalt ihre Augen einen Spalt auf. Doch das Einzige, was sie sah, war grelles Licht. Gegen ihren Willen schlössen sich ihre Lider wieder, und nur mit viel Kraft konnte sie sie erneut öffnen. Allmählich gewöhnte sie sich an die Helligkeit, und die Umrisse einer abgehängten Decke, die mit allerlei Neonröhren und Kabeln durchzogen war, bildeten sich heraus.

»Nun«, hakte Pi mit einer deutlich klareren Stimme nach. »Haben Sie jetzt Ihren Beweis, so dass wir zum Kern unseres Handels vordringen können?«

Akinora ließ nur ein vertröstendes Schnauben hören.

Es gelang Lea, den Kopf zur Seite zu drehen, so dass ihre zitternden Arme in ihren Blickwinkel gerieten. Erleichtert stellte sie fest, dass mansie nicht auf eine Bahre gefesselt hatte. Aber der Ärmel ihres Pullovers war weit nach oben geschoben, und in ihrer Vene steckte eine abgeklebte Kanüle. Jemand hatte ihr eine Braunüle gelegt, um ihr jederzeit Blut entnehmen oder etwas in ihre Venen hineinspritzen zu können.Der Anblick der Nadel verursachte ihr Übelkeit, so dass sie sich bemühte, ein Stück weiter nach oben zu blicken. Die Ecke des Raumes, die sie zu sehen bekam, war vollgestellt mit billigenArbeitstischen auf Rollen, die mit Geräten beladen waren.Alles wirkte angegilbt und ein wenig verwahrlost, genau wie der Linoleumboden und der Drehstuhl vor dem Tisch, auf den man sie gelegt hatte.

»Ich bin mir nicht sicher - das hier könnte in der Tat der Hinweis auf eine Abnormalität sein. Aber ich brauche viel mehr Daten, um es klassifizieren zu können.« Obgleich Akinora hoch konzentriert klang, konnte man doch den begeisterten Unterton heraushören, der an einen Jungen erinnerte, der unter einem Stein einen schillernden Käfer entdeckt hatte.

»Da haben Sie also Ihre ersehnte Abnormalität und ausreichend Prüfmaterial, um der Sache auf den Grund zu gehen. Dann würde ich rhythmisches Klacken. Lea konnte sich problemlos vorstellen, wie die schwarz lackierten Fingernägel auf Sperrholz eindroschen, weil Akinora sich in einen Datenwust vertiefte, anstatt Rede und Antwort zu stehen.

Lea spannte die Sehnen in ihrem Hals an, so dass ihr Kopf zur anderen Seite schwenkte. Obwohl ihre Augenbraue dabei hart gegen den Tisch schlug, spürte sie keinen Schmerz. Nur einen Druck, der sofort von einer warmen Welle fortgespült wurde.Was auch immer sie ihr gespritzt hatten, es wirkte ganz fantastisch.

Sie brauchte einen Moment, um scharf sehen zu können. Akinora beugte sich gerade über einen breit ausgelegten Papierhaufen, während Pi mit verschränkten Armen neben ihm stand. Keiner der beiden schenkte ihr Beachtung. Nach einer Menge Technikkram fiel ihr Blick auf Macavity, der mit dem Rücken gegen einen Aktenschrank gelehnt stand, und sie anstarrte. Schlagartig erstarrte Leas Blick vor Schreck, und es gelang ihr nicht einmal, die Lider wieder zu schließen, um dieses verhasste Gesicht nicht länger ansehen zu müssen.

Macavity stierte ungerührt zurück. Unter seinem linken Wangenknochen schimmerte noch ein roter Flecken, wo Leas erste Kugel ihn getroffen hatte. Ansonsten sah er absolut quicklebendig und unversehrt in seinem dunklen Maßanzug aus. Sogar das Haar glänzte noch nass. Er hatte also ausreichend Zeit gehabt, zu verheilen und eine Dusche zu nehmen. Demnach musste sie mindestens ein paar Stunden lang bewusstlos gewesen sein. Lange genug, damit Adam ihre Spur aufnehmen und sie finden konnte?

