Kleingedrucktes

Vorigen Mittwoch wurde ich durch heftiges Klopfen an meiner Wohnungstür geweckt, das von noch heftigeren Fußtritten begleitet war. Von Neugier gepackt, öffnete ich die Tür und fand ein bebrilltes Individuum, in dessen Windschatten zwei kräftige Möbelpacker herumlungerten.

»Guten Morgen«, sagte der Bebrillte, »wir kommen von der Immobilien-Bank, um Ihr Mobiliar wegzuschaffen.«

Ich fragte naturgemäß warum, worauf der Bebrillte mir ein Dutzend bedruckter Blätter unter die Nase hielt und mich fragte, ob die Unterschrift auf der gestrichelten Linie die meine wäre?

Ich erkannte sofort die Formulare, die ich vor zwei Monaten als Bürge für meinen Nachbarn Felix Selig unterschrieben hatte, weil er einen Kredit aufnehmen wollte. Leugnen half nichts, ich gestand.

»Na also«, verkündete der Bebrillte. »Hier auf Seite neun, unter der Klausel B5, Ziffer 138 steht, ich zitiere: ›Ich, der Unterzeichnete, im folgenden Bürge genannt, verpflichte mich, meinen gesamten Hausrat der Immobilien-Bank zu überlassen, wann immer die Direktion der oberwähnten Bank den geeigneten Zeitpunkt dafür bestimmt.«

Mir brach der kalte Schweiß aus. Ich versuchte, die Vorgänge zu rekonstruieren. Ja, ich war zu irgendeinem Beamten in Felix Seligs Hausbank gegangen, um ihm zu sagen, daß es mein Wunsch wäre – Wunsch? –, für Seligs Kredit zu bürgen, worauf der Beamte etwa ein Kilogramm eng bedruckter Formulare auf den Tisch legte und befahl: »Unterschreiben Sie hier bitte . . . und hier . . . und jetzt da . . . und da und dankeschön.«

Ob ich den Text gelesen habe?

Haben Sie, verehrter Leser, schon jemals an einem Bankschalter »Krieg und Frieden« gelesen?

»Also tun Sie Ihre Pflicht«, sagte ich dem Bebrillten mit belegter Stimme. Die beiden Gewalttäter stürzten sich auf meine Möbel, und wenige Minuten später war meine Wohnung völlig leer. Sie waren gerade dabei, meinen allerletzten Lehnstuhl hinauszutragen, als ein hakennasiger Mensch mit einem Polizisten im Schlepptau des Weges kam.

»Ist das Ihre Unterschrift?« fragte mich der Ordnungshüter, während er auf ein seriös wirkendes Papier hinwies, das ich nach einer Überquerung des Rothschild-Boulevards bei Rotlicht unterschrieben hatte.

Ich identifizierte meine Unterschrift.

»Dann muß ich Sie bitten, mich zum Gerichtshof zu begleiten«, sagte der Polizist, »damit Ihr Todesurteil verkündet werden kann.«

Ich blickte noch einmal auf das Papier. Er hatte vollkommen recht. Auf dem Rothschild-Zettel stand:

»Der Angeklagte gesteht, in Tiberias einen Doppelmord begangen zu haben, und wünscht gehängt zu werden.«

Natürlich hatte ich widerspruchslos auf der punktierten Linie unterschrieben.

»Wohlan denn«, flüsterte ich, »ich bin bereit.«

»Einen Moment noch«, sagte die Hakennase, »ich komme in Sachen Herz und Nieren«, und zeigte mir meine Unterschrift auf meiner Lebensversicherungspolice, Seite 12, Absatz 2, § 65/d: »Der Versicherte ist verpflichtet, sowohl sein Herz als auch seine Nieren für jeden beliebigen Zweck zu spenden, den die Versicherungsgesellschaft bestimmt.«

Ich sagte: »Gut, meine Herren, laßt uns gehen, möge ich in Frieden ruhen.«

Das ist alles.

Mein Begräbnis ist morgen mittag.

Abraham Kann Nichts Dafür. 66 Neue Satiren.
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