Zwanzig
Am nächsten Tag schaffte er es, bis elf im Büro zu bleiben, sich irgendwie zu beschäftigen. Und beinahe wünschte er, die Nixe hätte die Körperverletzung nicht abgesagt. Zu spät.
Er schickte sie heim — freitags machten sie ohnehin spätestens um zwei Uhr den Laden dicht — und floh.
Zunächst fuhr er nach Hause und zog Jeans und ein verwaschenes Sweatshirt an. Mit der abgewetzten Lederjacke darüber sah er hoffentlich ramponiert genug aus. Seine Taktik stand fest, und dafür konnte er unmöglich in seinem üblichen Büro-Outfit auftreten. Dann fuhr er zum Bahnhof, kaufte zwei Flaschen Korn und steckte ein paar Geldstücke und Zigaretten lose in die Jackentasche.
Auf der Domplatte schlenderte er gemächlich zu einer Gruppe Berber, die auf der Mauer zur Komödienstraße saßen. Sieben abgerissene Gestalten hockten da in einer Reihe. Eine Lücke in der Reihe zeugte von einer achten, die irgendwo unterwegs war. Laut seufzend ließ Chris sich in dieser Lücke nieder.
Die rechte Gestalt rückte ein wenig von ihm ab. Von links wurde er aus rotgeränderten Augen misstrauisch angestiert. Ein säuerlicher Geruch stieg ihm in die Nase; Schweiß, ungewaschene Kleider und Alkohol. Eine Mischung, die seinen Magen in Aufwärtsbewegung versetzte. Und er fragte sich kurz, warum er das eigentlich alles tat. Wegen des Schmollmunds? Um Susanne zu gefallen? Wegen Karin?
Der Rotäugige war immer noch mit seinen Betrachtungen beschäftigt. „Von der Schmier biste aber nich`“, stellte der dazu gehörige Mund nach einer Weile fest.
Schmier! Woher mochte der kölsche Ausdruck für Polizei wohl kommen? Von Schmiere stehen? Paradox, irgendwie. Von Streife? Vielleicht eher aus dem Jiddischen „schmiro“ abgeleitet, was so viel wie Bewachung, Wächter hieß.
„Nö“, antwortete Chris so beiläufig wie möglich und griff in die Plastiktüte, wo der Korn verstaut war. „Ich such aber trotzdem jemand.“
In aller Seelenruhe holte er eine Flasche hervor und drehte den Verschluss mit lautem Knacken auf. Dann genehmigte er sich einen Schluck. Sofort fing sein Magen wieder an zu rebellieren. Er hasste Korn, warmen Korn am Mittag.
Die roten Augen seines Nebenmanns fixierten aufmerksam die Flasche, die Chris jetzt lässig in der linken Hand hielt. „Wen suchs´n?“, fragte er endlich.
Chris überwand sich zu noch einem Schluck und gab die Flasche dann an ihn weiter. „Heinz“, sagte er dabei.
„Gib´s viele“, kam eine weibliche Stimme zwei Plätze links von ihm.
„Halt die Schnauze, Cora.“ Rechts außen beugte sich ein grobschlächtiger Typ im grünen Parka vor. Er hatte Pranken wie ein Bär, die fast so rot waren wie die Augen seines Nebenmanns. Wie zur Bekräftigung seiner Worte rülpste er laut und vernehmlich.
Chris hatte plötzlich das, was ihm gestern komplett versagt geblieben war: Die konzentrierte Aufmerksamkeit mehrerer halb nüchterner Penner.
„Heinz Stockberger“, sagte er beinahe gleichgültig und sah zu, wie der Rotäugige einen großen Schluck Korn durch die Kehle laufen ließ.
Als er Chris die Flasche zurückgeben wollte, winkte er ab und bedeutete ihm, sie weiterzureichen. Innerlich schauderte er bei dem Gedanken, die Flasche an den Mund setzen zu müssen. Um nichts in der Welt hätte er jetzt noch mal trinken können. Er schämte sich, aber er kam gegen den Ekel nicht an.
Achtlos liefen die Menschen an ihnen vorüber. Manche schwer mit Tüten bepackt, andere zogen Koffer hinter sich her. Eine Gruppe japanischer Touristen steuerte mit gezückten Kameras und laut schwatzend zielstrebig auf den Dom zu.