Während Lea und Macavity einander reglos maßen, redete Pi zunehmend ungeduldiger auf Akinora ein, der sich offensichtlich weigerte, den Papierstapel aus den Händen zu legen und Pi endlich die gewünschten Informationen zu geben.

»Ihre Augen sind offen«, sagte Macavity schließlich mit seiner markanten Stimme, die Pis Gezische mühelos übertönte.

Diese Worte holten selbst Akinora aus seiner Versunkenheit. Mit hastigen Schritten eilte er auf den Tisch zu, auf dem Lea lag. Doch dann hielt er plötzlich inne - offensichtlich wollte er nur ungern in Macavitys Reichweite geraten. »Das ist bestimmt nur ein reiner Reflex. Sie müsste eigentlich noch betäubt sein ... Gab es irgendeine andere Reaktion als das Flackern der Lider? Ich würde ihr im Augenblick nur ungern eine weitere Dosis verabreichen.«

Ein Lächeln schlich sich auf Macavitys Gesicht. »Ich werde genauer nachsehen.«

Mit raschen Schritten war er bei Lea und versperrte einem unschlüssig dastehenden Akinora die Sicht. Sie hörte das Knirschen der Sohlen, als Akinora sich umdrehte, um mit einem gefauchten »Lassen Sie die Finger davon« zu seinem Ausdruck zurückzueilen, an dem Pi sich bereits zu schaffen machte.

Mit einer lässigen Bewegung ging Macavity in die Hocke, so dass seine anthrazitfarbenen Augen mit Leas auf einer Höhe waren. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter entfernt, so dass sie seine Mimik genau studieren konnte. Um die Lippen hatte sich ein begehrlicher Zug gelegt, und das Funkeln in denAugen verriet ihr, dass er nicht vorhatte, es beim bloßenAnschauen zu belassen. Sein Geruchkroch ihr in die Nase und setzte sich dort fest. Unglücklicherweise gelang es dem Duft von Seife nicht, die unterschwellige aggressive Note zu überdecken, die so sehr zu Macavitys Wesen passte.

Lea fühlte sich durch die erzwungene Nähe regelrecht beschmutzt, aber die Furcht dämpfte den Ekel. Sie hatte erlebt, wozu Macavity fähig war. Erneut hob er die Mundwinkel an, doch der Ausdruck glich eher einem Raubtier, das die Zähne fletscht, als einem Lächeln. »Scheint ein reiner Reflex gewesen zu sein«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme, die die Vorfreude auf seinem Gesicht Lügen strafte.

Nach dieser Entwarnung begann Pi, unverzüglich wieder auf Akinora einzureden. Macavity wartete noch kurz ab, bis er sich sicher sein konnte, dass die beiden sich wieder vollständig ihren eigenen Angelegenheiten widmeten. Dann streckte er langsam den Zeigefinger aus und berührte die Einkerbung zwischen Leas angstgeweiteten Augen und der Nasenwurzel.

Wäre es ihr möglich gewesen, hätte Lea den Mund aufgerissen und »Bin doch schon wach!« geschrien, damit Akinora ihr ein Schlafmittel verabreichte und sie nichts mehr von dem mitbekam, was um sie herum geschah. Doch dieser Bereich ihres Körpers entzog sich noch immer ihrer Einflussnahme. Dafür beschleunigten nun endlich Herzschlag und Atmung.

Macavitys Fingerspitze wanderte über die Wange hinab zu Leas Mund und streifte kurz den Mundwinkel. Dann fuhr sein Daumen genießerisch über ihre Unterlippe, und sie erinnerte sich an die Wunde, die Macavitys brutaler Kuss dort hinterlassen hatte. Ein angewidertes Stöhnen entstieg ihrer Kehle.

Einen Augenblick hielt Macavity inne, aber als nichts darauf hinwies, dass jemand den Laut wahrgenommen hatte, und Lea auch nicht in der Lage war, Alarm zu schlagen, zuckte er mit der Schulter. »Pech gehabt, meine Schöne«, sagte er leise.

