Trillerpfeife
Der erste wirklich warme Frühlingstag veranlaßte mich, mein Lieblingsschwimmbad aufzusuchen. Mit einem Blick hatte ich die Lage im Griff. Dieselbe zweifelhafte Reinlichkeit, derselbe Mangel an Ruhe, derselbe nervöse Bademeister mit derselben erbarmungslosen Trillerpfeife.
Beim zweiten Hinsehen entdeckte ich jedoch neben dem Eingang ein kleines, seichtes Fußbassin mit einer glänzenden, automatischen Chromstahlbrause. Diese sollte jeden unbescholtenen Badegast zu einer eiskalten Dusche zwingen, ehe er sich dem unbeschwerten Badevergnügen hingab. An der Wand war die höhnische Aufschrift zu lesen:
»Haben Sie schon geduscht?«
Was mich betrifft, so habe ich nicht das Geringste gegen eine eiskalte Dusche am Morgen, vorausgesetzt, das Wasser ist angenehm warm. Daher fühlte ich mich auf unfaire Weise überrumpelt. Der einzige Ausweg, dem kalten Strahl zu entgehen, war, die Wand neben der Wasserfalle zu bezwingen. Das tat ich auch prompt und es gelang mir, fast völlig trocken die ersehnte Badezone zu erreichen.
»Trrr, trrr!« pfiff der Bademeister erbost. »Sie da, die Dusche ist hier, um im Interesse der allgemeinen Hygiene benutzt zu werden. Ist das klar?«
»Vollkommen klar.«
»Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß auch Sie dieses Schwimmbad von bösartigen Bakterien freihalten wollen.«
»Richtig.«
»Darf ich Sie also bitten, zu duschen.«
»Nein. Das Wasser ist mir zu kalt.«
Der Bademeister sagte kein Wort mehr, doch am nächsten Tag war die Wand mit einem Stacheldraht versehen. Ich eilte zu meinem Wagen, kam mit einer Stahlzange zurück und durchschnitt die bedrohlichen Stacheln. Dann kletterte ich wieder über die Mauer und stürzte mich ins Becken.
Der Bademeister verfolgte mich mit Geierblick.
Am nächsten Morgen reichte die Duschvorrichtung durch ein verlängertes Wasserrohr, das lauter kleine Löcher hatte, über die ganze Mauerlänge. Auf eine derartige List war ich natürlich vorbereitet. Ich öffnete meinen großen, schwarzen Regenschirm, den ich eigens zu diesem Zweck mitgebracht hatte, und gelangte, nur leicht berieselt, ans Ziel.
»Trrr, trrr!« erregte sich der Bademeister. »Was soll das? Was haben Sie da?«
»Einen Regenschirm«, sagte ich, »warum?«
In den Augen des Bademeisters loderten Zornesflammen. Daß er mir nicht auf der Stelle den Hals umdrehte, verdankte ich nur der äußerst streng formulierten Badeordnung.
Am anderen Tag stand eine radargesteuerte Regenschirmkontrollanlage am Eingang des Schwimmbades. Ich mußte mir eine neue duschfeste Lösung einfallen lassen.
Es war ganz einfach.
Ich schrumpfte auf Regenwurmgröße zusammen, hielt die Luft an und tauchte durchs Abflußrohr ins Schwimmbad. Vielleicht gibt es eine bequemere Art, ein Schwimmbecken trocken zu erreichen, aber der Weg zur trillerlosen Freiheit hat schon immer seine Opfer gefordert.