Die Flasche machte weiter die Runde, verstärkte das Interesse, das Chris so plötzlich zuteil geworden war.
„Willse denn von dem?“, fragte der Grobschlächtige.
„Gib´s viele“, murmelte Cora wieder.
„Was fragen“, antwortete Chris und nahm die jetzt halb leere Flasche entgegen. Er hielt sie eine Weile in der Hand und gab sie dann weiter, in der Hoffnung, dass niemand so genau hingesehen und gemerkt hatte, dass er nicht trank. Er dachte angestrengt darüber nach, wie weit Flöhe wohl springen konnten.
Die laute Stimme eines britischen Reiseführers scholl herüber: „Cologne and its Cathedral are a perfect …“
Der Grobschlächtige war aufgestanden und baute sich breitbeinig vor Chris auf. Er stand gegen die Sonne, und Chris musste die Augen zusammenkneifen, um halbwegs sein Gesicht erkennen zu können.
„Für´n Zehner wüsst ich´s vielleicht“, kam es lauernd.
Chris schüttelte den Kopf. Ein bisschen mulmig angesichts der Pranken war ihm schon. Aber er war entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. „Mehr wie´n Fünfer is´ nich´.“
Sofort streckte sich auffordernd eine große Hand aus. Chris holte einen Schein aus seiner Jackentasche, hielt ihn aber noch fest.
„Is´ meistens aufer andern Seite“, sagte sein Gegenüber und deutete mit dem Kopf Richtung Bahnhof. Der Geldschein wechselte den Besitzer. „Sachse, der große Will schickt dich. Dat bin ich, und dann frachse nach de Stang.“
De Stang — Stockberger, Stock, Stange. Könnte stimmen, überlegte Chris, als er durch den Bahnhof trabte.
Auf der Rückseite des Bahnhofs, am Breslauer Platz, sah er erst mal nur die riesigen Zäune, die die U-Bahn-Baustelle seit Jahren abschirmten. Beim zweiten Hinsehen fiel ihm auf, dass es dazwischen genauso hektisch zuging wie auf der Domplatte. Taxen spuckten Reisende, Koffer und Taschen aus, luden an anderer Stelle wieder Menschen und Gepäck ein. Vor zwei Bussen, die Richtung Flughafen fuhren, hatten sich Menschentrauben gebildet.
Der Hinweis auf den großen Will bewirkte Wunder. Jedenfalls erhielt er ohne irgendeine Gegenleistung Auskunft. Die Jungs schickten ihn allerdings weiter zum Ebertplatz. Da wäre de Stang heute anzutreffen, „gleich hinter der Unterführung“.
Mehr wütend als zuversichtlich machte Chris sich auf den Weg. Überhaupt nicht sicher, ob die ihn nicht einfach immer weiter schickten, um ihn loszuwerden. Es würde ihn nicht wundern, wenn er irgendwann wieder am Rudolfplatz, seinem gestrigen Ausgangspunkt, anlangte und dort jemand behauptete, de Stang sitze auf der Domplatte.
Er wählte einen kleinen Umweg, um nicht über die hässliche, laute Turiner Straße laufen zu müssen. Stattdessen ging er zum Ursulaplatz, und von dort aus über den Eigelstein. Türkische und asiatische Lebensmittelgeschäfte wechselten sich mit An- und Verkaufsläden der unterschiedlichsten Sorte ab: Schmuck, Uhren, Elektronikartikel, Klamotten. Wer die richtigen Leute kannte, wurde hier die heißeste Ware los. Dazwischen hatten sich Buchhandlungen, Edelboutiquen und ein sündhaft teures Haushaltswarengeschäft angesiedelt.
Chris schlenderte mit der verbliebenen Schnapsflasche die Straße hinunter und nahm die hektische Betriebsamkeit rundherum in sich auf. Die Menschen liefen kreuz und quer über die enge Fahrbahn, feilschten mit dem Gemüsehändler oder palaverten vor der Eisdiele miteinander.
Kurz darauf ging er unter dem Eigelsteintor hindurch und steuerte auf den Ebertplatz zu. Hoffentlich würde er von weiterem Schnaps verschont bleiben. Sonst würde er außer Flöhen auch noch einen gehörigen Rausch mit nach Hause nehmen. Schließlich hatte er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.
