Kapitel 13
Es ist mein fester Glaube, dass Frauen tiefere
Liebe empfinden und Männer heftigere Liebe. Wo liegt der
Unterschied? Ich bin nicht sicher, wie ich ihn definieren
soll.
Aus dem Kapitel »Das große Mysterium«
Es war wohl kaum der richtige Zeitpunkt, um krank
zu werden, dachte Brianna bestürzt, als sie im Bett lag und zusah,
wie die Sonne langsam ins Zimmer kroch. Schon der Geruch der
frischen Blumen in der Vase neben ihrem Bett war übermäßig süß und
überwältigend. Natürlich war die Party fast vorbei, und die Gäste
würden morgen abreisen, aber heute war Coltons Geburtstag, und sie
hatte geplant, ihm heute Abend sein Überraschungsgeschenk zu
überreichen. Kein guter Zeitpunkt, um einen empfindlichen Magen zu
haben.
Dieses mulmige Gefühl war der Romantik nicht
gerade zuträglich.
»Nur heißen Tee und etwas Toast«, erklärte sie
ihrer Zofe. Sie setzte sich auf und lehnte sich gegen die Kissen,
die in ihren Rücken gestopft waren. Ihr Lächeln war matt. »Und ich
würde gern baden.«
»Natürlich, Euer Gnaden.« Das Mädchen machte
einen Knicks und eilte davon.
Es war eine Erleichterung für sie, dass sie sich
eine Stunde später schon viel besser fühlte. Der Toast blieb im
Magen, doch auch das war fraglich, bis der Tee ihre Übelkeit zu
vertreiben schien. Obwohl sie überlegt hatte, den Gedanken an einen
morgendlichen
Ausritt am Fluss mit anschließendem Picknick, den sie so
sorgfältig geplant hatte, zu verwerfen, zog sie schließlich doch
ihr neues Reitkleid an. Es war die Feier ihres Mannes, und weil sie
das alles ihm zu Ehren geplant hatte, wollte sie nicht nur den Tag
genießen, sondern auch dafür sorgen, dass alles plangemäß
vonstatten ging.
Besonders der Abend.
Wenn sie es wagte.
Lady Rothburg war bisher ein wahrer Quell an
Wissen gewesen, und auch wenn manches mehr als nur etwas verrucht
klang, um ihren Vorschlägen in jedem Fall zu folgen, war sie
gewillt, alles zu tun, von dem sie glaubte, dass Colton es genießen
könnte.
Brianna richtete ihren Hut und warf einen
letzten, prüfenden Blick in den Spiegel. Das mitternachtsblaue
Reitkleid passte gut zu ihren Augen. Sie ging nach unten. Zu ihrer
Überraschung war Colton bereits in den Ställen und unterhielt sich
mit einem der Stallburschen. Sein großes, schlankes Pferd stand
gesattelt neben ihm.
Er drehte sich zu ihr um, als sie auftauchte.
Sein kastanienbraunes Haar wurde von der sanften Brise leicht
zerzaust, und seine azurblauen Augen musterten sie prüfend. Gefiel
ihm, was er sah? Sie war nicht sicher. Es war nie leicht, die
oftmals so undurchdringliche Miene ihres Mannes zu lesen.