Mit dem Handballen übte Macavity einen leichten Druck auf ihr Kinn aus, so dass der Mund sich einen Spalt öffnete.Als sein Daumen über ihre Lippen streichen wollte, versuchte Lea, den Kopf abzuwenden. Doch Macavity umfasste mit der freien Hand ihren Nacken und drehte ihr Gesicht zur Seite. Beleidigt spitzte er die Lippen und schüttelte den Kopf, als hätte er es mit einem ungezogenen Kind zu tun. Dann beugte er sich vor, und Lea konnte seine Zunge an ihrem ungeschützten Hals spüren. Einige dunkle Haarspitzen streiften ihre Nase.

Macavity biss zu.Vor Entsetzen gelang es Lea, die Beine anzuwinkeln und die Hüfte ein Stück emporzustemmen. Doch sofort sackte sie wieder kraftlos in sich zusammen.

»Psst, Lämmchen«, flüsterte Macavity. Sein Mund war nur einen Hauch von ihrer Haut entfernt. Die Wunde, die er geschlagen hatte, pulsierte, und Lea spürte ihren Herzschlag bis an die Schädeldecke pochen. »Das ist nur ein wenig Wiedergutmachung für das Blut, das ich deinetwegen verloren habe.« Seine blutbefleckten Lippen strichen zärtlich über den Rand ihrer Ohrmuschel, dann kehrten sie zum Hals zurück.

Endlich gelang es Lea, ihren Mund aufzureißen, aber es folgte lediglich ein stummer Schrei. Ihre Kehle bebte. Macavity ließ seinen Mund ein Stück tiefer gleiten und deutete einen weiteren Biss an. Panik machte sich in ihr breit. Nachdem er ein weiteres Mal über die blutende Wunde geleckt hatte, löste sich Macavity ein Stück und erzwang ihren Blick.

»Nur Wiedergutmachung«, sagte er in einem Ton, als wolle er um die Bezahlung für ihr Blut feilschen. Doch Lea war nur allzu bewusst, dass ihn ihre Angst erregte.

Sie hätte ihm gern einen Strich durch die Rechnung gemacht und ihn eiskalt angefunkelt. Aber sie fürchtete sich tatsächlich zu Tode und konnte ein leises Winseln nicht unterdrücken. Das konnte unmöglich einmal ein Mensch gewesen sein, der ihr gesamtes Gesichtsfeld mit diesen hungrigen Augen ausfüllte. Diese Gier, die Freude an der Quälerei, die Befriedigung durch Dominanz verrieten Seelenlosigkeit. Macavity besudelte Lea mit dem Wissen, dass so etwas Abnormes wie er existierte. Keine Ausgeburt von Träumen, sondern atmende Realität. Lea schloss die Augen, unfähig, diese Kreatur auch nur einen Augenblick länger anzusehen.

Während Macavity sich erneut über ihren Hals beugte, schob sich seine Hand in ihren Ausschnitt und fuhr - zärtlich wie ein Liebhaber -mit den Fingerspitzen über ihre Brüste. Diese Berührung holte Leas Körper endgültig ins Leben zurück: Ihre Gliedmaßen kribbelten, als hätte sie jemand ans Stromnetz angeschlossen. Sie spannte Muskeln und Sehnen in den Armen an. Doch ehe sie Macavity von sich stoßen konnte, wurde die Hand an ihrem Dekollete fortgezerrt.

Adam konnte nicht sagen, wie lange er schon in der geöffneten Tür stand und Macavity dabei beobachtete, wie er sich zu Lea hinunterbeugte und mit der Zungenspitze über eine dunkle Bisswunde an ihren Hals leckte. Sein Verstand sagte ihm, dass es sich lediglich um einen Augenblick handeln konnte, aber das Bild vor seinen Augen war so machtvoll, als studiere er es schon ein halbes Leben lang. Die Furcht um ihr Wohlergehen, die ihn fast um den Verstand gebracht hatte, während er durch die Stadt jagte, war vergessen.