„Hinter der Unterführung“ war für den Ebertplatz eine ziemlich ungenaue Beschreibung. Es gab sechs oder sieben davon. Mal länger, mal kürzer, mal mehr oder weniger nach Urin stinkend, belebt oder menschenleer.
Chris sah ihn sofort, als er aus der Unterführung in den Park am Theodor-Heuss-Ring einbog. Schätzungsweise zwei Meter groß, aber klapperdürr und ein wenig gekrümmt — wie eine Bohnenstange eben. Er stand vor einer Parkbank und machte irgendwelche Faxen, über die sich vier andere Berber, die auf der Bank saßen, königlich amüsierten. Nüchtern war er nicht, das sah Chris gleich, als er sich neben ihn stellte.
Stockberger hielt sofort inne und musterte ihn argwöhnisch. Seine Hände waren ebenso rot wie die des Riesen am Dom. Außerdem waren noch vor Schmutz starrende Falten tief in die Finger eingekerbt. Sein Gesicht sah ganz ähnlich aus, was aber unter dicken Bartstoppeln nicht so deutlich zu erkennen war. Chris hätte nicht schätzen können, wie alt er sein mochte. Zwischen dreißig und fünfzig war alles möglich. Wenn er allerdings ein Schulkamerad von Inge gewesen war, stimmte eher dreißig.
„Kein Bulle“, erklärte Chris.
Die dunklen Augen von Stockberger begannen fröhlich zu glimmen. „Dat sieht mer“, antwortete er, und Chris fragte sich mal wieder, wieso eigentlich. Susanne beklagte sich immer über das Gegenteil.
„Kann ich dich allein sprechen?“, fragte er mit einem Blick auf die anderen Berber.
Stockberger zuckte die Achseln. „Kommt drauf an.“
„Inge.“
Das lustige Glimmen in den Augen erlosch. Mit einer einzigen Handbewegung bedeutete er den anderen, die Bank frei zu machen.
Es dauerte eine Weile, bis sich alle maulend und mit etlichen Plastiktüten, die hinter der Bank gelagert waren, Richtung Unterführung verzogen hatten.
Dann saßen die beiden Männer schweigend auf der Bank. Die Ellbogen auf die Knie gestützt, stierten sie auf den schmutzigen Teich vor ihnen.
„Kanntest du sie gut?“, eröffnete Chris das Gespräch.
„Hmh.“
„Wie gut?“
Achselzucken.
Zum zweiten Mal an diesem Tag griff Chris zur Flasche. Welch ein Bild! Doktor Christian Sprenger saß mit einem Penner im Park und schlubberte Schnaps. Jetzt fehlte eigentlich nur noch ein zufällig vorbeischlendernder Klient oder Kollege. Immerhin befand sich nur einen Steinwurf entfernt das Oberlandesgericht. Anwälte und Richter, die hier vorbeikamen, der U-Bahn und dem Wochenende zustrebend, waren sicher keine Seltenheit.
Als Stockberger getrunken hatte, sagte er dumpf, ohne den Blick zu heben: „Sie is´ tot, nich? Stand inner Zeitung.“ Er deutete mit dem Kopf auf einen städtischen Abfalleimer neben der Bank, um zu dokumentieren, woher er die Zeitungen bezog.
„Sie hat dir immer Geld gegeben, oder?“
Er nickte und setzte die Flasche wieder an, machte Gott sei Dank keine Anstalten, sie Chris zurückzugeben. „Jeden Monat. Hab nich´ schlecht gelebt. Kannste wohl glauben.“
Chris glaubte ihm aufs Wort. Ein Berber mit sozusagen festem Einkommen war sicher eine Art König auf der Platte.
„Wann war sie das letzte Mal hier?“
„Is ´ `ne Weile her. War aber pünktlich.“
„Du meinst, sie hat dir für den April noch Geld gebracht?“, stellte Chris klar.
„Wenn jetz´ Mai is´, jawoll!“, antwortete er düster, und Chris fragte sich, ob seine Trauer von Inges Tod bestimmt wurde, oder von der Gewissheit, dass seine Geldquelle versiegt war.
„Was weißt du von ihr?“, fragte er weiter.
