Kapitel 19
Falsches Spiel hat immer einen Preis.
Aus dem Kapitel »Was Euren Mann von Euch
fernhält«
Colton fühlte sich wie ein Lügner.
Ein Betrüger.
Wenn er falsch lag, verletzte er sie auf die
schlimmstmögliche Weise. Untreu? Brianna?
Gott, bitte. Hoffentlich lag er falsch.
Er nahm einen Schluck Wein und betrachtete
nachdenklich seine Frau, die am anderen Ende des Tisches saß. Sie
sah wunderschön aus, wie immer. Aber etwas an ihrem Verhalten
verriet
ihm, dass sie sich unwohl fühlte. Zum einen war sie stiller,
geistesabwesend. Er war selten derjenige, der eine Unterhaltung
anstieß, aber heute Abend musste er sich bemühen, die Stille
zwischen ihnen zu füllen.
Weil sie sich schuldig fühlte?
Er war es, der sich
schuldig fühlen musste, verdammt. Weil er einen Mann engagiert
hatte, der jeden ihrer Schritte verfolgen sollte.
Colton murmelte: »Das ist sehr angenehm, findest
du nicht? Nur wir beide, das ist eine Abwechslung.«
»Ich glaube auch, es ist eine schöne Idee, einen
ruhigen Abend daheim zu verbringen.« Brianna nippte an ihrem Wein.
Ihr blondes Haar glänzte im Kerzenlicht. »Das machen wir selten
genug.«
Was sie auch zuletzt viel zu selten machten,
war, einander zu lieben. Es war seine Schuld – weil er seine
Zweifel nicht überwinden konnte -, dabei wollte er sie
doch.Verflixt und zugenäht, er wollte sie so sehr. Die
Selbstkasteiung war für ihn eine Lehrstunde in Quälerei
gewesen.
Heute Nachmittag war ihm der erste Bericht
überstellt worden. Obwohl ihm die Worte im Hals stecken zu bleiben
drohten, sagte er: »Erzähl doch mal, was hast du heute gemacht,
meine Liebe?«
Bitte lüg mich nicht an. Bitte.
»Zum Großteil ein paar Erledigungen. Ich war
beim Hutmacher, solche Dinge.« Anmutig zuckte sie mit den
Schultern. »Ich habe auf dem Weg nach Hause bei Arabella
vorgesprochen.«
»Ach ja?« Er wartete.
»Ja.«
Mehr nicht. Er wusste natürlich von ihrem
Besuch. Er kannte
jede ihrer Bewegungen bis ins kleinste Detail. Zum Beispiel hatte
man ihn informiert, dass ein Gentleman ohne Begleitung zwanzig
Minuten nach Brianna das Stadthaus von Arabella Smythe betreten
hatte. Er wusste, dass die Vorhänge im vorderen Salon geschlossen
worden waren. Und er wusste, dass der Gentleman über eine Stunde
geblieben war, und danach hatten er und Brianna kurz hintereinander
das Gebäude verlassen. Hudson wusste noch nichts über die Identität
dieses mysteriösen Gentleman, aber er stellte bereits
Nachforschungen an. Die Beschreibung war ein wenig vage, weil
Hudsons Mann seinen Beobachtungsposten auf der anderen Straßenseite
eingenommen hatte, aber im Bericht stand, der Fremde habe sich
bewegt wie ein junger Mann.
Arabella war seit Jahren Briannas Freundin. War
es möglich, dass Arabella einen geheimen Treffpunkt für seine Frau
unterhielt, wo sie ihren Liebhaber treffen konnte? Colton grübelte
über diesen Zwischenfall mit zunehmender innerer Qual nach, von der
er hoffte, sie zeichne sich nicht in seiner Miene ab.
Er konnte bloß ein Stückchen Lammbraten vom
Teller aufspießen, kauen und schlucken. Es war perfekt zubereitet,
aber es schmeckte wie Sägemehl. Er spülte den Bissen mit einem
Schluck Wein herunter. »Ich verstehe«, murmelte er. »Wie geht es
der Countess?«
»Gut.«
Wieder eine einsilbige Antwort? Er wartete, dass
sie weitersprach, aber stattdessen nahm sie ein Stück Kartoffel mit
der Gabel auf. Wenn er sie fragte, ob Arabella bei ihrer Ankunft in
Gesellschaft gewesen sei, würde er zu misstrauisch klingen. Woher
sollte er davon wissen, wenn es ihm nicht jemand erzählt hatte? Es
quälte ihn, zum Schweigen verdammt zu sein.
