›Das Vernünftigste‹

 

I

 

In der großen amerikanischen Mittagspause räumte der junge George O’Kelly sorgfältig und mit scheinbarer Konzentration seinen Schreibtisch auf. Niemand im Büro sollte wissen, dass er in Eile war, denn Erfolg ist eine Sache der Ausstrahlung, und es macht sich nicht gut, alle Welt merken zu lassen, dass man in Gedanken siebenhundert Meilen weit von der Arbeit entfernt ist.

Sobald er jedoch das Gebäude verlassen hatte, biss er die Zähne aufeinander und lief los. Aus dem Augenwinkel nahm er hier und da den heiteren Vorfrühlingsmittag wahr, der den Times Square erfüllte und es sich keine sieben Meter über den Köpfen der Menge wohl sein ließ. Die Leute blickten alle leicht nach oben und atmeten in vollen Zügen die Märzluft ein, und die Sonne blendete sie so, dass die meisten kaum jemand anderen sahen, sondern nur die eigene Reflexion am Himmel.

George O’Kelly, dessen Gedanken mehr als siebenhundert Meilen weit weg waren, fand es draußen überall grässlich. Er sprang in die Subway und starrte fünfundneunzig Blocks lang fieberhaft auf eine Reklametafel, die ihm veranschaulichte, dass er eine Chance von nur eins zu fünf hatte, seine Zähne noch zehn Jahre lang zu behalten. An der 137th Street brach er sein Studium der Werbekünste ab, stieg aus der Subway und lief erneut los, lief unermüdlich und voll banger Sorge, bis er zu Hause war – in jener gottverlassenen Gegend, wo er ein Zimmer in einem hässlichen Hochhaus bewohnte.

Dort auf der Kommode lag er, der Brief – in heiliger Tinte, auf gesegnetem Papier –, und in der ganzen Stadt konnte, wer die Ohren spitzte, George O’Kellys Herz schlagen hören. Er betrachtete die Kommata, die Tintenkleckse und die verwischten Fingerabdrücke am Rand; dann warf er sich verzweifelt auf sein Bett.

Er steckte in einem Schlamassel, einem dieser fürchterlichen Schlamassel, wie sie im Leben der Armen normal sind, ja die Armut wie Raubvögel verfolgen. Die Armen kommen hoch oder unter die Räder, sie kommen vom Weg ab oder, auf ihre Art, doch irgendwie weiter – aber für George O’Kelly war die Armut noch so neu, dass er erstaunt gewesen wäre, hätte jemand die Einzigartigkeit seines Falls bestritten.

Knapp zwei Jahre zuvor hatte er sein Examen am Massachusetts Institute of Technology mit Auszeichnung bestanden und eine Stelle bei einer Bauingenieursfirma in Tennessee angenommen. Sein Leben lang hatte er nichts als Tunnel, Wolkenkratzer, große Staudämme und Brücken im Kopf gehabt, hohe Brücken mit drei Trägern, Tänzern gleich, die sich in einer Reihe an den Händen hielten, mit Köpfen so hoch wie Städte und Röcken aus Kabelsträngen. Es war George O’Kelly romantisch erschienen, den geschwungenen Lauf der Flüsse und die Gestalt der Berge zu verändern, damit das Leben auch in uraltem Ödland, wo es nie zuvor Wurzeln geschlagen hatte, erblühen konnte. Er liebte den Stahl, und in seinen Träumen war immer genug davon in seiner Reichweite, flüssiger Stahl, Stahl in Barren, Blöcken, Stangen und formlosen, fügsamen Massen, Stahl, der auf ihn wartete, als Farbe und Leinwand für seine Hände. Ein unerschöpflicher Vorrat an Stahl, den das Feuer seiner Einbildungskraft in Formen herber Schönheit goss…

Gegenwärtig arbeitete er als Versicherungsangestellter für vierzig Dollar die Woche, und sein Traum drohte ihm zu entgleiten. Das dunkle kleine Mädchen, das den erwähnten Schlamassel, diesen furchtbaren, unerträglichen Schlamassel angerichtet hatte, wartete in einer Stadt in Tennessee darauf, dass er sie zu sich holte.

Fünfzehn Minuten später klopfte seine Vermieterin an die Tür und fragte ihn mit aufreizender Freundlichkeit, ob er nicht, da er ja nun zu Hause sei, etwas essen wolle. Er schüttelte den Kopf, doch die Unterbrechung hatte ihn aufgerüttelt, und so stand er auf und schrieb ein Telegramm.

»Brief bedrückt mich hast du die Nerven verloren Gedanke an Trennung ist Unsinn du bist nur verärgert willst du mich nicht auf der Stelle heiraten bin sicher alles wird gut…«

Eine panische Minute lang zögerte er und fügte dann in einer Schrift, die kaum als die seine zu erkennen war, hinzu: »Komme jedenfalls morgen Abend um sechs Uhr an.«

Als er fertig war, eilte er aus der Wohnung und lief zum Telegrafenamt neben der Subway. Er besaß kaum noch hundert Dollar auf dieser Welt, doch der Brief zeigte, dass sie ›nervös‹ war, und so blieb ihm keine andere Wahl. Er wusste, was ›nervös‹ bedeutete – dass ihre Gefühle gedrückt waren, ja dass die Aussicht, in ein Leben der Armut und des Existenzkampfs hineinzuheiraten, ihre Liebe einer zu großen Belastung aussetzte.