Lea lag ausgestreckt da, bewegungslos, und obwohl Adam ihre Furcht und ihren Ekel wittern konnte, spürte er eine verwirrende Wut in sich aufsteigen, die durch Macavitys Erregung noch beflügelt wurde. Er konnte Abdrücke einzelner Zähne auf ihrer Haut erkennen, ein rot leuchtendes Muster. Und dazwischen ... ein dunkles Bordeauxrot, durchsetzt mit einem Strom herausdrängenden Blutes. Was nicht an Macavitys Zunge und Lippen hängen geblieben war, war in glänzenden Rinnsalen an ihrem Hals hinuntergeflossen.

Diese Verschwendung brachte den Dämon endgültig zum Toben. Sie gehört mir, raunte er aufgebracht. Nur mir. Doch dieses Mal stellte Adams eigene Wut und kaum beherrschbare Eifersucht die Begierde des Dämons in den Schatten. Er wollte losstürmen und diesen brennenden Zorn dazu gebrauchen, um Macavity in der Luft zu zerreißen. Noch stärker war allerdings der Wunsch, Lea für ihr williges Stillhalten zu bestrafen und sie zugleich in die Arme zu nehmen und beruhigend auf sie einzureden.

Und da war noch etwas anderes, etwas, von dem Adam sich ein Bild zu machen weigerte und das ihn innehalten ließ, obgleich Macavitys Hand Anstalten machte, in die Nähe von Leas Ausschnitt zu gleiten. Ein dunkles Verlangen, das von ihrem ausgestreckten Körper und der blutigen Wunde an ihrem Hals ausgelöst wurde. Es war ihm nicht mehr möglich, zwischen der Erregung des Dämons und seiner eigenen zu unterscheiden.

Unvermittelt traf ihn die Wahrnehmung, wie Lea mit aller Gewalt versuchte, trotz ihres bewegungsunfähigen Körpers zu einer Gegenwehr anzusetzen. Schlagartig spannte Adam alle Muskeln in seinem Körper an, und das unbeschreibliche Locken, das ihn soeben noch gequält und beschämt hatte, war vergessen. Sein Verstand hatte sich wieder eingeschaltet.

Aus den Augenwinkeln registrierte er Pi und Akinora, die in ein Streitgespräch vertieft waren. Während er losrannte, um Macavity in seine Schranken zu weisen, durchspielte er die Möglichkeiten, wie er Lea aus diesem Raum voller Monster unbeschadet herausbringen konnte.Auch der Wunsch, in ihren Körper einzutauchen wie in einen See aus Blut, war vergessen.

Lea riss die Augen auf und starrte sekundenlang in das überraschte Gesicht von Macavity. Dann wurde er zur Seite gerissen, und im nächsten Moment hörte sie das Splittern von Knochen.

Ruckartig hob sie den Kopf und beobachtete, wie Adam Macavitys Arm losließ, den er offensichtlich gerade mit voller Wucht auf die Tischkante geknallt hatte. Adams Augen waren vor Zorn zu Schlitzen verengt, dennoch war das überirdisch grüne Funkeln nicht zu übersehen. Er packte Macavity am Hinterkopf und schlug mehrmals dessen Stirn gegen die Kante.

Die Gewalt, mit der Adam vorging, wirkte fast mechanisch, aber dahinter steckte eine hoch konzentrierte Wut. Sein Gesicht war grau, und auf den Wangen zeichneten sich grellrote Flecken ab. Er sah aus, als würde er explodieren, wenn er sich nicht augenblicklich an Macavity rächen konnte.

Als Adam den Griff lockerte, sackte der große Mann in sich zusammen. Ohne mit der Wimper zu zucken, trat er auf den am Boden liegenden Macavity ein. In dem Moment, in dem Adam auf ihn steigen wollte, brachte ihn ein Schuss in den Oberarm zur Besinnung.

Adam stöhnte auf und wirbelte herum. Dabei stieß er mit dem Hüftknochen hart gegen die Tischplatte und klappte ein wenig vornüber. Lea beobachtete, wie er vor Schmerzen die Zähne aufeinanderbiss. Er umklammerte die Wunde ein Stück über dem Ellbogen mit der Hand und zwang sich, regelmäßig zu atmen.

