Kapitel 24
Die wahre Prüfung für die Zuneigung eines Mannes
ist seine Fähigkeit, sich zu entschuldigen, wenn er einen Irrtum
begangen hat. Wenn er das tut, werdet Ihr beim Blick in seine Augen
wissen, ob er es ernst meint. Ich kann es nicht beschreiben, aber
vertraut mir: Ihr werdet es wissen. Liebe hat einen ganz eigenen
Zauber.
Aus dem Kapitel »Tut er’s oder tut er’s
nicht?«
Brianna zögerte in der Tür zu ihrem Schlafzimmer.
Jemand hielt sich darin auf, aber es war nicht ihre Zofe. Sie hatte
nicht erwartet, ihrem Mann als Eindringling gegenüberzustehen. Ein
Abendkleid lag auf ihrem Bett, und Colton saß in einem der Sessel
vor dem Kamin. Sein Blick ruhte auf ihr, wie sie in der Tür stand.
Er wirkte entspannt. Seine Hand hielt einen Cognacschwenker, aber
etwas an der Haltung seiner Schultern ließ sie vermuten, dass seine
Lässigkeit gespielt war.
»Möchtest du nicht hereinkommen?«, fragte er,
weil sie in der Tür verharrte.
»Ich weiß nicht«, gestand sie. Wie lange würde
ihr noch erlaubt sein, ihn zu kränken? Seine Verdächtigungen konnte
sie ihm nicht vergeben. Unmöglich.
Allerdings befürchtete sie, ihm schon längst
vergeben zu haben. Sie vermisste ihn. Bis
zu einem gewissen Grad verstand sie sogar seine Zweifel ein
bisschen, nachdem ihre Wut verraucht und großem Elend gewichen war.
Es entschuldigte nichts, aber Brianna hegte die Vermutung, auch
ihre Unerfahrenheit habe zu dem Missverständnis beitragen können.
Das Einzige, was sie wollte, war, ihrem Mann zu gefallen. Damals
hatte es doch so einfach geklungen.
Aber es war jetzt überhaupt nicht mehr
einfach.
»Es ist dein Schlafzimmer. Du wirst es hin und
wieder aufsuchen müssen«, sagte er sanft. »Wolltest du dich nicht
umziehen, um auszugehen? Dafür musst du schon hereinkommen.«
Das hatte sie vor, denn auch wenn ihr
Privatleben durcheinandergeraten war, würde es die Sache nur noch
schlimmer machen, wenn jeder in der Gesellschaft davon erfuhr.
Darum hatte sie bereits eine Einladung angenommen. »Wo ist meine
Zofe?«
»Ich habe sie für heute Abend entlassen.«
Seine Anmaßung ließ sie ausatmen. »Ich denke,
ich kann mein Haar auch selbst frisieren.«
»Oder überhaupt nicht frisieren.«
»Colton …«
»Als mein Vater starb, war ich verloren.« Die
Worte füllten leise den Raum. »Ich erwarte nicht, diese Tragödie
als mildernden Umstand anbringen zu dürfen. Aber als dein Ehemann
bitte ich dich, mir die Möglichkeit zu geben, meine letzten Taten
zu erklären. Kannst du mir diesen Gefallen gewähren?«
Er sprach nie von seinemVater. Und in dem Wort
bitte schwang
eine Demut mit, die Bände sprach. Brianna betrat das Zimmer,
schloss die Tür und setzte sich stumm an ihren Frisiertisch. Sie
blickte ihn an.
Was jetzt kam, brauchte sie. Sie beide brauchten es.
»Ich war erst zwanzig.« Er lächelte schwach.
»Ungefähr in deinem Alter, darum hoffe ich, du kannst es dir
vorstellen. Ich fühle mich manchmal unendlich älter. Plötzlich
verließen sich all diese Menschen allein auf mich. Mein Vater war
stark. Energisch. Es gab keinen Grund, warum ich hätte glauben
können, mein Vater lege sich mit einem Husten zu Bett und wäre nach
nur wenigen Tagen wortwörtlich entschwunden. Ich glaubte es nicht,
bis meine Mutter sich mir weinend zuwandte und mich fragte, was wir
jetzt tun sollten. Jeder schaute mich an, mich, ausgerechnet. Erst in diesem Moment wurde mir
bewusst, dass ich es wirklich nicht wusste.«
Brianna beobachtete ihren Mann. Er rang um die
richtigen Worte, um ihr seine Gefühle zu gestehen. Sie wusste –
wusste -, dass es der beste Weg war, sich
zu entschuldigen, wenn er das wollte.Wenn er Plattitüden
aneinandergereiht oder versucht hätte, sich zu erklären, hätte sie
geglaubt, es wäre ein Vorwand, um den unglücklichen Vorfall hinter
sich zu lassen.