George O’Kelly erreichte die Versicherungsfirma in seinem üblichen Laufschritt, jenem Laufschritt, der ihm fast zur zweiten Natur geworden war und seine dauernde Anspannung wohl am besten zum Ausdruck brachte. Er begab sich geradewegs ins Büro des Geschäftsführers.

»Ich möchte Sie sprechen, Mr. Chambers«, verkündete er außer Atem.

»So?« Zwei Augen, Augen wie Winterfenster, blickten ihn gnadenlos unpersönlich an.

»Ich möchte vier Tage Urlaub haben.«

»Aber Sie hatten doch erst vor zwei Wochen Urlaub!«, sagte Mr. Chambers erstaunt.

»Das stimmt«, räumte der unglückliche junge Mann ein, »aber jetzt brauche ich wieder frei.«

»Wo waren Sie denn letztes Mal? Zu Hause bei Ihrer Familie?«

»Nein, in… in einer Stadt in Tennessee.«

»Und wo wollen Sie dieses Mal hin?«

»In… in eine Stadt in Tennessee.«

»Beständig sind Sie immerhin«, sagte der Geschäftsführer trocken. »Mir war allerdings nicht bewusst, dass Sie hier als Handlungsreisender angestellt sind.«

»Das bin ich auch nicht!«, rief George verzweifelt. »Aber ich muss trotzdem fahren.«

»Na schön«, sagte Mr. Chambers, »dann brauchen Sie aber auch nicht wiederzukommen. Nie mehr!«

»Gut.« Und zu seinem eigenen wie zu Mr. Chambers’ Erstaunen färbte sich Georges Gesicht vor Freude rosarot. Er war glücklich, ja euphorisch – zum ersten Mal seit sechs Monaten war er vollkommen frei. Tränen der Dankbarkeit standen in seinen Augen, und er drückte Mr. Chambers herzlich die Hand.

»Ich danke Ihnen«, sagte er in einer Aufwallung des Gefühls. »Ich möchte gar nicht wiederkommen. Ich glaube, ich wäre verrückt geworden, wenn Sie gesagt hätten, ich könne wiederkommen. Ich hätte nur nicht selber kündigen mögen, verstehen Sie, und ich möchte Ihnen danken, dass Sie – dass Sie mir gekündigt haben.«

Er winkte großmütig mit der Hand, rief laut: »Sie schulden mir noch drei Tagesgehälter, aber die schenke ich Ihnen!«, und eilte aus dem Büro. Mr. Chambers wählte die Nummer seiner Stenographin und fragte sie, ob O’Kelly in letzter Zeit sonderbar gewirkt habe. Er hatte im Laufe seines Arbeitslebens vielen Männern gekündigt und alle möglichen Reaktionen erlebt, doch dass ihm einer dankte, das war bisher nicht vorgekommen – noch nie.

II

 

Jonquil Cary war ihr Name, und in George O’Kellys Augen hatte nichts je so frisch und blass ausgesehen wie ihr Gesicht, als sie ihn entdeckte und freudig über den Bahnsteig auf ihn zugelaufen kam. Sie streckte ihm die Arme entgegen, ihren Mund in Erwartung seines Kusses halb geöffnet, doch dann schob sie ihn plötzlich sanft von sich weg und schaute sich leicht verlegen um. Zwei Männer, etwas jünger als George, warteten im Hintergrund.

»Das sind Mr. Craddock und Mr. Holt«, sagte sie vergnügt. »Du hast sie kennengelernt, als du letztes Mal hier warst.«

George war irritiert, dass aus dem Kuss eine Vorstellungsrunde geworden war, und vermutete irgendeine verborgene Bedeutung dahinter, und als sich herausstellte, dass das Auto, das sie zu Jonquils Haus befördern sollte, einem der beiden jungen Männer gehörte, wuchs sein Befremden noch. Er fühlte sich dadurch im Nachteil. Auf dem Weg plauderte Jonquil zwischen Vorder- und Rücksitz hin und her, und als er im Schutz der Dämmerung versuchte, heimlich seinen Arm um sie zu legen, zwang sie ihn mit einer raschen Geste, stattdessen ihre Hand zu nehmen.