Vorsichtig berührte Lea mit den Fingern den herabhängenden Arm. Adam schluckte schwer, dann schaute er sie an. Die Vielzahl der Gefühle, die seine Augen verrieten, übermannte sie: Erleichterung und Eifersucht, Wut und Schmerz, Sorge und Kampfeswille. Und ein Funken Gier, als sein Blick über ihren blutenden Hals glitt.

»Was für eine unangenehme Situation«, sagte Pi aus der Tiefe des Raumes. Dabei klang seine Stimme, als hätte soeben ein unangemeldeter Gast die Sitzordnung ruiniert. »Warum tust du nicht einfach das, was man von dir erwartet, Adam? Wir hatten uns gestern Abend doch so schön darauf geeinigt, dass du versuchen würdest, unseren unbekannten Freund über den Geldfluss des Instituts zu ermitteln. Stattdessen legst du hier einen unappetitlichen Auftritt hin.«

Adam nahm die Hand von der Wunde und legte den blutig glänzenden Zeigefinger auf seine Lippen. Dann blinzelte er ihr zu, und Lea glaubte, so etwas wie einen vergnügten Ausdruck entdeckt zu haben.

Dabei hatte sie ganz bestimmt nicht vor, sich in diesen Wahnsinn einzumischen. Denn eins hatte sie damals in Professor Carrieres Haus gelernt:Wenn Unsterbliche aufeinander losgingen, zog man sich mit einem zerstörbaren Körper besser aus der Schusslinie. Besonders wenn bei Adam der Dämon hervortrat und sich vor Freude auf den bevorstehenden Kampf die Hände rieb.

»Nur gut, dass wir uns beide offensichtlich nicht allzu viel aus Vereinbarungen machen.« Adam hatte sich Pi zugewandt und lehnte sich nun elegant an die Tischkante. Sein Ton war unverschämt belustigt, als halte er Pi für einen ausgemachten Schwachkopf, weil er überhaupt auf diese Tatsache hinwies. »Aber es war schlicht unmöglich, die Alarmglocken zu überhören, wenn unser verquerer Freund hier Frauen quält, als wäre er scharf auf einen Exklusiwertrag mit der Boulevardpresse.Was denkst du, wie schnell sich die Nachricht ausbreitet, wenn eine mit Bissen und allen möglichen anderen Wunden übersäte Frau in einem Raum voller Projektile und Blutlachen gefunden wird, die schimpft wie ein Rohrspatz und nach jedem männlichen Sanitäter oder Polizisten spuckt. Die Spur war kaum zu ignorieren.«

Lea konnte der Versuchung nicht widerstehen, zu Pi zu schielen. Wie gewöhnlich stand er mit kerzengerader Haltung da, die Arme vor der Brust verschränkt, wobei die Waffe nachlässig in einer Hand baumelte. Offensichtlich machte sich Pi wenig Sorgen darum, ob Adam zu einem spontanen Sprung ansetzen könnte.

Akinora hingegen schien sich da nicht so sicher zu sein und hatte sich und seinen wertvollen Papierstapel hinter einem Aktenschrank in Sicherheit gebracht. Allerdings saß er damit in der Falle, denn zwischen ihm und dem Ausgang stand nun Adam, der gerade ausprobierte, ob er den verletzten Arm wieder anwinkeln konnte.

»Lea war plötzlich weg, und Nadine hat einen Überfall ä la Macavity überlebt. Nicht schwierig, sich einen Reim auf die Sache zu machen. Und vor Akinoras Institut stehen ein paar von deinen Leuten herum. Die Idee, einen Abstecher zu Akinoras alter Lehrstätte zu machen, war demnach naheliegend. Also, was soll diese alberne Nummer hier? Du hättest mir Bescheid geben können, dass Lea bei dir ist.Wir hätten uns geeinigt, Pi.«

Pi zuckte mit den Schultern. »Hätten wir gewiss. Aber Akinora kann mir direkt geben, was ich will. Ich habe einfach gemutmaßt, dass sich schon alles in Wohlgefallen auflösen würde. Bevor du mitbekommen hättest, was Sache ist, hätte Akinora sein Blut, ich meine Info.

