11. Gefährliche Spiele

Nach ihrer Einführung auf Pis imposantem Fest hatte Adam sich nicht mehr blicken lassen. Dennoch vermutete Lea ihn praktisch hinter jeder Tür, denn sie wollte ihm nicht noch einmal unvorbereitet in die Hände fallen. So kam es, dass sie die Lobby des Verlagshauses erst einmal einer gründlichen Inspektion unterzog, bevor sie sie betrat, obwohl ihr dieses Verhalten verdutzte Blicke von Kollegen und Gästen einbrachte. Jedes Klingeln an der Tür verursachte ihr Herzrasen, und wenn sie in der Schlange auf dem Wochenmarkt anstand, rechnete sie damit, dass Adam ihr gleich auf die Schulter tippen würde. Allein bei der Vorstellung, er könnte plötzlich neben ihr stehen, verspannte sich ihr ganzer Körper. Aber es stellte sich auch Vorfreude ein, und auf dieses Kribbeln hätte sie gern verzichten können.

Dennoch gelang es Adam, sie erneut in einem Moment völliger Unachtsamkeit abzufangen.

Auf dem Weg vom Verlag nach Hause war Lea in einen dieser Regenschauer geraten, bei denen innerhalb von Sekunden die Straßen überflutet sind und die Kanalisation überläuft. Unglücklicherweise war Leas Arbeitstasche bis zum Anschlag mit Papierkram vollgestopft, so dass sie das handschriftlich abgefasste Manuskript eines technikfeindlichen Autors unter den Arm geklemmt hatte. Schon bei den ersten Regentropfen verspürte sie eine aufsteigende Panikattacke, als ihr Blick auf die zerlaufende Tinte fiel.

»Sie dürfen mein Unikat auf keinen Fall einem dieser teuflischen Kopierer überlassen«, dröhnten ihr die Worte des Autors im Kopf. »Ich würde das spüren, Lea. Und dann wäre die Vertrauensbasis vollkommen zerstört. Der Akt des Schreibens ist etwas zutiefst Menschliches. Man darf ihn nicht mit dem Künstlichen der Technik verunreinigen. Erst wenn der Schaffensprozess wirklich abgeschlossen ist, können wir über Vervielfältigung nachdenken. Das verstehen Sie doch?«

Sie hatte zustimmend genickt, denn bei Bestsellerautoren verstand sie aus Prinzip alles: Keine Marotte zu albern, keine Forderung zu groß. »Verdammt! Der wird mich um Grund und Boden verklagen, wenn sich sein schöpferischer Akt in Pappmaschee verwandelt«, schimpfte sie vor sich hin, während sie den herabstürzenden Wasserfluten zum Trotz den Mantel auszog und das Manuskript in den Stoff einwickelte. Froh darüber, dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen zu haben, störte sie es nicht einmal, als eine neben ihr anhaltende Limousine sie in einen Schwall von Regenwasser hüllte. Schließlich war sie sowieso schon nass bis auf die Haut.

Erst als sie durch die von Regentropfen verschleierten Wimpern Adam erkannte, der mit einem aufgespannten Schirm auf sie zulief, machte sie vor Schreck einen Satz zurück. Das Manuskript rutschte unter dem Mantelstoff hervor und hätte sein sicheres Ende in einer Pfütze gefunden, wenn Adam es nicht mit raubtierhafter Schnelligkeit aufgefangen hätte. Nach dieser Heldentat folgte Lea ihm ohne Murren zum Wagen.

Im Inneren der Limousine lauerte ihr Megan auf, die ihr grußlos einen Haufen Kleidung hinhielt. Da Leas nasse Sachen ihr wie eine zweite Haut am Leib klebten, nahm sie das Angebot gern an, auch wenn ihr Megans Kleidervorgaben langsam gegen den Strich gingen. Allerdings fühlte sich der Chiffon der blassblauen Tunika wunderbar in ihren Händen an. Als Megan jedoch anfing, an ihrer vom Regen ruinierten Frisur herumzuzupfen, drohte Lea ihr einen Klaps auf die Finger an.