»Liegt diese Straße auf dem Weg zu eurem Haus?«, flüsterte er. »Ich erkenne sie gar nicht wieder.«

»Das ist der neue Boulevard. Jerry hat dieses Auto heute erst bekommen, und er wollte ihn mir kurz zeigen, ehe er uns nach Hause fährt.«

Als sie zwanzig Minuten später vor Jonquils Haus abgesetzt wurden, schien es George, als habe sich das erste Glück, die Freude, die er ihr auf dem Bahnhof so deutlich an den Augen abgelesen hatte, durch die unerwünschte Autofahrt verflüchtigt. Ein Moment, auf den er sich gefreut hatte, war einfach so verspielt worden, und darüber grämte er sich, als er den beiden jungen Männern steif einen guten Abend wünschte. Doch seine schlechte Laune schwand, als Jonquil ihn im trüben Licht der Eingangshalle wie gewohnt an sich zog und auf etliche Arten, von denen die beste wortlos war, zum Ausdruck brachte, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Ihre Innigkeit beruhigte ihn, versprach seinem bangen Herzen, dass alles gut werden würde.

Sie setzten sich zusammen auf das Sofa, beide von der Gegenwart des anderen überwältigt und zu nichts als den flüchtigsten Zärtlichkeiten imstande. Zur Abendessenszeit erschienen Jonquils Eltern, die sich freuten, George zu sehen. Sie mochten ihn und hatten sich bei seinem ersten Besuch in Tennessee vor gut einem Jahr sehr für seine Ingenieurslaufbahn interessiert. Dass er sie aufgegeben hatte und nach New York gezogen war, um sich dort eine Arbeit zu suchen, mit der er schneller anständig verdienen würde, fanden sie schade, doch auch wenn sie diese Abkürzung seines Berufswegs bedauerten, zeigten sie Verständnis für ihn und waren bereit, der Verlobung zuzustimmen. Beim Abendessen fragten sie ihn, wie er in New York vorankomme.

»Alles läuft gut«, erklärte er mit großem Eifer. »Ich bin befördert worden – habe jetzt ein besseres Gehalt.«

Er fühlte sich elend, als er das sagte – aber sie freuten sich alle so sehr.

»Offenbar ist man Ihnen dort gewogen«, sagte Mrs. Cary, »das steht fest – sonst würde man Ihnen nicht zweimal innerhalb von drei Wochen freigeben, damit Sie hierherkommen können.«

»Ich habe ihnen gesagt, das müssten sie tun«, erklärte George hastig, »– sonst würde ich nicht mehr für sie arbeiten.«

»Aber Sie sollten Ihr Geld lieber sparen«, tadelte Mrs. Cary ihn sanft. »Und nicht alles für diese teure Reise ausgeben.«

Das Essen war vorüber – er und Jonquil waren allein, und sie kam wieder in seine Arme.

»Ich bin so froh, dass du hier bist«, seufzte sie. »Ich wünschte, du würdest nie wieder weggehen, Liebling.«

»Vermisst du mich?«

»O ja, sehr, sehr.«

»Wirst du – bekommst du häufig Besuch von anderen Männern? Wie diesen beiden jungen Kerlen?«

Die Frage erstaunte sie. Die dunklen Samtaugen schauten ihn groß an.

»Aber natürlich. Andauernd. Aber – das habe ich dir doch in meinen Briefen geschrieben, Liebster.«

Das stimmte; schon bei seinem ersten Besuch war sie von etlichen jungen Männern umschwärmt worden, die sie wegen ihrer malerischen Zerbrechlichkeit anbeteten, wie es nur Halbwüchsige vermögen; wenige unter ihnen, die in ihren schönen Augen auch die Vernunft und die Sanftmut erkannten.

»Erwartest du denn, dass ich nie ausgehe«, fragte Jonquil und lehnte sich im Sofakissen zurück, bis sie ihn aus mehreren Meilen Entfernung anzusehen schien, »und nur die Hände falte und stillsitze – für immer?«

»Was meinst du damit?«, stieß er in Panik hervor. »Glaubst du, ich werde nie genug Geld haben, um dich zu heiraten?«

»Ach, bitte ziehe nicht solche voreiligen Schlüsse, George.«

»Ich ziehe keine voreiligen Schlüsse. Das hast du eben gesagt.«

George spürte plötzlich, dass er sich auf gefährlichem Terrain befand. Er hatte nicht vorgehabt, sich diesen Abend von irgendetwas verderben zu lassen. Als er versuchte, sie wieder in die Arme zu nehmen, sträubte sie sich unversehens und sagte: »Es ist heiß. Ich hole schnell den elektrischen Ventilator.«

Als der Ventilator aufgestellt war, setzten sie sich wieder, doch George war überreizt und sprang unwillkürlich in ebenjene Welt hinein, die er hatte meiden wollen. »Wann heiratest du mich?«

»Willst du denn, dass ich dich heirate?«

Schlagartig ließen ihn seine Nerven im Stich, und er schoss hoch. »Lass uns doch den verdammten Ventilator ausschalten«, rief er. »Er macht mich wahnsinnig. Wie eine Uhr tickt er alle Zeit weg, die ich mit dir verbringen kann. Ich bin hergekommen, um glücklich zu sein und New York und die Zeit zu vergessen…«

Genauso plötzlich, wie er aufgestanden war, sank er wieder auf das Sofa zurück. Jonquil schaltete den Ventilator aus, zog Georges Kopf in ihren Schoß und begann, sein Haar zu streicheln.

