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»Was treiben die eigentlich so bei einem Hexensabbat?«, wollte Sam von Beth wissen, als sie um kurz vor neunzehn Uhr wieder in ihrem Büro waren.

»Woher soll ich das wissen?«

»Du hast die Hexen doch ins Spiel gebracht«, sagte er. »Ich denke da nämlich gerade an das Blut in der Galerie. Und an das Kokain. Nehmen die Hexen von heute Drogen? Ist uns dahingehend irgendwas bekannt?«

»Ich werde Joe Duval anrufen«, erwiderte Beth. »Mal sehen, ob der seine Dienststelle bitten kann, Hexenzirkel im Miami-Dade County ausfindig zu machen.«

»Sag ihm, dass er sich mit den offiziellen Wicca-Gemeinden gar nicht erst belasten soll«, sagte Sam. »Die scheinen ziemliches Ansehen zu genießen.«

»Du meine Güte«, sagte Beth. »Vor einer Woche hatte ich noch nie von Wiccas gehört.«

»Sag Duval, er soll die Ohren aufsperren und sich nach einer Gruppe umhören, die kleiner und geheimniskrämerischer ist als die anderen.«

»Und möglicherweise sehr viel bösartiger«, fügte Beth hinzu.

Sam hörte seine Nachrichten ab und lächelte.

»Was ist?«, fragte Beth.

»Martinez ist von der Intensivstation runter.«

Beth atmete auf. »Gott sei Dank.«

»Ja«, meinte Sam, der vor Erleichterung auf einen Schlag erschöpft war.

Beth nahm den Hörer ihres Telefons ab. »Ich rufe Duval an. Du besuchst Martinez.«

»Ich kann später zu ihm fahren.«

»Falls wir auf die Schnelle auf irgendetwas stoßen sollten«, entgegnete Beth, »kannst du ja zurückkommen.«

»Bist du sicher?«, fragte Sam.

»Ja. Es wird dir guttun, Martinez zu sehen«, erwiderte Beth, »jetzt, wo er von der Station runter ist.«

Sie hatte recht. »Ich ruf dich vom Krankenhaus aus an«, sagte Sam.

Martinez lag in einem normalen Zimmer, ein hübscher Raum mit blauen Vorhängen vor den Fenstern und einem gerahmten Kunstdruck, der eine Strandszene von South Beach zeigte. Sam nahm an, dass es sich um das gleiche Motiv handelte, das sie acht Tage zuvor im Zimmer des Gärtners gesehen hatten.

Jessica saß im Sessel, als Sam hereinkam.

»Hi«, sagte sie, wurde rot und wirkte schrecklich verlegen.

Wie es sich gehörte, dachte Sam, verdrängte dann aber den Gedanken an Jessicas innigen Kuss. Das war Schnee von gestern - hoffte er zumindest. Dass Martinez wieder gesund wurde, war jetzt das Einzige, was zählte.

»He, Mann«, sagte er zu Martinez. »Gut siehst du aus!«

»Vielen Dank. Wie läuft's denn so bei dir?«

Zum ersten Mal seit Tagen hörte Sam, wie Martinez einen zusammenhängenden Satz sprach, wenn auch noch mit schwacher Stimme.

»Es geht uns allen gut.« Sam hielt seinem Freund einen Moment die Hand und hoffte insgeheim, dass er Einwände erheben würde, womit er wieder ganz der Alte gewesen wäre. Stattdessen schloss Martinez die Augen, und Sam wurde klar, dass ihm seine eigene Sterblichkeit bewusst geworden war.

»Alle vermissen dich«, sagte er.

»Ich spreche über den Fall«, gab Martinez zurück. »Nicht über meine Beliebtheit.«

Erleichterung durchströmte Sam. »Es geht dir wirklich besser, wie ich sehe.«

»Komm schon, Mann«, drängte Martinez. »Ich brauche Details.«

»Du brauchst Ruhe«, sagte Sam.

»Schiebst du mich aufs Abstellgleis?«

»Das käme mir nie in den Sinn.«

»Al, du bist gerade erst runter von der Intensivstation«, warf Jessica ein.

»Ich weiß.«

»Und ich weiß, dass du es weißt«, erwiderte sie. »Entschuldige.«

Martinez schüttelte den Kopf. Sein schwarzes Haar klebte ihm am Kopf, nachdem er tage- und nächtelang Fieber gehabt und nicht geduscht hatte. »Nein, ich entschuldige mich, Jessica«, sagte er. »Ich will mich nur einfach wieder so fühlen wie ein normaler Mensch ... wie ich selbst, verstehst du?«

»Natürlich versteht sie das«, sagte Sam. »Das verstehen wir alle.«

»Dann erzähl mir endlich was.«

»Ich wünschte, ich könnte es«, seufzte Sam.