Brianna hatte ihn immer für einen attraktiven
Mann gehalten, doch heute Morgen sah er überwältigend gut aus. Für
den Ausritt hatte er sich wie ein Gutsherr gekleidet und auf die
Krawatte verzichtet. Sein Hemd stand am Hals offen, seine Jacke war
von einem dunklen Blau, das zu ihrem Kleid passte, und seine
Reithose aus Gemsleder war maßgeschneidert und in die Reitstiefel
gesteckt, die zwar bereits ausgetreten, aber auf Hochglanz poliert
waren. Aus unerfindlichem Grund war sie plötzlich nervös und
begrüßte ihn atemlos: »Guten Morgen.«
»Guten Morgen.« Er musterte ihre Kleidung. »Du
siehst so hübsch aus wie immer, Liebste.«
Da war er wieder. Dieser Blick, mit dem er sie
zuletzt ein paarmal bedacht hatte. Sie fand es verwirrend. Es war
fast so, als würde er sie absichtlich beurteilen, und sie war
verunsichert, warum er das tat. »Danke«, murmelte sie. »Ich muss
gestehen, ich habe nicht erwartet, dass du dich zu uns
gesellst.«
Sein Lächeln war kaum mehr als ein Verziehen der
Lippen. »An einem so wunderschönen Morgen wie heute auszureiten,
ist doch viel angenehmer als Steine, entrüstete Raupen und Stöcke
zu sammeln. Außerdem ist heute mein Geburtstag, und ich habe den
Eindruck, meine Frau könnte mich ausschimpfen, wenn ich den ganzen
Tag in meinem Arbeitszimmer bleibe.«
Sein leichtfertiger Tonfall verunsicherte sie,
und Brianna biss sich auf die Unterlippe. Die meisten Gäste hatten
bereits ihre Pferde bestiegen, und sie wandte sich ab, um nach
ihrer Stute zu verlangen. Sie war etwas überrascht, als einer der
Stallburschen ein ruhiges, älteres Pferd herausführte. Colton
bemerkte mit milder Stimme: »Ich habe gehört, dass du dich heute
früh nicht wohlfühltest. Hera ist vielleicht etwas zu lebhaft. Ich
habe darum gebeten, ein ruhigeres Pferd für dich zu satteln.«
Sie blinzelte überrascht, weil er wusste, dass
sie unpässlich gewesen war. Sie hatte sogar ihrer Zofe nichts
anderes gesagt, außer dass sie das einfachste Frühstück bestellt
hatte.Wie zum Teufel konnte er wissen, was sie aß, wenn nicht der
Koch oder ihre Zofe zu ihm lief und ihm nach jeder Mahlzeit Bericht
erstattete? Bestimmt überwachte ihr Mann sie nicht so
penibel.
Er streckte die Hand nach ihr aus und
betrachtete sie erwartungsvoll. »Brianna?«
»Ja.« Sie legte ihre behandschuhte Hand in seine
und ließ sich von ihm zum Pferd führen und in den Sattel helfen.
Sie nahm die Zügel und blickte zu ihm herunter. Noch immer war sie
ein wenig verwirrt. Seine Fürsorge war nicht gänzlich untypisch für
ihn, denn er war immer höflich. Aber sein Auftauchen zu diesem
Ausritt und das Glitzern in seinen Augen überraschten sie.
»Bist du sicher, dass du dich gut genug
fühlst?«
»Um ein Pferd zu reiten?« Sie lächelte und
schüttelte den Kopf. »Natürlich. Mein Gott, Colton. Warum sorgst du
dich so sehr um mich?«
»Ich sorge mich immer um dich, Liebste.« Er
schwang sich anmutig in den Sattel und erinnerte sie wieder daran,
dass unter den maßgeschneiderten Kleidern ein wohlgeformter Körper
steckte. »Wollen wir?«
Er führte die Gruppe durch den Park und über ein
paar landschaftlich reizvolle Straßen. Er wirkte so
selbstverständlich und athletisch auf seinem Pferd, während er die
ganze Zeit mit Lord Emerson plauderte. Aber er war sich die ganze
Zeit ihrer bewusst.
Woher sie das wusste? Sie war nicht sicher.
Brianna konnte es fühlen. Er beobachtete
sie sogar, während sie neben Arabella ritt.
Weil Brianna spürte, dass er ihr mehr
Aufmerksamkeit als sonst schenkte, sprach sie mit gesenkter Stimme.
