4. Eiszeit
Die folgenden Tage zogen wie im Traum an Lea vorbei. Seit dem verwirrenden Gespräch am Kanal hatten sie und Adam es peinlichst vermieden, das Thema erneut anzusprechen. Nach wie vor wachte sie jede Nacht auf, weil ihr Stammhirn Warnrufe sandte und das Herz ihr vor Panik aus der Brust zu springen drohte. Doch ehe sie die Augen öffnete, spürte sie stets, wer dort in der Dunkelheit saß und mit seinem ganz persönlichen Dämon kämpfte.
Am Tage tauchte ein schweigsamer, bis an die Schmerzgrenze distanzierter Adam bei ihr auf, wann immer ihm der Sinn danach stand.Wenn sie vom Einkauf nach Hause kam, fand sie ihn neben ihrer Zimmertür vor, einmal stand er plötzlich während eines Stromausfalls in der Bibliothek hinter ihr. Er fing sie nach den Vorlesungen vor dem Hörsaal ab, wobei er nur Augen für sie hatte und die anderen Studenten und ihre neugierigen Blicke unbemerkt an ihm abprallten.
Lea bemerkte diese Blicke umso mehr. Sie wusste nicht so recht, was sie von der Aufmerksamkeit halten sollte, die Adam unentwegt auf sich zog. Die meisten Menschen schienen sich von ihm angezogen zu fühlen, wagten es allerdings nicht, sich ihm zu nähern. Was nun seiner Schönheit oder was dem Wirken des Dämons zugeschrieben werden konnte, blieb ihr ein Rätsel.
Als Adam an einem Vormittag wartend in der Halle des Universitätsgebäudes stand, packte Jazna sie am Ellbogen, während sie gemeinsam die Treppe hinuntergingen. Da Jazna die letzten Tage wegen eines Familienproblems nicht in der Universität gewesen war, hatte sie noch nichts von den Gerüchten gehört, die von Lea und ihrem geheimnisvollen Schatten erzählten.
»Schau mal, da ist dieser geheimnisvolle Kerl wieder, der bei Professor Carriere lebt«, flüsterte sie nun Lea ins Ohr, und in ihrer Stimme lag eine Mischung aus Erregung und Misstrauen. »Ich steh total drauf, wie der sich bewegt. Da möchte man doch glatt...« Jazna lachte laut auf und machte eine eindeutige Bewegung mit der Hüfte.
Lea zuckte zusammen.
In den letzten Tagen hatte sie immer wieder mit dem Gedanken gespielt, sich Jazna anzuvertrauen, zumindest was ihre Zuneigung für Adam betraf. Sie fühlte sich vom Leben abgekapselt, und selbst wenn Adam bei ihr war, nagte zunehmend die Einsamkeit an ihr. Obwohl Lea es nach dem frühen Tod ihrer Mutter und der zeitraubenden akademischen Karriere des Vaters gewohnt war, auf sich allein gestellt zu sein, flackerte das Bedürfnis nach Freundschaft und Verständnis immer öfter auf.
Nun betrachtete sie Jazna prüfend von der Seite und spürte Unsicherheit aufsteigen. »Wahrscheinlich will er mich abholen«, sagte sie deshalb zaghaft.
Jaznas Kopf flog herum und in ihrem Gesicht spiegelte sich pure Ungläubigkeit. »Dich?«
Angesichts ihres verächtlichen Schmollmunds verwarf Lea den Gedanken, ihr von ihrer Verliebtheit zu erzählen. Offensichtlich war ihre Beziehung zu Adam in so mancher Hinsicht viel zu fantastisch.
Während Adam ihnen auf der Treppe entgegenkam, sagte Jazna leise: »Mit welchem Trick hast du dir denn den geangelt? Leitet dein Vater irgendeinen internationalen Konzern? Hast du vielleicht ein Geheimnis aufgedeckt, mit dem du diesen Mann an die Leine gelegt hast?«
Leas Mund klappte auf, aber es kam keine passende Antwort heraus. Zum ersten Mal in ihrem Leben wurde sie mit weiblicher Eifersucht konfrontiert und war zutiefst schockiert. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die sich viele Gedanken um ihre äußere Erscheinung machten und wäre niemals auf die Idee gekommen, sich kokett zu verhalten, um einen Mann um den Finger zu wickeln. In Jaznas Augen war sie nun mit einem Mal nichts als eine kleine, unscheinbare Studentin, die eigentlich nicht einmal davon träumen durfte, das Interesse eines Mannes wie Adam zu erregen. Sie spürte Empörung in sich aufsteigen, aber ebenso eine Spur von Unsicherheit. Aus dieser Perspektive hatte sie ihre Beziehung zu Adam nie betrachtet.
Adam nickte ihnen kurz zur Begrüßung zu, dann stellte er sich an Leas Seite.
»Wir sind uns doch bei Professor Carriere begegnet, richtig?«, fragte Jazna rasch, bevor Adam sich abwenden konnte. Sie streckte die Hand aus und berührte seine Schulter. »Ich kann mich jedenfalls noch sehr gut daran erinnern.«
»Tatsächlich?« Adam legte den Kopf leicht schief.