»Lass uns hier so sitzen«, sagte sie sanft, »lass uns ganz ruhig hier sitzen, und ich wiege dich in den Schlaf. Du bist ja ganz müde und nervös, und dein Schatz kümmert sich jetzt um dich.«

»Aber ich will hier nicht so sitzen«, klagte er und richtete sich ruckartig auf. »Ich will überhaupt nicht so dasitzen. Ich will, dass du mich küsst. Das ist das Einzige, was mich zur Ruhe bringt. Außerdem bin ich nicht nervös – du bist nervös. Ich bin überhaupt nicht nervös.«

Zum Beweis, dass er nicht nervös war, erhob er sich von der Couch und ließ sich gegenüber in einen Schaukelstuhl plumpsen.

»Gerade wenn ich bereit bin, dich zu heiraten, schreibst du mir die nervösesten Briefe, als wolltest du einen Rückzieher machen, und ich muss hierhergeeilt kommen…«

»Du musst ja nicht kommen, wenn du nicht willst.«

»Aber ich will ja!«, rief George.

Ihm schien, dass er sich ausgesprochen kühl und schlüssig benahm, während sie ihn absichtlich ins Unrecht setzte. Mit jedem Wort entfernten sie sich weiter voneinander – und er war außerstande, sich zu zügeln oder Sorge und Schmerz aus seiner Stimme zu verbannen.

Doch einen Augenblick später begann Jonquil unglücklich zu weinen, und er ging zum Sofa zurück und legte den Arm um sie. Jetzt war er der Tröster, der ihren Kopf an seine Schulter drückte und altvertraute Dinge flüsterte, bis sie ruhiger wurde und in seinem Arm nur noch dann und wann ein wenig schauderte. Über eine Stunde saßen sie so da, während die abendlichen Klaviere ihre letzten Kadenzen auf die Straße hinaushämmerten. George, von der Vorahnung einer Katastrophe beinahe betäubt, rührte sich nicht, dachte nichts und hoffte nichts. Die Uhr würde weiterticken, elf vorbei, dann zwölf, bis Mrs. Cary leise über das Geländer herabrufen würde – und jenseits davon sah er nur den kommenden Tag und die Verzweiflung.

III

 

In der Hitze des folgenden Tages kam es zum Bruch. Sie hatten beide geahnt, was mit dem anderen los war, doch sie war diejenige, die sich traute, die Dinge beim Namen zu nennen.

»Es hat keinen Sinn mehr«, sagte sie traurig. »Du weißt, dass dir das Versicherungswesen ein Graus ist, und du wirst dort nie erfolgreich sein.«

»Das stimmt nicht«, entgegnete er dickköpfig; »es ist mir nur ein Graus, allein weiterzumachen. Wenn du mich heiratest und mich begleitest und es mit mir versuchst, kann ich überall erfolgreich sein. Aber nicht, solange du hier unten bist und ich mir ständig Sorgen um dich machen muss.«

Sie schwieg lange, bevor sie antwortete, nicht um nachzudenken – denn sie hatte das Ende kommen sehen –, sondern abwartend, weil sie wusste, dass jedes weitere Wort nur grausamer sein würde als das vorangegangene. Schließlich sagte sie: »George, ich liebe dich von ganzem Herzen, und ich kann mir nicht vorstellen, jemals einen anderen zu lieben als dich. Wenn du vor zwei Monaten so weit gewesen wärst, hätte ich dich geheiratet – jetzt kann ich es nicht. Es scheint mir einfach nicht das Vernünftigste zu sein.«

Er brachte wilde Anschuldigungen vor – es gebe einen anderen – sie verheimliche ihm etwas!

»Nein, es gibt keinen anderen.«

Das war die Wahrheit. Doch zum Ausgleich für die Spannungen in ihrer beider Verhältnis hatte sie die Gesellschaft junger Männer wie Jerry Holt gesucht, die den Vorzug besaßen, ihr nicht das Geringste zu bedeuten.

George wurde mit der Situation gar nicht gut fertig. Er riss Jonquil an sich und versuchte, sie durch Küsse dazu zu bewegen, ihn vom Fleck weg zu heiraten. Als dies misslang, verfiel er in einen langen Monolog des Selbstmitleids und war erst wieder still, als er sah, dass er sich in ihren Augen erniedrigte. Er drohte mit Aufbruch, obwohl er gar nicht aufbrechen wollte, und als sie ihm sagte, er solle jetzt besser gehen, weigerte er sich.

Eine Zeitlang war sie zerknirscht, dann wieder nur freundlich.

»Es ist besser, wenn du jetzt gehst«, rief sie schließlich so laut, dass Mrs. Cary besorgt die Treppe herunterkam.

»Ist etwas passiert?«

»Ich gehe, Mrs. Cary«, sagte George mit rauher Stimme. Jonquil hatte das Zimmer verlassen.