»Rebecca hat es abgelehnt, mitzukommen, weil sie wünscht, für heute
Abend noch ein wenig zu üben. Das hat sie zumindest behauptet. Ich
glaube, sie ist zwar im Musikzimmer, aber sie spielt nicht. Sie
liest.«
Arabella unterdrückte hinter ihrer
behandschuhten Hand ein Lachen. »Du übst einen schlechten Einfluss
auf sie aus, Bri.«
»Oder einen guten. Du und ich haben das Glück,
dass wir mit Männern verheiratet sind, die wir uns ausgesucht
haben.«
»Stimmt.« Ihre Freundin warf ihr einen
Seitenblick zu. »Und beide sehen heute früh sehr gut aus, wenn ich
das so sagen darf. Hast du den Duke erwartet?«
»Nein«, gestand Brianna. »Ich war sicher, dass
er zu beschäftigt sein würde, nachdem ich ihn dazu gebracht hatte,
seinen gestrigen Morgen zu opfern. Ich habe ihm gegenüber das
Picknick nicht einmal erwähnt.«
»Und doch hat er sich offenbar selbst
eingeladen.« In Arabellas Augen blitzte etwas Verschmitztes auf.
»Vielleicht will er uns einfach begleiten. Ich glaube, er genießt
die Festlichkeiten in gewissem Maße schon.«
Brianna hoffte es. Aber bei Colton war das, wie
immer, schwer zu beurteilen.
Sie waren nur zu acht. Die meisten Gäste hatten
beschlossen, auszuschlafen oder einen Spaziergang zu machen, weil
das herbstliche Wetter ungewöhnlich warm war. Brianna ließ ihr
Pferd im Schritt gehen. Sie war nicht unzufrieden mit dem ruhigen
Tempo, das sie anschlugen. Aber es überraschte sie. Gewöhnlich
hatte Colton es eilig, wieder zu seinen ständig präsenten Pflichten
zurückzukehren. Sie war in Wahrheit ein wenig verlegen, weil sie
ihn nicht persönlich zum Picknick eingeladen hatte. Sie hatte sich
einfach nicht vorstellen können, dass er zustimmte, und sie hatte
ihn zu der Schnitzeljagd am Vortag nur überreden können, weil es
seiner Großmutter so viel Freude bereitete.
Aber er war von selbst gekommen. Das allein
hielt sie bei Laune, und als sie an der für den Lunch vorgesehenen
Stelle anlangten, streckte sich ihr mysteriöser Ehemann neben ihr
auf
der Decke aus. Er wirkte entspannt und offensichtlich sehr
zufrieden.
Colton? Zufrieden, obwohl er nicht in seinem
Arbeitszimmer saß, sondern inmitten einer Gruppe Leute, die zur
Mittagsstunde ein Picknick genossen?
Es war wirklich ungewöhnlich. Aber sie war hoch
erfreut.
Zwei Lakaien waren mit Geschirr, Tischdecken und
Essen vorausgeschickt worden. Unter den ausladenden Ästen einer
Eiche servierten sie kaltes Hühnchen, Fleischpasteten, verschiedene
Sorten Käse, reife Birnen und knackige Äpfel. Gekühlter Weißwein
und Champagner gaben dem ungezwungenen Mahl etwas Festliches, und
Brianna war für das schöne Wetter dankbar. Es war für England
ungewöhnlich, dass es so viele Tage hintereinander schön blieb.
Neben ihr und Colton, Lord Emerson und der älteren
Campbell-Schwester hatten sich auch Damien, Mrs. Newman, Arabella
und ihr gut aussehender Mann, der Earl of Bonham, der Gruppe
angeschlossen. Brianna war geradezu ausgehungert, nachdem sie zum
Frühstück so wenig gegessen hatte, und als sie nach einem zweiten
Stück Fleischpastete fragte, hoben sich Coltons Augenbrauen.
Dennoch hielt er ihr hilfsbereit den Teller mit den Pasteten
hin.
»Sie schmecken einfach köstlich«, brachte sie zu
ihrer eigenen Verteidigung vor. Aber sie lachte auch. »Siehst du?
Das beweist doch, dass ich mich inzwischen wieder erholt
habe.«
»Sieht ganz so aus.« Er nippte an seinem Wein
und beobachtete, wie sie recht unelegant die Krümel von ihren
Fingern leckte. Ein halbes Lächeln hob seinen Mundwinkel, und seine
azurblauen Augen wurden von Wimpern beschattet, die eigentlich zu
lang waren, um an einen Mann verschwendet zu werden. Es war so
warm, dass die meisten Herren ihre Jacketts abgelegt hatten.