»Ja, und besonders gut erinnere ich mich daran, dass ... Wie soll ich es sagen?« Jazna trat dicht vor Adam und lächelte. Langsam ließ sie ihre Hand von seiner Schulter zu seinem Oberarm wandern, ohne dass dieser Anstalten machte, sie abzuschütteln. Dann beugte sie sich vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Leas Magen zog sich mit einem Stechen zusammen, während sich in ihrem Inneren eine Taubheit ausbreitete, als wäre etwas in ihr abgestorben. Obwohl die beiden nur eine Armlänge von ihr entfernt standen, hatte sie aufgehört zu existieren. Dann sah sie inAdams Gesicht, und vor Schrecken entwich ihr die Luft aus den Lungen. Ein fremder Glanz hatte sich auf seinen Zügen ausgebreitet, ein kühles Interesse, als prüfe er ein verlockendes Angebot. Die verhaltene Gier in seinen Augen, die plötzlich so fremd erschienen, schockierte Lea
Abrupt trat Adam einen Schritt zurück und blinzelte benommen.Was immer auch gerade sein Wesen bestimmt hatte, es war spurlos verschwunden. Sein Blick fand Lea, und sie erkannte darin eine Bestürzung, die sie kaum begriff.
Ehe die zurückgewiesene Jazna erneut die Hand nach ihm ausstrecken konnte, umschlang Adam Leas Hüften. »Es tut mir leid, aber ich kann mich wirklich nicht erinnern«, sagte er mit einer überraschend festen Stimme. »Wahrscheinlich habe ich an diesem Abend nur Augen für Lea gehabt. So ist es doch immer.« Dann gingen sie gemeinsam die Treppe hinunter.
Lea gewöhnte sich schnell daran, einen zweiten Schatten zu haben. Allerdings machte ihr das andauernde Wechselbad der Gefühle zu schaffen, in das Adams wortloses Kommen und Gehen sie stürzte. Oft fühlte sie sich wie betäubt: Wenn er fort war, wurde sie beinahe hysterisch vor Furcht, dass er nicht zurückkehren könnte. In seiner Gegenwart indessen befürchtete sie stets, dass er sie plötzlich mit Jaznas Augen sehen könnte und sie verließ. Davor graute ihr unendlich viel mehr als vor der Möglichkeit, dass Adam dem Drängen des Dämons nachgeben und sie verwandeln könnte.
Adam hingegen hatte sich vollkommen in seiner Schweigsamkeit eingerichtet und war zufrieden, in Leas Nähe zu sein und sie zu beobachten. Er passte sich widerspruchslos ihrem Alltagsleben an und zeigte nicht das geringste Interesse, eine eigene Note einzubringen.
Die gemeinsam verbrachten Tage verführten nicht gerade zum Träumen, denn sie waren durch und durch unromantischer Natur. Es gelang Lea höchstens, Adam eine Reaktion zu entlocken, indem sie herzhaft in einen Apfel biss. Vor Essen graute es ihm. Er war sich jedoch nicht zu schade, Zeuge ihrer stockend vorgetragenen Bestellung im Gemüseladen zu werden und anschließend ihren wütenden Blick auszuhalten, weil er sich erst eine halbe Ewigkeit später dazu bemüßigt fühlte, die zähe Feilscherei zu übernehmen. Exakt einen halben Schritt hinter ihr hergehend, so, als müsse er sie stets im Auge behalten, trug er die Einkäufe die Treppen nach oben und ignorierte gelassen ihren wachsenden Zorn.
Während Lea mit eispickelgleichen Fingerspitzen auf die Tastatur einhackte, dass es nur so knallte, las Adam ihre Arbeit Korrektur und versah den Rand der Papiere mit Notizen in seiner eleganten Handschrift. Zumindest werde ich meinen Abgabetermin einhalten können, dachte sie gereizt und putzte sich erneut die Nase, die seit der Nacht am Kanal nicht mehr aufhören wollte zu laufen. Dann hämmerte sie das Schlusswort nieder, wobei Meißel und Stein eigentlich passender gewesen wären als ihr altersschwacher Laptop.
Nun hatte sie eine beschämend durchschnittliche Arbeit abgegeben, sich eine tot stellende Kreatur der Nacht angelacht und beim Rendezvous am Kanal eine hartnäckige Erkältung eingefangen.War das Leben nicht schön?
Später sah Adam ihr regungslos dabei zu, wie sie andächtig über die blaue Tinte seiner Anmerkungen strich. In diesem Moment hätte Lea viel dafür gegeben, wenn er ihr dasselbe abfällige Lächeln wie bei ihrer ersten Begegnung geschenkt hätte. Spott und Hohn wären allemal besser zu ertragen gewesen als diese gleichgültige Maske, die er nicht mehr abnahm.
Eine erneute Welle der Enttäuschung überkam sie und kitzelte ihre ansonsten tief schlummernde Rachsucht wach: Ob er in seiner Starre verharren würde, wenn sie ihm kurzerhand auf den Schoß kletterte und ausprobierte, ob der leichte Bartschatten an seiner Kehle auch wirklich kratzte? Oder ob ihre Lippen auf dem Weg zu seinem Mund nur eine leichte Rauheit spüren würden, während sich die Wärme und der Duft seiner Haut unwiderstehlich vermischten und jede Beherrschung vergessen ließen? Sie wollte das sich im Nacken leicht wellende Haar berühren, herausfinden, wie es sich anfühlte. Dicht? Geschmeidig? Sie sehnte sich danach, zu erforschen, ob die blassen Sommersprossen, die Nase und Wangen bedeckten, auch auf den Schultern und weiter darunter zu finden waren.