»Ich würde Ihnen dringend raten, einen Sicherheitsabstand von mindestens dreißig Zentimetern einzuhalten«, sagte sie und dabei war es ihr durchaus ernst mit der Drohung.

»Dann sollten Sie sich selbst um die Wiederherstellung Ihrer Frisur bemühen. Und zwar sofort«, schlug Megan vor, als Lea lediglich mit den Augen rollte. »Wenn ich nämlich den Eindruck bekommen sollte, dass das nichts wird, lasse ich es auf ein Handgemenge ankommen. In einem solchen Zustand werden Sie diesen Wagen jedenfalls nicht verlassen.«

Lea spielte kurz mit dem Gedanken, Adams Unterstützung einzufordern. Doch der starrte vom Beifahrersitz aus gleichgültig in den Regen hinaus.Wahrscheinlich war es auch besser so, denn es war würdelos genug, dass sich zwei erwachsene Frauen wie zwei zickige Teenager aufführten. Deshalb warf sie Megan lediglich einen drohenden Blick zu und machte sich dann an ihrer Frisur zu schaffen, indem sie das nasse Haar nach hinten strich und zu einem strengen Zopf flocht.

Die Limousine brachte sie in die Innenstadt, wo die offizielle Einweihung eines gerade fertiggestellten Gebäudes gefeiert wurde. Die untere Etage des Glaspalastes war dem städtischen Museum kostenlos zur Verfügung gestellt worden. Hier sollte die an Bedeutung wachsende Sammlung von Fotografien untergebracht und ausgestellt werden. Lea hatte von der Eröffnungsveranstaltung gehört: Jeder, der in der Stadt über Rang und Namen verfügte, würde anwesend sein, so er denn eine der raren Einladungskarten erhalten hatte.

Als Adam sie am Ellbogen hineinführte, interessierte sie sich allerdings weniger für die mondänen Gäste als für die Architektur. Helle, verschwenderisch hohe Räume, deren grafische Anordnung sie an Pis Haus erinnerte. So war sie auch nicht überrascht, als sie das androgyne Wesen umherschlendern sah.Wie schon beim letzten Mal war Pi ganz in Schwarz gekleidet, gerade so, als wäre er - oder sie, wie Lea dachte - einer der gerahmten Fotografien entsprungen.

Während Pi zu beiden Seiten von beflissen nickenden Anzugträgern umringt war, schritt hinter ihm eine Gestalt einher, die sofort Leas Aufmerksamkeit erregte: Ein einschüchternder Mann mit dunklem Haar, dessen Brauen wie zwei Balken über den durchdringenden Augen hingen. Jedes Detail dieses Gesichts, ob nun markante Nase oder Kinn, schien zu schreien: Männlich! Verwegen! Gefährlich!

Sie erkannte instinktiv, wer dort durch die unbekümmert plaudernde Gästeschar schritt: ein Wolf im Schafspelz, der sich wegen der Dummheit der Lämmer allerdings kaum die Mühe machte, sein wahres Inneres zu verbergen.

Der umherschweifende Blick des Mannes blieb kurz an Lea hängen, und sie sah darin etwas Hemmungsloses, das sie zutiefst schockierte. Rasch senkte sie die Augen und drängte sich dichter an Adams Seite.

Offensichtlich war auch Adam der Blick, der Lea aus der Fassung gebracht hatte, nicht entgangen. Sofort spannte sich seine Körperhaltung an und verriet, dass er einem Kampf mit diesem provozierenden Mann regelrecht entgegenfieberte. Da mochte Adam dem Dämon noch so viel Widerstand leisten, wie er wollte, aber wenn es um ein Kräftemessen mit einem ebenbürtigen Gegner ging, lechzten Mann und Dämon im Einklang nach Blut. Das außer Kontrolle geratene Ringen mit Truss hatte offensichtlich keinen bleibenden Eindruck bei Adam hinterlassen.

Diese Reaktion beunruhigte Lea, und ihr Herz überschlug sich fast vor Aufregung. Erst jetzt wurde sich Adam der Verantwortung seiner Begleitung gegenüber bewusst. Kurz streichelte er ihre Schulter, senkte jedoch rasch wieder die Hand, als hätte er sich verbrannt.