Sogar Colton trug nur sein weißes, langärmeliges Leinenhemd zu
Reithose und Stiefeln, und er unterstrich damit seine ungewöhnlich
entspannte Haltung.
Er sah glücklich aus, befand Brianna. Das
Sonnenlicht fiel durch das Blätterdach und sprenkelte die klare
Linie seiner Nase und seines Kinns. Nein, vielleicht ging das zu
weit, aber er sah auf jeden Fall zufrieden und entspannter aus, als
sie ihn je erlebt hatte – außer in den Minuten, nachdem sie sich
geliebt hatten. Brianna überlegte, ob sie noch einen Apfel essen
sollte, entschied sich dagegen und bemerkte: »Das war überraschend
lecker. Vielleicht ist es auch die frische Luft, die alles so gut
schmecken lässt.«
»Vielleicht.« Colton streckte die Hand nach ihr
aus. Mit einem Finger streichelte er ihren Mundwinkel. Es war eine
überraschend intime Geste vor all den anderen. »Nur ein verirrter
Krumen, meine Liebe. Wir können doch nicht jeden wissen lassen,
dass du eine Vorliebe für Schweinepasteten entwickelst.«
»Ich habe auch zu viel gegessen«, sagte Belinda
Campbell. Sie war eine hübsche, junge Frau mit funkelnden, dunklen
Augen und einer kurvigen Figur. »Ich glaube, ich mache lieber einen
kleinen Spaziergang.«
Lord Emerson konnte kaum den Blick von ihr
lassen, als er auf die Füße kam und ihr seine Hand darbot. »Ein
großartiger Vorschlag. Wollen wir?«
Arabella stieß ihren Mann in die Rippen, was er
mit einem leisen Grunzen quittierte. »Lass uns da vorne zum Fluss
gehen. Der heutige Tag ist so herrlich, und bald kommt der Winter.
Ich hasse es, monatelang im Haus eingesperrt zu sein. Ich werde mir
diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.«
»Dann sollten wir auf jeden Fall mitgehen.
Jedenfalls, wenn du
mich nicht zwischenzeitlich verletzt.« Lord Bonham rieb
theatralisch seinen Bauch.
Damien und Mrs. Newman beschlossen, gemeinsam
zurück zum Haus zu reiten. Nach wenigen Augenblicken waren Brianna
und Colton recht einsam. Es war unglaublich, aber sie merkte, dass
sie schon wieder schläfrig wurde.Vielleicht lag es an dem ganzen
Essen; vielleicht war es auch der Wein, obwohl sie nicht so viel
getrunken hatte.
»Ich glaube, ich muss gestern zu lange wach
geblieben sein. Oder liegt es vielleicht daran, dass die Party sich
dem Ende zuneigt und ich nicht mehr jede Einzelheit sorgfältig
überwachen muss?«, murmelte Brianna. »Ich habe heute Morgen lange
geschlafen, und dennoch könnte ich schwören, dass ich jeden Moment
einnicke.«
»Wenn du ein Nickerchen machen möchtest,
solltest du das auf jeden Fall tun. Hier.« Colton erhob sich mit
einer fließenden Bewegung und lehnte sich mit dem Rücken gegen den
Baumstamm. »Darf ich Euch einen bequemen Schlafplatz darbieten,
Mylady? Meine Schulter steht Euch als Kissen zur Verfügung.«
Brianna blickte auf seine ausgebreiteten Arme.
Sie konnte es nicht glauben. Ihr strenger Mann, der nicht an
öffentliche Zurschaustellung von Zuneigungen glaubte, bot sich ihr
so an? Nun war Rolthven Park nicht gerade mit einer geschäftigen
Straße im Zentrum Londons zu vergleichen, aber es war auch nicht
die Intimität eines ihrer Schlafzimmer.
