Feiertage
»Ein Feiertag kommt selten allein«, sagten schon unsere Urväter seligen Andenkens vor etwa drei bis fünf Jahrtausenden und erfanden jene alle Rekorde brechende Serie hoher jüdischer Feiertage.
Wahrhaftig, wer immer es wagt, über diesen Feiertagsmarathon nicht in helle Verzückung zu geraten, kann nur ein gottloser Ketzer sein. Zumindest aber ein ausbeuterischer Arbeitgeber oder gar ein Briefträger, der sich vor den Feiertagen mit Tonnen von Glückwunschkarten abschleppen muß.
Ich für meine Person bin weder ein Postsklave noch ein Großkapitalist. Nein, ich bin Angehöriger eines freischaffenden Berufes, nämlich ein Ehemann, und als solcher ertrinke ich regelmäßig in der jährlichen Festtagsschwemme.
An der besten Ehefrau von allen vollzieht sich zum Beispiel schon etliche Tage vor dem hohen Fest eine merkwürdige Wandlung: sie wird in zunehmendem Maße fahrig und nervös. Ihr Zustand gipfelt in der krankhaften Besessenheit einzukaufen. Aus unerfindlichen Gründen pflegt sie für die Festtage Hüte, Blumentöpfe, Türvorleger, Bilderrahmen, zwei neue Leitern und eine Kleiderbürste für mich einzukaufen.
Alle diese Dinge mögen sehr wichtig, vielleicht sogar lebensnotwendig sein, nur hat mir bis zum heutigen Tag niemand erklären können, warum dieses Zeug ausgerechnet vor den Feiertagen erstanden werden muß.
Ich setzte mich eines Tages hin und überprüfte jedes einzelne der 615 einschlägigen Gesetze unserer heiligen Religion, fand aber nicht den geringsten Anhaltspunkt für ein Gebot, das einer Ehefrau vorschreibt, vor irgendeinem Festtag einen blau-gelb gemusterten Wandteppich zu kaufen . . . Es gäbe dazu noch weiteres zu bemerken.
Angenommen, man möchte zwei bis drei Wochen vor den Feiertagen Jascha Honigmann treffen, um jene fünfzig Shekel zurückzufordern, die man ihm vor drei Monaten für eine Woche geborgt hat. Und jetzt wette ich ein kaum gebrauchtes Gebetsbuch gegen eine junge Milchziege, daß Honigmann auf die energische Forderung prompt antworten wird: »Selbstverständlich. Aber erst nach den Feiertagen.«
Ich frage, warum? Warum nach den Feiertagen? Warum in aller Welt nicht vor den Feiertagen?
Schön, ich kann mir ein gewisses Verständnis dafür abringen, daß ein religiöser Festtag bei einem gläubigen Menschen eine erhebende Stimmung hervorrufen mag. Aber das sollte ihn nicht daran hindern, Schulden zu bezahlen. Ganz im Gegenteil, die vor einem hohen Feiertag unerläßliche Selbstläuterung sollte ihm zur seelischen Entlastung gereichen, mir meine lausigen fünfzig Shekel feierlich zurückzuzahlen.
Aber nicht nur Jascha Honigmann ist von dieser Seuche befallen.
Aus mysteriösen Gründen hält es auch die chemische Reinigung für selbstverständlich, die Kaffeeflecken erst nach den Feiertagen aus meiner Hose zu entfernen.
Und mein Zahnarzt wird erst nach den Festtagen die längst fällige Wurzelbehandlung in die Wege leiten.
Natürlich läßt mich auch der Installateur Stucks wissen, daß er sich leider nicht in der Lage sähe, noch vor den Feiertagen meinen defekten Wasserhahn . . .
Die Zeit scheint tatsächlich stillzustehen.
Und wenn nicht die Zeit, dann auf alle Fälle die guten Handwerker.
Und mein Verstand.
Warum wohl, fragt meine verzweifelnde Vernunft, warum um Himmels willen, kann auch eine Friedenskonferenz erst nach den Feiertagen feierlich tagen?
Sollte der verehrte Leser eine plausible Erklärung auf diese schwerwiegenden Fragen finden, wäre ich höchst begierig, sie zu erfahren.
Ich bin täglich am späten Vormittag telefonisch zu erreichen. Aber bitte erst nach den Feiertagen.