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16. Februar
Es war ein hektischer Montag für Sam und Martinez.
Der Anfang war vielversprechend, denn zum ersten Mal nahmen sie eine genaue Sichtung der Videoaufzeichnungen der drei Fahrzeuge vor, die potentiell von Interesse waren, da sie am späten Abend des Mittwoch, dem 11. Februar, in Elizabeth Price' Straße gefahren waren - innerhalb des Zeitfensters, das für die Entführung am wahrscheinlichsten galt.
Ein silberfarbener Lincoln Navigator, ein schwarzer Hummer und ein Volkswagen Kombi. Alle drei Fahrzeuge waren groß genug, um zwei Erwachsene versteckt zu transportieren, die entweder außer Gefecht gesetzt oder gefesselt und geknebelt waren.
Wie sich herausstellte, hatte der VW die Schranke gleich hinter Elizabeths Honda passiert. Der Lack des Kombis war dunkel, vielleicht grau oder dunkelblau, und das Nummernschild war deutlich zu erkennen. Aber während Elizabeth auf der Aufzeichnung einwandfrei zu identifizieren war, war der Fahrer des Kombis kaum zu sehen, was entweder auf irgendeine Panne zurückzuführen war oder darauf - die wahrscheinlichere Möglichkeit -, dass die Windschutzscheibe getönt war.
Schon bald hatten sie erfahren, dass der Lincoln einem anderen Bewohner und der Hummer einem Besucher der Wohnanlage gehörten. Über den Besitzer des VW jedoch war nichts bekannt, und damit war er in höchstem Maße verdächtig.
Außerdem deutete es darauf hin, dass Elizabeth Price' Haus jener Ort war, an dem die Entführung stattgefunden hatte.
»Es sei denn, sie wären zu der Zeit nicht zusammen gewesen und einzeln entführt worden«, sagte Sam.
»Und das würde bedeuten, dass wir es mit mindestens zwei Tätern zu tun haben«, erwiderte Martinez.
»Vielleicht sogar mit einem ganzen verdammten Team«, meinte Sam.
An dieser Stelle jedoch führte die Spur bereits wieder ins Leere, da es von der Abfahrt des Kombis keine Aufzeichnung gab. Ebenso wenig gab es eine Aufzeichnung vom Auftauchen des BMW von André Duprez an diesem Abend oder im Verlauf der Nacht. Die Überwachungskamera hatte in den letzten Monaten offenbar wiederholt versagt. Leider wohl auch in der fraglichen Nacht.
»Es sei denn, der Killer hat die Kamera ausgeschaltet«, gab Martinez zu bedenken.
»Ihr aber vorher ermöglicht, den Kombi aufzuzeichnen?«, fragte Sam.
»Weitere Spielchen?«
Sam schüttelte den Kopf. »Nie im Leben. Zu kompliziert. Wie auch immer - falls der Kombi für das Verbrechen benutzt wurde, war er vermutlich gestohlen.«
»Dann werden die Nummernschilder wohl falsch sein«, entgegnete Martinez.
Sam nickte. »Anzunehmen.«
So vielversprechend war der Anfang am Ende also gar nicht.
Der Rest des Tages war fest verplant. Edward und Margie Price hielten sich in der Firmenwohnung der Anwaltskanzlei auf, doch die Detectives wollten sie erst am frühen Nachmittag aufsuchen, nachdem sie mit den Verwandten von André Duprez gesprochen hatten.
Inzwischen waren achtundvierzig Stunden vergangen, seit man den Gärtner der Oates Gallery, Joseph Mulhoon, vom Beatmungsgerät genommen hatte. Sein behandelnder Arzt hatte erklärt, Mulhoon sei nunmehr in der Lage, sich einer kurzen Befragung zu unterziehen.
In einem Einzelzimmer des Miami General Hospital - die Wände waren blau und weiß gestrichen, und gegenüber vom Bett hing ein Kunstdruck, der eine Strandszene von South Beach zeigte - lag bleich und ausgemergelt der Mann, der vor seinem Herzinfarkt wahrscheinlich kräftig und braungebrannt gewesen war.
»Ich sehe diese armen Menschen immer noch jedes Mal, wenn ich die Augen schließe«, sagte Mulhoon. »Was für ein krankes Monstrum tut so etwas?«
»Das wissen wir noch nicht, Sir«, antwortete Sam. »Deshalb brauchen wir Ihre Hilfe.«
»Aber ich weiß nichts.« Mulhoon blickte verstört drein.
