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Eine knappe Stunde später traf Anthony Christou ein, ging mit Sam und Martinez nach draußen in den Garten, um sich das Ganze anzusehen, und folgte ihnen dann sichtlich erschüttert und kurz davor, in Tränen auszubrechen, wieder ins Haus und ins Wohnzimmer, wo seine Frau zusammengekauert auf dem Sofa saß und eine Zigarette rauchte.

Die Vorhänge waren zugezogen und ließen das Grauen nicht hinein. Aus der Klimaanlage blies zwar kalte Luft, doch war es trotzdem noch unangenehm verraucht im Zimmer. Fünf mit Lippenstift beschmierte Zigarettenstummel lagen bereits in dem klobigen Glasaschenbecher, der auf dem Sofatisch mit der Marmorplatte stand.

»Jetzt hast du endlich, was du wolltest«, tönte Christou.

Er war ein stämmiger Mann mit dunklem Haar, das gegelt und glatt nach hinten gekämmt war, und trug ein schwarzes T-Shirt und schwarze Jeans. In seinem Blick mischten sich Wut und Schmerz.

»Verdammt noch mal«, schimpfte seine Frau, »wie kannst du nur glauben, das hätte etwas mit mir zu tun?«

»Du hast sie gehasst.«

Karen Christous Augen waren türkisfarben - dank getönter Kontaktlinsen, vermutete Sam -, und ihr aschblond gesträhntes Haar war sorgfältig frisiert. Außerdem hatte sie einen blassen Lippenstift aufgelegt, trug aber noch immer den langen grünen Morgenmantel aus Seide, den sie Peterson zufolge auch getragen hatte, als sie gekommen waren.

»Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte«, schimpfte sie weiter, »da draußen liegen zwei Leichen.«

»Natürlich ist mir das aufgefallen!«, schimpfte Anthony. »Ich bin ja nicht blind!«

Karen blickte auf zu den beiden Detectives. »Und nur für den Fall, dass Sie sich fragen sollten, wer ›sie‹ sind, von denen mein Mann behauptet hat, ich hätte sie gehasst: Das sind die blöden Fische, nicht diese armen Menschen.« Plötzlich fing sie an zu weinen und riss ein Kleenex aus der Schachtel auf dem Tisch.

Christou ließ sich in einen der Sessel fallen und legte sich eine Hand über die Augen.

Sam und Martinez blickten einander kurz an und kamen wortlos überein, die beiden noch ein paar Minuten ungehindert gewähren zu lassen.

»Sie finden es vielleicht merkwürdig, dass ein Mann vor Ihnen sitzt und um seine Fische weint.« Christou ließ seine Hand in den Schoß fallen.

»Nicht unbedingt«, erwiderte Sam.

»Es ist nur so, dass ich mir große Mühe gegeben habe, ihnen das Leben so angenehm wie möglich zu machen.«

»Davon bin ich überzeugt«, sagte Martinez.

»Deshalb habe ich ihnen so ein großes Aquarium gekauft«, fuhr Christou fort. »Weil ich mir gedacht habe, wenn ich mich an ihrer Schönheit erfreuen möchte, schulde ich ihnen so viel Platz, wie ich ihnen bieten kann, und jetzt ...«

»Er hat sie so sehr geliebt, dass er sie verlassen hat.« Karen Christou drückte ihre Zigarette aus.

»Ich habe dich verlassen«, stellte Anthony richtig, »nicht meine Fische.«

»Er hat versprochen, das Aquarium abholen zu lassen, aber seine Versprechen sind nichts wert«, klagte Karen weiter. »Ich musste die Scheißbiester jeden Tag füttern, weil er zu beschäftigt war, um herzukommen und es selbst zu tun.«

»Ich muss arbeiten, schon vergessen?«

»Damit du's dir leisten kannst, deine Fische in einem beschissenen, beheizbaren Riesenaquarium zu halten.«

Sam und Martinez blickten sich wieder kurz an.