Aber wie konnte sie sich dieser höflichen Geste
erwehren, selbst wenn er sich merkwürdig verhielt? Sie rutschte zu
ihm hinüber, bis sie sich an seinen Schoß schmiegen konnte. Seine
muskulöse Schulter war tatsächlich ein angenehmes Kissen. Sie
kuschelte sich an ihn, und seine Arme umschlossen sie. Er roch
wunderbar, leicht würzig: ein waldiger Geruch, der so gut zu der
Umgebung aus Gras und Bäumen passte. Eine Brise flüsterte über
ihren Köpfen in den Baumwipfeln, und sie schloss die Augen. Sie
fragte sich, ob sie dieses Glück verdiente. Ein schöner Tag, den
sie geborgen in der Umarmung ihres Mannes verbringen durfte,
während ein kühler, herbstlicher Wind sie umschmeichelte.
Himmlisch.
Colton zeigte wirklich ganz neue Seiten, dachte
sie schläfrig.
Und im nächsten Moment war sie auch schon
eingeschlafen.
»Ich hoffe, ich halte dich nicht von deinem
normalen Tagesablauf ab.«
Als Antwort auf Coltons Frage gab seine
Großmutter ein Geräusch von sich, das einem undamenhaften Schnauben
recht ähnlich klang, obwohl er nie wagen würde, es mit diesen
Worten zu umschreiben. »Also bitte, Colton. Du bist doch derjenige,
der immer in die Angelegenheiten des Anwesens und politische
Besprechungen verstrickt ist. Und was da sonst noch ständig deine
Aufmerksamkeit fordert. Ich vermute, diese Zusammenkunft hält eher
dich von etwas ab, nicht mich.«
Das stimmte. Der morgendliche Ausritt und das
Picknick hatten ihn Stunden gekostet, aber darum sorgte er sich im
Augenblick nicht. Er wählte einen Stuhl im Salon seiner Großmutter,
der nicht zu zerbrechlich für seine Größe und sein Gewicht wirkte.
Die eher weiblich geprägte Einrichtung war in Pastelltönen
gehalten. Ein Porträt seines Großvaters, gemalt von Thomas
Gainsborough, hing über dem offenen Kamin. Die Familienähnlichkeit
war kaum zu leugnen.
»Also dann«, sagte seine Großmutter und verengte
ihre blassblauen Augen. »Was führt dich zu mir?« Sie wedelte mit
einer dünnen Hand. Ihr Gehstock lehnte an ihrem Knie. »Nicht, dass
ich etwas dagegen einzuwenden habe. Aber ich bin überrascht.«
Verflixt und zugenäht, es war wirklich etwas
peinlich, aber er hatte keine Ahnung, an wen er sich sonst wenden
konnte. »Ich möchte gern mit dir reden.«
»So weit habe ich es wohl begriffen.« Ihre Augen
blitzten erwartungsvoll. »Ich bin alt, aber noch nicht völlig
senil.«
Nein, das war sie nicht. Sie war einer der
klügsten Menschen, die er kannte. Sie war außerdem eine Frau.
Und sie hatte drei Kinder geboren. Er hatte
zwei Tanten, die eine lebte in Sussex, die andere in
Berkshire.
»Es geht um Brianna«, sagte er verunsichert,
weil er nicht wusste, wie er das Gespräch beginnen sollte – noch
dazu mit seiner Großmutter.
»Eine wunderbare, junge Frau«, bekräftigte die
Herzoginwitwe. »Zuerst hatte ich befürchtet, sie wäre eine von
diesen hohlköpfigen, verwöhnten Ziegen ohne einen Funken Verstand.
Aber sie ist das genaue Gegenteil. Ihre Schönheit übertrifft
jedenfalls nicht ihren Intellekt. Gute Wahl.«
Nun, das glaubte er auch, aber er war nicht
hergekommen, um sich in der Wahl seiner Ehefrau bestätigen zu
lassen. »Ich danke dir. Ich stimme dir zu. Jedenfalls …«
Seine Großmutter musterte ihn, als er
verstummte. Ihr immer noch kaum faltiges Gesicht war ausdruckslos,
das weiße Haar trug sie aufgesteckt, und eine von blauen Venen
überzogene Hand ruhte auf dem Knauf ihres Gehstocks. »Jedenfalls?«,
wiederholte sie.