»Das ist uns klar«, sagte Martinez. »Nur waren Sie der Erste, der die Opfer gesehen hat. Zumindest der Erste, der das Verbrechen gemeldet hat.«
»Was bedeutet«, führte Sam weiter aus, »dass Ihnen vielleicht etwas aufgefallen ist, was uns entgangen ist.«
»Schließlich kennen Sie diesen Garten besser als jeder andere«, sagte Martinez.
»Das ist wohl wahr.« Mulhoon stockte. »Nur kommt mir das jetzt so vor, als könnte ich mich an überhaupt nichts mehr erinnern, nur an diese armen Menschen unter diesem ... Ding.« Er schüttelte sein graues Haupt. »Ich bin Realist, aber wenn Sie wissen wollen, wie mir dieser Anblick im ersten Moment vorgekommen ist ... es sah so aus, als hätten Außerirdische aus dem Weltraum sie da abgelegt.«
»Das ist eine Möglichkeit, der wir bisher noch nicht nachgegangen sind«, erwiderte Sam schmunzelnd.
»Ich hatte an fliegende Untertassen gedacht«, widersprach Martinez, »mir dann aber überlegt, dass es auf der Erde schon genug Schlechtigkeit gibt, mit der wir uns zuerst befassen sollten.«
»Das ist wohl wahr«, sagte der Gärtner. »Weiß Gott.«
In den nächsten zwanzig Minuten erfuhren sie von Mulhoon nichts Neues. Er sagte, er habe weder Allison Moore noch sonst jemanden bei Beatty Management angerufen, nachdem er die Leichen gefunden hatte. Ihm seien die Radspuren aufgefallen, berichtete er, als er durchs Tor kam, das bei seiner Ankunft unverschlossen gewesen sei.
»Da wusste ich sofort, dass etwas nicht stimmt. Aber dann sah ich sie ... Ich konnte nur noch die Polizei anrufen, weil meine Hände so zitterten, und dann fingen die Schmerzen an ...«
Er verstummte erschöpft, und die Detectives ließen ihn eine Weile ausruhen.
»Geht es Ihnen gut genug, uns noch ein paar weitere Fragen zu beantworten?«, fragte Martinez schließlich.
Mulhoon nickte. »Besser wird es mir sowieso nie wieder gehen.«
»Als Sie angekommen sind«, begann Sam, »haben Sie da jemanden gesehen, der gerade weggegangen ist oder einfach nur herumlungerte?«
»Nein.«
»Parkten vor dem Grundstück oder in der Nähe Autos oder Kombis?«, fragte Martinez.
»Da parken immer Autos«, gab Mulhoon zur Antwort. »Aber wenn Sie meinen, ob ich irgendwas Ungewöhnliches gesehen habe ... nein, Sir, habe ich nicht.«
»Ist Ihnen bei einem Ihrer vorausgegangenen Besuche jemand aufgefallen, der Sie beobachtet hat?«, fragte Sam. »Der zum Beispiel kontrolliert hat, wann Sie kamen und gingen?«
»Nein.« Mulhoon zuckte mit den Achseln. »Aber auf so was hätte ich auch gar nicht geachtet. Ich parke einfach meinen Laster, hole mir, was ich brauche, und tue meine Arbeit.«
Sam hatte es so lange wie möglich hinausgezögert, dem Gärtner ein Foto von den Eastermans zu zeigen, weil er befürchtete, die Erinnerung könne den Mann zu sehr aufregen. Allerdings handelte es sich nicht um die Polaroids, die sie Beatty und Moore vorgelegt hatten, sondern um ein Foto aus glücklichen Tagen, ihren Flitterwochen.
»Ach, Gott.« Der alte Mann nahm es mit zitternden Fingern in die Hand und brachte ein Lächeln zustande. »Um die Wahrheit zu sagen, ich bin froh, die beiden mal so zu sehen, wie sie früher waren. Vielleicht kann ich jetzt die schrecklichen Erinnerungen durch diese hier ersetzen.«
»Das wäre gut«, erwiderte Sam mit sanfter Stimme.
»Aber wenn Sie mich fragen, ob ich sie vor diesem Morgen schon jemals gesehen habe«, fuhr Mulhoon fort, »lautet die Antwort Nein. Niemals.«