»Das ist Macavity«, sagte er gedämpft. »Das passende Gegenstück zu Pi - sehr eindeutig in seinem Auftreten ... eindeutig aggressiv. Schwierig zu sagen, wer von den beiden gefährlicher ist.«

Lea blieb ihm eine Antwort schuldig. Ansonsten hätte sie ihn darauf hinweisen müssen, dass dieser Macavity nicht der einzige Mann im Raum war, der seine Lust auf eine Auseinandersetzung kaum zu zügeln vermochte.

Als sie wieder aufblickte, war der Furcht einflößende Mann verschwunden und mit ihm der Eindruck von Gefahr, den sie wie einen lähmenden Bann gespürt hatte.

Sobald Pi sie bemerkt hatte, steuerte er auf sie zu, ein Lächeln im Gesicht, das Lea auf unangenehme Art an das Grinsen der Katze aus Alice im Wunderland erinnerte. Deshalb war es ihr mehr als recht, dass Pi geschmeidig an Adams Seite glitt und ihn in Beschlag nahm, ohne sie zu beachten.

Obgleich Pi schon nach wenigen geflüsterten Sätzen weiterschwirrte, schritt Lea noch die nächste halbe Stunde unbeachtet an Adams Seite durch die Ausstellung. Sämtliche Versuche, ihm eine Reaktion abzutrotzen, scheiterten an seinen gut geölten Abwehrmechanismen: Seine Ohren schalteten automatisch auf Durchzug, wenn sie laut über eine Fotografie nachdachte, und sein Blick bot ihr nicht ein einziges Mal die Möglichkeit, ihn einzufangen. Er hielt durchgehend Abstand, und sogar ihren zaghaften Bemühungen, seinen Handrücken oder die Schulter zu streifen, wich er mit einer Geschmeidigkeit aus, die sie verzweifeln ließ. Schließlich beschloss sie, den Rest Stolz zu wahren, der ihr noch geblieben war. Aber als sie sich zum Gehen abwenden wollte, legte Adam ihr blitzschnell den Arm um die Taille und zog sie an sich heran.

»Du kannst noch nicht gehen«, sprach er ihr leise ins Ohr, wobei es ihr schwerfiel, seine Stimme richtig zu deuten: Klang sie drohend oder vielleicht doch bittend?

Lea spielte kurz mit dem Gedanken, die Chance zu nutzen und ihn in ein Streitgespräch zu verwickeln, doch dann hielt sie inne: Sie befürchtete, mehr von ihrer Stimmung preiszugeben, als ihr lieb war. In den letzten Tagen hatte sie sich eingestehen müssen, dass Adam ihr fehlte. Seine Abwesenheit hatte mehr an ihr gezerrt als der verletzte Stolz.

Ihr Schweigen weckte Adams Aufmerksamkeit, als wäre er sich ihrer Gegenwart erst in dem Moment bewusst geworden, in dem sie sich ihm entziehen wollte. »Lea«, sagte er flüsternd, und es klang, als spräche er den Namen seiner Lieblingsnascherei aus -hingebungsvoll, aber mit leicht amüsierter Note.

Sanft umfasste Adam ihr Kinn und brachte sie dazu, ihn anzuschauen. Sofort nahmen sie diese tiefgrünen Augen gefangen. Ihr Körper entspannte sich augenblicklich, jeder Gedanke an Flucht war ihr mit einem Mal fremd. Bis in alle Ewigkeit konnte sie so vor ihm stehen, völlig versunken in die Betrachtung seines schönen Gesichts.