Wie machte man das bloß? Er räusperte sich.
»Jedenfalls mache ich mir Sorgen um ihre Gesundheit.«
»Brianna? Sie sieht großartig aus.«
Vorsichtig sagte er: »Sie schläft neuerdings
ziemlich viel, und heute Morgen klagte sie über Übelkeit. Mehr
noch, ich habe auch ein paar andere Symptome bemerkt. Ich vermute,
ich bin hier, weil ich eine Expertenmeinung einholen möchte, ob ich
mit meiner Vermutung richtig liege.«
»Ein Kind?« Die Augen seiner Großmutter
strahlten. »So bald? Gut gemacht.«
Herrgott, warum es ihm nicht behagte, darüber zu
sprechen, war ihm ein Rätsel. Er war ein verheirateter Mann, und
natürlich wusste seine Großmutter, dass er mit seiner Frau intim
war. Aber trotzdem war es nicht gerade die leichteste Unterhaltung
für ihn. »Sie ist überfällig. Dessen bin ich mir sicher. Es ist
eine Weile her, seit sie mich … also …«
»Seit sie dich aus ihrem Bett verbannt
hat?«
»Ja.« Er war erleichtert, dieses Thema nicht
weiter ausführen zu müssen. Er war vielleicht Herzog und seit heute
neunundzwanzig Jahre alt, aber er war nicht sicher, ob er
weltgewandt genug für ausgerechnet diese Art Unterhaltung war. »Ich
will nur wissen, ob du glaubst, dass ich recht habe und sie
tatsächlich schwanger ist. Ich könnte einen Arzt rufen, aber
Brianna scheint nicht zu glauben, dass ihr etwas fehlt, und es käme
mir anmaßend vor, wenn ich so vorginge. Meiner Meinung nach ist sie
in dieser Frage nicht genügend geschult, um die richtige
Schlussfolgerung aus ihrer Erschöpfung und der Übelkeit zu
ziehen.«
»Die Anzeichen sind sicher vielversprechend.
Sind ihre Brüste größer und empfindlicher?«
Es gab einige Dinge, die zu diskutieren er
einfach nicht gewillt
war. Er murmelte: »Über so etwas führe ich wohl kaum Buch.«
»Du könntest es ausprobieren. Ich bin sicher,
das würde dir nicht allzu schwerfallen.«
Er blickte hastig auf und bemerkte den
schalkhaften Zug um den Mund seiner Großmutter. Trocken bemerkte
er: »Bei allem nötigen Respekt, aber ich schätze es nicht
besonders, wenn du dich über den Umstand amüsierst, dass mir dieses
Gespräch peinlich ist. Ich kam her, um deinen Rat einzuholen, und
nicht, um dich zu unterhalten.«
Sie klopfte kichernd mit ihrem Stock auf den
Teppich. »Vergib mir, aber es kommt nicht oft vor, dass ich dich
verwirrt sehe, Colton. Du bist immer ein Vorbild an Gelassenheit.
Ich konnte dieser letzten Bemerkung einfach nicht widerstehen, aber
ich gebe zu, dass sie nicht besonders fair war. Ich möchte mich
dafür entschuldigen. Lass mich noch Folgendes hinzufügen: Wenn
Brianna dein Kind unter dem Herzen trägt – und für mich klingt es
danach -, dann ist das eine völlig normale Sache. Wir alle gelangen
auf diese Weise auf die Welt. Du liebst sie, darum bist du
verständlicherweise um sie besorgt. Aber quäl dich nicht.Wenn es
passiert ist, wird sie schon bald genug zum selben Schluss kommen.
Raube ihr nicht die Freude, diejenige zu sein, die es uns
erzählt.«
Du liebst sie.
Er öffnete den Mund, um es abzustreiten. Um ihr
zu erklären, dass er Brianna geheiratet hatte, weil er sie
begehrte. Weil sie anmutig und intelligent war, und ihr
Familienstammbaum tadellos.
Bestimmt hatte er sie nicht geheiratet, weil er
sich in sie verliebt hatte.