»Nehmen Sie es nicht so schwer, George.« Mrs. Cary blinzelte ihn in hilfloser Anteilnahme an – mitfühlend und zugleich froh, dass die kleine Tragödie beinahe vorbei war. »Warum fahren Sie nicht für ein paar Tage zu Ihrer Mutter. Vielleicht ist es ja letztlich das Vernünftigste…«

»Bitte reden Sie nicht weiter«, rief er. »Bitte sagen Sie jetzt nichts zu mir!«

Jonquil kam wieder ins Zimmer; Kummer wie Nervosität waren unter Puder, Rouge und Hut versteckt.

»Ich habe ein Taxi bestellt«, sagte sie sachlich. »Wir können noch ein wenig herumfahren, bis dein Zug geht.«

Sie trat auf die vordere Veranda hinaus. George nahm Mantel und Hut und stand eine Minute lang kraftlos in der Diele – seit er in New York aufgebrochen war, hatte er kaum einen Bissen gegessen. Mrs. Cary kam zu ihm, zog seinen Kopf zu sich herab und küsste ihn auf die Wange, und er fühlte sich lächerlich und schwach, weil er wusste, dass die Szene am Ende lächerlich und schwach gewesen war. Wäre er doch am Abend vorher aufgebrochen und hätte sich mit gebührendem Stolz ein letztes Mal von ihr verabschiedet.

Das Taxi kam, und eine Stunde lang fuhren diese zwei, die ein Liebespaar gewesen waren, durch die weniger belebten Straßen. Er hielt ihre Hand und wurde im Sonnenschein allmählich ruhiger, weil er – zu spät – erkannte, dass es von Anfang an nichts zu tun oder zu sagen gegeben hatte.

»Ich komme wieder«, erklärte er ihr.

»Ich weiß«, antwortete sie und versuchte, heitere Zuversicht in ihre Stimme zu legen. »Und wir schreiben uns – ab und zu.«

»Nein«, sagte er, »lieber nicht. Das würde ich nicht aushalten. Irgendwann komme ich wieder.«

»Ich werde dich nie vergessen, George.«

Jetzt waren sie am Bahnhof angekommen, und Jonquil begleitete ihn zum Fahrkartenschalter…

»Na, so was – George O’Kelly und Jonquil Cary!«

Ein Mann und eine junge Frau, die George noch aus der Zeit kannte, als er in der Stadt gearbeitet hatte, näherten sich ihnen, und Jonquil schien erleichtert, sie hier zu treffen. Fünf endlose Minuten lang standen sie beieinander und unterhielten sich; dann donnerte der Zug in den Bahnhof, und unter kaum verborgenen Qualen streckte George die Arme nach Jonquil aus. Sie machte einen unsicheren Schritt auf ihn zu, schwankte und drückte ihm dann rasch die Hand, als verabschiedete sie sich von irgendeinem Freund.

»Leb wohl, George«, sagte sie, »ich wünsche dir eine gute Reise.«

»Leb wohl, George. Und besuche uns mal wieder.«

Stumm, beinahe blind vor Schmerz, nahm er seinen Koffer und schaffte es trotz aller Benommenheit irgendwie, in den Zug zu steigen.

An tosenden Straßenkreuzungen vorbei, durch weite Vorstadträume immer schneller auf den Sonnenuntergang zu. Vielleicht würde auch sie den Sonnenuntergang sehen und einen Augenblick innehalten, sich umdrehen und zurückdenken, bevor der Schlaf kam und George für sie in der Vergangenheit versank. Die Dämmerung dieses Abends würde die Sonne, die Bäume, die Blumen und das Gelächter seiner jungen Welt für immer zudecken.

IV

 

An einem schwülen Nachmittag im September des darauffolgenden Jahres stieg ein junger Mann mit tief gebräunter, kupfergolden leuchtender Gesichtsfarbe in einer Stadt in Tennessee aus dem Zug. Er schaute sich nervös um und schien erleichtert zu sehen, dass niemand gekommen war, um ihn abzuholen. Mit dem Taxi fuhr er zum besten Hotel der Stadt, wo er sich mit einiger Genugtuung als George O’Kelly, Cuzco, Peru, eintrug.

Oben in seinem Zimmer saß er ein paar Minuten am Fenster und schaute auf die vertraute Straße hinab. Dann griff er mit zitternder Hand zum Telefonhörer und wählte eine Nummer.

»Ist Miss Jonquil zu Hause?«

»Am Apparat.«

»Oh…« Nach einem ersten Anflug von Unsicherheit in seiner Stimme fuhr er mit freundlicher Förmlichkeit fort.

»Hier spricht George O’Kelly. Hast du meinen Brief bekommen?«

»Ja. Ich habe damit gerechnet, dass du heute kommst.«

Ihre Stimme, kühl und unbewegt, irritierte ihn, wenn auch auf andere Weise, als er es erwartet hatte. Dies war die Stimme einer Fremden, unaufgeregt, angenehm überrascht, dass er da war – mehr nicht. Er hätte am liebsten sofort wieder aufgelegt und tief Luft geholt.