Aber das hier? Nein. Das hier kostete ihn viel
Kraft.
Colton blickte beiseite, und sie hätte schwören
können, ein gewisses Schimmern in seinen Augen zu erkennen. »Ich
wusste nicht, was zu tun war. Mir war klar, ich würde vermutlich
eines Tages der Duke werden, aber weder mein Vater noch ich hatten
geglaubt, es könnte so passieren. Oh, natürlich war ich
unterrichtet und unterwiesen und beraten worden, aber nie hatte mir
jemand erzählt, wie verdammt schmerzhaft der Übergang sein würde.
Der Erbe zu sein ist etwas Abstraktes, kaum
Greifbares. Dieses Erbe anzutreten, ist etwas vollkommen
anderes.«
»Liebster«, sagte sie. Ihre Stimme war heiser.
Der Ärger verflüchtigte sich angesichts seiner gequälten
Miene.
»Nein, lass mich das beenden. Du verdienst es.«
Er schluckte. Die Muskeln in seinem Hals bewegten sich heftig. »Ich
glaube, an jenem Tag habe ich mich in gewisser Weise betrogen
gefühlt. Von ihm. Weil er starb. Lächerlich, nicht wahr? Ich war
jung, aber bereits ein erwachsener Mann. Es sollte doch bloß nicht
so schnell passieren. Er sollte auch jetzt noch leben. Ich musste
meine Trauer beiseiteschieben; ich hatte keine Zeit dafür. Ich
stürzte mich schnellstens auf die Rolle des Duke, tat mein Bestes,
und ich glaube, ich habe darüber unter Umständen ein paar andere
wichtige Sachen in meinem Leben vergessen. Zu meinem Glück hast du
dein Bestes getan, mich daran zu erinnern.«
Sie war erstarrt. Colton, der Colton, den sie
kannte, tat so etwas nicht. Er öffnete nicht seine Seele.
»Darf ich dich also anflehen, mir meine Dummheit
zu verzeihen? Ich neige nun mal dazu, bei allem, was geschieht,
einen Sinn erkennen zu wollen. Dein Tun, auch wenn ich es sehr
einnehmend fand, hat mich verwirrt.« Ihr Mann blickte sie an. Sein
schlanker Körper hatte sich angespannt. »Ich kann wirklich keine
Entschuldigung finden, warum ich das Schlimmste geglaubt habe. Aber
ich fühle mich bei dir auf eine gewisse Art verletzlich, die ich
seit Langem nicht habe erleben dürfen. Neun Jahre lang, um genau zu
sein. Und wenn man dann noch unser Kind bedenkt und mein Gefühl,
dass du etwas vor mir verbirgst … Es war wieder eine Situation, die
mich völlig überforderte, und ich habe alles getan, um sie zu
kontrollieren. Mehr fiel mir nun mal
nicht ein. Ich bin ein Idiot, aber wenigstens bin ich ein Idiot,
der seine Frau wie verrückt liebt.«
Sie war schon zuvor erstarrt, aber jetzt hätte
sie sich nicht einmal bewegen können, wenn sie es gewollt
hätte.
»Ich muss dich lieben.« Er kämpfte offenbar mit
den Worten. »Sonst hätte ich nicht so irrational gehandelt.«
Brianna liebte ihn, weil er sich mit der für ihn
typischen Logik dem Problem stellte. Aber auch so war es eine sehr
wirkungsvolle Entschuldigung.
Und dann raubte er ihr den Atem: »Ich wusste ja
nicht, dass es mir passiert ist. Uns.«
Sie saß kerzengerade auf der Bank vor ihrem
Frisiertisch. Die Hände ruhig im Schoß gefaltet, blickte sie zu ihm
herüber. Aber ihr Herz flatterte alles andere als ruhig. »Wusstest
du nicht, dass du mich liebst?«
Er war attraktiv, mächtig, reich … Er besaß
alles, was ein Mann sich wünschen konnte. Dennoch wirkte er
verloren. Er rieb sein Kinn und erwiderte rau: »Ich habe es nicht
gemerkt. Aber ja, Brianna. Gott, ja. Ich liebe dich.«
Es wurde einfacher.
Brianna die Worte zu sagen war gar nicht das
wahre Problem gewesen. Sich selbst seine Liebe zu ihr
einzugestehen, das war die Barriere zwischen ihnen. Sie liebten
einander. Das war mehr als eine Offenbarung.
Schon vorhin hatte er nicht geplant, Robert zu
sagen, was er für ihn empfand. Dieses Mal hatte Colton sich fest
vorgenommen, Brianna seine Liebe zu gestehen. Aber er hatte nicht
mit dem heiseren Klang seiner Stimme oder der Schmerzlichkeit der
Situation gerechnet.