Was konnte schon passieren? Dass er sie beiseitestieß? Wütend wurde? Sich angewidert von ihr abwendete? Mittlerweile war Lea jede Reaktion lieber als gar keine. Sie würde es kaum länger ertragen, dass Adam stoisch die Lea-Show genoss. Wenn man in Anbetracht seines dauerhaft freudlosen Gesichtsausdrucks überhaupt von Genießen sprechen konnte.
Selbst wenn er sich bei ihrem Überfall weiterhin regungslos stellen würde, dann käme wenigstens sie auf ihre Kosten. Auf eine ziemlich erniedrigende Weise, mahnte der gut erzogene Teil in Lea mit empörter Stimme. Ruhe!, hielt sie dagegen, aber nicht sonderlich entschieden, denn sie musste sich erneut die Nase putzen.
Niedergeschlagen gestand Lea sich ein, dass sie sich zu schwach fühlte, um Adam wie eine wehrhafte Festung zu erobern. Stattdessen warf sie das gerade benutzte Taschentuch nach ihm. Strafe muss sein, sagte sie sich. Das Taschentuch landete vor seinen Füßen, und Adam warf ihr einen prüfenden Blick zu, den sie nicht recht zu deuten wusste. Allmählich verlor sie das Interesse daran, sich den Kopf zu zermartern. Sie war müde und erschöpft und deprimiert und fühlte sich gar nicht gut.
Adam verschwand kurz hinter der Küchenzeile und kehrte mit einem dampfenden Becher in den Händen zurück. Obwohl der Tee verführerisch nach Fürsorge duftete, konnte Lea sich kaum dazu aufraffen, ihn entgegenzunehmen. Ihre Glieder klebten hartnäckig an der Matratze fest, der Druck hinter ihren Augen war nicht auszuhalten.
Erneut stellte sie fest, dass Adam sie beobachtete, als sei sie das Ergebnis eines interessanten Experiments. Aber für eine Beschwerde fühlte sie sich zu betäubt. Selbst das Werfen vollgeschnupfter Taschentücher war ihr mittlerweile zu mühsam.
Schließlich wickelte Adam sie wie ein kleines Kind in Decke und Mantel, nahm sie in seine Arme und verließ mit ihr die Wohnung. Sie schnaubte nur kurz, um ihren Protest zum Ausdruck zu bringen. Ehe er sie auf die Rückbank seines Wagens legen konnte, war sie bereits in einen traumlosen Schlaf gefallen.
Etienne hatte versucht, ihn zu beruhigen. Aber was wusste Etienne schon von der Verletzlichkeit des menschlichen Körpers, wo er sich seit einer schieren Ewigkeit nur mit den Werken des Geistes beschäftigte? Adam hatte ihn wütend angeblickt und ohne ein weiteres Wort dif> Villa verlassen
Er hatte es kaum ertragen können, Leas leblosen Körper zu betrachten, sie all jener Energie beraubt zu sehen, die ihn magisch anzog. Ihm fehlte ihre lebendige Mimik, die stets mehr von ihren Gefühlen verriet, als ihr lieb sein mochte. Ihre klare Stimme, die Unvorhersehbarkeit ihrer Worte. Und nun lag sie einfach nur da, die Wangen schimmerten unnatürlich rot im blassen Gesicht, das Haar nass geschwitzt von Fieber.
Unwillkürlich drehte sich Adam der Magen um, und er lehnte sich atemlos gegen eine Häuserwand. Eine ältere Dame, die mit Einkäufen beladen war, beäugte ihn kritisch und machte dann einen weiten Bogen um ihn. Wahrscheinlich hielt sie ihn für einen Betrunkenen. Dabei wäreErtrinkender passender gewesen, denn so fühlte er sich: Über ihm schlugen die Wogen brausend zusammen, während er von seiner Angst in die Tiefe gerissen wurde. Angst wovor? Anstelle einer Antwort krampfte sich Adams Magen erneut zusammen.
Während er nach Luft schnappte, brannte das Drängen des Dämons auf. Warum die ganze Sorge?, wisperte er im vielstimmigen Chor. Wenn Lea erst einmal unser ist, kann nichts und niemand ihr mehr etwas anhaben.
Instinktiv bleckte Adam die Zähne, als wolle er nach dem unverfrorenen Flüsterer schnappen. Die Gier des Dämons, endlich seinen erwählten Tempel in Besitz zu nehmen, widerte ihn noch mehr an als sein eigenes Bedürfnis, Lea nahe zu sein. Lea mit ihren überschäumenden Gefühlen und ihrer verletzlichen Seele - das perfekte Opfer für Dämon und Mann.
Doch von solchen Gedanken ließ der Dämon sich nicht zurückdrängen: Er brüllte, er schmeichelte, er quälte und lockte unentwegt. Adam stand da, die Schulterblätter hart gegen die Mauerwand gepresst, und hoffte darauf, dass die Stimmen und der brennende Schmerz irgendwann nachließen.