Ein Seufzen brachte Lea wieder zu sich.Wer hatte hier eben ergeben geseufzt? Das konnte auf keinen Fall sie selbst gewesen sein. Beschämt schlug sie sich die Hand vor den Mund, der Bann war gebrochen. »Das ist unfair«, brach es aus ihr hervor. »Du brauchst mich nicht zu hypnotisieren, damit ich bleibe. Ein wenig höfliche Zuwendung würde schon ausreichen!«

Adams Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Dafür habe ich leider nicht die Zeit. Ich werde dich jetzt sogar für einen Augenblick verlassen müssen.«

»Du willst doch wohl nicht etwa hinter diesem Macavity her?«

»Nein«, antwortete Adam und lachte kurz auf. »Den hebe ich mir für ein anderes Mal auf. Aber Pi möchte mich ein paar Leuten vorstellen und du ...« Er tippte ihr kurz auf die Nasenspitze, als wäre sie ein launisches Kätzchen, »... du wartest hier auf mich, ja? Megan wird dir währenddessen Gesellschaft leisten.«

»Megan? Das ist nicht dein Ernst!«

Aber Lea konnte ihre Verdrossenheit nicht mehr in Worte fassen, denn Adam hatte seiner rechten Hand, die sich bislang im Hintergrund gehalten hatte, schon ein Zeichen gegeben. Daraufhin gesellte sich Megan zu Lea und überreichte ihr, einer Friedenspfeife gleich, ein Champagnerglas. Adam nutzte Leas zornige Erstarrung, um in der Menge zu verschwinden.

Obwohl Megan ihr ein bemühtes Lächeln schenkte, war Lea sich sicher, dass diese Frau in Wirklichkeit nur daraufwartete, wie sie ihre Unwürdigkeit, an Adams Seite zu stehen, unter Beweis stellen könnte. Aber diesen Gefallen würde Lea ihr nicht tun. Lieber stand sie zur Salzsäule erstarrt da und hielt die Atmung künstlich flach, während eine Haarsträhne sie am Mundwinkel kitzelte.

»Interessante Ausstellung«, versuchte Megan, ein Gespräch anzuregen. Dabei machte sie ein Gesicht, als wäre sie gezwungen, etwas Freundliches über ein paar Rotznasen zu sagen, die ihr gerade die Zunge rausgestreckt hatten.

»Ehe ich mich ernsthaft mit Ihnen über Kunst unterhalte, müssen Sie mir schon noch ein paar von denen hier besorgen«, gab Lea unwirsch zurück und schwenkte das leere Glas. Megan ging mit steifen Schritten davon, und Lea konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen: »Bei einem so vorbildlich abgerichteten Kläffer sollte eigentlich ein Schwanzwedeln drin sein.«

Megans zuckende Schultern verrieten, wie sehr sie die Worte trafen, dennoch ging sie unbeirrt einem Kellner entgegen, um ihm ein neues Glas abzunehmen.

Nach dem Schlagabtausch ärgerte sich Lea über sich selbst: Statt ihre Niedergeschlagenheit direkt an Adam auszulassen, lieferte sie sich einen armseligen Kleinkrieg mit seiner Handlangerin Megan. Sie atmete tief durch und gelobte Besserung. Leider erwies sich Megan nach ihrer Rückkehr als resistent gegenüber Versöhnungsgesten. Leas halbherzige Versuche, eine Unterhaltung in Schwung zu bringen, wurden mit Einsilbigkeit abgestraft. Selbst ein Kompliment zum eleganten Hosenanzug entlockte ihr lediglich einen Blick, der deutlich machte, was Megan von Leas Modeverstand hielt. Dämliche Sklavin, dachte Lea beleidigt. Dann schweigen wir uns eben an.

Als Adam endlich zurückkehrte, war der verspielte Zug aus seinem Gesicht verschwunden. Lea konnte die Kluft, die sich plötzlich zwischen ihnen aufgetan hatte, förmlich fühlen. Er blieb noch einige Minuten in Gedanken versunken neben ihr stehen, dann entließ er sie mit einer knappen Verabschiedung. Sie versuchte gar nicht erst, ihn auf irgendeine Art zu berühren, sondern verließ - verstört über die unüberwindbare Kühle, die von ihm ausging -die Ausstellung. Draußen brachte Megan sie zu der Limousine, und Lea bekam nicht einmal mit, ob diese sich über die Art, wie Adam sie abgeschoben hatte, amüsierte.