Wann zum Teufel würde sie ihm endlich sagen,
dass sie in anderen Umständen war?
Er legte seine Gabel beiseite, weil er nicht
länger wenigstens so tun konnte, als wollte er etwas essen.
Vielleicht sollte er sie einfach fragen.
Vielleicht sollte er außerdem fragen, warum sie sich seit Kurzem in
seiner Gegenwart offensichtlich unwohl fühlte.
»Ich möchte gern meine Mutter und meinen Vater
besuchen. Ich glaube, ich werde morgen abreisen.« Seine Frau sprach
so leise, dass er die Worte fast nicht verstand. Im Kerzenlicht
warfen ihre langen Wimpern Schatten auf ihre perfekt geformten
Wangenknochen.
»Nein.« Das autokratische Verbot brach hervor,
ehe er es verhindern konnte.
Offensichtlich überrascht starrte Brianna ihn
an. »Ich … entschuldige bitte?«
Er musste sie in seiner Nähe haben, nur für den
Fall, dass er recht hatte. Was war, wenn ihr Liebhaber jemand war,
den sie schon vor ihrer Hochzeit gekannt hatte? Mit dem sie sich
jetzt, nachdem sie ihrem Mann ihre Jungfräulichkeit geschenkt hatte
und der Betrug nicht mehr entdeckt werden konnte, ungehindert in
eine leidenschaftliche Affäre stürzen wollte? Was war, wenn er ein
Freund ihrer Familie war, vielleicht ein Nachbar, und wenn sie
ihm zuerst von dem Kind erzählen
wollte?
Er quälte sich mit einem Dutzend verschiedener
Horrorszenarien. Eine unbarmherzige, grausame Stimme in seinem Kopf
erinnerte ihn daran, dass irgendwer sie
darin unterwiesen haben musste, wie sie ihn im Bett schier verrückt
machen konnte. Colton war es nicht. Wer dann?
Wenn man ihn zwang, die Situation mit
berechnender Logik
zu betrachten, konnte er zu keinem anderen Schluss kommen, außer
dass sie einen anderen Liebhaber hatte. Es bestand kaum Zweifel,
dass Brianna genau wusste, was sie tat.
Nun, er hatte es bereits ausgesprochen, dann
konnte er auch genauso gut seinen Standpunkt deutlich machen.
»Nein, ich gebe dir nicht die Erlaubnis.«
»Er… Erlaubnis?«, brachte sie mühsam hervor.
Ihre Leinenserviette glitt ihr aus der Hand und fiel zu
Boden.
»Du brauchst meine Erlaubnis. Und ich gebe sie
dir nicht.« Er betonte jedes einzelne Wort.
Er war kleinlich und verhielt sich wie ein
Tyrann, aber das war ihm egal. Schlafmangel und widerspenstige
Zweifel waren einer gewissen Zivilisiertheit nicht gerade
zuträglich.
»Colton«, flüsterte sie erschüttert. »Warum
wünschst du nicht, dass ich meine Eltern besuche?«
»Ich werde dich dorthin begleiten, wenn ich die
Zeit dafür habe.«
»Zeit? Du? Oh Gott, wann soll das sein? Sie
leben in Devon, das ist jeweils eine mehrtägige Reise. Ich musste
dich ja schon zwingen, nach Rolthven mitzukommen, und das ist von
London aus bequem zu erreichen.«
»Lästert Gott nicht in meiner Gegenwart, Madam.«
Jetzt war er wirklich anmaßend, aber seit Wochen hatte er über
nichts anderes als die mögliche Untreue seiner Frau gegrübelt, und
es fraß ihn innerlich auf. Sie hatte vollkommen recht, er war aber
nicht in der Stimmung, das einzugestehen.