»Wir haben uns… lange nicht gesehen.« Er schaffte es, dies beiläufig klingen zu lassen. »Über ein Jahr.«

Er wusste, wie lange – auf den Tag genau.

»Ich freue mich wahnsinnig, mal wieder mit dir zu plaudern.«

»Ich bin in einer Stunde da.«

Er legte auf. Vier lange Jahreszeiten war jede Minute seiner freien Zeit von der Vorfreude auf diese Stunde erfüllt gewesen, und nun war sie da. Er hatte es für möglich gehalten, dass Jonquil verheiratet, verlobt, verliebt sein, aber nicht, dass seine Rückkehr sie kalt lassen würde.

Ähnliche zehn Monate wie jene, die gerade hinter ihm lagen, würde er nie wieder erleben, dachte er bei sich. Für einen jungen Ingenieur hatte er in der Tat bemerkenswert gut abgeschnitten – durch Zufall hatten sich ihm zwei ungewöhnliche Gelegenheiten geboten, eine in Peru, wo er gerade herkam, und eine andere, sich daraus ergebende in New York, wohin er jetzt reiste. In dieser kurzen Zeit war er aus der Armut zu einer Position mit unbegrenzten Möglichkeiten aufgestiegen.

Er betrachtete sich im Spiegel der Frisierkommode. Seine Haut war tiefbraun, beinahe schwarz, doch es war ein romantisches Schwarz, das ihm in der letzten Woche, als er Zeit gehabt hatte, sich damit zu beschäftigen, nicht wenig Vergnügen bereitet hatte. Auch seinen robusten Körperbau betrachtete er mit einer gewissen Faszination. Irgendwo hatte er ein Stück Augenbraue eingebüßt, und um das Knie trug er noch immer eine Bandage, doch er war zu jung, um nicht gemerkt zu haben, dass viele Frauen auf dem Dampfer ihm ungewohnt anerkennende Blicke zugeworfen hatten.

Seine Kleider allerdings waren scheußlich. Ein griechischer Schneider in Lima hatte sie für ihn angefertigt – in zwei Tagen. George war ebenfalls jung genug, um Jonquil diese modische Unzulänglichkeit in seiner ansonsten lakonischen Nachricht erklärt zu haben. Das einzige andere Detail, das diese Nachricht enthalten hatte, war die Bitte gewesen, man möge davon absehen, ihn am Bahnhof abzuholen.

George O’Kelly aus Cuzco, Peru, wartete anderthalb Stunden im Hotel – um genau zu sein: so lange, bis die Sonne in der Mitte des Himmels angekommen war. Frisch rasiert und mit Talkum gepudert, um seinen Teint einem eher nordamerikanischen Ton anzunähern – denn in letzter Minute hatte doch noch die Eitelkeit über die Romantik gesiegt –, bestellte er ein Taxi und machte sich auf den Weg zu jenem Haus, das er so gut kannte.

Er atmete schwer – das merkte er selbst, aber er sagte sich, es sei gespannte Erwartung und keine Gefühlsregung. Er war hier; sie war nicht verheiratet; das genügte. Er wusste nicht einmal genau, was er ihr zu sagen hatte. Und doch war dies der Moment in seinem Leben, auf den er am wenigsten hätte verzichten mögen. Ohne ein Mädchen an seiner Seite gab es zwar keinen Triumph, aber wenn er ihr seine Beute auch nicht vor die Füße legte, so konnte er sie ihr doch zumindest für einen flüchtigen Moment vor Augen halten.

Das Haus tauchte plötzlich drohend neben ihm auf, und sein erster Gedanke war, dass es eine seltsam unwirkliche Anmutung hatte. Nichts war verändert – nur dass alles verändert war. Das Haus war kleiner und wirkte gewöhnlicher als früher – keine Zauberwolke schwebte über seinem Dach und drang aus den Fenstern des oberen Stockwerks. Er klingelte an der Haustür, und ein ihm unbekanntes farbiges Mädchen erschien. Miss Jonquil werde gleich herunterkommen. Er befeuchtete sich nervös die Lippen und ging in den Salon – und das Gefühl der Unwirklichkeit wuchs. Eigentlich, sah er jetzt, war dies nur ein Zimmer und nicht das verwunschene Gemach, in dem er jene schmerzlichen Stunden zugebracht hatte. Er setzte sich auf einen Stuhl, erstaunt darüber, dass es nur ein Stuhl war, und begriff, wie sehr seine Einbildung all diese einfachen, normalen Dinge verzerrt und ausgeschmückt hatte.

Dann öffnete sich die Tür, und Jonquil trat ins Zimmer – und plötzlich war es, als verschwimme alles vor seinen Augen. Er hatte vergessen, wie schön sie war, und er fühlte, wie sein Gesicht blass wurde und die Stimme in seiner Kehle zu einem kläglichen Seufzer verkümmerte.

Sie war in Hellgrün gekleidet, und eine goldene Schleife band ihr dunkles, glattes Haar zurück wie eine Krone. Der Blick ihrer vertrauten Samtaugen traf auf den seinen, und angesichts ihrer Schönheit, die einem Mann so große Schmerzen bereiten konnte, fuhr ihm der Schreck in die Glieder.