»Okay«, schritt Sam ein. »Wenn wir jetzt das Thema wechseln könnten? Wir hätten da ein paar Fragen.«

»Tut mir leid«, sagte Anthony Christou. »Stellen Sie Ihre Fragen.«

»Möchten Sie sich nicht setzen?« Ein Anflug von Scham lag in Karen Christous Stimme. Mit ihrem Plastikfeuerzeug zündete sie sich eine weitere Zigarette an. »Ich könnte Ihnen eine Tasse Kaffee machen.«

»Nicht nötig«, erwiderte Sam. »Aber vielen Dank.«

Er und Martinez setzten sich in die beiden leeren Sessel.

»Muss das sein?« Anthony starrte auf Karens Zigarette.

»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich rauche?«, fragte sie.

»Es ist Ihr Haus«, antwortete er.

»Allerdings unser aller Lungen«, meinte Anthony.

Karen nahm einen tiefen Zug, drehte ihm dann wieder den Rücken zu. »Den Beamten, die heute Morgen als Erste hier waren, habe ich gesagt, dass ich diese Leute nicht erkannt habe.« Sie sprach jetzt leiser. »Nicht dass ich sie mir aus der Nähe angesehen hätte.« Ihre türkisfarbenen Augen weiteten sich. »Bitte verlangen Sie nicht von mir, dass ich sie mir noch einmal anschaue.«

»Wir werden Ihnen beiden zu gegebener Zeit ein paar Fotos zeigen«, sagte Sam. »Nur von den Gesichtern. Für alle Fälle.«

»Klar«, erwiderte Anthony. »Kein Problem.« Er bekreuzigte sich plötzlich mit einer ruckartigen Bewegung; dann schüttelte er den Kopf. »Es tut mir wirklich leid.«

»Schon in Ordnung«, meinte Sam.

»Es muss ein schrecklicher Schock gewesen sein«, sagte Martinez.

»Du warst zumindest gewarnt«, sagte Karen zu Anthony. »Stell dir mal vor, wie grauenhaft das für mich war.«

»Ich weiß«, erwiderte er.

»Ich verstehe das nicht«, sagte seine Frau. »Warum wir?« Sie zog sich ihren Morgenmantel fester um den Körper, als wäre ihr plötzlich kalt.

»Warum hier, meinst du«, gab Anthony zurück. »Mit uns hat das nichts zu tun.«

»Es ist Ihr Garten, Sir«, sagte Martinez.

»Ich wohne aber nicht einmal mehr hier«, erwiderte Christou.

»Du bist unglaublich«, schimpfte Karen; dann bemerkte sie den Ausdruck auf Sams Gesicht und schüttelte den Kopf. »Tut mir leid.«

»Glauben Sie denn ernsthaft«, fragte ihr Mann die Detectives, »das hier könnte mit uns zu tun haben?«

»Könnte es denn einen Grund dafür geben?«, fragte Sam.

»Selbstverständlich nicht.«

»Mein Mann ist im Gastronomiegewerbe«, erklärte Karen.

Sam wusste nicht, ob sie damit sagen wollte, dass dieser Beruf Feindschaft oder irgendeine Form von Kriminalität ausschloss - oder das Gegenteil.

»Ihnen gehört ein Restaurant?«, fragte Martinez, als wäre es ihm völlig neu.

»Drei«, erwiderte Christou. »Alle sind auf Fischgerichte spezialisiert, die auf griechische Art zubereitet werden.«

Was bedeutete, dass Gulasch oder Beef Stroganoff nicht auf der Speisekarte standen, vermutete Sam, der automatisch an den ersten Fall zurückdachte.

»Das ist einer der Gründe dafür, dass es mir so viel Freude gemacht hat, meine Babys hier so gut zu versorgen«, fuhr Christou fort. »Gott weiß, wie viel Schuld ich auf mich geladen habe, indem ich Tonnen von Fischen gekocht habe. Ich wollte mit dem Aquarium einen Teil meiner Schuld wiedergutmachen, verstehen Sie?«

»Klar«, sagte Martinez mit unbewegter Miene. »Kann man bei Ihnen auch Essen vorbestellen und mit nach Hause nehmen?«

Er dachte offenbar in die gleiche Richtung wie Sam.