Zwei rote Flecken erblühten auf ihren glatten
Wangen. »Colton, was um alles in der Welt stimmt nicht mit
dir?«
»Mit mir ist alles in Ordnung.«
»Ach, wirklich?« Brianna reckte ihr Kinn. In
ihren dunkelblauen
Augen blitzte Angriffslust. »Oder brauche ich jetzt schon deine
Erlaubnis, um anderer Meinung zu sein als
du?«
Sie hätte ihn nicht reizen dürfen. Nicht in
seiner aktuellen Stimmung. Er beugte sich vor und hielt ihrem Blick
stand. »Du solltest dir vielleicht merken, dass du für so ziemlich
alles, was du tust, meiner Erlaubnis bedarfst. An dem Tag, als wir
heirateten, hast du mir geschworen, mir treu zu sein und zu
gehorchen. Ich erwarte beides von dir. Du bist meine Frau und
stehst unter meinem Befehl.«
»Befehl?« Sie gab etwas von sich, das wie ein
hysterisches Lachen klang, genauso gut aber auch ein Schluchzen
sein konnte.
Es war vermutlich nicht das richtige Wort, aber
er war nicht in Hochform.
Das Eintreten eines Dieners, der die Teller
holte, und dem ein zweiter mit dem Dessert folgte, unterbrach ihre
Unterhaltung. Für den Augenblick war es ohnehin egal. Sobald die
Diener den Raum verlassen hatten, stand seine Frau auf.
»Entschuldige mich bitte.«
»Setz dich. Ich wünsche nicht, dass unsere
Bediensteten das Gerücht verbreiten, du würdest mich während des
Abendessens sitzen lassen.« Das stimmte auch. Die Probleme mit
seiner Frau waren eine private Angelegenheit. Es war demütigend
genug gewesen, Hudson gegenüber seine Zweifel zu äußern, als er den
Mann engagierte, ihr zu folgen.
Brianna sank zurück auf den Stuhl, ihr weicher
Mund zu einer rebellischen Linie verzogen. Sie betrachtete die
schaumige Schokoladenkreation auf ihrem Teller, als hätte ihr
jemand eine Natter vorgesetzt. »Zuletzt war mein Magen häufiger in
Aufruhr. Lässt es sich wohl mit deiner fürstlichen Zustimmung
vereinbaren, wenn ich nichts mehr esse? Oder muss ich es
herunterwürgen
und dann mit der Konsequenz leben, wenn ich es nicht bei mir
behalten kann?«
Ihre bittere Frage erinnerte ihn wieder an ihre
Schwangerschaft. Ob es nun seines war oder nicht, sie trug ein Kind
unter dem Herzen, und er war kein Monster, auch wenn er sich wie
eines verhielt. Colton neigte den Kopf. »Wenn du wünschst, das
Dessert auszulassen, ist das für mich in Ordnung. Aber du wirst
bleiben, während ich meins esse.«
Er hatte auch keinen Hunger mehr, aber ein
widernatürlicher Teil von ihm bestand darauf, dass er den Sieg
davontrug.
Sie blickte ihn an, als wäre ihm ein zweiter
Kopf gewachsen. Sie machte eine hilflose Geste. »Ich verstehe
wirklich nicht, warum du heute Abend so eine Laune hast. Und es
geht ja nicht nur um diese Mahlzeit. Es ist, als hätte ich etwas
falsch gemacht. Aber ich weiß nicht, was das sein könnte.«
Colton konnte nicht anders. Mit seidenglatter
Stimme fragte er sie: »Du hast nichts falsch gemacht, meine Liebe.
Oder?«
»Ob ich etwas falsch gemacht
habe? Was ist das für eine Frage?« Brianna starrte ihren Mann
mit unverhohlener Bestürzung an.
Er war ein Fremder, dieser Mann auf der anderen
Seite des Tisches, der sie aus kalten Augen musterte und zu viel
Wein trank. Als hätte sie ihm ein abscheuliches Verbrechen
gestanden. Es stimmte, Colton war selten warm und offen, aber heute
Abend wirkte er geradezu verschlossen.
War er glücklich über ihre mögliche
Schwangerschaft? Damien hatte ihr versichert, sein älterer Bruder
wäre außer sich vor Freude, und sie hatte auch vermutet, er wäre
hoch erfreut, da er einen Erben brauchte. Aber er hatte das Thema
ihr gegenüber mit keinem Wort erwähnt. Nicht ein verdammtes Wort.