Oder doch?
Liebte er sie? Eine gewisse Hilflosigkeit legte
sich wie ein Schleier über ihn, weil er es nicht wusste. Natürlich
liebte er seine Mutter, seine Brüder und seine Großmutter, aber das
war etwas völlig anderes als eine romantische Liebe. Er hatte in
seinem Leben nie zuvor eine Erfahrung gemacht, mit der er diese
neuen Gefühle vergleichen konnte. Und warum musste ein Mann denn
auch ständig seine Gefühle auf den Prüfstand stellen?
Er schwieg.
Seine Großmutter sprach unterdes weiter. »… Du
musst verstehen, dass es für eine Frau etwas ganz Besonderes ist,
wenn sie ihrem Mann sagen darf, dass sie sein Kind empfangen hat.
Ich finde, du solltest einfach warten, bis deine Frau ihre
Schwangerschaft bemerkt. Und wenn sie dir die Neuigkeit mitteilt,
solltest du dich angemessen freuen.«
»Ich freue mich doch!«, wandte er ein. »Den Teil
brauche ich kaum zu spielen.«
»Es könnte nicht schaden, wenn du deine Sorge
kaschierst. Sie wird auch so nervös genug sein, wenn du sie nicht
ständig umsorgst.«
Er hatte noch nie jemanden umsorgt. Gereizt, aber dennoch achtsam, weil er
schließlich mit seiner Großmutter sprach, sagte er scharf: »Ich
habe nicht vor, sie wie eine Kranke zu behandeln.«
Obwohl er es sehr
genossen hatte, Brianna in den Armen zu halten, als sie nach ihrem
Mittagessen im Freien eingeschlafen war. Ihr leichtes Gewicht hatte
an seiner Brust geruht, und ihr Atem hatte seinen Hals gestreift,
während sie schlummerte. Als die anderen von ihrem Spaziergang
zurückkamen, hatte er einen Finger auf seine Lippen gelegt, damit
niemand sie aufweckte. Er
hatte sie festgehalten, bis sie sich schließlich rührte. Es war
eine gute Stunde vergangen, seit die anderen auf ihre Pferde
gestiegen und zum Haus zurückgeritten waren.
Ja, vielleicht umsorgte er sie doch ein
bisschen.
Eine weiße Braue hob sich leicht. Seine
Großmutter fuhr ungerührt mit ihrem Vortrag fort. »Tu das nicht.
Sie ist jung und gesund, und die Erschöpfung wird ebenso
vorübergehen wie die morgendliche Übelkeit. Ich habe das mehr als
einmal durchgemacht.«
»Darf sie reiten? Ich bin absichtlich heute
mitgekommen, um ein Auge auf sie zu haben. Ein Sturz wäre in ihrem
Zustand bestimmt schädlich.« Seine Unwissenheit, wenn es um
schwangere Frauen ging, hatte ihn noch nie gekümmert, aber jetzt
lähmte sie ihn geradezu. Er wusste nicht, wie er sich verhalten
sollte, und es missfiel ihm, wenn er ratlos war. Er war gewohnt,
weitreichende Entscheidungen zu treffen, ob es Investitionen oder
politische Themen waren. Bei Brianna war er dagegen vollkommen
ratlos.
»Also, sie sollte nicht querfeldein galoppieren
und über Zäune springen. Aber ein hübscher, gemächlicher Ritt wird
ihr nicht schaden, bis sie zu unförmig wird, um aufs Pferd zu
steigen. Sie wird wissen, wann es Zeit ist, damit
aufzuhören.«
»Wie denn? Ich bin sicher, sie hat absolut keine
Ahnung, dass sie schwanger sein könnte.«
»Mein lieber Junge. Was denkst du, wie vermehren
sich die Tiere?Vielleicht vergraben wir unsere Instinkte unter
einem Firnis zivilisierten Verhaltens, aber letztlich haben wir
Menschen diese Instinkte noch. Vertrau mir. Sie wird wissen, wie
sie auf sich aufpassen muss, um der Gesundheit des Kindes nicht zu
schaden. Das Einzige, was von dir gefordert wird, ist, ihr deine
Unterstützung
zu versichern. Mach ihr klar, dass sie, wenn sie irgendetwas von
dir braucht, dich bloß darum bitten muss. Dann wird alles
gut.«
Alles wird gut. Er hoffte es. Natürlich wollte
er einen Erben, aber er hatte nicht mit diesen Befürchtungen
gerechnet. Die Geburt eines Kindes ging nie ohne Risiken
vonstatten. Das war eine Angst, von der er nicht erwartet hatte,
dass sie seine Freude trüben könnte.