Und dieses Baby, das in ihr heranwuchs – er
konnte gar nicht beschreiben, wie tief es ihn bewegte, dass sie
schon bald ein gemeinsames Kind haben würden.
In den Augen seiner Frau glänzten Tränen, und er
war wieder dafür verantwortlich. Aber wenigstens weinte sie dieses
Mal nicht, weil er sie verletzt hatte. Das zittrige Lächeln auf
ihren Lippen erfüllte ihn mit Erleichterung. Sie stand auf und kam
quer durch den Raum zu ihm. Die Höflichkeit gebot, dass er
ebenfalls aufstand, aber er saß einfach nur da und wartete. Er war
von dem Ausdruck auf ihrem hübschen Gesicht wie erstarrt.
Sie nahm ihm das Brandyglas aus den willenlosen
Fingern und stellte es auf den Kaminsims. Dann kuschelte sie sich
auf seinen Schoß und berührte ganz sanft seine Wange mit einer
Hand. »Wir sind gesegnet, nicht wahr?«
Seine Gefühle schnürten ihm die Kehle zu. Er
blickte in ihre Augen.
»Ich habe dir bereits vergeben, weißt du. Auch
wenn du manchmal so schrecklich begriffsstutzig sein kannst, bin
ich nie lange auf dich wütend.«
Ihr weicher Mund war so verlockend nah. »Ich
werde mich deiner Anschuldigung oder Großzügigkeit nicht
widersetzen«, sagte er heiser.
»Ich glaube, ich bin nicht schuldlos.« Ihre
Finger zeichneten die Linie seines Kinns nach und streiften seine
Lippen. »Obwohl meine Absichten lauter waren, hätte ich vielleicht
lieber nicht Lady Rothburgs Buch kaufen sollen. Es war unanständig,
das zu tun.«
»Sehr unanständig«, bestätigte er. »Aber ich
glaube, die Frau ist wirklich brillant«, fügte er hinzu. »Ich für
meinen Teil stimme nicht jeder ihrer Beobachtungen über Männer zu.
Aber im
Großen und Ganzen scheint sie recht zu haben. Sehr
erleuchtend.«
Die Hand seiner Frau verharrte. Ihre Augen
weiteten sich. »Du hast es gelesen?«
»Ja, wirklich. Jedes Wort. Schließlich hast du
es auf meinem Schreibtisch liegen gelassen.«
»Wie ungezogen von dir, Colton.« Briannas Lider
senkten sich ein wenig.Verführerisch.
Er wäre fast zusammengezuckt, weil er sich
wieder an ihre verletzende Bemerkung erinnerte, als sie ihn in
seinem Arbeitszimmer mit sich selbst konfrontiert hatte. »Ich
sollte in Zukunft etwas offener zu dir sein.«
Brianna lehnte sich vor. Sie leckte über seine
Unterlippe. Es war nur ein langsames, zärtliches Streicheln mit der
Zungenspitze, aber es ließ seinen ganzen Körper erzittern. Sie
murmelte: »Sag mir, welcher Teil ihrer Ratschläge gefällt dir am
besten? Das interessiert mich als Frau.«
»Du bist auf jeden Fall eine Frau«, murmelte er.
Seine Hände krallten sich in ihre Hüften. Er rückte sie auf seinem
Schoß zurecht. Seine wachsende Erektion drückte unbequem gegen den
Stoff seiner Hose. »Wie war noch mal die Frage?«
»Der.« Sie küsste ihn. »Beste.« Küsste ihn
erneut. »Teil.«
»Du«, antwortete er. »Egal, was wir tun, das
Beste bist du.«
»Willst du damit andeuten, ich darf dich
irgendwann noch mal ans Bett fesseln, wenn mir danach ist?« Ihr
Lächeln war ausgelassen und provozierend.
Er stöhnte leise, als ihr weicher Hintern sich
gegen seinen schmerzenden Unterleib drückte. An dieses lustvolle Zwischenspiel konnte er sich nur
allzu gut erinnern. »Ich bin Euch stets der gehorsame Diener,
Madam.«
»Das klingt vielversprechend. Also darf ich das
Buch behalten?«
»Ich werde es in einer Glasvitrine aufbewahren
lassen.« Er zog die Nadeln aus ihrem Haar. Knabberte an ihrem
Ohrläppchen.
Ein atemloses Lachen streifte seine Wange. »Ich
bin sicher, Lady R wäre geschmeichelt. Aber so weit musst du nicht
gehen. Es gibt jedoch noch einen Gefallen, um den ich dich bitten
möchte.«
Er ließ seinen Mund zu ihrem anmutigen Hals
gleiten und gab daher nur ein zustimmendes Geräusch von sich.