Dass er
ihre Zofe befragte und nicht einen Ton zu ihr sagte, war
beunruhigend. Er wollte doch Kinder, oder nicht?
Vielleicht will er keine, dachte sie. Der Mut
verließ sie.Vielleicht glaubte er, ihr Zustand sei ungehörig und
unbequem. Schließlich würde sie in kurzer Zeit fett und
unansehnlich werden, und es wäre ihr nicht mehr gestattet, sich in
der Öffentlichkeit zu zeigen, weil sonst alle von ihren anderen
Umständen erfuhren. Einige Adelige kümmerten sich nie um ihren
Nachwuchs, sondern überließen es den Kindermädchen und
Gouvernanten, die Kinder aufzuziehen. Sie wurden im Kinderzimmer
und im Unterrichtszimmer gehalten, bis es an der Zeit war, sie
entweder zu einer Schule zu schicken oder sie mit einem Mann zu
verheiraten, dem die Eltern die Verantwortung übertrugen.
Sie hatte sich einfach nicht vorstellen können,
dass Colton so reagieren würde. Besonders jetzt nicht, da ihr
Verdacht bestätigt und die Schwangerschaft real war. Die
Vorstellung, er könne ihre Freude nicht teilen, war zutiefst
beunruhigend. Und weil er in so merkwürdiger Stimmung war, zögerte
sie, ihm davon zu erzählen. Aus genau diesem Grund hatte sie
Arabella gebeten, einen diskreten Termin mit einem Arzt in ihrem
Stadthaus zu arrangieren, statt ihren eigenen Doktor zu rufen.Wenn
sie nicht schwanger war, warum sollte sie dann noch mehr Spannungen
zwischen ihnen fördern? Aber der Arzt hatte ihre Vermutung
bestätigt, und sie würde es ihrem Mann bald erzählen müssen.
Er betrachtete sie ohne sichtbare Emotionen.
»Ich habe nicht gesagt, du hättest etwas falsch gemacht. Es sind
deine Worte, nicht meine.«
Fassungslos blickte sie ihn an.
Es klang vielleicht kindisch, aber Brianna
wollte zu ihrer Mutter. Es konnte sein, dass sie ihre Tochter nicht
allzu gut darauf
vorbereitet hatte, was in der Hochzeitsnacht auf sie zukam. Aber
ihre Mutter liebte Kinder, und sie wäre erfreut, wenn sie die
Neuigkeit erfuhr. Brianna brauchte das. Sie brauchte das Gespräch
mit jemandem, der wusste, wie sich die Dinge bis zur Geburt
entwickeln würden. Jemand, der ihr Glück teilen würde, jemand, der
sie gleichermaßen beraten und verhätscheln konnte. Rebecca und
Arabella waren wunderbare Freundinnen, aber sie hatten keine Kinder
und konnten ihr kaum helfen. Lea hatte ihr eine hastig
hingekritzelte Nachricht geschickt, dass eines der Kinder krank
sei, und sie erwarte, der ganze Haushalt werde bald krank
darniederliegen. Lea wollte sich melden, sobald die Krankheit
vorbei war, aber im Moment konnte Brianna nicht einmal mit ihrer
Schwester reden. Devon klang himmlisch, zumindest, bis diese Wolke
über ihrer Ehe sich verzogen hatte.
Colton hatte ihr bloß gerade verboten zu reisen.
Schlimmer noch, er meinte es genau so. Sie war nicht sicher, ob sie
je erlebt hatte, dass er in so arrogantem Tonfall mit ihr
sprach.
Es war völlig untypisch für ihn. Er war um sie
besorgt, er war großzügig und jederzeit ein Gentleman. Aber jetzt
saß er ihr gegenüber, so weltgewandt und attraktiv in seinem
Abendanzug, den er sogar zu Hause zum Dinner trug. Sein
kastanienbraunes Haar glänzte im flackernden Kerzenschein, und
seine schlanken Finger umspielten unaufhörlich den Stiel seines
Weinglases. Er war ganz der diktatorische Ehemann.
Sie war verwirrter als je zuvor.