Er sagte »Hallo«, und sie traten beide ein paar Schritte vor und schüttelten sich die Hand. Dann nahmen sie ziemlich weit voneinander entfernt Platz und schauten sich quer durch den Raum an.

»Du bist zurückgekommen«, sagte sie, und er antwortete genauso einfallslos: »Ich bin auf der Durchreise – da wollte ich kurz vorbeischauen und dich sehen.«

Er versuchte, das Zittern in seiner Stimme zu beherrschen, indem er überall hinschaute, nur nicht in ihr Gesicht. Es war an ihm, etwas zu sagen, doch wenn er nicht sofort zu prahlen anfangen wollte, wusste er nicht, was er ihr hätte erzählen können. In ihrem früheren Verhältnis zueinander hatte es keine Oberflächlichkeiten gegeben – es schien undenkbar, in dieser Situation über das Wetter zu reden.

»Das ist ja lächerlich!«, platzte er, plötzlich peinlich berührt, heraus. »Ich weiß nicht genau, was ich tun soll. Ist es dir unangenehm, dass ich hier bin?«

»Nein.« Die Antwort war zugleich knapp und auf eine unpersönliche Art traurig. Es war deprimierend.

»Bist du verlobt?«, fragte er.

»Nein.«

»Bist du in jemanden verliebt?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Oh.« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Ein weiteres Thema schien erschöpft – das Gespräch nahm nicht den von ihm beabsichtigten Verlauf.

»Jonquil«, begann er, diesmal in sanfterem Ton, »nach allem, was zwischen uns gewesen ist, wollte ich zurückkommen und dich noch einmal sehen. Egal, was die Zukunft bringt – ich werde nie ein anderes Mädchen so lieben, wie ich dich geliebt habe.«

Das war eine der Reden, die er einstudiert hatte. Auf dem Schiff hatte er gefunden, sie treffe genau den richtigen Ton – ein Anklang an die Zärtlichkeit, die er stets für sie empfinden würde, gepaart mit einer gewissen Unverbindlichkeit, was seinen momentanen Seelenzustand betraf. Hier jedoch, wo ihn die Vergangenheit von allen Seiten umgab und von Minute zu Minute schwerer auf ihm lastete, wirkte sie theatralisch und schal.

Sie sagte nichts dazu, saß reglos da und fixierte ihn mit einem Ausdruck, der alles und nichts bedeuten mochte.

»Du liebst mich nicht mehr, oder?«, fragte er mit matter Stimme.

»Nein.«

Als Mrs. Cary eine Minute später hereinkam und ihn auf seinen Erfolg ansprach – das Lokalblatt hatte eine halbe Spalte über ihn gebracht –, waren seine Gefühle gemischt. Er wusste nun, dass er dieses Mädchen noch immer begehrte, und er wusste, dass die Vergangenheit manchmal zurückkommt – das war alles. Im Übrigen musste er stark und wachsam sein; das Weitere würde man sehen.

»Und nun«, sagte Mrs. Cary gerade, »tut mir bitte den Gefallen und geht zu der Dame mit den Chrysanthemen. Sie hat mir ausdrücklich gesagt, dass sie Sie sehen möchte, weil sie in der Zeitung von Ihnen gelesen hat.«

Sie machten sich auf den Weg zu der Dame mit den Chrysanthemen. Als sie die Straße entlanggingen, nahm er mit einer gewissen Erregung wahr, dass ihre kleineren Schritte wie früher stets genau zwischen die seinen fielen. Die Dame erwies sich als sehr sympathisch, und die Chrysanthemen waren riesengroß und außergewöhnlich schön. Die Gärten der Dame quollen über von ihnen, weiß, rosarot und gelb, und dazwischen umherzuwandeln war, wie ins Herz des Sommers zurückzureisen. Es gab zwei Gärten und dazwischen ein Tor; als sie zum zweiten Garten schlenderten, ging die Dame als Erste durch das Tor.

Und dann geschah etwas Sonderbares. George machte einen Schritt zur Seite, um Jonquil vorzulassen, doch anstatt weiterzugehen, blieb sie stehen und sah ihn an. Es war nicht so sehr ihr Blick, in dem kein Lächeln lag, sondern vielmehr der Moment des Schweigens. Jeder sah die Augen des anderen, und beide taten einen kurzen, etwas schnelleren Atemzug; dann betraten sie den zweiten Garten. Das war alles.

Der Nachmittag neigte sich dem Ende zu. Sie dankten der Dame und gingen langsam, gedankenverloren, Seite an Seite nach Hause. Auch während des Abendessens sprachen sie kaum. George erzählte Mr. Cary ein wenig von seinen Erlebnissen in Südamerika und ließ anklingen, dass in Zukunft alles ein Kinderspiel für ihn sein würde.

