Marktpsychologie

An einem besonders heißen Sommertag lag ich flach in der Badewanne und träumte von Eisbären. Die Türglocke beendete meine Polarexpedition. Da die beste Ehefrau von allen wieder einmal im vollklimatisierten Supermarkt einkaufen war, sah ich mich genötigt, meine subtropische Trägheit zu überwinden und selbst zu öffnen.

Vor meiner Tür bot sich mir ein unerwarteter Anblick: ein überdimensionaler Schiffscontainer. Daneben stand ein kleiner, ausgemergelter Mann, der auch schon bessere Tage gesehen hatte, der arme Teufel.

»Guten Tag«, sagte der arme Teufel, »wünschen Sie eine Tomate?«

Davon war nämlich der Container randvoll. Mit wunderschönen, reifen Tomaten. Das heißt, dem Geruch nach waren sie sogar schon ein bißchen überreif.

»Sie sind sicher überrascht, daß ich Ihnen Tomaten anbiete«, reagierte der arme Teufel auf meine gerümpfte Nase, »noch dazu zu einem Zeitpunkt, wo Tomaten tonnenweise auf den Mülldeponien verfaulen. Aber damit beweisen Sie nur, daß Sie unsere Marktpolitik nicht begriffen haben.«

»Das müssen Sie mir näher erklären.«

»Gerne, mein Herr. Sehen Sie, Sie sind durch die Tatsache irregeführt, daß man in diesem Jahr unbegrenzte Mengen Tomaten kaufen kann, weil die Bauern viel zu viele angebaut haben. Doch jeder, der fähig ist zu denken, muß vor dem nächsten Jahr erschauern.«

»Wieso?«

»Können Sie sich auch nur einen einzigen Bauern vorstellen, der nach dieser katastrophalen Überproduktion in der nächsten Saison Tomaten anpflanzen wird? Ich nicht. Nicht für Geld und nicht für gute Worte wird es im kommenden Jahr Tomaten geben. Für eine einzige dieser herrlichen Früchte wird Bruder gegen Bruder die Hand erheben. Aber Sie, mein Herr, Sie und Ihre kleine Familie werden in beneidenswertem Glück und persönlicher Zufriedenheit schwelgen, sozusagen in Noahs Vitamin-Arche, denn Sie, mein Herr, Sie haben genügend Vorräte des roten Goldes auf die Seite gelegt! Mensch, kapieren Sie nicht, was Fortuna Ihnen anbietet? Sicherheit! Ein Leben in Überfluß! Das reinste Paradies. Ihre werte Frau Gemahlin wird Ihnen bis zu Ihrem letzten Atemzug dankbar sein. Also, was ist?«

»Nun gut«, besann ich mich noch rechtzeitig, »geben Sie mir ein Kilo, aber von den schönsten.«

»Tut mir leid«, antwortete der arme Teufel, »ich kann Ihnen nur ein halbes Kilo geben. Ich muß auch an meine anderen Kunden denken.«

In diesem schicksalhaften Augenblick ging mein Selbsterhaltungstrieb mit mir durch. Die Zeiten der Nächstenliebe sind vorbei. Sollen doch die anderen sehen, wo sie bleiben. Mir geht meine Familie über alles.

»Ich kaufe den ganzen Container«, stieß ich heiser hervor. »Geld spielt keine Rolle.«

»Macht 200000 Shekel«, sagte der arme Teufel und kippte den ganzen Schiffsinhalt in den Rosengarten vor unserem Haus. Die obersten Tomaten erreichten gerade den ersten Stock. Ich zahlte bar, und der Marktpsychologe fuhr mit dem leeren Container davon. Kurz darauf kam meine Frau nach Hause und ließ sich scheiden.

Abraham Kann Nichts Dafür. 66 Neue Satiren.
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