Die krampfhafte, nervöse Bewegung seiner
eleganten Finger sagte ihr etwas. Dieses Ruhelose passte nicht zu
seinem normalen Verhalten. Unwillkürlich stieß sie hervor: »Damien
hat mir gesagt, ich werde vielleicht ein Kind bekommen. Und es
stimmt.«
Die Augenbrauen ihres Mannes schossen hoch, und
sein Blick wurde noch kälter. Frostig würde es treffen. »Was? Woher
zum Teufel soll Damien das wissen?«
Das war ungeschickt, dachte sie. Innerlich
verzog sie das Gesicht. Da Colton gerade das erste Mal überhaupt in
ihrer Gegenwart geflucht hatte, schien er im Grunde ihrer Meinung
zu sein. Brianna beruhigte sich. Sie versuchte, ihrer Stimme einen
angemessenen Klang zu geben. »Er hat es vermutet, nachdem ich mich
letztens fast auf seine Schuhe übergeben habe. Bitte sag mir nicht,
es sei für dich eine Überraschung. Ich weiß, du hast meine Zofe
befragt.«
Wieder legte sich ein Schweigen über dem Tisch,
das den anderen hundert stillen Momenten glich, die an diesem Abend
dicht aufeinanderfolgten. Gut gemacht,
dachte sie bissig. Das Wort übergeben beim
Dinner zu erwähnen, war bestimmt ein Fehltritt der schlimmsten
Sorte.
So hatte sie es sich nicht vorgestellt, ihm
davon zu erzählen.
»Ich habe mich gefragt, ob du vielleicht
schwanger bist.« Coltons Gesicht glich einer Granitstatue. »Darum
habe ich ein paar Fragen gestellt, das stimmt.«
»Warum hast du nichts gesagt?« Ihre beschämende
Unwissenheit wurmte sie, und es wäre ihr viel lieber gewesen, ihr
Mann hätte sie gefragt, ob die Möglichkeit einer Schwangerschaft
bestand. Und nicht ihr Schwager.
»Ich habe darauf gewartet, dass du mir davon erzählst.«
Etwas in ihr krümmte sich bei seinen scharfen
Worten zusammen. Brianna kämpfte gegen die Tränen, die in ihren
Augen brannten. »Du bist nicht glücklich darüber.«
»Red keinen Unsinn. Natürlich freue ich
mich.«
Freute er sich wirklich? Erleichterung
überflutete sie, aber
noch immer glaubte sie ihm nicht. Er sah aus wie jemand, der
gleich seinen Kopf auf den Richtblock legen sollte. »Aber was
stimmt dann nicht?«
»Ich bin nicht sicher.«
Hätten zwei Menschen eine nebulösere
Unterhaltung führen können, die dennoch so sehr mit Gefühlen
aufgeladen war?
Sie hatte das Gefühl, sie war diejenige, die
angegriffen worden war, aber zugleich hatte sie den Eindruck, es
ging ihm auch so.
»Colton, ich habe einen Arzt aufgesucht.Wir
werden ein Kind haben. Sollten wir das nicht feiern, statt zu
streiten?« Ihre Stimme war leise, und ein verräterisches Zittern
schwang darin mit, von dem sie wünschte, es vor ihm verbergen zu
können.
Einen Moment lang veränderte sich seine Miene,
und sie sah einen verletzlichen Zug, der kaum zu dem hochmütigen
Aristokraten oder privilegierten Lord passte. Er war bloß ein Mann
und in dieser Frage zudem verunsichert. Sie merkte, wie nicht nur
sie Unsicherheit befiel, weil ein neues Leben in ihr wuchs, sondern
die neue Verantwortung ihn ähnlich beeinflusste. Er wirkte stets so
stark, als bräuchte er keine Führung. Daher hatte sie geglaubt, er
hätte seine Gefühle jederzeit unter Kontrolle.
Seine Finger ruhten nun auf dem Weinglas, und
als er sprach, klang seine Stimme erschöpft. »Ich glaube, ich muss
mich bei dir entschuldigen. Mein Verhalten heute Abend war
ungehobelt.«
Azurblaue Augen blickten sie an. Ihr Herz setzte
einen Schlag aus. Sie glaubte nicht, er habe sie je zuvor so
schmerzlich flehend angesehen.