Ein junger Mann ging an ihm vorbei und warf ihm einen fragenden Blick zu. Augenblicklich verstummte der Dämon. Ein Friedensangebot. Adam brauchte nicht lange, um es anzunehmen. Er erwiderte den Blick des Mannes und stieß sich von der Wand ab.
Als Lea aufwachte, saß Professor Carriere auf einem Stuhl neben ihrem Bett. Er hatte die Beine elegant übergeschlagen und ein geöffnetes Buch auf dem oberen Knie liegen. Nachdem sich ihre Blicke gekreuzt hatten, legte er sorgfältig einen Finger auf die gerade gelesene Zeile; dort blieb er das ganze folgende Gespräch über liegen.
Ein nebliger Film lag über Leas Augen, und sie musste einige Male blinzeln, bis sie endlich scharf sehen konnte. Es fühlte sich an, als hätte ihr jemand feinen Sand in die Augen gestreut. Sie spielte kurz mit dem Gedanken, die Hand unter der schweren Bettdecke hervorzuziehen, verwarf ihn aber sofort wieder.Allein das Blinzeln war schon anstrengend genug gewesen.
Draußen mochte das erste Tageslicht trübe seine Finger ausstrecken, doch die schweren Stoffvorhänge schlössen es gnädig aus.
»Es freut mich, dass es Ihnen besser geht«, sagte Professor Carriere und schenkte Lea ein aufrichtiges Lächeln. »Wie gut, dass unsere Anna über so hervorragende Kontakte zum Schwarzmarkt verfügt. Wo sonst hätten wir so schnell ein anständiges Antibiotikum herbekommen, nicht wahr?«
Lea versuchte zu sprechen, doch der geschwollene, vor Schmerzen pochende Hals ließ das nicht zu. So brachte sie lediglich ein gekrächztes »großartig« hervor.
Allerdings machte Professor Carriere nicht den Eindruck, als komme ihm Leas erzwungene Schweigsamkeit ungelegen. Forschend beobachtete er ihr vor Erschöpfung gezeichnetes Gesicht, und Lea rang sich ein einladendes Lächeln ab. Nur zu gern wollte sie wissen, was dem Professor durch den Kopf ging.
»Adam lässt sich entschuldigen«, setzte er bedächtig an, »er war etwas ausgezehrt nach all der Aufregung in den letzten Tagen. Er ist unterwegs, um ... nun ja ... wieder ein wenig zu Kräften zu kommen. Sie verstehen schon, nicht wahr?« Professor Carriere sah Lea fragend und zugleich fordernd an. Kein Mitleid mit dem Feind - diese Seite kannte Lea bereits bestens an ihm. Adam war also auf Nahrungssuche, das hatte er ja wohl andeuten wollen.
Sie zuckte leichthin mit der Schulter, was sie ungeahnt viel Anstrengung kostete. Doch in Wirklichkeit verstörte sie Carrieres Anspielung, denn diesen Aspekt von Adams Existenz hatte sie all die Zeit tunlichst verdrängt. Nun spielte ihre Fantasie ihr einen Streich und zeigte ihr eine Auswahl an grausigen Bildern, zusammengesetzt aus tausend gesehenen Horrorfilmen ihrer Jugendtage. Die Anspannung ihres Kiefers ließsich nicht unterdrücken, ebenso nicht das leise Ächzen, das ihrer Kehle entglitt.
»Nichts, worüber Sie sich Sorgen machen müssten«, beschwichtigte der Professor sie. Dabei gelang es ihm allerdings nicht, den amüsierten Zug um seinen Mund zu verbergen. »Wenn Adam eine Spur ausgebluteter Leichen über die Stadt verteilen würde, hätten Sie dergleichen sicherlich längst der lokalen Presse entnommen.« Er hüstelte gekünstelt und schien sich in der Rolle eines Laiendarstellers zu gefallen. Anstelle von Applaus starrte Lea ihn allerdings nur abwartend an, bis er die Stirn krauszog und sich seines eigentlichen Anliegens entsann.
»Kleiner Scherz. Ich muss allerdings gestehen, dass mir der Umgang mit Ihnen etwas schwerfällt, Lea. Adam erzählte mir, dass er Sie über uns aufgeklärt habe. Deshalb ist es mir schlicht unbegreiflich, warum Sie sich dann noch in diesem Zustand befinden, der ja alles maßlos verkompliziert. Sehen Sie, ich bin ein großer Menschenfreund ... nun, wie soll ich sagen? Hat Adam Sie eigentlich über die zwei Seelen in unserer Brust aufgeklärt?« Professor Carriere schaute Lea fragend an, und sie nickte zögerlich, nicht ganz sicher, worauf ihr Gegenüber hinauswollte. »Nun, vielleicht so herum: Das Interesse von unsereins am Menschen ist an sich gering. Leider ist nichts auf der Welt perfekt, denn der Dämon ist zwar ausgesprochen besitzergreifend, aber es gelingt ihm nicht immer, sein ganzes Reich in Besitz zu nehmen. Deshalb bleiben oft Spuren des alten Bewohners zurück, wenn Sie verstehen. Es kostet Kraft und Mühe und, nun ja, vor allem viel Zeit. Aber man kann den menschlichen Anteil wie ein guter Archäologe freilegen. Dazu muss man nur unterdrücken, was dem Dämon wichtig ist.«
Der Professor legte eine Pause ein und schien in sich hineinzuhören. Lea war ausgesprochen dankbar für die plötzliche Stille. Sie musste höchste Konzentration aufbieten, damit ihr in ihrem geschwächten Zustand nichts entging. Gleichzeitig brachte es sie zum Staunen, wie unterschiedlich diese beiden Männer trotz ihrer Vertrautheit waren: Während man Adam auch unter Androhung raffinierter Foltermethoden kaum zum Reden bewegen konnte, sprudelten die Worte aus Professor Carriere hervor wie aus einer unter Druck stehenden Champagnerflasche.