»Du meinst wohl, ich bin klüger, als du bislang angenommen hast. Also gib dir besser gar nicht erst die Mühe, mir erzählen zu wollen, dass ich Lea in einem Stück zurückbekommen hätte. Dafür bist du ein viel zu großer Freund davon, ein Exempel zu statuieren. Ich habe nicht nur Akinoras Vergangenheit ausgekundschaftet.«

Pi zuckte gleichgültig mit den Schultern, als wolle er sagen:Was soll's? Dann sind die Karten jetzt halt neu gemischt. Von wegen, Sportsfreund, dachte Lea sich. Du bist ein rachsüchtiges Miststück, dem man besser nicht den Rücken zudreht. Denn Pis verkniffene Lippen verrieten, dass er die Angelegenheit ganz und gar nicht locker nahm.

In der Zwischenzeit hatte sich Macavity etwas von Adams Angriff erholt und versuchte, sich hochzustemmen. Adam reagierte sofort. Er ließ Macavity noch ein Stück robben, dann verpasste er ihm einen Tritt in die Nierengegend. Macavity sackte erneut zusammen. Als Adam den Schuhabsatz auf Macavitys Nacken platzierte, erklang Pis Stimme gemeinsam mit dem Klicken der entsicherten Waffe.

»Wir wollen doch nicht übertreiben.«

Da Adam sich nicht anschickte, dem Befehl Folge zu leisten, richtete Pi den Lauf kurzerhand auf Leas Kopf. Der lag immer noch auf der Seiteund bot einen Blick auf die Wunde an ihrem Hals, aus der rhythmisch ein feiner Blutfluss quoll. Lea sah direkt in die dunkle Öffnung der Waffe, und ein kühl berechnender Teil ihres Gehirns wies sie darauf hin, dass Adam unmöglich schneller als die Kugel sein konnte.

In Pis Kommando hatte ein Ton mitgeschwungen, als könne er sich nur mit größter Mühe zu dieser Zügelung durchringen. »Du lässt dich zu sehr gehen, Adam. Ein paar eingetretene Rippen oder Finger, die von einem Schuh zerquetscht werden, hätte ich dir wahrscheinlich kommentarlos durchgehen lassen. Aber ein gebrochenes Genick -das geht dann doch etwas zu weit. Es würde mir einfach zu lange dauern, bis Macavity sich davon erholt hätte, und wer kann schon sagen, ob ich ihn im Verlauf der Unterhaltung nicht noch einmal benötige.«

Widerstrebend zog Adam sich zurück und beobachtete unruhig, wie Macavity aus seiner Reichweite kroch. Er war mit diesem Mann noch nicht fertig, und Lea hoffte inständig, dass sein Verstand nicht vollends von Rachegelüsten ausgeschaltet worden war. Auch wenn sie froh darüber war, dass Adam diesem Scheusal eine Abreibung verpasste, so war ihr Bedarf, als hoch dotierter Pokereinsatz zu fungieren, gründlich ausgereizt. Sie wollte raus aus diesem Laboratorium, und zwar möglichst schnell.

Als hätte er Leas stummes Flehen erhört, sagte Pi zu Adam: »Wie wollen wir jetzt aus dieser unvorteilhaften Situation herauskommen?« Pis Blick wanderte zu Akinora, den lediglich einige Schritte von Adam trennten. »Mein Vorschlag: Du schnappst dir deine wertvolle Lea und wartest in einer Ecke, bis wir drei uns zurückgezogen haben. Dann hat jeder von uns beiden, was er wollte.«

Adam schüttelte den Kopf. »Macavity gehört mir.«

Pi winkte ungeduldig mit der Hand ab. »Jag ihn ein anderes Mal, wenn du das unbedingt brauchst.Aber wenn es dich beruhigt, kann ich dir versichern, dass ich Macavity selbst einer Behandlung unterziehen werde. Erst kommt diese Sauerei bei der Schnüfflerin heraus und dann beißt er hier meine Rückversicherung an, statt auf sie aufzupassen. Du hast ja eben selbst gesagt, dass ich rachsüchtig bin ... zufrieden?«

»Ich glaube nicht, dass man Akinora weiterhin frei herumspazieren lassen sollte. Der Mann hat quasi Blut geleckt.«

Akinora keuchte auf und versuchte einen Ausfall. Doch er wurde von einem angeschlagenen und äußerst missmutig dreinblickenden Macavity, der sich lautlos angeschlichen hatte, am Kragen gepackt.