Er war tatsächlich unerträglich ungehobelt
gewesen, und sie fragte sich noch immer nach dem Grund.
Aber das zählte jetzt nicht. Sie liebte ihn. Sie
würde die Mutter seines Kindes werden. »Ich habe dich so sehr
vermisst«, sagte
sie leise. »Mehr als du dir vorstellen kannst. Ich bin noch immer
nicht sicher, warum wir streiten, aber ich weiß genau, dass ich es
nicht ertrage, noch eine Nacht allein zu verbringen.«
»Ich stimme dir zu.« Seine Stimme war heiser,
als er seine Serviette beiseitewarf und aufstand. Er streckte seine
Hand nach ihr aus. Die Geste war nicht herrisch, sondern ein
Zeichen ihrer Übereinkunft. »Lass uns nach oben gehen.«
Er verzehrte sich so verzweifelt nach ihr, dass
es ihm Angst machte.
Seine Hand lag auf ihrem unteren Rücken, als
Colton sie die Treppe hinaufgeleitete. Er hoffte, Brianna konnte
seinen intensiven Hunger nicht spüren. Seine Finger zitterten
leicht, und er hörte seinen raschen Atem.
»Mein Schlafzimmer«, sagte er kurz angebunden.
Es war eine besitzergreifende Entscheidung, die von seinen
Gefühlsschwankungen noch befeuert wurde. Sein Bett, sein Raum, sein
Körper, der ihren für sich beanspruchte …
Seine wunderschöne Frau, sein Kind. Es musste einfach so sein.
Brianna nickte bloß. Ihr Duft war berauschend,
ein Versprechen von warmer, weicher Haut und seidigem, parfümiertem
Haar. Colton öffnete ihr die Tür und folgte ihr ins Schlafzimmer.
Er hatte die Tür kaum hinter ihnen geschlossen, als er sie in die
Arme nahm. Er schluckte ihr überraschtes Keuchen, als sein Mund
ihren fast gewaltsam für sich beanspruchte. Etwas Urwüchsiges lag
in der Kraft seiner Gefühle, die ihn gepackt hatten. Etwas, das
sich seiner Herrschaft entzog. Wenn er dagegen ankämpfte, könnte es
sein, dass er die Kontrolle vollends verlor, und diese Erfahrung
war in seinem Leben einzigartig. Wenn es
eines gab, das er beherrschte und wirklich gut konnte, dann war
es, das Kommando über seine Gefühle zu haben.
Wenn er mit Brianna zusammen war, war das nicht
so. Er war verhext, verzaubert und völlig perplex, wenn es um seine
liebliche Frau ging. Immer wenn er glaubte, er würde sie verstehen,
fand er heraus, dass er sich schon wieder geirrt hatte. Dieser
Abend war dafür ein perfektes Beispiel. Noch vor wenigen Minuten
war er ein Despot gewesen, für dessen Verhalten es keine
Entschuldigung gab. Und doch erwiderte sie jetzt seine Küsse mit
einer Inbrunst, die seinem wilden Verlangen entsprach. Sie zitterte
unter ihm. Sie hätte wütend auf ihn sein sollen. Er verdiente
das.
Wenn sie unschuldig war.
Seine Hände fingerten an ihrem Kleid herum,
öffneten Knöpfe, teilten Stoff und fanden ihre nackte Haut. Ihre
Lippen waren weiter aufeinandergepresst, und ihre Hände schoben
sich unter sein Jackett und legten sich auf seine Brust. Eine
kleine Handfläche ruhte direkt über seinem Herzen, und er war
sicher, sie konnte den tobenden Herzschlag spüren, als er ihr Kleid
über ihre Schultern schob.
»Ich habe dich so vermisst«, murmelte Brianna an
seinem Mund.
Er hatte sie natürlich auch vermisst, und sein
harter Schwanz stimmte ihm darin zu. Die selbst auferlegte
Enthaltsamkeit der letzten Tage war eine Taktik gewesen, damit er
seine Zweifel nähren konnte – von denen er geglaubt hatte, er könne
sie unmöglich aufrechterhalten, wenn er ihr Bett teilte.