Seine Hände zuckten kurz und verrieten, dass er seinen Gedanken wieder aufzunehmen gedachte: »Die Lust am Trinken ist für uns beinahe von existenzieller Bedeutung und kaum zu beherrschen. Vergleichbar mit der menschlichen Sexualität: Man kann sie unterdrücken, sich ein Zölibat auferlegen, versuchen, sie zu kanalisieren, aber früher oder später wird sie sich einen Weg bahnen. Da glaubt man, alles unter Kontrolle zu haben, und schon findet man sich außer Atem und besudelt neben einem fremden Körper wieder und hofft inständig, dass die Erinnerung niemals den Bereich des Nebelhaften verlassen wird. Gierige Dämonen und Menschen darf man niemals unterschätzen, meine Liebe.«
Seine Wangen hatten sich leicht rötlich verfärbt, aber Lea war sich nicht sicher, ob ihm der Gegenstand seiner Worte peinlich war oder ihn vielleicht doch eher erregte. In Anbetracht des Flackerns in seinen Augen glaubte sie eher Letzteres. Unauffällig verkroch sie sich tiefer unter die Bettdecke.
»Unsereins kann dennoch das Menschliche in sich fördern«, sprach der Professor weiter, der zu sehr in Gedanken versunken war, als dass er von Leas Beklemmung etwas mitbekommen hätte. »Allerdings hält meine Art das für falsch, sieht darin lediglich den krankhaften Wunsch nach Selbstzerstörung. Der Dämon ist stark und schön, er beschenkt uns großzügig. An den Resten des Menschlichen festzuhalten, das im Vergleich zum Dämonischen kraftlos und fade ist, stellt geradezu eine Beleidigung da. Für die meisten von uns ist es eine Ehre, den Dämon in sich bergen zu dürfen. Wer ihn unterdrückt, ist deshalb zwangsläufig ein Narr, wenn nicht sogar ein Feind.«
Das traurige Lächeln und die Art, wie Professor Carriere mit den Schultern zuckte, verrieten Lea mehr über die Wünsche dieses Mannes alsseine vielen Worte. Er konnte ihre Überlegung offensichtlich von ihrem Gesicht ablesen, denn leise sprechend fuhr er fort: »Aber wer kann schon wider seiner Leidenschaft, nicht wahr, Lea? Der Mensch ist mein Steckenpferd: Ich kultiviere ihn, wo ich nur kann. Darin liegt auch die seltsame Freundschaft zwischen mir und Adam begründet. Wir sehnen uns beide nach dem, was der Dämon uns genommen hat. Trotzdem kann ich Adams Entscheidung, sich dem Wunsch des Dämons zu widersetzen, nicht nachvollziehen. Schließlich fordert der Dämon keine schlichte Verwandlung. Nein, er hat ihm eine Gefährtin ausgesucht!«
Seine Stimme hatte an Eindringlichkeit gewonnen, und er bedachte Lea mit einem derart konzentrierten Blick, dass sie verlegen das Muster der Bettdecke zu studieren begann. Sosehr sie auch spürte, dass ihr dieses Gespräch unendlich viel mehr über den Dämon offenbarte, als sie aus dem schweigsamen Adam je herausbekommen würde, so sehr fühlte sie sich überfordert.
Doch darauf schien der Professor keine Rücksicht nehmen zu wollen. »Adams Weigerung kann einfach nicht von Dauer sein«, fuhr er fort. »Sein Gegenüber zu erkennen bedeutet, endlich eins werden zu können. Denn so fantastisch die Möglichkeiten, die der Dämon uns anbietet, auch sein mögen, die Einsamkeit bleibt immer unser Begleiter. Die menschliche Gesellschaft erscheint uns zweitklassig und abgeschmackt. Zwar umgeben sich einige von uns mit menschlichen Dienern, aber das ist keine befriedigende Lösung. Und mit unseresgleichen passen wir so gut zusammen wie zwei gleiche Pole. Zweckbündnisse, mehr als das gelingt uns in der Regel nicht.« Er machte eine wegwerfende Geste, als wolle er sagen: Man könnte darüber verrückt werden. Welch ein Schmierentheater diese Existenz doch ist!