Zu Hause angekommen, stand Lea lange Zeit regungslos vor dem Spiegel und schaute sich an, als betrachtete sie eine Fremde. Vielleicht lag sie mit diesem Vergleich auch gar nicht so falsch, denn mit der Frau, die sie mutlos und verletzt anstarrte, hätte sie am liebsten nichts zu tun gehabt.

Einige Tage später folgte ein Abendessen mit einer Gruppe von Leuten, die sich alle um Adam bemühten und aufgeregt durcheinanderredeten. Hinterher konnte Lea sich beim besten Willen an kein einziges Detail des Essens mehr erinnern.

Am frühen Abend hatte sie nämlich - wie schon an den Abenden zuvor - zwei Schlaftabletten eingenommen, weil sie vor lauter Stress und Verwirrung kaum noch zur Ruhe kam. Sie war bereits eingeschlafen, als Megan sie plötzlich vom Sofa gezerrt und sie mit gnadenlosem Drill wie eine Anziehpuppe herausgeputzt hatte. Lea war viel zu betäubt gewesen, um ernst zu nehmenden Widerstand zu leisten.

»Hören Sie eigentlich jemals Ihren Anrufbeantworter ab, oder betrachten Sie ihn lediglich als Dekorationsstück?«, hatte Megan gereizt gefragt, während sie ruppig an Leas Haaren gezerrt hatte. Offensichtlich hatte Megan den deutlich formulierten Auftrag auf dem Apparat hinterlassen, dass Lea sich am Abend für Adam bereitzuhalten habe.

Es hatte eine Weile gedauert, bis Lea zu einer Erwiderung imstande gewesen war. »Seit Nadine ungefähr eine Billion wütender Nachrichten darauf hinterlassen hat, meide ich den Apparat tunlichst. Nadine ist meine Freundin«, hatte sie benommen nachgesetzt.

Doch Megan hatte schon nicht mehr zugehört, sondern Lea ein Paar mit Schmucksteinen besetzte Sandalen hingehalten. Da Lea sich im Funkeln der Steine zu verlieren gedroht hatte, hatte Megan sie mit einem schlichten, aber effektiven »Anziehen!« angeherrscht.

Während Megan eifrig ihr Dekollete hergerichtet hatte, hatte sich Leas von den Tabletten benebelter Geist hartnäckig gefragt, wie diese Frau überhaupt in ihre Wohnung gelangt war. Die elegante Megan mit einem Bund voller Dietriche - wie passte das denn, bitte schön, zusammen?

Nun saß Lea mit verwirrtem Gesichtsausdruck im Separee eines Edelitalieners. Zur Begrüßung hatte Adam ihr einen hochprozentigen Aperitif in die Hand gedrückt, offensichtlich der Auffassung, dass sie den bitter nötig hatte. Leider ergab die Verbindung, die der Alkohol mit dem Schlafmittel einging, jedoch nicht die gewünschte Wirkung. Statt einigermaßen geradeaus denken zu können, schalteten bei Lea innerhalb kürzester Zeit sämtliche Sicherungen ab.

Es kostete Adam eine ungeheuerliche Willenskraft, den Blick von Lea loszureißen und seinem Tischnachbarn die erforderliche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Allerdings musste er feststellen, dass van Weinhuus' Mund zwar offen stand, aber kein einziger Laut herausdrang. Seine Pasta rustica stand unberührt vor ihm, und in der Hand hielt er die unbenutzte Gabel wie einen vollkommen vergessenen Gegenstand. Ein ungewöhnlicher Zustand für diesen genusssüchtigen Mann, so dass Adams Blick pfeilschnell zu Lea zurückeilte, die ihm gegenüber platziert worden war.

Lea hatte einen Arm angehoben und massierte sich mit ungewöhnlich langsamen Bewegungen den Nacken. Die feingliedrigen Chandeliers glitzerten im Licht und schmiegten sich an die Linie ihres Halses. Erneut hob sie den Arm ein Stück an, und das Dekollete ihres schwarzen Bustierkleides gab einen schwindelerregendenAnblick frei.