Das Problem war, er hatte bisher nichts anderes
herausgefunden außer der erschreckenden Erkenntnis, dass er nicht
ohne sie leben konnte.
Colton zog ihr das Unterhemd aus. Er kniete zu
ihren Füßen nieder und half ihr aus den Schuhen und Strümpfen. Er
machte kurzen Prozess mit den Kleidungsstücken, ließ seine Finger
leicht über ihre nackten Waden hinauftanzen, über die Innenseite
ihrer Knie wandern, bis er ihre Oberschenkel und Hüften erreichte.
Sie sah aus wie immer, dachte er und fragte sich, wann er das erste
Mal bemerken würde, wie das neue Leben in ihrem Körper wuchs. Ein
neues Leben, auf das er Anspruch erhob. Dem er seinen Namen geben
würde. Alles andere stand außer Frage, und es konnte kein Zweifel
bestehen, dass, was auch immer sonst passierte, es eine recht hohe
Wahrscheinlichkeit gab, dass dieses Kind seines war. Er küsste
ihren noch flachen Bauch. Sanft und zärtlich drückte er ihr seinen
Mund auf.
»Oh, Colton«, flüsterte sie. Ihre Finger
berührten leicht sein Haar.
»Steig ins Bett«, befahl er und erhob sich
rasch. Der Anblick ihres nackten Körpers und die kleidsame Röte,
die sich im flackernden Licht auf ihrer Haut ausbreitete, ließen
seine Erregung wachsen. Er fügte hinzu: »Deck dich nicht zu. Ich
will dich betrachten, während ich mich ausziehe.«
Sie fügte sich und legte sich auf das große
Bett. Ihre herrlichen Brüste waren sichtbar straff, die Nippel
rosig und hart. Sie waren größer, bemerkte
er, als er sie mit hitzigen Blicken betrachtete, während er seine
Krawatte löste. Das gerundete Fleisch war voller – obwohl ihre
Brüste schon vorher üppig geformt waren – und die dünnen, blauen
Venen unter ihrer fast durchsichtigen Haut besser sichtbar. Die
Anzeichen der Veränderung machten ihre Schwangerschaft für ihn
wirklicher und unmittelbarer.
Um sich wieder den Anschein von Ruhe zu geben,
nahm
Colton sich Zeit. Er zog jedes Kleidungsstück mit Bedacht aus und
zwang seinen Verstand, sich auf nichts anderes zu konzentrieren
außer den verlangenden Glanz in den Augen seiner Frau und den
ungeduldig nach ihm ausgestreckten Armen, als er sich auf dem
riesigen Bett zu ihr gesellte.
Es war der richtige Zeitpunkt, den komplexen
Strudel der Gedanken niederzuringen und sich nur auf die
körperlichen Empfindungen zu konzentrieren. Sie war bei ihm, sie
gab sich ihm hin. Sie war so weich und so verdammt schön …
»Küss mich«, hauchte sie atemlos. »Liebe
mich.«
Ihre Worte ließen ihn zögern, als er seinen Kopf
senkte, um seinen Mund auf ihren zu legen. Als er seine Lenden
zwischen ihre geöffneten Schenkel schob.
Wenn er das hier tat, würde er sie wirklich
lieben, wurde Colton schockartig bewusst. Es ging nicht länger um
Leidenschaft oder um die Erfüllung ehelicher Pflichten. Oder um
einen der zahllosen anderen Gründe, warum Männer und Frauen sich
auf die älteste bekannte Art begegneten.
Ich liebe sie.
Wenn er sie nicht liebte, wäre er eher wütend
über einen möglichen Betrug. Er wäre erzürnt, weil sein Stolz
beleidigt worden wäre. Er würde vielleicht sogar Rache fordern.
Aber keines dieser Gefühle drängte sich ihm gerade auf. Rache war
das Letzte, wonach ihm der Sinn stand, sein Stolz möge verdammt
sein, und was die Wut betraf, war es nicht das richtige Wort, um
seine Gefühle zu beschreiben.
Er hatte Angst. Angst, sie zu verlieren. Oh,
nicht im wörtlichen Sinne. Er konnte sie behalten, egal was
passierte. Sie war seine Frau, er war der Duke und verfügte über
Macht und Einfluss. Nein, er brauchte mehr.