»Ein Kräftemessen mit dem inneren Beherrscher, das ist typisch für Adam: Es befriedigt seinen Widerspruchsgeist. Er behauptet zwar, nicht bereit zu sein, das Risiko einzugehen, das jede Verwandlung in sich birgt. Aber diese Verzögerung ist eine unnötige Quälerei - und zwar für beide Seiten, wenn ich Sie mir so anschaue. Niemand kann das Geschenk eines Dämons ablehnen. Ich würde sogar behaupten, dass es ein Geschenk des Schicksals ist.« Der Professor hielt einenAugenblick lang inne, und seine Lippen wurden zu einem harten Strich. »Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Lea: Sie sollten sich etwas einfallen lassen, um Adam die Pistole auf die Brust zu setzen. Adams Widerspenstigkeit wird gebrochen werden, denn der Dämon wird seinen Willen durchsetzten, das tut er immer.«
»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!« Lea hatte sich vorsichtig in den Kissen aufgerichtet. Augenblicklich schwirrte ihr der Kopf, und die Lungenflügel zogen sich zusammen, um ein bellendes Husten auszustoßen. »Sie wollen, dass ich Adam dazu zwinge, mich in ein Monster zu verwandeln, in eine Besessene?«
Falls Leas Attacke Professor Carriere verletzt haben sollte, so ließ er sich nicht das Geringste anmerken. Mit einer eleganten Geste schlug er das Buch zu und stand auf. »Meine liebe Lea«, sagte er, als er auf die Tür zuging. »Besessen sind Sie doch schon seit dem Moment, in dem Adam Sie erkannt hat. Sie sind sein passendes Gegenstück. Deshalb können Sie Ihrem Schicksal auch nicht entkommen. Sie können es nur herausfordern und verlieren. Es tut mir für den Menschen in Ihnen leid, doch es freut mich für Adam. Entschuldigen Sie, aber es ist grausam, einsam durch die Zeit zu wandern. Eine Gefährtin, die von der gleichen Art ist, kann diesen Schmerz lindern. Das hoffe ich zumindest.«
Das schnelle Schlagen ihres Herzens riss Lea aus dem Schlaf und ließ sie sehnsüchtig die Augen aufreißen. Adam stand mit dem Rücken zu ihr, dem offenen Fenster zugewandt, und starrte unbeweglich in die Nacht hinaus. Denn sie hatte herausgefunden, dass er ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe beobachtete. Die Lea-Show ging also nahtlos weiter, aber sie war zu erschöpft von der Krankheit und zu verwirrt von Professor Carrieres Worten, um dagegen anzukämpfen.
Langsam setzte sie sich im Bett auf und griff nach der Schale mit Grießbrei, die neben Teekanne, Bücherstapel und Medikamententiegeln auf dem Nachttisch stand. Während sie aß, horchte Lea in ihren wunden Körper hinein: Das Fieber war inzwischen verschwunden, nur die schmerzenden Gelenke erinnerten noch daran. Der Hals kratzte weiterhin, und auch der hartnäckige Husten würde noch eine Zeit lang bleiben, aber im Großen und Ganzen fühlte sie sich deutlich besser. Vor nicht einmal achtundvierzig Stunden hatte das bloße Atmen sie alle Kraftreserven gekostet, doch nun konnte sie schon wieder den Anblick von Adams athletisch geformter Rückenlinie genießen. In ihren Gedanken wanderten ihre Finger über die Stellen des dünnen Stoffes, unter denen sich seine markanten Schulterblätter abzeichneten. Im nächsten Moment berührten ihre Finger keinen Stoff mehr, sondern elektrisierende Haut.Wie sich das anfühlte ... mhh ...
Derartig in Träumereien versunken, zuckte Lea verblüfft zusammen, als ihr klar wurde, dass Adam sich umgedreht hatte und ein paar Schritte auf das Bett zugegangen war.
Mit einem Mal wurde ihr unangenehm deutlich bewusst, dass ihr das verschwitzte Haar am Kopf klebte und dass das zu große, graue T-Shirt, in das man sie gesteckt hatte, nicht gerade vorteilhaft an ihren eingefallenen Schultern hing. Fahle Haut, Augenringe, glühend rote Schnupfnase - was mochte die Krankheit wohl alles mit ihrem Aussehen angerichtet haben?
Adam schienen allerdings ganz andere Gedanken durch den Kopf zu gehen, wie sie seiner angespannten Miene entnahm. Plötzlich kamen ihr Professor Carrieres Worte wieder in Erinnerung, wie schwer es ihm fallen musste, in ihrer Nähe zu sein, ohne dem Drängen des Dämons nachzugeben. Wie groß das Verlangen und um wie viel größer noch Adams Widerwille sein musste. Und sie saß da wie ein verliebter Teenager und schwelgte in erotischen Fantasien.
Obwohl sie so viel Erschreckendes über den Dämon von dem Professor erfahren hatte, war das Verlangen, den Verstand auszuschalten und sich Adam bedingungslos hinzugeben, kaum zu unterdrücken. Es war so würdelos! In einem Anflug von Scham kniff Lea die Augen so heftig zusammen, dass es hinter den Lidern weiß blitzte. Mühsam unterdrückte sie das Bedürfnis, mit den Fäusten auf die Bettdecke einzuschlagen.
»Ich würde gern genau wissen, was Etienne dir erzählt hat«, hörte sie Adam mit erstaunlich sanft klingender Stimme sagen. Trotzdem glaubte sie einen gereizten Unterton herauszuhören, egal wie sehr Adam das auch zu verbergen suchte. Er hatte sich ans Fußende des Bettes gestellt und eine Hand auf den Bettpfosten gelegt.