»Ich möchte, dass wir ab jetzt das Bett
teilen.«
»Das werden wir bald tun, glaub mir«, schwor er.
Seine Erregung stand außer Frage.
»Nein. Also ja, aber das meinte ich nicht. Ich
will nicht nur dir beiwohnen, sondern auch neben dir liegen. In
meinem Schlafzimmer oder deinem, das ist mir egal. Aber wenn wir
uns lieben und du mich danach allein lässt, fühle ich mich so
…«
Sie verkrampfte in seinen Armen. Colton schob
sie leicht von sich, um ihr ins Gesicht zu blicken. Wenn es eines
gab, was er in den letzten Tagen gelernt hatte, dann, dass sein
größter Fehler war, die Gefühle und Gedanken anderer Menschen nicht
bis zum Ende zu verfolgen.
»Sprich bitte weiter«, sagte er leise.
»Von dir getrennt. Nicht bloß körperlich.«
Briannas Lippen bebten. Nur leicht, aber es genügte. »Vielleicht
klingt das für dich lächerlich, weil du immer so praktisch denkst,
aber ich will deinem Atem lauschen, wenn ich im Dunkeln aufwache,
ich will deine Wärme neben mir spüren. Ich will mehr teilen als
bloß unsere Leidenschaft.«
Er verstand, was es bedeutete, sich von jemandem
getrennt zu
fühlen. Durch seinen Rang und seine Verantwortung war er von
anderen distanziert, aber zumeist bestand diese Distanz, weil er um
sich Mauern errichtet hatte, mit denen er sich vor emotionaler
Bindung und Hingabe schützte.
Er streichelte mit dem Zeigefinger eine ihrer
perfekt geformten Augenbrauen und lächelte. »Ich wäre erfreut, wenn
du jede Nacht neben mir schläfst. Siehst du? Schon erledigt. Was
kann ich dir noch geben? Bitte mich darum, und schon gehört es
dir.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nichts
denken, was eine Frau wollen könnte, außer mit dem Mann zusammen zu
sein, den sie liebt und dessen Kind in ihr heranwächst.«
Sie war eine Duchess. Verheiratet mit einem der
vermögendsten Männer Englands. Die Gesellschaft lag ihr zu Füßen,
sie war von berückender Schönheit und führte ein privilegiertes
Leben. Aber sie wünschte sich nur dieses eine. Das war etwas, das
er an ihr liebte – und von Beginn an bei ihr gespürt hatte -, sie
hatte nie auf dieses Leben geschielt. Hatte ihn nicht aus
Berechnung geheiratet. Wäre er ein Schäfer gewesen, hätte sie ihn
im selben Maße geliebt.
Sie konnte ihn um alles bitten, und sie wusste,
er hatte die Mittel, ihr jede dieser Bitten zu erfüllen.
Stattdessen wollte sie bloß neben ihm
schlafen.
Wie hatte er nur diesen Schatz finden
können?
Wahrscheinlich verdiente er sie nicht. Aber er
konnte es versuchen. Colton stand auf und hob sie hoch. »Wollen wir
heute Abend hier bleiben? Wir können in unseren Räumlichkeiten zu
Abend essen und einfach die Gesellschaft des anderen
genießen.«
Brianna lächelte wohlig und verführerisch. »Das
klingt herrlich.
Erinnerst du dich an das Kapitel in Lady Rothburgs Buch, in dem
sie schrieb, Frauen könnten noch leidenschaftlicher werden, wenn
sie in anderen Umständen sind? Ich glaube, sie könnte recht
haben.«
Lieber Gott, er hoffte das. Er hatte das
Leuchten in den Augen seiner Frau schon einmal gesehen, und sein
Körper war auch mehr als bereit, nur weil er sie in Armen hielt.
»Diese Frau ist eine große Gelehrte«, murmelte er, als er seine
Frau in sein Schlafzimmer trug und mit der Schulter die Tür
aufschob. Er steuerte das riesige Bett an. »Eine großartige
Expertin, die ihr Wissen großzügig mit der Welt geteilt hat. Ein
Vorbild.«
Seine Frau schnappte lachend nach Luft. »Hast du
gerade eine Kurtisane ein Vorbild genannt? Du, der Duke of
Rolthven, der unter keinen Umständen einen Tabubruch begehen
würde?«
Colton legte sie auf sein Bett. Er beugte sich
über sie und blickte in Briannas Augen. »Ja, das habe ich.«
Und dann begann er, sie zu entkleiden. Immer
wieder unterbrochen von heißen Küssen und geflüsterten, verruchten
Worten.
Und ihre ungehemmte Antwort bewies, dass er
recht hatte.
Lady Rothburg war eine außergewöhnlich kluge
Frau.