Dann war das Abendessen vorüber, und er und Jonquil blieben allein in dem Zimmer, das den Anfang und das Ende ihrer Liebesaffäre bezeugt hatte. Es schien ihm lange her und unaussprechlich traurig. Auf dem Sofa hatte er Kummer und Qualen gelitten, wie er sie nie wieder leiden würde. Nie wieder würde er so schwach oder müde, so unglücklich und arm sein. Und doch wusste er, dass der Junge, der er fünfzehn Monate zuvor gewesen war, etwas besessen hatte – ein Vertrauen, eine Wärme –, das jetzt für immer verschwunden war. Das Vernünftigste – sie hatten das Vernünftigste getan. Er hatte seine Jugend gegen Stärke eingetauscht und aus Verzweiflung Erfolg geschnitzt. Doch mit seiner Jugend hatte das Leben ihm auch die Frische seiner Liebe genommen.

»Du wirst mich nicht heiraten, nicht wahr?«, fragte er still.

Jonquil schüttelte ihren dunklen Kopf.

»Ich werde nie heiraten«, antwortete sie.

Er nickte.

»Ich reise morgen früh weiter nach Washington«, sagte er.

»Oh…«

»Es geht nicht anders. Ich muss am Ersten in New York sein, und vorher möchte ich in Washington Zwischenstation machen.«

»Geschäfte!«

»Nei-ein«, sagte er, als spreche er nicht gerne darüber. »Es gibt dort jemanden, den ich sehen muss, jemanden, der mir sehr geholfen hat, als ich so – am Boden war.«

Das war erfunden. Es gab niemanden in Washington, den er sehen musste – doch er beobachtete Jonquil genau, und er war sicher, dass sie ein wenig zuckte, die Augen kurz schloss und dann weit öffnete.

»Aber bevor ich gehe, will ich dir erzählen, was ich erlebt habe, seit wir uns zuletzt gesehen haben. Und da wir uns vielleicht nie wiedersehen, möchte ich – möchte ich dich fragen, ob du dieses eine Mal wieder auf meinem Schoß sitzen könntest wie früher. Ich frage das nur, weil es ja – noch – keinen anderen gibt – deshalb würde es doch vielleicht nichts ausmachen.«

Sie nickte, und einen Augenblick später saß sie auf seinem Schoß, wie sie es in jenem verflossenen Frühling so oft getan hatte. Als er ihren Kopf an seiner Schulter spürte, ihre vertraute Gestalt, erschauderte er zutiefst. Seine Arme, die sie hielten, wollten sich fester um sie schließen, und so lehnte er sich zurück und fing an, nachdenklich in die Luft zu sprechen.

Er erzählte ihr von zwei verzweifelten Wochen in New York, die zu einem reizvollen, wenn auch nicht sehr einträglichen Job bei einem Bauunternehmen in Jersey City geführt hatten. Die Sache in Peru schien zunächst gar keine so großartige Gelegenheit zu sein. Er war als der dritte Hilfsingenieur für die Expedition engagiert worden, doch nur zehn Mitglieder der amerikanischen Gruppe, darunter acht Stabsleute und Aufseher, kamen überhaupt in Cuzco an. Zehn Tage später starb der Chef der Expedition an Gelbfieber. Das war seine Chance gewesen, eine Chance für jeden, der kein Dummkopf war, eine fabelhafte Chance…

»Eine Chance für jeden, der kein Dummkopf war?«, unterbrach sie ihn arglos.

»Selbst für einen Dummkopf«, antwortete er. »Es war wunderbar. Ich telegrafierte also nach New York –«

»Und natürlich«, unterbrach sie ihn erneut, »telegrafierte man dir, dass du die Chance beim Schopf ergreifen könntest?«

»Könnte?«, rief er, immer noch zurückgelehnt, aus. »Dass ich es tun müsste! Es gab keine Zeit zu verlieren…«

»Keine einzige Minute?«

»Keine einzige Minute.«

»Nicht einmal genug Zeit für…« Sie hielt inne.

»Wofür?«

»Schau.«

Er beugte den Kopf plötzlich vor, und sie neigte sich im selben Moment zu ihm hin, die Lippen wie eine Blume halb geöffnet.

»Doch«, flüsterte er in ihre Lippen. »Alle Zeit der Welt…«

Alle Zeit der Welt – sein Leben und ihres. Aber während er sie küsste, war ihm für einen kurzen Augenblick bewusst, dass er alle Ewigkeit hindurch suchen könnte und jene verlorenen Aprilstunden doch nie wiederfinden würde. Mochte er Jonquil jetzt auch an sich drücken, bis die Muskeln in seinem Arm sich verknoteten – sie war etwas Begehrenswertes und Kostbares, um das er gekämpft, das er sich erobert hatte – nie wieder jedoch ein flüchtiges Flüstern in der Dämmerung oder im Windhauch der Nacht…

Dann lass es gut sein, dachte er: Der April ist vorbei, der April ist vorbei. Es gibt alle möglichen Arten von Liebe auf der Welt, aber nie dieselbe Liebe zweimal.

Winterträume
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