Lea sah ihn prüfend an. Der wache, interessierte Ausdruck auf seinem Gesicht überraschte sie. Sie musste diesen Bann sofort brechen, das war sie ihrem Stolz schuldig. Ein bisschen Aufmerksamkeit durfte sie nicht in ein schmachtendes Häufchen Dämonenfutter verwandeln.
»Professor Carriere hat angedeutet, du seiest auf der Jagd gewesen und dass das Trinken für euch so etwas wie der menschliche Orgasmus sei. Es würde mich, ehrlich gesagt, schon interessieren, wie oft es euch so kitzelt... Hängt es von der Libido des Dämons ab?«
Zunächst reagierte Adam gar nicht, dann zog er die Augenbrauen hoch.
Eine Reaktion!, jubilierte Lea. Ich habe ihm tatsächlich eine Reaktion entlockt. Zufrieden zupfte sie die Kissen in ihrem Rücken zurecht.
Aber Adam nahm es gelassen, ließ sich sogar zu einem vagen Lächeln hinreißen. »Eines von Etiennes Lieblingsthemen. Das liegt wohl daran, dass er sich so vorbildlich zurückhält.«
»Du hältst dich nicht zurück, nicht wahr? Du bist vom Typ her ein echter Aufreißer, oder?« Kaum war der letzte Satz heraus, da wurde Lea übel. Sie war mit dieser geschmacklosen Formulierung eindeutig übers Ziel hinausgeschossen. Außerdem weckte sie auch wieder jene grausigen Fantasien, die ihr so zu schaffen machten.
Lea wichAdams Blick aus, denn seine nächste Reaktion wollte sie sich lieber ersparen.
Zum Glück war Adam großzügig oder pikiert genug, um ihre Bemerkung zu ignorieren. »Eigentlich kann ich mir denken, welchen Vortrag Etienne dir gehalten hat. Ich muss ihn mir schließlich auch jedes Mal anhören, wenn es mir nicht gelingt, ihm rechtzeitig aus dem Weg zu gehen. Unser Freund ist ausgesprochen hartnäckig, wenn es um unsere gemeinsame Zukunft geht.«
Lea nickte, wobei sie die Augen stur auf die Bettdecke gerichtet hielt. »Seine Reden über Schicksal.Verschmelzung und das Grauen der ewigen Zerrissenheit können einem ganz schön zu schaffen machen.«
»Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.« Adams Worte schlugen bei Lea wie ein Blitz ein. Zwar verharrte er immer noch regungslos am Bettende, aber er hatte etwas von seiner Unnahbarkeit eingebüßt. So hatte sie ihn noch nie erlebt, nicht einmal, als er verletzt in ihrem Zimmer gesessen hatte. Die Schutzhülle, die ihn stets wie eine zweite Haut umgab, schien mit einem Mal geborsten. Der Glanz des Dämons hatte einen empfindlichen Sprung erhalten. Vor ihr stand ein Mann.
»Die letzten Tage, deine Krankheit ... Im Gegensatz zu mir bist du sterblich. Es braucht nicht viel, um dich auszulöschen. Nur einen dummen Zufall.« Er presste die Lippen zusammen und verstummte einen Augenblick lang, der Lea wie die Ewigkeit vorkam. Dann ließ er den Bettpfosten los und stellte sich neben sie. »Vielleicht macht mich Etiennes Gerede auch nur langsam mürbe. Wir sollten eine Entscheidung treffen ...«
Er beugte sich leicht zu ihr hinab, und Lea spürte, wie ihr jeglicher Wille abhanden kam. Sie würde einfach nur dasitzen und akzeptieren, wofür Adam sich auch immer entscheiden würde.
Sie war gar nicht in der Lage, auch nur den geringsten Widerstand zu leisten.
»... aber nicht heute«, sagte Adam und lachte leise. Es war ein trauriges Lachen, dennoch ließ es Lea aufatmen. Dabei war sie sich gar nicht bewusst gewesen, dass sie den Atem angehalten hatte.
Der Bann war gebrochen, die Entscheidung vertagt.
Mit einem Schlag fühlte sie sich lebendig und kraftvoll, als hätte sie die letzten Tage nicht schwerkrank im Bett, sondern gipfelstürmend verbracht. Adam stand nur eine Armeslänge von ihr entfernt, sprechend und zugänglich. Sie würde ihn ein wenig reizen, ihn zum Spielen auffordern. Wer konnte schon sagen, wie lange die Welt so perfekt sein würde?
»Ist es wirklich nur das Wissen um die vom Dämon erwählte Gefährtin, das dich zu mir hinzieht?«, fragte Lea lockend, wobei sie einen schmollenden Unterton nicht unterdrücken konnte. Diese Frage quälte sie schon seit der Nacht am Kanal. Es kostete sie viel Mut, sie zu stellen. Das Risiko, dass es nur der Wille des Dämons war, der Adam an sie band, war herzzerreißend groß. Und so hielt sie seinem belustigten Gesichtsausdruck ein zorniges Augenfunkeln entgegen. Beschwichtigend hob Adam die Hände, deren bloßer Anblick schlagartig alle Angriffslust in ihr auslöschte. Wahrscheinlich würde sie seine kräftigen Finger nie betrachten können, ohne sich sofort vorzustellen, wie sie über ihre Haut strichen. Als er zu einer Antwort ansetzte, konnte sie seinen Worten kaum folgen, dermaßen gefangen war sie von der plötzlichen Erregung, die ihre Haut zum Glühen brachte.