Er wollte sie ganz.
Sie war nass und für ihn bereit, ihr Körper war
auf die Vereinigung mit seinem vorbereitet. Er konnte die heiße
Nässe spüren, als er seinen Penis gegen sie drückte. Ihr Körper gab
seinem willig nach, als er prüfte, ob sie ihn willkommen hieß. Ihre
Hände krallten sich in seine Pobacken, sie drängte ihn ohne Worte,
sie zu nehmen.
Am Abend seines Geburtstags hatte sie ihn
sinnlich und erregend geliebt. Zärtliche Küsse, raffinierte
Bewegungen und anzügliche Liebkosungen hatten sich abgewechselt.
Colton wollte jetzt dasselbe mit ihr tun, wollte langsam in ihren
Körper eindringen, wollte sie auf die Schläfe küssen, auf ihren
Kiefer und die verlockende Biegung ihres Halses. Als sie eins
waren, schob er sich vor, ließ sie vor Lust leise aufschreien. Ihr
Unterleib kam ihm entgegen, sodass er auf die richtige Stelle Druck
ausüben konnte.
Und sie erbebte als Antwort unter ihm.
Selbstlos machte er in diesem erotischen,
gemäßigten Rhythmus weiter. Ihre Lust war sein Ziel. Leichter
Schweiß brach auf seiner Stirn aus. Er hielt sich zurück, bis
Brianna sich wild unter ihm wand und in rasender Ekstase aufschrie.
Ihr Schrei hallte von den Wänden des Schlafzimmers wider. Erst dann
folgte er ihr. Sein Höhepunkt war intensiv, erfüllte ihn mit
Entzücken. Satt und erschöpft sank er danach neben sie.
Später lag Colton in der Dunkelheit, seine Frau
schlafend in seinen Armen. Ihr Körper schmiegte sich warm und weich
an seinen, ganz weibliche Kurven, und ihr Atem strich leise gegen
seinen Hals.
Er liebte sie, und es war nicht nur eine
körperliche Liebe.
Bei Gott, er liebte
sie.
Was auch immer er sich von dieser Ehe erhofft
hatte, das hier hatte nicht dazugehört.
Wie konnte sie auf ihn mit so einer Begeisterung
reagieren? Wie konnten ihre Körper so sehr harmonieren, grübelte
er, wenn sie ihn betrogen hatte? Wie konnte sie ihn mit so viel
Unschuld im Blick anschauen, wenn sie in Wahrheit eine Jezebel war?
Wie konnte sie sich mit unverhohlener Hingabe an ihn klammern, wenn
sie sich nach einem anderen sehnte?
Er glaubte nicht, dass er so vernarrt in sie war
und sich von einer Fassade täuschen ließ. Aber er war noch nie in
einer ähnlichen Situation gewesen. Es stimmte, sein Verhalten beim
Dinner hatte sie eher in Erstaunen versetzt. Sie wirkte nicht
schuldbewusst. Verletzt, aber nicht achtsam.
Hätte sie ihm von der Schwangerschaft erzählt,
wenn sie sich nicht gestritten hätten? Das war die Frage, die er im
Hinterkopf behielt. Sie hatte ihn bereitwillig mit ins Bett
genommen, um ihre Differenzen aus dem Weg zu räumen. Sein
körperlicher Hunger auf sie war eine Schwäche – hatte sie diese
Schwäche ausgenutzt, um seine Aufmerksamkeit abzulenken?
Gott, er hasste diesen Krieg, der in ihm
herrschte.
Brianna regte sich, ehe sie wieder in
friedlichen Schlaf versank. Colton spielte mit einer goldenen Locke
und spürte die Seide zwischen seinen Fingern.
Obwohl er verdammt müde war, hatte er das
Gefühl, der Schlaf bliebe ihm erneut verwehrt.Wenigstens blieb ihm
das Vergnügen, sie in Armen zu halten, dachte er und zog sie näher
an sich. Es war eine einfache Sache, aber nachdem er die Innigkeit
seiner Gefühle für sie entdeckt hatte, war es für ihn
wichtig.
Er hoffte bloß, es war nicht der größte Fehler
seines Lebens, dass er sich in seine Frau verliebt hatte.