Im letzten Moment gelang es Adam, ein Aufkeuchen zu unterdrücken. Doch er konnte nicht verhindern, dass ihm das Blut leuchtend rot in die Wangen schoss und ihm der Schweiß ausbrach. In der Hoffnung auf Ablenkung wandte er sich seiner Tischnachbarin zu, da van Weinhuus' Herumgerutsche auf dem Stuhl verriet, dass er immer noch in Leas Anblick vertieft war.

Frau van Weinhuus schaute ihn erwartungsvoll an. Adam hatte schon den ganzen Abend über ihren Blick auf sich gespürt und war mit wenig Erfolg ihren Versuchen, ihn zu berühren, ausgewichen. Kokett strich sie sich nun über den Hais, unbewusst Leas verführerische Pose nachahmend.

»Ihre Begleitung scheint heute Abend ein wenig neben sich zu stehen. Oder entspricht diese kindliche Geistesabwesenheit etwa ihrem Naturell?«

Bevor Adam etwas erwidern konnte, hüllte ihn ein berauschender Duft ein. Süß wie Karamel!, aber zugleich durchzogen mit einer Spur von etwas Herbem, einer Orangenschale ähnlich, die einem in der Nase prickelt. Dieser Duft konnte sich nicht entscheiden, ob er verführen oder mit seiner Ausdrucksstärke beeindrucken wollte. Adam kannte ihn nur allzu gut, denn auf keinen anderen reagierte sein Körper mit solch einer Intensität.

Mit einem Anflug von Verzweiflung ballte er die Hände zu Fäusten. Verblüfft zog er die Augenbrauen in die Höhe, als seine Tischnachbarin ein gg gg, Stück von ihm zurückwich, ihm aber zugleich ein anzügliches Lächeln schenkte. Den Grund dafür fand er in seinem Spiegelbild der weit aufgerissenen Augen von Frau van Weinhuus: Er sah einen Mann, der kurz davor war, die Beherrschung zu verlieren. So sehr er sich auch darum bemühte, die auflodernde Begierde, die Lea in ihm wachrief, zu kontrollieren, sie ließ sich nicht überspielen.

In einem Anflug von Galgenhumor musste Adam beinahe auflachen. Hier saß er nun endlich in der Gesellschaft, in die zu gelangen ihn so viel Mühe gekostet hatte. Und anstatt sich darauf zu konzentrieren, die Beziehungen auszubauen, verlor er die Fassung wegen einer Frau, die kaum mehr als ein Schmollen für ihn übrig hatte.

Erneut streifte Adam der sinnliche Duft von Leas erhitzter Haut, und er umfasste stöhnend die Tischplatte. Er hielt den Atem an und versuchte, wieder Herr seiner überspannten Sinne zu werden. Mit wachsender Verzweiflung starrte er Lea an, die sich lasziv über den Nacken streichelte, wobei ihr Busen aus dem Ausschnitt zu rutschen drohte. Dabei hielt sie die Augen geschlossen und den Mund leicht geöffnet. Schon einen Augenblick später ertappte er sich dabei, wie seine Gedanken lüstern um ihre geöffneten Lippen kreisten.

»Liebling, würdest du bitte deinen Arm herunternehmen?« Wie aus großer Entfernung hörte Adam seine eigene raue Stimme, die mehr von seiner Verfassung verriet, als ihm lieb war.

Lea verharrte einen Augenblick, dann blickte sie ihn an, als sei sie gerade aus einem Traum erwacht. Langsam senkte sie den Arm, wobei eine feine Strähne ihres Haars zwischen den Fingern haften blieb, wie Adam fasziniert beobachtete. Dann stützte sie den Ellbogen auf den Tisch und tauchte ihre Fingerspitzen in das Wasserglas.

»Mir ist furchtbar heiß.« Die Stimme klang ungewöhnlich ruhig, fast ein wenig schleppend.

Am nächsten Morgen schlug Lea die Augen auf und lag ausgekleidet in ihrem Bett, während Adam - zu ihrem Elend vollständig bekleidet - im Schaukelstuhl saß, sie aufmerksam beobachtete und dabei die schnurrende Katze streichelte. Er ging, ehe sie ein Wort sagen konnte.