»Davon abgesehen, dass man beim Erkennen wohl kaum von nur sprechen kann, gibt es da auch andere Aspekte, die ich an dir sehr anziehend finde.«
Dieses umständlich verpackte Geständnis war mehr, als Lea erwartet hatte, weshalb sie ein glückliches Strahlen nicht unterdrücken konnte. Adam quittierte ihre Begeisterung mit einem Stirnrunzeln. »Sei nicht so geheimniskrämerisch«, hakte sie herausfordernd nach. »Von welchen Aspekten redest du? Von meinem bestechenden Intellekt oder von meinem Aussehen vielleicht?«
»Ich achte nicht sonderlich darauf, wie Menschen aussehen.«
»Sondern ...?«, bohrte Lea nach, als Adams Mimik verriet, dass er das Thema fallenlassen wollte. Dabei war sie sich nicht sicher, ob sie die Antwort überhaupt hören wollte. Hoffentlich nahm das Spiel keine schlimme Wendung. Der vage Verdacht, dass ihr etwas Unangenehmes bevorstand, breitete sich in ihrer Magengegend aus und ließ sie auffällig laut schlucken.
Adam warf ihr einen wissenden Blick zu. Trotzdem machte er zunehmend den Eindruck, als bereite auch ihm die Unterhaltung Vergnügen. Er trat ganz dicht ans Bett und beugte den Kopf erneut zu ihr herab. Mit seiner anziehend klingenden Stimme, deren Timbre eine Gänsehaut erzeugte, erklärte er ruhig: »Ich gehe mehr nach dem Geruch. Das liegt vielleicht an meinem ausgeprägten Jagdinstinkt.«
»Du meinst, du kannst meine Fährte aufnehmen?«, fragte Lea, die sich kaum noch bei Sinnen wähnte, weil Adam ihr so nah war. Zwischen unseren Körpern muss sich wohl eine Art elektrische Spannung bilden, irgendein besonders ausgefallenes Naturphänomen, dachte sie, während ihr die Hitze verräterisch den Hals entlangkroch.
Adam nickte langsam, dann deutete sich ein mysteriöses Lächeln auf seinen Zügen an. Ganz offensichtlich amüsierte er sich. Etwas bereitete ihm eine diebische Freude, wie Lea irritiert feststellte.
Unsicher lächelte sie zurück.
Einen Augenblick lang hielt er inne, als wolle er die Vorfreude bis zur Neige auskosten. »Es geht nicht nur darum, jemanden verfolgen zu können«, sagte er eindringlich. »Es ist mehr ... Der Geruch eines Menschen spiegelt sein gesamtes Gefühlsleben wider. Es ist also vielsinnlicher und aufregender, dem Duft eines Menschen zu verfallen als seinem Äußeren. Ich kann an deinem Duft erkennen, ob du durcheinander bist, ob dich etwas in Sorge versetzt oder ob du dich ganz besonders freust, in meiner Nähe zu sein.«
Den letzten Satz ließ er mit einem vielsagenden Lächeln ausklingen. Lea war jedoch zu sehr von der Aufgabe in Anspruch genommen, den Abstand zwischen ihren beiden Körpern weiter zu verringern, um den Sinn der Worte vollends zu begreifen. »Ob ich mich freue ...«, wiederholte sie deshalb mechanisch, während sich die Erkenntnis allmählich ihren Weg bahnte. »Oh!«
Schlagartig rutschte sie in die Kissen zurück, um ihren verräterischen Körper auf Sicherheitsabstand zu bringen. Dabei fielen ihr ein Dutzend Situationen gleichzeitig ein, in denen ihre erhitzte Haut sämtliche Wünsche und Fantasien in Adams Nähe offenbart hatte.
Hastig zog sie sich die Decke bis unter die Nasenspitze.
Das war ja noch schlimmer als Gedankenlesen! Der Geruch war etwas so Körperliches, Sinnliches, dass Lea vor Scham am liebsten gestorben wäre. Unbarmherzig jagte ein Adrenalinschub nach dem anderen das Blut durch ihren Körper, bis das Rauschen in ihren Ohren dröhnte. Wie wohl Panik riecht?, fragte sich Lea, als Adam ihr so nahe kam, dass ihre Gesichter sich beim nächsten Atemzug berühren mussten.
»Was denkst du denn, warum ich mich in deiner Nähe nur schlecht beherrschen kann?«, fragte er leise, und sie zuckte angesichts des aggressiven Untertons leicht zusammen.
»Ist mir noch gar nicht aufgefallen, dass du dich nur schlecht beherrschen kannst...«
Doch Adam schien ihren atemlosen Einwurf nicht zu hören. Er fixierte sie mit wütend funkelnden Augen, und die Anspannung seines Kiefers befeuerte Leas Puls, dass sie ernsthaft befürchtete, gleich ohnmächtig zu werden. Ihr Körper konnte sich nicht entscheiden, ob er vor Furcht zusammenbrechen oder ob er eine stürmische Umarmung, gefolgt von einem noch stürmischeren Kuss, wagen sollte. Adams Nasenflügel bebten, und ehe Lea recht wusste, wie ihr geschah, fand sie sich allein im Raum wieder.