„Heh, sie war `ne Nutte! Na und?“, rief Stockberger aufgebracht. „Sie hatte `n großes Herz. Großes Herz.“ Der Schnaps, der nicht sein erster heute war, schien ihm in den Kopf zu steigen. „Biste von `ne Zeitung oder was?“
Seine plötzliche Aggressivität steigerte sich von Sekunde zu Sekunde. „Willste die große Story machen oder wie?“
„Ich will wissen, wer sie umgebracht hat“, sagte Chris so ruhig wie möglich.
Die Antwort beschwichtigte ihn. So unvermittelt Stockbergers Feindseligkeit aufgebrochen war, so plötzlich entwich sie wieder aus ihm, wie Luft aus einem Ballon.
„Großes Herz hatte sie“, murmelte er wieder. „Großes Herz. Kannst ja mal mit der Gertrud reden. Die ham wie die Kletten zusammengehangen.“
Chris zuckte unwillkürlich zusammen. Hatte Susanne nicht …?
„Gertrud?“
„Meine Schwester, Mann!“, erklärte Stockberger ungeduldig, als hätte Chris die dämlichste Frage überhaupt gestellt.
„Gertrud, aha. Stockberger?“
Er grinste. „Nee — Schmitz. Is´ aber jeschieden.“
„Weißt du, wo sie wohnt?“
„Gertrud? Seit Jahren nich` gesehen. — Musst aber ´n bisschen Jeduld mit ihr haben.“
Chris nahm die U-Bahn zurück zum Bahnhof. Wie gestern schon brannten ihm die Füße, und er war erschöpft. Den Versuch, auszurechnen, wie viele Kilometer er gestern und heute über Asphalt getrabt war, ließ er lieber sein.
Im hinteren Teil des Waggons klingelte ein Handy. Sekunden später verkündete eine männliche Stimme lautstark, in circa dreißig Minuten zu Hause zu sein.
Chris versuchte das Geschwätz ebenso zu ignorieren wie den intensiven Knoblauchgeruch seines Nebenmannes. Er sah durchs Fenster auf die vorbeihuschenden Tunnelwände und dachte darüber nach, was de Stang ihm erzählt hatte.
Gertrud Schmitz! Das war nun wirklich das „Beste“, was ihm passieren konnte. Schmitz! Der „kölsche Adel“. Irgendwo hatte er mal gelesen, dass etwa dreitausend Schmitz im Telefonbuch verzeichnet waren. Und wie viele davon Gertrud hießen, wollte er sich gar nicht vorstellen. Sicher, er hätte Susanne bitten können, ihm zu helfen. Eine kleine Abfrage im Computer des Einwohnermeldeamtes „Gertrud Schmitz, geborene Stockberger“ hätte genügt. Aber er hatte die Befürchtung, dass Susanne dann auch gleich mit ihr reden wollte. Und wenn sie auch nur halbwegs so gestrickt war wie Pascale, Larissa oder auch Heinz Stockberger, würde die Kommissarin kein Wort aus ihr rausbringen. Er hatte zwar keinen blassen Schimmer, was mit „musst `n bisschen Jeduld mit ihr haben“ gemeint war, aber es hatte nicht so geklungen, als ob Gertrud Schmitz frei von der Leber weg Auskünfte geben würde. Also: Keine polizeiliche Hilfe.
Außerdem verspürte er ein flaues Gefühl im Magen, das er nach einiger Überlegung als Hunger diagnostizierte.
Er fuhr zum McDrive in Hürth, rechnete aber nicht damit, dass er gleich an der Reihe war und wurde von der gelangweilten Mikrofonstimme, die ihn aufforderte, seine Bestellung abzugeben, völlig überrumpelt. Big Mäc? Hamburger? Kleine Fritten, große Fritten? Und wie hießen noch diese köstlichen Geflügelbällchen?
„Ihre Bestellung, bitte!“ Diesmal klang Ungeduld mit.
„Big Mäc, kleine Fritten“, hörte er sich sagen.
Mit dem Wechselgeld im Schoß und der braunen Essenstüte auf dem Beifahrersitz steuerte er schließlich einen Parkplatz in der so genannten „Verzehrzone“ an. — Was für ein Wort!