Was ist, wenn ich sie verliere?
Seine Großmutter schien seine Gedanken zu
erraten. »Freut euch des Wunders, Colton. Ein wenig Sorge gehört
natürlich dazu, aber die meisten Frauen schaffen es ganz
ausgezeichnet. Es gibt einige Dinge, die nicht mal Wohlstand und
ein Titel uns garantieren können. Es wäre Verschwendung, die Freude
dieses Tages zu trüben, weil du dich wegen des nächsten
sorgst.«
Ach, verdammt. Sie hatte natürlich recht.
Er stand auf und trat zu ihr, um sich über ihre
Hand zu beugen. »Ich danke dir. Dein Rat ist für mich von
unschätzbarem Wert.«
Die dürren Finger, die seine umschlossen,
fühlten sich zerbrechlich wie die Knöchelchen eines Vogels an, aber
in ihren Augen las er Bestimmtheit. »Ich bin so froh, dass du
Brianna hast. Jetzt müssen wir nur noch dafür Sorge tragen, dass
Robert sich mit seiner jungen Lady einlässt, und dann kümmern wir
uns um Damien. Obwohl ich an seiner Kooperationsbereitschaft
zweifle. Aber dann kann ich in Frieden gehen.«
»Ich habe kein Interesse daran, dich irgendwohin
gehen zu lassen, und was zum Teuf…« Überrascht unterdrückte er
gerade noch rechtzeitig den Fluch. »Ich meine, worüber redest du?
Roberts junge Lady?«
»Miss Marston. Er ist von ihr recht
angetan.«
Miss Marston? Miss Rebecca Marston, die
gemeinsam mit ihrem beschützerischen Vater und einem tadellosen Ruf
angereist war? Das war unmöglich. Nicht sein verwegener und
unabhängiger junger Bruder. Vorsichtig sagte Colton: »Du musst dich
irren.«
»Hast du sie nicht gestern Abend
beobachtet?«
Er runzelte die Stirn. »Doch, habe ich. Sie
haben gut miteinander gespielt, aber ehrlich gesagt …«
»Ich stimme dir zu«, unterbrach sie ihn
lächelnd. »Sie passen wirklich sehr gut zusammen. Wie sie ihn
überreden konnte, mit ihm zu spielen, weiß ich nicht genau. Aber es
beweist nur, dass Miss Marston einen gewissen Einfluss auf ihn hat,
oder nicht?«
»Miss Marston hat ihn überredet, Cello zu
spielen?« Colton dachte kurz darüber nach. »Er hat mir gesagt, er
hätte gespielt, weil Brianna ihn darum gebeten hat.«
Seine Großmutter kicherte vergnügt. »Er hat dich
angelogen, weißt du? Ich habe nämlich deine Frau gefragt, wie sie
ihn dazu bewegen konnte, und sie hat mir rundheraus erklärt, dass
ihre hübsche, junge Freundin diejenige war, die deinen Bruder
überzeugte, sein Instrument vor Gott und die Welt zu zerren.«
Es sah Robert überhaupt nicht ähnlich, ihm die
Unwahrheit zu sagen. Und jetzt, da Colton noch einmal darüber
nachdachte, erinnerte er sich an ein paar interessante Andeutungen,
die Damien gemacht hatte.
Eine Romanze direkt unter seinen Augen, in die
ausgerechnet sein Bruder verwickelt war, und er hatte es nicht
bemerkt?
Offensichtlich musste er wirklich mehr Zeit außerhalb seines Arbeitszimmers
verbringen.