»Der wollte eh nichts freiwillig verraten, hat mich nur hingehalten.« Pi strich sich nachdenklich übers Kinn. »Ich werde ausprobieren, wie weit ich auf anderem Wege an seine wertvollen Informationen herankomme. Ich verspreche dir, dass er sich - wenn ich mit ihm fertig bin - für nichts mehr interessieren wird, was im Entferntesten mit Blut zu tun hat.«

Adam zog die Brauen zusammen und fuhr sich mit der Hand durchs wirre Haar. Dann nickte er kurz, ging um den Tisch herum, ohne Pi oder die anderen beiden Männer auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen, und schob die Arme unter Leas Kniekehlen und Schultern. Als er sie hochhob, platzte die frische Schusswunde wieder auf, und er stöhnte vor Schmerzen auf.Trotzdem trug er sie bis in eine Ecke des Raumes, die am weitesten von der Zimmertür entfernt lag. Mit einer enormen Willensanstrengung ließ er Lea behutsam auf den Boden sinken. Erleichtert spürte sie die Wand in ihrem Rücken, zog die Knie bis zum Kinn an und zwängte sich in die Ecke. Adam baute sich vor ihr auf und schirmte sie so gut wie möglich ab.

Währenddessen ordneten sich die drei anderen zum Rückzug. Pi nickte Adam noch einmal zu, wobei ein kaltes Lächeln auf seinen Lippen g, pp lag. Ein Widerspruch hatte sich in sein Gesicht geschlichen: Auf der einen Seite zeugte er Adam Respekt. Andererseits musste er Adam und Lea ungeschoren davonkommen lassen. Lea begriff nur allzu gut, warum Pi den Luxus eines Fair Play nicht genießen wollte: In seiner Situation war es niemals gut, einen unberechenbaren Feind zu haben. Und Adam einzuschätzen fiel Pi sichtlich schwer. Denn wer konnte schon sagen, wie jemand reagieren würde, der kein Mensch war, sich aber auch nicht den Gesetzen des Dämons unterordnete?

Gerade brachte Macavity den aufgebracht nuschelnden Akinora mit einer Ohrfeige zum Schweigen, die dem Forscher nicht nur die Brille vom Gesicht fegte, sondern ihn auch mit einem wirrenAusdruck im Gesicht zurückließ.Alles verlief chaotisch und eindeutig nicht nach Plan, dafür aber sehr gewalttätig -Akinoras Weltbild hing schief, und nach dem, was Pi eben gesagt hatte, würde er kaum die Gelegenheit finden, es jemals wieder ins Lot zu bringen.

Als Pi im Türrahmen stand, drehte er sich noch einmal um. Er hielt Macavity die Waffe hin, die sich dieser begierig schnappte. Ehe Pi die Hand zurückzog, sagte er noch: »Du setzt ausschließlichAdam außer Gefecht, damit er uns nicht folgen kann. Danach setzt du sofort deinen Hintern in Bewegung. Falls Akinora dir auch nur eine Sekunde lang entgleiten sollte, bekommt Adam doch noch, wonach er sich so sehnt.

Macavity fluchte wutentbrannt, als er die Waffe mit einem Arm ausrichtete und mit dem anderen Akinora am Kragen festhielt. Eine Sekunde lang flackerte es in seinen Augen, als spiele er mit dem Gedanken, auf Pis Anweisung zu pfeifen und sich stattdessen an Adam und Lea nach allen Regeln der Kunst auszutoben. Aber er besann sich eines Besseren und schoss das Magazin in Richtung Adams Körper leer, der keine Gelegenheit mehr fand, sich und Lea rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.