„Toll, Sprenger“, murmelte er, als er die Styroporschachtel öffnete, „du sitzt mit Pennern herum! Du ernährst dich von Fastfood! Du trinkst zu viel! Vielleicht hättest du dich auf Familienrecht spezialisieren und mit Scheidungen dein Geld verdienen sollen, wirklich!“
„Solche Leute sind kein Umgang für dich“, hallte Annes Stimme in ihm. Wahrscheinlich hatte sie ausnahmsweise einmal Recht gehabt.
Beinahe angewidert biss er in das lauwarme Weißmehlbrötchen. Hunger hieß noch lange nicht, Appetit zu haben — und den hatte er nun wirklich nicht. Dafür war viel zu viel in seinem Kopf. Er schob den Gedanken an Anne beiseite und versuchte, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Bisher lief alles darauf hinaus, dass der Krach zwischen Lautmann und Tönnessen zum Verschwinden von Inge geführt hatte. Aber Chris hätte seinen Kopf verwettet, dass dieser Streit nur eine Alibifunktion hatte, dass Inge sich sowieso absetzen wollte und der Streit ein willkommener Anlass war. Ein paar Tage später klaute sie Karin die Kamera. Dann dauerte es noch mal zwei Wochen, bis jemand sie totschlug. Und irgendwo dazwischen lag das Motiv. Auch darauf hätte er einen Eid abgelegt.
Lautmann — Tönnessen — Berndorf. In seinem Kopf entstand ein Dreieck, in jedem der Winkel ein Name. Wo war der Berührungspunkt?
Bei zweien das Umfeld, gut, aber dann fiel Karin hintenüber. Also doch ein zufälliger Einbruch? Bei dem keine Wertgegenstände geklaut werden? Etwas, das so gar keinen Sinn zu haben schien?
Jetzt zog er eine Linie mit den drei Namen. Zwischen dem ersten und dem letzten gab es also keinen unmittelbaren Kontakt, sondern nur eine indirekte Verbindung durch den mittleren Namen. So weit, so gut. Wer stand jedoch am Anfang, wer am Ende? Lautmann in der Mitte? Links die geklaute Kamera, rechts das Verhältnis mit Tönnessen?
Chris probierte mehrere Möglichkeiten durch, während er versuchte, keine Majo auf die Hose zu kleckern.
Und dann war es blitzartig da. Dieses ungute Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben. Dass irgendwas an ihm vorbeigelaufen war. Vielleicht schon ein Dutzend Mal. Eine Kleinigkeit nur, aber es war da. Das wusste er plötzlich so sicher wie sonst nichts. Irgendjemand hatte irgendwas gesagt, und das war wichtig!
„Was, Sprenger? Was?“, murmelte er.
Trotz der stickigen Luft im Wagen hatte er unversehens eine Gänsehaut. Jetzt müsste er die Ermittlungsakten haben. Die offiziellen Unterlagen und die Protokolle der Gespräche, die er selbst geführt hatte. Es wäre die einzige Möglichkeit. Sich in jede Aussage vergraben, jeden Sachverhalt prüfen, immer und immer wieder, bis er darauf kam. Aber natürlich hatte er keine Aufzeichnungen über seine Besuche bei Larissa oder Pascale gemacht. Und Susanne würde die Unterlagen niemals rausrücken. — Durfte es gar nicht. Chris war ja in keiner Weise offiziell mit dem Fall betraut.
Also musste er es anders versuchen. Noch einmal: Lautmann, Tönnessen, Berndorf. Weiter kam er nicht mehr. Karin … Den ganzen Tag verdrängt, stach es jetzt wie tausend Nadeln.
„Scheiße!“ Er warf die Styroporpackung seines Big Mäc aus dem Seitenfenster und traf die Kante des Mülleimers. Die Box prallte ab und landete im Gras.
„Scheiße! Scheiße! Scheiße!“ Er wollte nicht an Karin denken, an Plastikschachteln, die er eigentlich hätte aufheben müssen, und schon gar nicht an seine Wohnung, die auf ihn wartete wie ein Krake. Um ihn das ganze Wochenende einzuschnüren in Kieselaugen und Lachfalten.
Trotzdem musste er nach Hause. Duschen, die Klamotten wechseln, diesen dumpfen, sauren Geruch loswerden, der seit dem Mittag an ihm zu haften schien.