»Gibt es denn gar nichts?« Martinez wirkte ungläubig, als hätte er das ganze letzte Jahr im Bett verbracht und nicht nur die vergangenen vier Tage. »Keine Verhaftungen? Keine Verdächtigen?«

»Nichts, was erwähnenswert wäre.«

Jessica stand auf. »Weil ich hier bin.«

Sam schüttelte den Kopf. »Nein, weil ich wirklich nichts habe, was es wert wäre, berichtet zu werden, und weil dieser Junge hier wieder gesund werden muss. Und das bedeutet, er muss sich ausruhen wie jeder andere Patient, der um Haaresbreite an Rattenbissfieber gestorben wäre.«

»Ich habe den Ärzten immer wieder gesagt«, stöhnte Martinez, »dass mich noch nie eine Ratte gebissen hat.« Er schauderte. »Mir wird schon ganz schlecht, wenn ich bloß daran denke. Ich hasse Ratten. Scheiß Biester sind das.«

»Denk nicht daran«, sagte Jessica.

»Hör auf deine Verlobte«, meinte Sam.

Wieder schloss Martinez die Augen. »Oh Mann, bin ich müde.«

»Dann schlaf ein bisschen«, erwiderte Sam. »Ich fahre nach Hause.«

Sein Partner öffnete die Augen wieder. »Ist bei Grace alles okay?«

»Es geht ihr prima«, antwortete Sam. »Und es sieht ganz so aus, als würden wir die Reise antreten.«

»Das ist gut.« Martinez rang sich ein Lächeln ab.

»Alvarez erlaubt mir nicht, sie abzusagen«, berichtete Sam. »Ist das zu fassen?«

»Was ist das denn für eine Reise?«, fragte Jessica.

»Es ist eine Überraschung für Grace«, erzählte Martinez ihr schlaftrunken. »Bekommt sie zum Geburtstag.«

»Wie schön«, befand Jessica.

»Er geht mit ihr auf eine Kreuzfahrt«, murmelte Martinez.

»Oh, bin ich neidisch«, sagte Jessica und wurde sofort wieder rot. »Ich meine ... hoffentlich machen wir irgendwann auch mal so eine Reise, Al.«

»Vielleicht, Baby«, antwortete Martinez.

Dann schloss er die Augen wieder, und dieses Mal schlief er ein.

Sam rief Beth vom Wagen aus an, berichtete ihr über Martinez und fragte sie dann, ob sie von Duvals Dienststelle irgendetwas in Erfahrung gebracht hatte, was sie nutzen konnten.

»Bisher nicht«, erwiderte sie. »Er kümmert sich aber um die Sache.«

Ungeduld erfasste Sam. »Wir müssen Beatty und Moore aufs Revier bekommen. Ich wette, dass sie zumindest in dem Haus waren, bevor die Sache da gelaufen ist - vielleicht sogar in der Nacht selbst.«

»Das können wir nicht beweisen«, meinte Beth.

»Ich weiß. Aber wenn nur der Hauch einer Chance besteht, dass ich recht haben könnte, dürfen wir keine weitere Minute verschwenden.«

»Wir wollen sie also einfach nur befragen?«, wollte Beth wissen. »Wenn sie bereit sind, von sich aus herzukommen.«

»Wir wollen sie jedenfalls nicht verhaften«, erwiderte Sam.

»Okay«, meinte Beth, »sofern der Captain einverstanden ist.«

»Ich hoffe es.« Sam fuhr vom Parkplatz auf den Biscayne Boulevard.

»Und Martinez ist auf dem aufsteigenden Ast?«, fragte Beth.

»Klopf auf Holz«, erwiderte Sam.

»In diesem Jahr bitte keine großen Pläne im Hinblick auf meinen Geburtstag«, erklärte Grace später im Bett. »Auf dir lastet schon genug Druck, und ich brauche nichts außer dir.« Sie strich ihm über die Wange, küsste ihn auf die Schläfe. »Das meine ich ernst, Sam. Du hast keine Zeit.«

»Für dich habe ich immer Zeit, Gracie«, flüsterte er.

»Du willst immer Zeit für mich haben«, widersprach sie. »Das ist etwas anderes. Das ist besser.«

»Wir werden sehen«, meinte Sam.

»Aber rede dir nicht ein, du müsstest etwas organisieren«, blieb sie beharrlich. »Ich werde den anderen sagen, dass sie nicht mal ein Abendessen zu erwarten haben, höchstens eine spontan zusammengewürfelte Runde am Küchentisch.«

»Okay.« Sam küsste sie auf den Mund. »Du bist einmalig.«

»Ich hoffe nur, dass ich weiß, wo meine Prioritäten liegen«, antwortete Grace. »Das ist nichts Außergewöhnliches.«

»Etwas Außergewöhnlicheres als du ist mir noch nie begegnet«, flüsterte er.