»Bei manchen Kunden tun wir das«, sagte Christou. »Es ist für uns aber kein großes Geschäft.«

»Ich habe früher mit Anthony zusammengearbeitet«, erzählte Karen. »Jetzt bleibe ich immer nur zu Hause und kümmere mich um seine beschissenen Tiere.«

Die Bosheit schwelte bei diesen beiden unablässig unter der Oberfläche.

»Ja«, sagte Christou voller Sarkasmus, »du hast dich wirklich großartig um die Fische gekümmert.«

»Leck mich«, erwiderte sie grob.

»Klasse.« Ihr Mann schaute zu den beiden Detectives. »Die Herren brauchen das nicht, Karen.«

»Wir etwa?«, entgegnete sie.

Es verging eine Weile. Waffenruhe konnte man es zwar gerade nicht nennen, aber es wurde zumindest eine Zeit lang geschwiegen. Dann stand Christou plötzlich auf. »Ich brauche einen Drink. Sonst noch jemand?«

»Nein, vielen Dank«, sagte Sam.

»Ich auch nicht«, schloss Martinez sich an.

Schweigend schauten sie zu, wie der Mann einen Schrank öffnete und sich zwei Fingerbreit Whiskey in ein Kristallglas schenkte. Sie rechneten damit, dass Christous Frau etwas einzuwenden hatte, doch sie hielt die Waffenruhe.

»Wer könnte von dem Aquarium wissen?«, fragte Sam. »Außer Ihren Freunden und Nachbarn?«

»Eine Menge Leute wissen davon.« Christou setzte sich wieder und nahm einen Schluck. »Zunächst einmal unsere Kunden.«

»Er hat in all seinen Restaurants an den Wänden große Fotos von dem Aquarium«, sagte Karen.

»Und dann war da ein Bericht in Miami Today«, sagte Christou.

»Und im Herald war vor ein paar Jahren eine Kritik«, fügte Karen hinzu.

»Ich glaube nicht, dass das Aquarium darin erwähnt wurde.« Christou stockte. »Einer der Beamten«, wechselte er dann das Thema, »hat mir gesagt, wir würden aus unserem Haus ausziehen müssen, weil das jetzt ein Tatort sei. Ist das wahr?«

»Ich fürchte ja«, gab Sam zur Antwort.

»Aber ...« Karen Christou schien Panik zu befallen. »Glauben Sie denn, dass die armen Menschen wirklich hier ermordet wurden? Man hat sie doch sicher nur hier deponiert, nachdem sie bereits tot waren?«

»Ja, das ist anzunehmen«, versuchte Sam sie zu beruhigen. »Wahrscheinlich wurden sie nur hier liegen gelassen.«

»Gott sei Dank.« Karen dachte einen Moment nach. »Wo soll ich denn jetzt hin?«

Christou sagte widerwillig: »Du könntest bei mir bleiben.«

Karen ignorierte sein Angebot. »Kann ich in ein Hotel ziehen?«, fragte sie.

»Sicher«, meinte Sam. »In ein Hotel, zur Familie, zu Freunden ...«

»Solange wir wissen, wo Sie sich aufhalten«, sagte Martinez.

Endlich begriffen die beiden.

»O Gott, Tony«, stieß Karen hervor und war wieder den Tränen nahe. »Wem sagst du das«, bekräftigte ihr Ehemann.

»Was für ein Pärchen«, seufzte Sam, als sie wieder draußen waren.

»Es ist gut, da raus zu sein«, erwiderte Martinez.

Dies hier war nicht nur ein brutaler Mord. Es war eine besondere Form der Entwürdigung, die bereits ein zweites Mal begangen worden war. Es verursachte ihnen Übelkeit im Magen und Schmerzen in der Seele.

Und dann geschah das, was immer geschah, wenn sie es mit extrem schlimmen Fällen zu tun bekamen: Auf einmal waren sie entschlossen, ihre Arbeit so gut zu machen, wie ihre Fähigkeiten es ihnen erlaubten.

Möglichst noch besser.